Der Leuchtturm

Roman

Christian Wendt lebt an der Ostsee im Ruhestand. Aber da bohren in ihm noch Fragen. Der Ex-Kriminalist will sie lösen, mehr durch Recherchen als durch Grübeln. Die Rätsel der Welt, dieses Landes und des eigenen Lebens, hängt da nicht vieles zusammen? Sein ruheloser Geist will das ergründen. Private Ermittlungen führen ihn durch die Feriensiedlung bis ins Grundbuchamt, an den Tisch Nr. 3 des Landgasthauses „Am Kiel", ja auch zum Alterssitz des ehemaligen Staats- und Parteichefs Krenz. Ein deutscher Polizist muss alles klären. Tief taucht er in längst Versunkenes, in Notlagen von heute, in die Psyche zweier Männer und einer Frau ...... alles anzeigen expand_more

Christian Wendt lebt an der Ostsee im Ruhestand. Aber da bohren in ihm noch Fragen. Der Ex-Kriminalist will sie lösen, mehr durch Recherchen als durch Grübeln. Die Rätsel der Welt, dieses Landes und des eigenen Lebens, hängt da nicht vieles zusammen? Sein ruheloser Geist will das ergründen. Private Ermittlungen führen ihn durch die Feriensiedlung bis ins Grundbuchamt, an den Tisch Nr. 3 des Landgasthauses „Am Kiel", ja auch zum Alterssitz des ehemaligen Staats- und Parteichefs Krenz. Ein deutscher Polizist muss alles klären. Tief taucht er in längst Versunkenes, in Notlagen von heute, in die Psyche zweier Männer und einer Frau ... auch in das Dunkelfeld der eigenen Seele. Was ist uns denn passiert, wie sind wir an diesen Punkt gelangt, und welchen Sinn hat das Ganze? Ohne schlüssige Antwort kein Neubeginn! Den aber braucht dieser Mann für sein Glück, für den inneren Frieden.



DER SCHULFREUND

DAS DILEMMA

DIE CHANCE

IM LANDGASTHAUS

DER BRAND

DER TODESKUSS

WINTERBILD



Ich wusste längst, es gab drei Dinge, die Helmut Löw die Laune verderben konnten: ein erotisches Misslingen oder permanentes Regenwetter an der Ostsee; das dritte war die Kombination von beidem. Ende April war Löw ans Meer gereist, und zwar allein, ohne Bettina und den (von ihm ungeliebten) Kater Baffi. Bettina nämlich nahm an einem Kursus teil, um jene Kunst der Text- und Bildgestaltung zu erlernen, für die bei uns das englische Wort Layout steht. Sie probierte das schon in Löws Büro und wollte sich durch Unterricht für Fortgeschrittene jetzt darin vervollkommnen. Das äußere Bild eines Druckproduktes, von ihr arrangiert, sollte ihrer eigenen Erscheinung nicht länger nachstehen. Talent hatte sie ja, und ihr Partner war ein moderner Mann, der sich mit keiner Nur-Hausfrau schmücken mochte. Es tat ihm gut, auf einer Party beiläufig zu sagen: Bettina hat viel Geschmack, sie wacht ganz exzellent über das Layout bei mir.

Er hatte einen Geschäftsfreund aus Lübeck erwartet, für ihn das Dachgeschoss des Leuchtturms tüchtig heizen lassen, doch der Kunde hatte kurzfristig abgesagt. Nun saß Löw trist herum, während Regengüsse aufs Glasdach prasselten. Zur Heimfahrt lockte das Wetter nicht, was also tun? Spontan fiel ihm Martina Franke ein, die Frisöse aus Ribnitz. Sie hatte sich selbstständig gemacht, ihre Handynummer hinterlegt und schien für Hausbesuche verfügbar. Er rief sie an, noch ohne feste Absicht, und freute sich auf ihren Besuch, der ihm auf jeden Fall Zerstreuung bot. Sie war auffallend hellblond, blauäugig und zart, mit Anfang 20 allerdings zu jung für ihn. Er schätzte Frauen über 30, die nicht mehr verkichert oder zickig waren, reif auch für gescheite Unterhaltung. Nicht mal besonders hübsch mussten sie sein. Vier Jahrzehnte sexueller Erfahrung hatten ihn gelehrt, dass entzückende Damen im Bett recht oft langweilig sind. Sie haben es nicht nötig, vielseitig zu sein und erotische Tricks zu kultivieren: man begehrt sie auch so.

