Ich war ein Spitzeltäter

Aufzeichnungen eines Ahnungslosen

Da wird einer wieder zum Sancho Pansa. Aber der Reihe nach. Dieser spannende Lebensbericht besteht aus zwei Teilen und erlaubt tiefe Einblicke in deutsch-deutsche Geschichte – aus DDR-Zeiten, aus der Zeit der Wende und einigen Jahren danach. Im 1. Teil, „DER MANN MIT DER HORNBRILLE“, schildert der Autor sein Leben als DDR-Schriftsteller, sein Ringen mit der Entscheidung, ob er Mitglied der SED werden soll oder nicht, und eine Begegnung mit zwei Offizieren der DDR-Staatssicherheit im Frühjahr 1970, die ihn zur inoffiziellen Mitarbeit gewinnen wollen und auf listig-hinterhältige Weise auf seine Zuverlässigkeit testen und ihm eine Unterschrift zur... alles anzeigen expand_more

Da wird einer wieder zum Sancho Pansa. Aber der Reihe nach. Dieser spannende Lebensbericht besteht aus zwei Teilen und erlaubt tiefe Einblicke in deutsch-deutsche Geschichte – aus DDR-Zeiten, aus der Zeit der Wende und einigen Jahren danach.

Im 1. Teil, „DER MANN MIT DER HORNBRILLE“, schildert der Autor sein Leben als DDR-Schriftsteller, sein Ringen mit der Entscheidung, ob er Mitglied der SED werden soll oder nicht, und eine Begegnung mit zwei Offizieren der DDR-Staatssicherheit im Frühjahr 1970, die ihn zur inoffiziellen Mitarbeit gewinnen wollen und auf listig-hinterhältige Weise auf seine Zuverlässigkeit testen und ihm eine Unterschrift zur Verschwiegenheit abschwatzen, die ihm Jahrzehnte später große berufliche und persönliche Schwierigkeiten machen wird - auch wenn er einer solchen inoffiziellen Zusammenarbeit nicht zustimmt. Aber das weiß er damals noch nicht. Und manches von dem, was ihm widerfährt und was ihm viel später, bei Einsicht in von der Stasi angelegten Unterlagen erfährt, wird er auch dann nicht verstehen.

Im 2. Teil, „VOM SCHRIFTSTELLER ZUM UNTERNEHMER“, erlebt der Autor die bereits im Titel genannte Veränderung, erlebt neue Veröffentlichungsmöglichkeiten und neue Freiheiten, aber auch Arbeitslosigkeit und neue Unfreiheiten und eine böse Krankheit sowie eine Art Menschenjagd. Der gejagte Mensch ist in diesem Falle der Autor selbst, dem von interessierter Seite unterstellt wird, doch mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben.

Es hatte kein Abbau stattgefunden. So hieß meine tröstliche Diagnose. Vom Fenster aus sah ich den Horizont mit dem fernen, ach so fernen Wald. Ich hörte nun schon die Stimme des anonymen Anrufers, den subversiven Unterton, den Hass in seinen Worten, mit dem er mich zu einem Spitzel machte. Ich fühlte zum ersten Mal, dass es Menschen in meiner unmittelbaren Nähe gab, denen ich nichts getan hatte und die mich trotzdem nicht mochten. Ich ahnte eine Bedrohung. Mein Humor verließ mich. Es war so, als schoss jemand aus einem sicheren Versteck auf mich, und ich wusste nicht die Richtung.

Der Mann versucht sich zu wehren, bekommt es aber mit den Windmühlen der bundesdeutschen Bürokratie zu tun und droht, fast daran zu scheitern. Der Mann kommt sich mehr und mehr vor wie ein Aussätziger vor. Selbst, als er in der neuen Zeit einen der damaligen Stasi-Offiziere wiedertrifft, kann ihm das nicht helfen, die Wahrheit zu sagen – weil sie keiner der heute Mächtigen hören will. Und Don Quijote steigt von der Rosinante herunter.



RSTER TEIL

DER MANN MIT DER HORNBRILLE

DIE SCHÄFERHUNDPRÜFUNG

KLAPPE AUF!

