Götterurteil

MISSION PHOENIX - Band 6

Für die Verschwörer drängt die Zeit. Sie sehen nur eine Möglichkeit, um ihre Haut zu retten: Alles auf eine Karte zu setzen und ihren geplanten Putsch sofort durchzuführen, der unter anderem die Ermordung der gronthischen Matriarchin Ashshannak vorsieht. Inzwischen gelingt es der Sureyini Lal, den sureyinischen Verräter zu identifizieren. Aber das stellt sie vor ein Problem, das sie nicht vorausgesehen hat. Und die Piratin Mrreyna will unter allen Umständen die finale Abrechnung: die Vernichtung Meloris und der PHOENIX. Melori nutzt diesen Umstand, um ihr eine tödliche Falle zu stellen. Doch damit löst sie etwas aus, mit dessen Folgen sie... alles anzeigen expand_more

Für die Verschwörer drängt die Zeit. Sie sehen nur eine Möglichkeit, um ihre Haut zu retten: Alles auf eine Karte zu setzen und ihren geplanten Putsch sofort durchzuführen, der unter anderem die Ermordung der gronthischen Matriarchin Ashshannak vorsieht. Inzwischen gelingt es der Sureyini Lal, den sureyinischen Verräter zu identifizieren. Aber das stellt sie vor ein Problem, das sie nicht vorausgesehen hat. Und die Piratin Mrreyna will unter allen Umständen die finale Abrechnung: die Vernichtung Meloris und der PHOENIX. Melori nutzt diesen Umstand, um ihr eine tödliche Falle zu stellen. Doch damit löst sie etwas aus, mit dessen Folgen sie nicht im Entferntesten gerechnet hat.



Desert Port, Hauptquartier der Terranischen Raumflotte

05.10.2546 Terrazeit – 36.04.351 ISA-Zeit



Commodore Nyoko Svensson betrat das kleinste Restaurant im Freizeitbereich von Block D. Um diese Zeit war es ziemlich voll, denn viele Menschen aßen um ein Uhr herum zu Mittag. Deshalb wunderte sie nicht, dass nur noch wenige Plätze frei waren. Sie sah sich um. Eines der Separees im Außenbezirk, das einen Blick auf eine palmenbewachsene Grünanlage mit farbenprächtigen Blumen und einem See erlaubte, auf dessen Oberfläche sich die Sonne glitzernd spiegelte, hatte über der Tür zwar das Schild „Reserviert“ aufgeblendet, aber ein paar Plätze waren dort noch frei. Nachdem sie herumgegangen war und vergeblich nach anderen Sitzplätzen Ausschau gehalten hatte, kehrte sie zu diesem Separee zurück.

„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“, fragte sie die drei Männer und zwei Frauen, die darin saßen. „Oder ist das ein geschlossenes Treffen?“

„Durchaus nicht“, antworte eine Frau mit dem Emblem der Versorgungsabteilung auf der Uniform. „Setzen Sie sich zu uns.“

Nyoko kam der Aufforderung nach und setzte sich auf einen freien Platz. Sie tippte ihre Essenswünsche in das Display in der Armlehne ihres Sessels ein. Minuten später kam ein Roboter und brachte das Bestellte. Nachdem er davongeschwebt war, drückte einer der Männer auf einen Knopf, und die Tür glitt zu.

„Ihnen ist doch klar, was für ein immenses Risiko wir damit eingehen, uns hier zu treffen“, warf Nyoko ihm vor. „Wenn man uns zusammen sieht...“

„Dann wird man nichts anderes denken als das, was wir vorgegeben haben“, unterbrach die Frau sie, die sie hereingebeten hatte. „Eine Gruppe von Menschen verschiedener Abteilungen hat sich zufällig hier zusammengefunden, weil alle anderen Plätze mehr oder weniger belegt waren. Schließlich haben wir das genau so geplant und extra dieses kleine Restaurant zur Stoßzeit ausgesucht.“

