Kulturpluralismus und Kulturdifferenz: Charles Taylors Diskurs um prozeduralen und substanziellen Li

Spätestens seit der Industriellen Revolution hat die westliche Welt die ‘Führung’ der Erde übernommen, mit dem Selbstverständnis, mit ihrer liberalen, demokratischen Gesellschaftsform und ihrer Marktwirtschaft die ideale Gesellschaftsform für die ganze Menschheit zu sein. Andere Kulturen mit jeweils differenten Lebensformen erheben diesen Anspruch aber ebenso. Doch das Phänomen der verschiedenen Kulturen besteht aber auch innerhalb einer Gesellschaft, die multikulturell geprägt ist, in ihrer Binnenstruktur, wo sich die Konflikte mit der Kulturdifferenz besonders herauskristallisieren. Besonders uns in den westlichen... alles anzeigen expand_more

Spätestens seit der Industriellen Revolution hat die westliche Welt die ‘Führung’ der Erde übernommen, mit dem Selbstverständnis, mit ihrer liberalen, demokratischen Gesellschaftsform und ihrer Marktwirtschaft die ideale Gesellschaftsform für die ganze Menschheit zu sein. Andere Kulturen mit jeweils differenten Lebensformen erheben diesen Anspruch aber ebenso.

Doch das Phänomen der verschiedenen Kulturen besteht aber auch innerhalb einer Gesellschaft, die multikulturell geprägt ist, in ihrer Binnenstruktur, wo sich die Konflikte mit der Kulturdifferenz besonders herauskristallisieren.

Besonders uns in den westlichen Industrieländern muß die Frage beschäftigen: Welche Urteilswege stehen uns überhaupt für andersartige Kulturen offen? Sollen und dürfen wir unsere Ideale von Toleranz, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten der ganzen Welt mit ihren andersartigen Gesellschaften aufzwingen?

In dieser komplexen Debatte, die oft sehr polemisch und undifferenziert geführt wird, hat der Kanadier Charles Taylor mit seinem Essay “Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung“ 1992 einen besonderen Beitrag geleistet, indem er versuchte, Nüchternheit und Differenziertheit in die hitzige Auseinandersetzung zu bringen mit dem Versuch, konstruktive Antworten auf die multikulturellen Fragen zu geben. Es geht Taylor um das Verhältnis von Identität und Anerkennung, von Gleichheit und Differenz, schließlich um die Probleme des Multikulturalismus, und ob ihnen mit Universalismus oder mit substantiellen Liberalismus zu begegnen ist.

Taylors’ Ansatz wird in diesem Buch dargestellt und kommentiert und mit Kommentaren von Susan Wolf, Michael Walzer, Steven C. Rockefeller sowie Martha Nussbaum verglichen, diskutiert und bewertet.



Spätestens seit der Industriellen Revolution hat die westliche Welt die ‘Führung’ der Erde übernommen, mit dem Selbstverständnis, mit ihrer liberalen, demokratischen Gesellschaftsform und ihrer Marktwirtschaft die ideale Gesellschaftsform für die ganze Menschheit zu sein. Andere Kulturen mit jeweils differenten Lebensformen erheben diesen ...



Textprobe:

Kapitel II, Darstellung der Argumentation von Charles Taylor:

Charles Taylor - Professor für Philosophie und Politwissenschaften an der Mc Gill University in Montreal sowie aktiver Politiker in Quebec für die New Democratic Party - versucht in seinem 1992 erschienenen Buch mit dem Originaltitel Multiculturalism and `The Politics of Recognition` die Problematik von der Vielfältigkeit menschlicher Kulturen aufzuzeigen. Seine Ausgangspunkte sind hierbei zum einen die Pluralität der differenzierten menschlichen Daseinsformen, zum anderen die Identität des Menschen.

1, Identität und Anerkennung:

