Ein Magdeburger an der Ostsee

Wolfgang Schreyer und seine Bücher

Diese neue Reihe der Autorenbücher bei EDITION digital möchte Lust machen – Lust auf Schriftsteller und ihre Texte, die teils in einer Vielzahl ihrer jeweiligen Werke, teils sogar vollständig als E-Books bei EDITION digital vorliegen. So wird es möglich, sich ein umfassendes Bild des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin zu machen oder sich hin und wieder mit einzelnen seiner beziehungsweise ihrer Bücher zu beschäftigen. Zu Beginn jedes Autorenbuches finden sich eine kurze Einführung in Leben und Werk sowie eine biografische und eine bibliografische Übersicht. Danach folgen in chronologischer Folge der jeweiligen gedruckten... alles anzeigen expand_more

Diese neue Reihe der Autorenbücher bei EDITION digital möchte Lust machen – Lust auf Schriftsteller und ihre Texte, die teils in einer Vielzahl ihrer jeweiligen Werke, teils sogar vollständig als E-Books bei EDITION digital vorliegen. So wird es möglich, sich ein umfassendes Bild des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin zu machen oder sich hin und wieder mit einzelnen seiner beziehungsweise ihrer Bücher zu beschäftigen.

Zu Beginn jedes Autorenbuches finden sich eine kurze Einführung in Leben und Werk sowie eine biografische und eine bibliografische Übersicht. Danach folgen in chronologischer Folge der jeweiligen gedruckten Erstausgaben Auszüge aus den Büchern.

Der kurz vor seinem 90. Geburtstag am 20. November 2017 in Ahrenshoop in Mecklenburg-Vorpommern gestorbene Schriftsteller Wolfgang Schreyer gehörte zu den produktivsten und erfolgreichsten und nicht zuletzt meistgelesenen Autoren der DDR. Während mehr als sechs Jahrzehnten schriftstellerischer Arbeit veröffentlichte Schreyer mehr als 40 Bücher in einer Gesamtauflage von rund sechs Millionen Exemplaren. Eine Reihe seiner Bücher wurden von der DEFA oder vom DDR-Fernsehfunk verfilmt, darunter „Der Traum des Hauptmann Loy“ (1961) und „Das grüne Ungeheuer“ (1962) sowie „Preludio 11“ (1963), Alaskafüchse (1964) und „Der Adjutant“ (1972).

Kennzeichen seiner Bücher waren ein oft abenteuerliches und spannendes Schreiben ebenso wie sehr gut recherchierte und an Tatsachen orientierte Texte. Auch wenn sein literarisches Werk in weiten Teilen der Unterhaltungsliteratur zuzuordnen ist und oft an für DDR-Zeiten exotischen Schauplätzen wie in Lateinamerika, der Karibik und den USA spielt, wo auch der DDR-Bürger Wolfgang Schreyer vor der Wende kaum hinkam, trägt es fast immer gesellschaftskritische Züge – die Kritik am eigenen Land nicht ausgeschlossen. Nicht zuletzt wegen seiner Freundschaft mit Stefan Heym stand Schreyer seit 1958 mehrfach für längere Zeit unter Beobachtung der DDR-Staatssicherheit.



Wolfgang Schreyer. Kurze Einführung.

E-Books: Wolfgang Schreyer bei der EDITION digital

Großgarage Südwest

Mit Kräuterschnaps und Gottvertrauen

Unternehmen Thunderstorm

Unternehmen Thunderstorm, Band 2

Die Banknote

Schüsse über der Ostsee

Der Traum des Hauptmann Loy

Der Spion von Akrotiri

Das Attentat

Alaskafüchse

Das grüne Ungeheuer (Der grüne Papst)

