Kleine Kulturgeschichte des Hackens

Das vorliegende Buch rekonstruiert die konventionelle Geschichte des Hackens als Kulturtechnik. Bemerkenswert erscheint hierbei, dass das Material einer kulturtechnischen Lesart des Hackens seit dem Erscheinen des Standardwerks von Levy (1984) zwar offen zutage liegt, insbesondere in der Medienwissenschaft aber unter einer oft stark verengten Perspektive gelesen wird. Insofern beansprucht die Studie nicht, neues Material zu entdecken, sondern das vorhandene Material auf einer historischen Achse zu reorganisieren, um ein anderes, kulturtechnisches Verständnis des Hackens zu ermöglichen. Dabei sollen entlang dieser anderen Anordnung und Akzentuierung des Materials... alles anzeigen expand_more

Das vorliegende Buch rekonstruiert die konventionelle Geschichte des Hackens als Kulturtechnik. Bemerkenswert erscheint hierbei, dass das Material einer kulturtechnischen Lesart des Hackens seit dem Erscheinen des Standardwerks von Levy (1984) zwar offen zutage liegt, insbesondere in der Medienwissenschaft aber unter einer oft stark verengten Perspektive gelesen wird. Insofern beansprucht die Studie nicht, neues Material zu entdecken, sondern das vorhandene Material auf einer historischen Achse zu reorganisieren, um ein anderes, kulturtechnisches Verständnis des Hackens zu ermöglichen. Dabei sollen entlang dieser anderen Anordnung und Akzentuierung des Materials theoriegeschichtliche und systematische Gesichtspunkte miteinander verknüpft werden.



Das vorliegende Buch rekonstruiert die konventionelle Geschichte des Hackens als Kulturtechnik. Bemerkenswert erscheint hierbei, dass das Material einer kulturtechnischen Lesart des Hackens seit dem Erscheinen des Standardwerks von Levy (1984) zwar offen zutage liegt, insbesondere in der Medienwissenschaft aber unter einer oft stark verengten ...



Textprobe:

Kapitel 2.3. Frieder Nakes Computergrafiken:

„Kaum aber war jene Maschine vorhanden, verlockte sie auch schon zu Experimenten ästhetischer Produktion”.

Obwohl das Genre der Computerkunst ein relativ junges ist, können ihre Ursprü-ge bis zu den durch analoge Messgeräte entstandenen Grafiken der frühen 1950er Jahre zurückgeführt werden. Bereits 1950 erstellte Ben F. Laposky mit Hilfe von Kathodenoszilloskopen, welche von analogen Computern gesteuert wurden, ab-strakte Figuren. Diese Idee wurde einige Jahre später von Herbert W. Franke aufgegriffen und weiterentwickelt, als er eine vom Oszilloskopen bewegte Kamera benutzte, um seine „Pendeloszillogramme” zu erzeugen. Diese Beispiele verdeutlichen nicht nur die zeitliche Nähe zu den „Eisenbahn-Hacks” des TMRC, sondern auch das gemeinsame Element des Experimentierens und Spielens (in diesem Fall mit den Einstellungen der Geräte und dem sich verändernden Output), sowie den gemeinsamen universitären Kontext. Was die analoge mit der digitalen Computerkunst verband, war u.a. die Anzeige des Oszilloskopen, welche später den Platz des Bildschirms einnahm und der „ästhetische Blick auf wissenschaftliche Phänomene”.