Taylors` Ansatz stellt einen engen Zusammenhang zwischen der Identität und deren Anerkennung her. Den Begriff ‘Anerkennung’ (S.13;Z.2f) verwendet er im Sinne von Wertschätzung und Achtung, mit ‘Identität’ (S.13;Z.17) ist das Selbstverständnis des Menschen gemeint. Taylor stellt nun die These auf, daß die Identität eines jeden Menschen zu einem großen Teil von der Anerkennung anderer abhängt und geprägt wird - und demzufolge auch von der verweigerten Anerkennung, der ‘Nicht-Anerkennung’ (S.13;Z.18f). So kann die Verkennung einem Menschen, einer Gruppe von Menschen als auch einem ganzen Volk immensen Schaden zufügen. Denn Taylor weist auf die suggerierende Wirkung von Nichtachtung hin: die Erzeugung von Selbstverachtung in dem nicht-anerkannten Menschen. Durch Nichtanerkennung wird der verkannten Person oder Minderheit ein vermeintlicher Spiegel vorgehalten, in dem ihre eigene, angeblich minderwertige Existenz projiziert wird. Schließlich nimmt der nach Anerkennung Strebende – laut Taylor – dieses falsche Spiegelbild der Verachtung zu seiner Identität auf. Diese suggerierte Selbstverachtung ‘deformiert’ (S:13;Z.21) letztlich die Identität der Minderheit, und führt schließlich zu einer ‘destruktiven Identität’ (S.14;Z.21). Taylor bezeichnet die Verkennung als Waffe der Majorität zur Unterdrückung von Minderheiten, indem sie Selbstverachtung produziert und damit die Minderheit durch Selbstzweifel und -haß zersetzt und ihr ihre vermeintliche Unfähigkeit und Abhängigkeit ‘beweist’. Als Beispiele führt Taylor bedrohte ethnische Minoritäten und Frauen – die natürlich keine Minderheit sind! – und trotzdem unterdrückt werden – an. Viele Frauen haben sich das patriarchalische Minderwertigkeitsbild angeeignet und sich danach gerichtet.

Aus diesen Gründen ist für Taylor die Anerkennung ein menschliches Grundbedürfnis, denn sie spielt eine wesentliche Rolle in der Entwicklung zu einer selbstbewußten und mündigen Identität des Menschen – und auch bei vielen in Gruppen und Völkern zusammengefaßten Menschen.

2, Die Identitätsentwicklung im historischen Rückblick:

Taylor merkt an, daß der Gebrauch und das Verständnis der Begriffe `Identität` und `Anerkennung` historisch gesehen noch recht jung sind. In der Geschichte hat es vor allem zwei ‘tiefgreifende Wandlungen’ (S.27;Z.18) gegeben, die die Identität und die Anerkennung erst ermöglicht haben. Dieser Wandel im menschlichen Selbstverständnis ging einher mit dem Übergang von autoritär-hierarchischen zu demokratischen Gesellschaften. Der erste Wandel bestand in dem Austausch der elitären Ehre durch die egalitäre Würde. Taylor erläutert, daß in hierarchischen Gesellschaften dem Menschen als Anerkennung Ehre erwiesen wurde - wenigen einzelnen Menschen. Denn die Ehrerbietung beruht ja auf ‘Bevorzugung und Besserstellen’ (S.15/16;Z.32/1), auf das Exponieren von Menschen gegenüber anderen Menschen. Hierdurch wurde eine Ungleichheit geschaffen und festgeschrieben. Die demokratischen Gesellschaften hingegen setzten an die Stelle der Ehre die gleichheitliche Würde, die nun j e d e m Menschen zuteil wurde: ‘Verdiente’ vorher nur ein ‘besonderer’ Mensch Ehre, so hatte jetzt jeder Mensch ein festgeschriebenes Recht auf Achtung seiner Würde - und dadurch auf Anerkennung. Die Einführung des Würde - Prinzips ermöglichte die Gleichstellung aller Menschen in einem demokratischen System, die gleiche Anerkennung für alle. Diese Ansicht von Gleichberechtigung und Anerkennung mit Hilfe der universalistischen Würde dauert bis heute - in demokratischen Staaten - an. Für den Autor ist diese Errungenschaft, diese neue Einsicht der erste entscheidende Wandel gewesen.