Entscheidung an der Weichsel

Tempel des Satans

„Augen am Himmel – Eine Piratenchronik

Preludio 11

Fremder im Paradies

Aufstand des Sisyphos

Der gelbe Hai

Bananengangster

Der Adjutant

Der Resident

Tod des Chef oder Die Liebe zur Opposition

Schwarzer Dezember

Die Entführung

Der Reporter

Die Suche oder Die Abenteuer des Uwe Reuss

Eiskalt im Paradies

Die fünf Leben des Dr. Gundlach

Der Fund oder Die Abenteuer des Uwe Reuss

Der Mann auf den Klippen

Der sechste Sinn

Unabwendbar

Die Beute

Endzeit der Sieger

Alpträume

Nebel

Das Quartett

Der zweite Mann



Der Adjutant



Erstmals 1971 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig den 1. Band seiner Dominikanischen Tragödie „Der Adjutant“: Santo Domingo, Frühjahr 1961: eine Handvoll junger Männer -Offiziere, Söhne der Reichen - will den Diktator Trujillo stürzen. Dessen Herrschaft aber ist perfekt gesichert, in 31 Jahren versteinert. Kann ein Putsch in diesem Polizeistaat glücken? Im Mittelpunkt steht Juan Tomás, des Diktators 1. Adjutant. Aufgewachsen unter Trujillo und fest eingefügt in den Alltag des Regimes, das System der Korruption, totaler Kontrolle und befohlener Verehrung, löst er sich innerlich daraus erst, als man ihn nötigt, im Namen der Staatsräson seine Liebste zu verlassen, heuchlerische Texte zu schreiben und dem Chef ein Mädchen zuzuführen, das sich dem widersetzt. Gezwungen, Menschen zu vernichten, will Tomás durch die Tat sein Prätorianerdasein beenden. Er will das Beste für sein Land. Was wollen seine Gefährten? Das Buch schildert die Verschwörung, deren Ursachen und Folgen minutiös nach Dokumenten und der Erinnerung von Augenzeugen. Es führt in die bizarre Welt einer Bananenrepublik: vom Nationalpalast, der prunkvoll-barbarischen Machtzentrale, in den uralten Stadtkern, das Villenviertel und den Hungergürtel der Metropole, an Sandstrände, in Kirchen, durch Zuckerrohrfelder zu heimlichen Rendezvous, in Armeestäbe, in die US-Botschaft und das Haus der Mätressen bis zum Ort des historischen Attentats. Zwischen Spitzeln und Ministern, Star-Journalisten und Oppositionellen, der Millionärstochter Cindy und der Schauspielerin Angelique, zwischen aufrechten und zerbrochenen Menschen sucht Tomás seinen Weg - zwischen Ehrgeiz und Freundschaft, Hass und Liebe, Irrtum und Einsicht. Der Verfasser hat in jenen Jahren mehrfach Cuba bereist und das Geschehen auf der Nachbarinsel nach dem Zeugnis dominikanischer Emigranten festgehalten. Gestützt auf solche Erfahrungen erzählt er das Ende der Ära Trujillo ohne eine Spur von Schwarzweiß. Deutlich werden die Zwänge, die alle Akteure treiben und doch hemmen, ihr Werk fördern, entstellen oder scheitern lassen. Ein Hauch von Ironie und Tragik durchdringt diesen Roman, der 1972 als Fernseh-Mehrteiler unter der Regie von Peter Deutsch mit Ezard Haußmann in der Hauptrolle verfilmt wurde. Und so beginnt der spannende Roman:

„Erstes Kapitel

1

Als Hauptmann Juan Tomás erwachte, fiel ihm Angelique ein: die funkelnden Augen, der vibrierende Körper, die bernsteinfarbene Haut. An ihren Zunamen erinnerte er sich nicht. Ein französischer Name; er musste auf dem Programmzettel stehen. Für halb neun hatte er sie in den Palast bestellt, zu einem der Gespräche, die sich in gewissem Abstand wiederholten – alle drei oder vier Monate, mit wechselnden Partnerinnen. Anfangs hatten sie ihn amüsiert, und es war noch immer eine Abwechslung im Dienst. Trotzdem wollte er nicht daran denken. Es gab weiß Gott Wichtigeres als diese Mädchen.