„Außerdem ist das jetzt sowieso egal“, sagte der Mann, der die Tür geschlossen hatte. „Entweder wir schaffen es, das Ruder noch herumzureißen, oder wir sind erledigt. Es war nicht geplant, dass Ashshannak die neue Matriarchin der Grontheh wird. Darrashann war dafür vorgesehen. Sie hätte die Pläne der alten Matriarchin fortgeführt und damit auch unsere. Niemand konnte ahnen, dass irgendwelche Unbekannten aus der ISA – IsteND-Agenten, darauf wette ich – Ashshannak auf den Thron helfen und sie dann auch noch überzeugen, dass die ISA ihr Volk nicht mit dem Gronth-Virus angegriffen hat. Das war so nicht geplant.“ Anklagend sah er Nyoko an. „Wieso haben Sie uns nichts davon gesagt, dass IsteND-Agenten offen in der Gronthagu Liga operieren?“

Nyoko presste verärgert die Lippen zusammen. „Weil ich erstens zwar beim IsteND bin, aber nicht über alle Einsätze von Agentinnen und Agenten informiert bin, wie Sie sehr wohl wissen, Admiral Patrakos. Zweitens hat der IsteND noch nie offen in der Liga operiert, weshalb ich überzeugt bin, dass diese Leute Privatpersonen sind, die wahrscheinlich auf irgendeinem Weg über die Nagdanische Planetenunion ins Gebiet der Liga gelangt sind. Alle unsere in der Liga eingesetzten Leute stammen auch von dort, weil jedes Wesen aus der ISA sofort als Spion gefangen genommen worden wäre.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wer diese Leute sein könnten.“

„Haben Sie das nicht überprüft?“, wollte Commodore Li Wang von der Handelsflotte wissen.

„Selbstverständlich!“, zischte Nyoko, empört darüber, dass er sie offenbar für eine inkompetente Anfängerin hielt. „Ich konnte keinen von ihnen identifizieren.“

„Was doch wohl ein Beweis ist, dass sie zum IsteND gehören“, war Luzius Patrakos überzeugt.

„Oder sie stammen zwar von ISA-Völkern ab, sind aber nicht hier registriert, weil sie außerhalb der ISA geboren wurden und leben, und die Matriarchin hat sie nur für ISA-Bürger gehalten, weil sie wie solche aussehen“, widersprach Nyoko. „Das würde vollkommen logisch erklären, warum sie in der ISA nicht registriert sind. Möglicherweise sind sie auch Ruaneh, von denen etliche ebenfalls nicht als ISA-Bürger registriert sind, weil sie keine sein wollen. Aber das ist im Moment völlig egal.“

„Das meine ich nicht“, widersprach Patrakos. „Könnten das Leute von der PHOENIX gewesen sein? Immerhin war das Schiff zu genau der Zeit verschwunden, als in der Liga die Revolution ausgebrochen ist. Und Captain Melori traue ich durchaus zu, dabei ihre Finger im Spiel gehabt zu haben.“

Nyoko winkte ab und schüttelte den Kopf. „Die PHOENIX war nachweislich bei den Ikamareh und hat ihre Kultur erforscht. Und ja, das habe ich akribisch nachgeprüft“, kam sie Patrakos’ nächstem Protest zuvor. „Dass sie sich tot gestellt haben, halte nicht nur ich für ein Manöver, mit dem Melori und ihre Leute der Raumflotte und allen ihren früheren Vorgesetzten demonstrieren wollten, dass wir sie alle am Arsch lecken können. Sozusagen als Retourkutsche dafür, dass die gesamte Bande zur Forschungsflotte strafversetzt wurde.“

„Was ihnen niemand verdenken kann“, warf die Frau von der Versorgungsabteilung ein und schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollten sich manche Leute mal ernsthafte Gedanken darüber machen, wie es sein kann, dass solche brillanten Köpfe wie die PHOENIX-Crew andernorts in Ungnade gefallen sind und erst eine unbedeutende Frelsini kommen musste, um deren Potenzial zu erkennen und sie zu Höchstleistungen anzuspornen. Wenn ich bedenke, wie wir dieses Potenzial hätten nutzen können! Bestimmt wären einige von denen – besonders die, die nicht von Terra stammen – nur zu gern bereit gewesen, unsere Ziele zu unterstützen, um dadurch den Vertretenden der etablierten Strukturen eins auszuwischen.“

Nyoko ignorierte sie. „Ich habe schon von ihrem Vorgesetzten, Admiral Makuma, gehört, dass er sie alle am liebsten aus der Flotte werfen würde. Aber nach dem, was die Leute nicht nur dadurch geleistet haben, dass sie aus einem Schrottschiff das leistungsfähigste Schiff der Flotte gemacht haben“, sie blickte Patrakos bezeichnend an, der Meloris Crew das Schrottschiff zugeteilt hatte, „geht das nicht mehr so einfach. Das würde nicht nur innerhalb der Flotte, sondern auch ISA-weit auf Unverständnis stoßen, was dem Renommee der TRF und damit auch ganz Terra schaden würde.“ Sie schüttelte den Kopf.