TONI GÖTEL

PREISTRÄGER IN TURNSCHUHEN

1000UNDSEX UNTER GENOSSEN

SCHIEß IN DIE LUFT

GENOSSE NARR

AUFSTAND DER ZAGHAFTEN

DIE BÜRGER NAHEN

LETZTE LESUNG

ZWEITER TEIL

VOM SCHRIFTSTELLER ZUM UNTERNEHMER

ANKUNFT DER HIERGEBLIEBENEN

DER ANRUF

AUF ZUR JAGD

RUFMORD

VERRATEN UND VERKAUFT

VERSUCH, NICHT VERBITTERT ZU WERDEN

BORCHERT, DIE PATRIARCHEN UND ANDERE



In Narem hatte ich einen Literaturklub aufgebaut mit einem festen Kern an Teilnehmern. Ich stellte dort Schriftsteller der Weltliteratur vor und holte auch Autoren der DDR zu Lesungen. Als Erich Loests Buch „Es geht seinen Gang“ erschienen war und für Unruhe in den oberen Regionen sorgte, sandte ich ihm eine Einladung in den Literaturklub. Er sagte zu. Meine Einladung war eine Trotzreaktion gegen alle, die bedenkliche Entwicklungen in unserem Land nicht sehen wollten oder das Benennen als feindliche Haltung sahen. Ich schrieb eine Vorankündigung für die Lokalpresse, in der ich auch Erich Loest vorstellte. Der Artikel erschien einige Tage später. Darin war zu lesen, die Veranstaltungen des Literaturklubs seien schon zu einer guten Tradition geworden. Am kommenden Mittwoch fände wieder ein solcher Abend statt. Das Gespräch führe Wolfgang Eckert. Kein Wort vom Gast dieses Abends, Erich Loest! Ich erhielt Anrufe, ob es wahr wäre, dass Loest aus seinem Werk liest? Als ich bejahte, kam die Frage, warum ich das nicht erwähnt hätte. Ich erwiderte, ich hätte das, man habe es nur nicht gedruckt. Da kam meistens ein längeres Schweigen und dann ein bedeutungsvolles „Aha!“. Ich ärgerte mich über die Fehler, welche solche Ahas hervorriefen. Auf der Suche nach dem Übeltäter verwies mich die Lokalredaktion an die Bezirksredaktion, die Bezirksredaktion an einen Sekretär für Kultur und Bildung der Bezirksleitung der SED. Der führte mich zum Ziel: „Es ist der Nachtredakteur gewesen.“ Damit endete für mich die Nachforschung, wie es sich bei einem Nachtredakteur gehörte, im Zappendusteren. Hell wurde es nur für einige Unterfunktionäre: Sie gerieten in helle Panik. Es wäre vielleicht besser, empfahlen sie mir, Loest zu antworten, im Kreiskulturhaus gäbe es eine Heizungshavarie und die Veranstaltung müsse deshalb leider ausfallen. Ich sagte ihnen, sie könnten das selber tun, die Anschrift Loests hätte ich. Nun wussten sie überhaupt nicht mehr weiter, denn der Kreissekretär befand sich im Urlaub. Sie riefen ihn an. Er soll ihnen geantwortet haben: „Der Eckert wird schon wissen, was er macht.“ Er war ein Mann, der nicht aus Repräsentationsgründen, sondern aus Freude gern ins Theater ging und begeistert Gegenwartsliteratur las, ja, Stellen daraus in seinen Referaten zur kritischen Argumentation verwendete. Solches Verhalten weckt noch heute in mir die schwache Hoffnung, Liebe zur Kunst und Literatur führt vielleicht doch zu vernünftigem Denken bei Politikern.