Einer der Pioniere der Computerkunst ist Frieder Nake, welcher bereits 1963 mit Hilfe eines Z64 Graphomat vielfarbige Zeichnungen anfertigte. Nake war Mitarbeiter des Rechenzentrums, als 1963 der „Zuse 64” an die THS (Technische Hochschule Stuttgart) geliefert wurde. Der Zuse 64 war ein durch Lochstreifen gesteuerter Zeichentisch, welcher 1956 von Konrad Zuse („Zuse KG.”) entwickelt und 1961 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Seine Fähigkeit (die vollautomatische Zeichnung einzelner Punkte, beliebiger Kurven und erklärender Symbole) sollte vor allem im Straßenbau, in Meteorologie, Automobil- und Flugzeugtechnik eingesetzt werden. Dazu verfügte er über vier verschiedene Farben (blau, gelb, grün, rot). Eine zur Steuerung der Zeichenmaschine benötigte Software wurde jedoch nicht mitgeliefert, so dass man an Nake mit der Bitte herantrat, eine solche zu entwickeln. Die Herausforderung lag darin, den Computer als Maschine, deren Aufgabe primär das Rechnen war, zum Zeichnen zu „zwingen”. Nake schrieb das Programm, welches als Grundlage für alle folgenden, zu zeichnenden Ideen dienen sollte. Anschließend beauftragte man ihn, alle möglichen Bewegungen des Zeichenarms der Maschine systematisch auszutesten, um die „korrekte” Ausführung herauszustellen und mögliche Fehler aufzuspüren. Nake entschied sich dafür, bei der Fehlersuche (dem debugging) statistisch-experimentell vorzugehen und den Zufall herrschen zu lassen, um ein gestreutes Spektrum von Ausgaben mit möglichen Fehlern zu erzeugen. Was später immer stärker einen ästhetischen Willen erkennen ließ, war zu Beginn ein einfaches Experimentieren mit den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Maschine und ein Spiel zwischen Technik und Kunst. Anders als bei den TX-0 Hackern war die Maschine, der Zuse Graphomat, jedem zugänglich, unter der Bedingung dass der- oder diejenige programmieren konnte.

Ab Mitte der 1960er Jahre fand das Phänomen Computerkunst dann seinen Weg in die Museen, Galerien und Ausstellungen, sowohl in Deutschland, als auch in Amerika. Im Februar 1965 wurden in den Räumen der Studiengalerie des Studium Generale der damaligen THS unter der Leitung von Max Bense, die Computergrafiken von Georg Nees ausgestellt. Hierdurch inspiriert, stellte Nake seine Werke im November 1965 in der Stuttgarter Galerie und Buchhandlung Wendelin Niedlich, in Kooperation mit Nees und Bense, aus. Zeitnah, im April 1965, fand die Computer-Generated Pictures in der Howard Wise Gallery, New York statt, mit Bildern von Béla Julesz und Michael A. Noll. Obwohl der Begriff „Computerkunst” relativ schnell Einzug hielt, waren computergenerierte Grafiken in Deutsch-land noch nicht in einen kommerziellen Kunstrahmen etabliert, wie es in Amerika der Fall war. Die Forschungslabore von Siemens und Bell (Bell Telephone Laboratories), wo Michael A. Noll und Manfred Schroeder angestellt waren, stellten zwar ihre Maschinen zur Verfügung, distanzierten sich jedoch von dem Begriff „Kunst”. Mit großen Ausstellungen wie der Cybernetic Serendipity in London (ICA, 1968), der Software in New York (Jewish Museum, 1970) oder der Tendencies 4 in Zagreb (MSU, 1969) internationalisierte sich das Phänomen dann. Aus einem Gerätetest und einem Hack war zuletzt eine „sinnvolle” Anwendung namens Kunst geworden.