Patrakos blickte Nyoko an. „Wieso wurde die PHOENIX eigentlich zum IsteND befohlen?“

„Weil auch beim IsteND der Verdacht im Raum stand, dass sie die Leute waren, die die Revolution in der Gronthagu Liga ausgelöst haben. Der IsteND hat sie alle verhört und das Schiff überprüft, ob sich dafür Beweise finden lassen. Aber wie ich schon sagte, kam dabei nur heraus, dass die PHOENIX in der fraglichen Zeit tatsächlich bei den Ikamareh geforscht hat. Das wurde nicht nur durch die Aufzeichnungen und Flugdaten des Schiffes bestätigt, sondern auch durch an jedem einzelnen Besatzungsmitglied vorgenommenen telepathischen Bewusstseinssondierungen. Was immer sich in der Liga abgespielt hat, die PHOENIX hatte damit nichts zu tun.“ Sie winkte ab. „Aber wir haben ein anderes Problem.“

„Nur eins?“ Patrakos schnaubte. „Unser ganzer Plan – alle unsere Pläne gehen den Bach runter, wenn wir das Ruder nicht noch herumreißen können. Einige unserer Leute sind bereits abgesprungen und suchen unter dem Vorwand von Urlaubsreise und Auszeiten ihr Heil in der Flucht.“

„Was?“ Die Frau von der Versorgungsflotte schüttelte den Kopf.

„Ja, was haben Sie denn gedacht, Admiralin Haydn?“, fauchte Patrakos sie an. „Uns ist durch die gronthische Revolution alles um die Ohren geflogen. Unser Plan, die ISA den Grontheh in die Klauen zu spielen und als Statthalter der Matriarchin die Macht in den Händen zu halten, scheint gestorben zu sein. Und das ist er auch, wenn wir keine Lösung finden, wie wir retten können, was hoffentlich noch zu retten ist.“

„Wer ist diese Ashshannak überhaupt?“, wollte Li Wang wissen.

„Irgendeine Tochter der vorherigen Matriarchin“, antwortete Nyoko. „Und wie wir inzwischen wissen, war sie die Anführerin des gronthischen Widerstandes gegen ihre eigene Mutter. Aber nachdem Darrashann – ihre Tante – tot ist, stellt sich die Frage, wer denn jetzt unsere Ansprechpartnerin ist.“

„Eine der sechs Leiterinnen des Aishnasonn“, antwortete Patrakos. „Keine Ahnung, welche Nummer sie gegenwärtig hat. Sie wissen ja, dass die, sobald sie in die Geheimdienstleitung aufsteigen, dort keine Namen mehr haben, sondern nur noch eine Nummer, die ihre Rangfolge anzeigt. Und leider hat Ashshannak einige der bisherigen Leiterinnen getötet und durch ihre Gefolgsleute ersetzt, sodass wir davon ausgehen können, dass auch der Geheimdienst fest in ihrer Hand ist.“

„Haben wir dann überhaupt noch eine Chance auf Erfolg?“, überlegte Admiralin Ina Haydn. Ihre Stimme klang verzagt.

„Selbstverständlich haben wir die!“, fuhr Patrakos sie an. „Deshalb treffen wir uns heute. Und das Letzte, was wir brauchen, ist Defätismus! Sonst können wir uns gleich den Behörden stellen und uns wegen Hochverrats an nicht nur dem terranischen Volk, sondern auch an der ISA hinrichten lassen.“

Haydn kniff die Lippen zusammen und ballte eine Faust. Ihrem Gesichtsausdruck nach musste sie sich beherrschen, um sie nicht Patrakos ins Gesicht zu dreschen.

„Meine Vorgesetzte, Admiralin Graham, wurde verhaftet wegen Spionageverdachts“, warf Nyoko ein, um zu verhindern, dass der Streit zwischen Patrakos und seiner Stellvertreterin eskalierte.