Ein Oberfunktionär des Bezirkes nahm mich bei einer Tagung beiseite und sagte: „Ich habe gehört, Du hast Loest eingeladen. Warum? Weißt Du nicht, was mit ihm ist?“ „Ich habe Loest eingeladen“, erwiderte ich, „weil mir sein neues Buch gefällt. Da ist ein mittlerer Ingenieur drin, wie ich ihn im Leben kenne. Was soll daran schädlich sein?“ „Du schadest uns nicht“, bemerkte er, „aber Du nützt uns damit auch nichts.“

Derselbe Oberfunktionär schrieb übrigens gleich nach dem Zusammenbruch der DDR Rezensionen in der Presse über Loests Bücher. Ich holte Loest vom Bus ab, der aus Leipzig kam. Meine Einladung in die Wohnung nahm er an. Er machte einen müden Eindruck. Zu Hause bat er mich, sich ein bisschen auf das Sofa legen zu dürfen. Danach besprachen wir den Abend. Ich erzählte ihm von den unliebsamen Vorgängen. Er überlegte und sagte: „Ich mache Ihnen keinen Kummer.“

Dann erzählte er mir seine Bautzener Geschichte, von der ich bisher nichts gewusst hatte, und von seinen kommenden Vorhaben, die weit kritischer als „Es geht seinen Gang“ schon jetzt in seinem Kopf waren. Er deutete die Möglichkeiten an: Entweder erneut Haft oder Ausreisegenehmigung in den Westen. Ich war ganz schön durcheinander. So eine Geschichte wie die Bautzener hatte ich bisher nicht für möglich gehalten. Es fiel mir schwer, sie in meine einigermaßen geordnete DDR-bürgerliche Gedankenwelt zu fügen. Aber Loests plötzliche Zornesausbrüche zwischendurch in den Gesprächen konnte ich jetzt begreifen. Trotzdem sagte ich ihm, wenn dann eines Tages der Kommentator des Westens Gerhard Löwenthal seinetwegen Krokodilstränen vergösse, könne ich nicht mitweinen. Loest machte keinen Kummer. Der Abend verlief fast normal. Der Raum war gerammelt voll. Es kamen mehr Leute als sonst. Neben den bekannten Gesichtern sah ich viele unbekannte. Loest fragte mich vorher, ob ich wüsste, wo hier die Stasi sitzt. Einige Männer ähnelten von der Statur und vom Alter her Unterleutnant Setzer und Leutnant Tüftler. Soviel Erfahrung besaß ich. Das war aber auch gleich alles.



Geboren am 28. April 1935 in Meerane.

Nach der Grundschule Besuch der Meeraner Webschule mit dem Abschluss als Wollstoffmacher und arbeitete anschließend in Webereien.

Von 1960 bis 1963 studierte er am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Danach leitete er die Gewerkschaftsbibliothek im VEB „Palla“. Neben der Halbtagstätigkeit widmete er sich seinem schriftstellerischen Schaffen.

Er gründete einen Literaturklub, war künstlerischer Betreuer des Zirkels Schreibender des Kulturbundes des Kreises Glauchau.

Von 1989 bis 1992 war er Redakteur beim „Meeraner Blatt“ und von 1992 bis 1993Referent des sächsischen Landtagsabgeordneten Joachim Schindler (SPD).

Seit 1970 schrieb Eckert als freiberuflicher Schriftsteller zwei Fernsehspiele, ein Theaterstück, zwei Romane, Erzählungen, Feuilletons, Geschichten, Aphorismen, Autobiografien, eine Biografie und Gedichte. Außerdem verfasste er Beiträge für 24 Anthologien sowie Artikel für zahlreiche Zeitungen. Eckerts Erzählweise reicht von humoristischen, ironisch-satirischen, politisch bissigen bis hin zu ernsten Tönen.

Auszeichnungen:

Förderpreis des Institutes für Literatur „J. R. Becher“ Leipzig und des Mitteldeutschen Verlages Halle 1972

Hans-Marchwitza-Preis der Akademie der Künste der DDR 1974

Kurt-Barthel-Preis des Bezirkes Karl-Marx-Stadt 1983

Johannes-R.-Becher-Medaille in Silber und Bronze des Kulturbundes der DDR

Bürgermedaille der Stadt Meerane 2016

weniger anzeigen expand_less
Weiterführende Links zu "Ich war ein Spitzeltäter"

Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)

Als Sofort-Download verfügbar

eBook
6,99 €

  • SW9783965218161458270.1

Ein Blick ins Buch

Book2Look-Leseprobe

Andere kauften auch

Andere sahen sich auch an

info