Eine theoretische Grundlage fanden Nake und Nees in der Informationsästhetik Max Benses, welcher als Professor in Stuttgart lehrte und Initiator zahlreicher Ausstellungen war. Die beiden erweiterten die Informationsästhetik Benses zu einer generativen Ästhetik und wendeten diese praktisch an. Daraufhin wurden aus den anfänglichen Testbildern nun Träger ästhetischer Information, dessen ästhetischer Wert formal bestimmt, gemessen und berechnet werden konnte. Diese Betrachtungsweise bricht mit einem alten, auf das einzelne Werk fokussierten Kunstbegriff. Die durch den Computer generierten Werke wurden stets als Repräsentanten einer Klasse vieler möglicher, durch die Algorithmen bestimmter Werke realisiert. Demnach handelte es sich bei dem einzelnen Werk stets um die Variation eines einzigen, vom Computerprogramm festgesetzten Schemas. Ziel war es, die Kunstproduktion und die ästhetische Beschreibung von Kunstobjekten zusammenzuführen. Der Computer war das Instrument, der Algorithmus das Verfahren. Ein mediales Verständnis des Computers existierte in diesem Kontext noch nicht. Der in den Algorithmus eingebaute Pseudozufallszahlengenerator spielte für dieses Verständnis von Computerkunst eine zentrale Rolle. Innerhalb der festgelegten Bildprogramme, welche die formalen Grundstrukturen festlegten, traf der „systematisch eingesetzte mathematische Zufall” die letzte gestalterische Entscheidung. Für Nake hatte der Zufallsgenerator zwei Funktionen: erstens simulierte er die Intuition des Künstlers, zweitens machte er aus jeder Grafik ein Unikat. Da-bei sorgte die ästhetische Struktur (das Computerprogramm) dafür, dass der Zufall nicht im Chaos aufgeht.

Computerkunst wurde bisher vornehmlich aus einer kunsthistorischen Perspektive beurteilt, welche vorwiegend in Autoren, Werken, Stilen und ästhetischen Theorien denkt. Doch so wie die Hacker des MIT keine offiziellen Programmierer waren – Programmierkurse waren gerade erst im Begriff zu entstehen – waren die Macher von Computerkunst „keine klassisch ausgebildeten Künstler”. Ein Großteil der Pioniere der Computerkunst hatte stattdessen einen technisch-natur-wissenschaftlichen Hintergrund; Laposky war Mathematiker und technischer Zeichner beim Militär, Franke erwarb seinen Doktor in theoretischer Physik (genauso wie der Theoretiker Bense), Nake war Mathematiker und Informatiker, Michael A. Noll arbeitete die meiste Zeit in der Technikforschung. In der frühen Computerkunst jedoch verschwimmen die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Und so gab es auch ausgebildete Künstler, welche sich selbst das Programmieren beibrachten um die entsprechenden Programme schreiben und verstehen zu können. Viele der Pioniere der Computerkunst formulierten den An-spruch, der Computerkünstler müsse sein Werkzeug verstehen und daher gewisse technische Fähigkeiten beherrschen. Diese Einstellung erinnert stark an den handson-Ansatz, wie er in der Hackerethik beschrieben ist. Sowohl für die MIT Hacker als auch für die jungen Computerkünstler bedeutete der Computer mehr als ein „fertiges“, bereitstehendes Werkzeug. Um überhaupt mit ihm arbeiten zu können, musste zuallererst ein Programm eigenständig geschrieben werden. Für was der Computer gut war, musste durch Ausprobieren, Experimentieren, Kontrollieren erst einmal herausgearbeitet werden. In allen drei Beispielen geschah dies durch einen spielerischen Umgang mit der neuen Technologie, durch das Forschen nach neuen Wegen, verbunden mit einem Glauben an das große Potenzial dieser Versuche und an gemeinsame Werte. Die jeweiligen Produkte, seien es Melodien, Spiele oder Kunstwerke, stellten darüber hinaus wahrscheinlich einen Ansatz dar, die eigene Arbeit zu verstehen und ihr einen Sinn zu geben.



Leslie Post wurde 1991 in Hamburg geboren. Die Autorin studierte Kulturwissenschaften und Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg. Während ihres Jobs als Research Student in der Kollegforschergruppe MECS (Institute of Advanced Studies of Computer Simulation) entwickelte sie ein besonderes Interesse an medienhistorischen und -technischen Fragestellungen in Zusammenhang mit dem Medium Computer und den durch ihn erzeugten Wissensformen. 2014 schloss sie den Bachelor mit einer Arbeit zum Thema Hacken als Kulturtechnik ab. Den Master mit Schwerpunkt Medienwissenschaften und Technikgeschichte studierte sie in Lüneburg und Zürich. Dabei arbeitete sie u.a. an der Professur für Technikgeschichte der ETH.

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