„Hervorragend“, freute sich Patrakos.

„Nicht hervorragend!“, faucht Nyoko ihn an. „Sobald man sie einer Bewusstseinssondierung unterzogen hat, wird sie freigelassen, weil sie offensichtlich unschuldig ist. Aber da man offenbar weiß, dass jemand in hoher Position beim IsteND Verrat begangen haben muss, wird man nicht lange brauchen, um auf mich zu kommen.“

„Haben Sie denn nicht Ihre Spuren verwischt?“ Li Wang klang vorwurfsvoll.

„Selbstverständlich habe ich das getan!“, verteidigte sich Nyoko und warf einen wütenden Blick in die Runde. „Sie alle scheinen zu glauben, dass ich ein inkompetenter Schwachkopf bin. Zur Erinnerung: Ich bin beim IsteND, verdammt! Dort werden keine Schwachköpfe aufgenommen. Und eins der ersten Dinge, die wir in der dortigen Ausbildung lernen, ist, wie man seine Spuren verwischt, um nicht in Verdacht zu geraten.“ Sie winkte ab. „Aber ich war mehrfach gezwungen, mich mit unseren Kontaktleuten in Verbindung zu setzen oder sie sogar zu treffen. Selbstverständlich habe ich die Kontakte verschleiert und erst recht meine Treffen als Urlaubsreisen getarnt.“

„Dann sind Sie doch auf der sicheren Seite“, meinte Captain Sibylle Engler von der Handelsflotte.

„Eben nicht!“ Nyoko musste sich beherrschen, um sie nicht ungebührlich anzuschnauzen, weil sie das Gefühl hatte, in diesem Moment von lauter Schwachköpfen umgeben zu sein. „Sobald Graham aus dem Schneider ist, wird man alle anderen hochrangigen IsteND-Mitglieder überprüfen. In dem Zuge wird man auch alles, was ich in den letzten Jahren getan habe, akribisch überprüfen. Und ab da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man auf einen Beweis stößt. Bei der fast lückenlosen Dokumentation von Aufenthaltsorten und vor allem von Reisedaten mit öffentlichen und privaten Transportmitteln, fliegen alle meine Tarnversuche auf. Schließlich musste ich die interstellaren Reisen zu Treffen mit unseren Verbindungsleuten mit meiner wahren Identität unternehmen. Die elektronischen Tarnmasken tarnen nur optisch, aber nicht die bei jeder Transmitterbenutzung erstellten und aufgezeichneten DNA-Profile. Ohne die funktionieren die Transmitter schließlich nicht.“

„Nebenbei“, Patrakos blickte Nyoko eindringlich an, „woher kommt eigentlich Grahams Interesse an der PHOENIX? Sie hat doch mit der Forschungsflotte nichts zu tun.“

„Aus derselben Quelle, aus der Ihr eigenes Interesse stammt, Admiral“, schnappte Nyoko. Sie wurde langsam ungeduldig und fühlte sich von solchen sinnlosen Fragen genervt, besonders weil ganz andere Dinge auf dem Spiel standen. „Graham führte bei Captain Meloris Gerichtsverhandlung wegen ihrer Befehlsverweigerung bei Kantaka den Vorsitz und hat selbstverständlich mitbekommen, dass sie im Anschluss daran zur Forschungsflotte strafversetzt wurde und dass man ihr als Crew alle Leute aufs Auge gedrückt hat, die ebenfalls strafversetzt werden sollten. Natürlich interessierte nicht nur Graham, sondern auch unzählige andere Leute in der Flotte und in der halben ISA, was daraus wird. Woran Sie absolut nicht unschuldig sind, Patrakos, weil Sie Melori aus reiner Boshaftigkeit ein Schrottschiff angedreht haben, das wie ein Phönix aus der Asche als Schmuckstück wiedergeboren wurde. Die ISA-weite Aufmerksamkeit, die diese Meisterleistung erregt hat, dürfen Sie sich auf Ihre eigene Fahne schreiben.“

Patrakos wurde rot und hatte sichtbar eine scharfe Erwiderung auf der Zunge.