Während er eine flotte CD in den Rekorder schob, stand ihm Martina reizvoll vor Augen, mit ihrem Metallkoffer voll des professionellen Handwerkszeugs; dabei auch ein großes Tuch, das sie vor der Prozedur auszubreiten pflegte, damit nichts den Teppich des Kunden beschmutzte. Dank ihres natürlichen Blondhaars, des vollen Mundes und der kleinen spitzen Brüste war sie nach seiner Weltkenntnis eine Spur zu attraktiv, um fantasievoll zu sein, wirkte aber doch so fügsam, ja ehrerbietig, dass sie für ihn anziehend blieb. Ihr Einkommen, das hatte er letzthin von ihr erfragt, hielt sich knapp auf Harz-IV-Niveau. Er war sich seiner Hinneigung zu Frauen von tiefem Sozialstatus bewusst. Bei freundlichem Umgang mussten die ja auf ihn fliegen, auch wenn er mit seinen 56 Jahren doppelt so alt war wie sie.

Löw hatte gar nicht vor, in Abwesenheit seiner Bettina hier „zum Schuss zu kommen“, wie man das in der Nationalen Volksarmee salopp genannt hatte. Immerhin trug er, alleinreisend, meist ein winziges Päckchen der Marke condom nature bei sich, das – im Stil der NVA – drei „Mündungsschoner“ enthielt. Die Erfurter Herstellerfirma warb, wie er jetzt sah, mit den Slogans „für aufregende Momente“ und „mit Sicherheit viel Gefühl“. Zwei simple Sprüche; ihm wäre da Charmanteres eingefallen.

Gewiss, man sollte sich schützen. Dies aber war gar nicht das Hauptproblem. Tatsächlich plagten ihn neuerdings Zweifel an seiner männlichen Präsenz. Die unterlag, wohl stressbedingt, leidigen Schwankungen. Ein Freund hatte ihm enthüllt, dass er schon mit Ende 40 an Zeichen von Erektionsschwäche litt. („I tell you that’s the hell“ hatte er, durchaus branchenüblich, auf englisch geseufzt.) Während manch 80-Jähriger da noch standfest sei oder doch so tat! Die menschliche Natur war, wie alles auf der Welt, ziemlich launisch und ungerecht. Zwar, es gab das blaue Viagra des Konzerns Pfizer, doch den Griff zu der rautenförmigen Tablette hatte er bislang gescheut, als arg deprimierend. Auch waren Nachahmungen der teuren Potenzpille auf dem Markt, täuschend echt, nur durch abweichende Konzentration des Wirkstoffs und Verunreinigungen gesundheitsgefährdend … Also Finger weg! Da ließ sich halt nichts machen. Oder etwa doch?

In jüngster Zeit führte Helmut Löw sein gelegentliches Versagen auf den Umstand zurück, dass er fast immer bloß mit ein und derselben Frau schlief, eben seiner Bettina. Musste da Gewöhnung nicht durch ein Schwinden der Neugier, das Fehlen des Überraschungseffekts, zwangsläufig zum Spannungsabfall führen? Vermehrt noch durch den üblichen Ärger im Geschäft, wie heute wieder mit dem Lübecker Partner. Der hatte ihm einen fetten PR-Auftrag zugunsten des Steinkohlekraftwerks in Aussicht gestellt, das die Dänen am Greifswalder Bodden errichten wollten. Dong Energy hieß der dänische Laden, ein enormes Schwergewicht. Dagegen regte sich im Publikum Widerstand, den man kleinhalten musste, damit das Milliardenprojekt genehmigungsfähig blieb. Bedeutete die Absage aus Lübeck etwa, dass der schöne Auftrag sich zerschlug? Ach, bloß nicht grübeln jetzt! Frust war, auch schon vorweggenommen, immer absolut kontraproduktiv, nicht nur in puncto Erotik.