Im Zuge der Aufklärung - also im 18.Jahrhundert - wurde dieser erste Wandel durch einen zweiten vertieft und konkretisiert. Taylor nennt den zweiten Wandel die ‘individualisierte Identität’ (S.17;Z.2): jedem Menschen wurde eine ihm eigene, unverwechselbare Identität zugesprochen, welche aus seinem Selbst entspringt. Hierin liegt eine entscheidende Veränderung: Hat das Individuum sein Dasein - und seine Moral - früher ausschließlich über Gott bezogen und definiert, so wird die individualisierte Identität jetzt durch eine Besinnung des Menschen auf sich selbst, auf seine innere moralische Stimme gewonnen. Durch den Bezug auf sein persönliches Gewissen hat der Mensch seine Identität individualisiert, d.h. einmalig und von jedem anderen Individuum unterscheidbar gemacht. Aus dem einzelnen Menschen wurde eine individuelle Persönlichkeit. Taylor nennt diesen Besinnungswandel den ‘…Teil der tiefgreifenden subjektiven Wendung [ … ], [die] neue( ) Form von Innerlichkeit, in der wir uns selbst plötzlich als Wesen mit inneren Tiefen wahrnehmen’ (S.18;Z.9ff). Jene individualisierte Identität, mit der der Mensch auf sein eigenes moralisches Empfinden von Gut und Böse zurückgreift, nennt der Autor auch ‘Authentizität’ (S.17;Z.7). Die Authentizität enthält die Treue zu sich selbst: Jeder Einzelne soll und muß das Leben leben, welches ihn durch seine ureigene Art ermöglicht wird - also nicht die Nachahmung des Lebens anderer, sondern das aufrichtige Existieren mit den Möglichkeiten, die das eigene Wesen zur Verfügung stellt - und die das Wesen zur Verwirklichung drängt. Rousseau war der erste, der auf die Authentizität hinwies und sie als das ‘Gefühl des Daseins’ (S.20;Z.4f) beschrieb. Weiterentwickelt wurde die Erkenntnis von der Authentizität dann von Herder. Taylor schließlich betont, daß der Mensch aufgrund dieses ‘Prinzip[s] der Originalität’ (S.20;Z.2) gar nicht die Möglichkeit hat, das Leben anderer Menschen zu bestreiten. Durch die Befolgung der Authentizität definiert sich die Person und entwickelt daraus ihre Selbstverwirklichung.

3, Identitätsbildung durch Dialog:

Mit der Einbringung vom ‘dialogischen Charakter menschlicher Existenz’ (S.21;Z.24f) kommt Taylor wieder auf die anfangs dargestellte Signifikanz der Anerkennung bezüglich der Identität zurück : Denn der Mensch bestimmt seine Identität nicht ausschließlich über Selbstgespräche und Nachsinnen, sondern vor allem durch den Dialog mit seinen Mitmenschen - den sogenannten signifikanten Anderen (S.22;Z.6). So erlernt er alle sprachlichen Ebenen - Sprache, Kunst, Gestik, Liebe - nicht aus sich selbst heraus, sondern durch den Austausch mit anderen. Viele Dinge lassen sich Taylors` These zufolge überhaupt nicht monologisch, also per Selbstgespräch, erfahren, sondern lediglich in Interaktion mit anderen Menschen. Schlußfolgerung dessen ist, daß die Authentizität sowohl aus dem Monolog als auch besonders aus dem Dialog gebildet wird. Hierbei unterscheidet der Autor die Interaktion in einen offenen - also verbalen - sowie in einen inneren - die Auseinandersetzung des einzelnen mit den Mitmenschen nur in Gedanken, also nonverbalen - Dialog. Aus dieser Zweiteilung ergibt sich dementsprechend eine äußere als auch eine innere Identität: Die schon seit langen Zeiten anerkannte Identität durch die soziale Stellung sowie die meistens vernachlässigte innere Identität, die aus dem Selbst, aus der Tiefe der Person heraus entsteht. So wird die Identität in hierarchischen Gesellschaften ausschließlich durch die soziale Stellung - Beruf, Stand - des Menschen definiert, wohingegen die Identität in Demokratien zusätzlich, neben der sozialen Position, eben besonders von der Authentizität des einzelnen her bestimmt wird. Taylor sieht in der Anerkennung der persönlichen Identität eine immense Signifikanz, die erst in der Moderne erkannt wurde. Für den Autor sind folgende zwei Ebenen, von denen die Entwicklung und die Anerkennung der Authentizität abhängig ist, entscheidend: zum einen die ‘Ebene der persönlichen Beziehungen’ (S.25;Z.32), zum anderen besonders die ‘gesellschaftliche[ ] Ebene’ (S.26;Z.11). Die Ebene der persönlichen Beziehungen, besonders die der Liebesbeziehungen, definiert Taylor als den ‘zentrale[n] Ort der Selbstentdeckung und Selbstbestätigung’ (S.26;Z.5f).



Adrian Flasche, M.A., wurde 1968 in Niedersachsen geboren. Sein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg schloss der Autor im Jahre 2001 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Schwerpunkte seines Studiums waren Sozial-, Kultur- und Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Medien und Öffentlichkeitsarbeit.

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  • Autor find_in_page Adrian Flasche
  • Autoreninformationen Adrian Flasche, M.A., wurde 1968 in Niedersachsen geboren. Sein… open_in_new Mehr erfahren
  • Wasserzeichen ja
  • Verlag find_in_page Bachelor + Master Publishing
  • Seitenzahl 29
  • Veröffentlichung 01.02.2015
  • ISBN 9783958205109

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