„Und unsere Verbindungsleute sind auch Geschichte“, stelle Ina Haydn fest und lenkte das Gespräch wieder auf den eigentlichen Grund des Treffens. „Diese Mrreyna hat wegen ihrer Rachsucht alles geopfert, nur um die PHOENIX und Melori fertigzumachen. Ihr Clan ist aufgerieben, sie selbst auf der Flucht. Und wenn ihr Schiff in die Hände der IsteP oder des IsteND fällt und untersucht wird, findet man garantiert Beweise, die uns ans Messer liefern.“

„Ihre Negativität geht mir langsam auf die Nerven“, knurrte Administrator James Augustus, Leiter der terraweiten Kommunikation, der ebenso wie Gabriel Amiri, Chef des Nachrichtensenders Terra Globe, bisher geschwiegen hatte. „Wir brauchen einen Plan, der funktioniert und kurzfristig umsetzbar ist.“

„Deshalb sind wir hier“, stellte Patrakos klar. „Ich sehe nur eine Möglichkeit. Wir müssen erst mal feststellen, wer überhaupt noch mit im Boot ist und nicht schon das scheinbar sinkende Schiff verlassen hat.“

„‚Scheinbar’ ist gut“, murmelte Haydn und ignorierte Patrakos’ verweisenden Blick. „Das Schiff sinkt, und zwar mit rasender Geschwindigkeit.“

„Vielleicht möchten Sie ja auch aussteigen?“ Patrakos’ Stimme klang drohend.

„Wollte ich das, wäre ich nicht hier“, konterte sie. „Also, wir stellen fest, wer immer noch mitmacht. Und dann?“

„Dann melden wir den Status Quo an Alpha, wie immer verschlüsselt. Er wird dann die Kontaktperson im Aishnasonn informieren und ihr klarmachen, dass unsere gemeinsamen Pläne nur dann noch eine Chance haben, wenn Ashshannak schnellstmöglich stirbt und eine Gronthi die Herrschaft übernimmt, die die Pläne der alten Matriarchin fortführt und durchsetzt.“

Gabriel Amiri lachte. „Falls Sie es nicht mitbekommen haben sollten, Patrakos: In der Liga ist der Teufel los. Egal, wer nach Ashshannak die Herrschaft übernimmt, sie wird erst mal genug damit zu tun haben, eine gewisse Stabilität zu etablieren. Aber nachdem die Grontheh davon überzeugt sind, dass Ashshannak sozusagen die Gesalbte ihrer Göttin und deren Stellvertreterin im Universum ist, wird jede Putschistin, die sich auf den Thron setzen will, von der Mehrheit der Grontheh abgelehnt werden, weil ihr der göttliche Segen fehlt. Den kann man, wie mir mitteilt wurde, nicht vortäuschen. Selbst wenn es unseren Verbündeten beim Aishnasonn gelingt, Ashshannak zu beseitigen, beendet das den Bürgerkrieg nicht, sondern verlagert ihn lediglich, weil dann alle Gefolgsleute Ashshannaks die neue Matriarchin und ihre Helfer bekämpfen.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir müssen ohne die Grontheh operieren.“

„Sie meinen ...“ Nyoko konnte nicht fassen, was Amiris Vorschlag bedeutete.

„Ich meine“, er beugte sich vor, „dass wir nur eine Chance haben, wenn wir unseren Plan unabhängig von den Grontheh in die Tat umsetzen.“

„Das heißt“, Li Wang senkte unwillkürlich die Stimme, „wir übernehmen die ISA?“

Amiri nickte. „Genau das. Und die Bevölkerung wird davon nicht mal was merken. Unsere Leute sitzen alle in Positionen, die sie an die Spitze bringen, sobald die derzeitig Inhabenden der Spitzenpositionen ausgeschaltet sind. Sofern sie die nicht schon selbst innehaben.“

Ina Haydn wurde blass. „Das wäre – Massenmord!“

„Das wäre nur eine Reihe höchst bedauerlicher Unfälle in einigen Fällen“, korrigierte Amiri. „Und in anderen eine Diskreditierung verschiedener Personen durch aufgedeckte ‚Leichen’ in ihrem Keller, die jeder hat und die sie zum Rücktritt zwingen oder zur Entfernung aus ihren Positionen führen. So einfach ist das. Und in meiner Position und mit den Ressourcen für Recherchen, die mir zur Verfügung stehen, habe ich schon etliche Leichen von Leuten ausgegraben, denen das Genick gebrochen wird, sobald ich die veröffentliche.“