Löw schüttelte die Sorgen ab, er fühlte sich bestätigt und belebt durch das, was da so volltönend aus der Stereoanlage drang. Es war, zum Anlass passend, der mitreißende Evergreen „Hernandos Hide-away“. Der Lockruf des Abenteuers. Ja, man musste das sportlich sehen, musste gegen das Manko antrainieren und einfach nehmen, was sich einem bot. Sollte es denn nach dem alten Fahrplan laufen, der darin bestand, das Mädchen mit der Rolle in einem Werbespot zu locken? Bei einem Girl, das durch die Wechselfälle des Lebens zur Figur im Prekariat, zur sozialen Ausschussware geworden war, zog das allemal. Und doch, wie simpel, wie beschämend einfallslos! Der übliche Dialog ging ungefähr so: „Ach, Herr Löw, ich könnte das nicht.“ – „Was befürchtest du denn?“ – „Ich bin doch keine Schauspielerin.“ – „Nun, du brauchst nur zu lächeln, wem den Kopf zu waschen und das Schampon zu loben.“ – „Ob ich das schaffe?“ – „Aber ja, du hast das Zeug dazu. Es geht doch bloß darum, das Produkt zu verkaufen. Und mit dir läuft das, da schlägt man es los!“

So plausibel wie primitiv. Löw wusste plötzlich, wie ihm das in den Sinn gekommen war, woher der Schlüssel eigentlich stammte. Die Urszene dieses Entwurfs war der Filmkomödie „Was diese Frau so alles treibt“ entnommen, Hollywood anno 1963, mit James Garner und Doris Day, die durch den einsamen Entschluss eines Waschmittel-Milliardärs von einer gelangweilten Gattin zur Ikone für „Happy“-Seife wird, zum großen Star, nur weil sie ihren ersten Life-Auftritt im Fernsehen verpatzt und dadurch erfrischend natürlich wirkt. Eine köstliche Satire auf die Werbewelt von einst, als so was noch passieren konnte.

Nein, Schluss damit, auf die Art ging es nicht mehr. Das war ein bisschen dicke, ein Griff in die Mottenkiste, und außerdem immer gelogen. Das Kölner Studio, das ihm die Spots drehte, hatte genügend eigene Darstellerinnen, es schätzte keine Empfehlungen aus Berlin. Ach, man gewöhnt sich leicht daran, Leute zu beschwindeln und nicht dabei erwischt zu werden. Es widerstrebte ihm, zu lügen, und noch mehr hasste er Klischees; sein Wahlspruch war: öfter mal was Neues. Kämpf an gegen die Abstumpfung des Konsumenten, denk an dessen dickes Fell, an das Gespür für falsche Töne! Vielleicht kennt die Frisöse sogar den alten Film, der Mitteldeutsche Rundfunk hat ihn neulich wiederholt. Wir alle haben zugelernt, plumpe Täuschung ist passé. Den anderen stets ein Stück voraus sein, darin liegt die Herausforderung heute.

Jetzt hörte er Schritte im Treppenhaus. Sie kam – das gab ihm einen Kick, der blitzschnell vom Kopf abwärts in die Lenden ging, als lustvoller Impuls. Seine Einbildungskraft trug ihn weit. Er hatte das Tor zum Turm nicht abgesperrt und einen Zettel angebracht, der ihr sagte, wo er zu finden sei. Er öffnete die Tür des Oberstocks, und während hinter ihm Perry Como oder Frank Sinatra „I’ve got you under my skin“ sang, sah er ihr beschwingt entgegen – selber gespannt auf das Spiel, auf die Strategie, die er jetzt abseits des Herkömmlichen quasi aus dem Bauch heraus entwickeln würde, um das Mädchen zu gewinnen. Und zwar im Duell mit ihrer Ehrbarkeit, wie prickelnd, das verschärfte den Reiz! Denn nach dem wenigen, was er von ihr wusste, stand eines fest: käuflich war er nicht so ohne weiteres, ihr schlanker, lieblich lüsterner Leib.



Wolfgang Schreyer, geboren 1927 in Magdeburg. Oberschule, Flakhelfer, Soldat, US-Kriegsgefangenschaft bis 1946. Debütierte mit dem Kriminalroman "Großgarage Südwest" (1952), seitdem freischaffend, lebte bis zu seinem Tod im Jahre 2017 in Ahrenshoop. 1956 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis für den Kriegsroman "Unternehmen Thunderstorm". Schreyer zählt zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren spannender Unterhaltungsliteratur in der DDR, schrieb Sachbücher, Szenarien für Funk und mehr als zwanzig Romane mit einer Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren.

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