Er hörte die Zeitung durch den Briefschlitz fallen, ein angenehmer Laut, satt und zivil. Seit seiner Ernennung zum Chef des Adjutantenkorps genoss er das Vorrecht der Stabsoffiziere, privat zu wohnen. Nicht mehr der Kasernengeruch, die Karabiner auf dem Korridor, kein Pfeifen, kein Trompetenstoß. Dafür die Huptöne vom Parque de la Independencia, die Glocken der Kathedrale und das Schiffstuten vom Río Ozama... Selbst auf die Dienste seines Burschen hatte er verzichtet.

Druckfrisch roch „El Caribe“, die beste Zeitung des Landes. Tomás überflog den Leitartikel; er behandelte den geistigmoralischen Aspekt der Krise. Tirados Stilkunst in Ehren, doch dazu war nichts Neues mehr zu sagen, sofern man (wie es stets geschah) die wirtschaftlichen Folgen beiseite ließ. Tomás blätterte um und fand diese Notiz: „Papst Johannes XXIII. ist gestern beim Besteigen des Podiums des päpstlichen Thrones im Vatikanpalast, wo er eine Audienz abhielt, auf der siebenten Stufe gestürzt. Seine Heiligkeit fiel auf die Hände und richtete sich mit Hilfe des Majordomus und des Geheimkämmerers wieder auf. Der Papst scheint keine Verletzung davongetragen zu haben, und die Audienz fand statt, wie von vatikanischer Seite mitgeteilt wurde.“ Das war natürlich Tirados Hand. Aus der Nachrichtenfülle wählte er unfehlbar dies und setzte es auf Seite zwei, mit der Überschrift: „Papst glitt aus vor seinem Thron“. Das Oberhaupt der Kirche wurde sanft verhöhnt, glatt, unangreifbar! César Eduardo Tirado – ein Journalist von Rang, auch wenn er morgen auf höheren Wink jeden anderen ebenso geschickt herabsetzen würde, sei es nun Lopez Mateos, Quadros oder Kennedy. Er schrieb immer amüsant.

In der Kaserne hatte Tomás mit seinen Kameraden „La Nación“ gelesen, das Staatsorgan – sehr eintönig, steif wie die Handelszeitung „Diario del Comercio“ und zähflüssig wie der ehrbare „Mensajero Cristiano“, das Blatt des Erzbischofs. „La Nación“ hatte er gründlich satt. Über Sport, Mode, Kriminalität und die feine Gesellschaft schrieb das Staatsorgan so wenig wie über Streiks und Revolten im Ausland, ein Thema, das auch die anderen Blätter mieden. „Wir befassen uns lieber mit den positiven Seiten im Leben der Völker“, hatte Tirado kürzlich dazu erklärt, in seinem „Caribe“, den Tomás bei aller Einschränkung mit Vergnügen las... Er vertiefte sich in die Lokalnachrichten, doch seine Gedanken schweiften ab. Arme „Nación“! Es hieß, Rafael Trujillo selbst greife in die Gestaltung ein. Mitunter strich er in letzter Minute einen Artikel und ersetzte ihn durch selbstverfasste, längst bekannte Texte, die er dem Volk einzuprägen wünschte. „Wenn ein Mann an deinem Haus vorbeigeht, der die geltende Ordnung ändern will, so zeige ihn an“, forderte der letzte Leitartikel, der Tomás erbittert hatte. „Es ist der böseste aller bösen Menschen. Der Verbrecher, der im Gefängnis sitzt, hat jemanden umgebracht oder etwas gestohlen. Aber der Kommunist will alle Menschen umbringen, die er trifft, und alles stehlen, was er finden kann, auch das, was dir und deinem Nachbarn gehört. Er ist dein schlimmster Feind...“ Wahrlich, simpler ging es nicht. Man war bei Gott kein Freund der Roten, doch es lag ja auf der Hand, dass in Russland niemand mehr am Leben wär, wenn der Kommunist jeden umbrachte, den er traf, und alles stahl, was er fand. Da hatte der Chef zu sehr vereinfacht.