Leichen im Keller – so wie die, die Nyoko überhaupt in diese Situation gebracht hatte. Ein Fehler, den sie begangen hatte in der Überzeugung, das Richtige zu tun, und es hatte sich als persönliches Desaster erwiesen; als der schlimmste Fehler ihres Lebens in mehr als nur einer Hinsicht. Weil sie zu feige gewesen war, die Konsequenzen zu tragen, die in ihrer Entfernung aus dem IsteND plus einer sehr langen, vermutlich lebenslangen Gefängnisstrafe bestanden hätten, war sie erpressbar geworden. Und hatte sich erpressen lassen, in der Hoffnung, dass alles gutgehen und der Verrat, zu dem sie sich hatte erpressen lassen, nicht auffliegen würde. Wodurch alles noch schlimmer geworden war.

Der erste Fehler hätte sie nur ihre Freiheit gekostet, weil auf der Erde die Todesstrafe weltweit schon seit Jahrhunderten abgeschafft war. Der zweite Fehler bedeutete ihren Tod, weil Hochverrat gegen die ISA vor einem ISA-Gericht verhandelt und nach ISA-Gesetzen mit dem Tod bestraft wurde. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, war, die Sache – den Putsch durchzuziehen und zu hoffen, dass sie ungeschoren davonkam. Doch Nyoko konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass das nur noch ein frommer Wunsch war, der niemals wahr werden würde.

„Das muss Alpha entscheiden“, riss Patrakos sie aus ihren düsteren Gedanken. „Er hat die gesamte IsteP in der Tasche, sobald deren Erster Admiral Rhan aus dem Weg ist. Und“, er lächelte leicht, „auch wenn diese Piratin Mrreyna sich selbst ruiniert hat, so haben wir mehr als nur die halbe Piratengilde in unseren Diensten.“

„Was ist mit unserer geheimen Flotte?“, wollte Haydn wissen. „Wann ist die einsatzbereit?“

Patrakos winkte ab. „Das ist sie schon längst.“ Er wiegte den Kopf. „Nun ja, wir hätten gerne noch mehr Kriegsschiffe gehabt, aber zweihunderttausend schlagkräftige Kampfkreuzer, die alle vollautomatisch und ohne Besatzung operieren, dürften ausreichen. Sie machen keine Fehler, haben keine Skrupel und erst recht keine Angst um ihr Leben, weil sie kein Leben haben. Und sie ‚opfern’ sich bedenkenlos, um unsere Ziele zu erreichen.“ Er lächelte. Es wirkte boshaft. „Und weil wir sie so gebaut haben, dass sie äußerlich wie IsteP-Schiffe aussehen, werden sie ungehindert überall hinkommen.“

Patrakos musste hoch in der Hierarchie der Verschwörung stehen, erkannte Nyoko in diesem Moment, um so genau über die Pläne informiert zu sein, die, wie sie vermutete, nur Alphas engsten Vertrauten bekannt waren.

„Und die Flotte hat noch einen weiteren Vorteil.“ Li Wang lächelte ebenso boshaft wie Patrakos. „Die Liga zerfällt. Sobald der Bürgerkrieg vorbei ist, sind die Grontheh geschwächt. Zweihunderttausend Kampfschiffe, auch wenn sie vergleichsweise klein sind, sollten genügen, um Ulshonnash einzunehmen und den Sauroiden das Herz rauszureißen.“

„Und dann?“, entfuhr es Nyoko.

„Und dann“, Li beugte sich leicht vor und seine schwarzen Augen glitzerten, „werden wir dort weitermachen, wo auch Darrashann weitergemacht hätte. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Nicht die Grontheh werden dann die Liga und die ISA beherrschen, sondern wir. Unsere Statthalter in der Liga werden unsere Marionetten sein.“ Er lehnte sich zurück und lächelte zufrieden.

Nyoko zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, das ihr in Wahrheit längst vergangen war. Denn falls dieser Plan nicht komplett wahnsinnig war, konnte er nur bedeuten, dass die Verschwörung erheblich größer war und weitreichendere Ausmaße hatte, als sie sich das in ihren schlimmsten oder kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

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