Manches verbesserte Trujillo aber auch. Byzantinische Schnörkel, die seinem Sinn für militärische Kürze zuwiderliefen, straffte er eigenhändig. Er hasste ja trotz allem Kriecherei. Aus der Floskel „Der Wohltäter des Vaterlandes, Generalissimus Dr. Rafael Leonidas Trujillo Molina, erwähnte in seiner erleuchteten und transzendentalen Ansprache...“ war seit geraumer Zeit „Generalissimus Rafael L. Trujillo sagte in seiner bedeutenden Rede...“ geworden. Allzu blumige Wendungen („Wir geben den Inhalt der Worte des Wohltäters wieder, so wie wir ihn von seinen erhabenen Lippen pflücken durften“) waren ganz verschwunden. Dennoch blieb das Staatsblatt langweilig wie der Kirchenbote, der gemäß Artikel XXVI des Konkordats jeden Sonntag ein Gebet für den Generalissimus druckte – dafür von anderer Werbung freilich absah, bis auf Annoncen für Mineralwasser, fromme Bücher oder Kunstsalons.

Gewiss, die übrigen Zeitungen boten nicht viel mehr. Ihre kritischen Beiträge zielten stets aufs Ausland und ähnelten einander. Sie waren allesamt mild wie der Koitus eines Kardinals, wie man im Offizierskorps scherzhaft sagte. Wer nur die Presse las und einheimische Sender hörte, der erfuhr zum Beispiel nie, dass die Organisation Amerikanischer Staaten ihrem törichten Waffenembargo und dem Boykott des dominikanischen Zuckers auch noch eine Ausfuhrsperre für Erdöl, Treibstoff, Lastwagen und Ersatzteile hinzugefügt hatte. Vielmehr musste er der Meinung sein, die Regierung Kennedy lasse nur eine Anstandsfrist verstreichen, um die Handelssperren der Ära Eisenhower endlich aufzuheben. Diesen irrigen Eindruck erweckte nicht nur „La Nación“. Tatsächlich verfälschte die ganze dominikanische Presse Erklärungen Kennedys und erst recht Chruschtschows, indem sie das meiste einfach wegließ. Von Castros Reden nahm sie gar nicht erst Notiz. Ihr Informationswert war beschränkt, Tomás wusste und bedauerte es; an ihre Gleichförmigkeit hatte er sich wie jedermann gewöhnt. Umso mehr bewunderte er Tirado. Welch ein Kunststück, das Einerlei aufzulockern und eine flotte Zeitung zu machen, mit lebhaftem Lokalteil, schwarzer Chronik, Klatschspalte und Glossen, die manchmal die Zensurgrenze streiften! Neulich hatte er sogar einfließen lassen, dass es Leute gäbe, die da glaubten, „La Nacíon“ sei außerstande, dem Trujillismus Stimme und Gewicht zu verleihen. So gewagte Sachen las man gern.“



Jürgen Seidel wurde an einem schönen Februarsonntag des Jahres 1958 in Dessau geboren, ist also ein Sonntagskind, ein gebürtiger Sachsen-Anhalter und inzwischen gewissermaßen ein Alter Dessauer. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er allerdings vorwiegend in Halle an der Saale.

Nach Armeezeit sowie Studium der Journalistik in Leipzig verschlug es ihn Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts in den hohen Norden der vormaligen DDR, wo er seitdem als Journalist und Kommunikationstrainer, Rhetorik-Lehrer und Glücksforscher tätig ist.

Seine Interessen reichen von A wie Allgemeinbildung und Antarktis, F wie Fremdsprachen und Fotografieren, L wie Lesen und Latein über R wie Radfahren und Reiten, S wie Saxofonspielen und Schreiben sowie Seidel, Heinrich bis zu Z wie Zahnmedizin und Zukunftsmusik. Vor allem aber ist er neugierig auf Menschen, deren Lebensgeschichten und Lieblingswörter. Jürgen Seidel ist kein Wortspielverderber, und seine Lieblingsfarbe ist ein kräftiges Orange.

Sein Lieblingszitat stammt von Goethe und lautet: „Wer Perlen will, der muss ins Meer sich stürzen.“

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