Herdenverhalten auf Finanzmärkten

Generationen von Wissenschaftlern versuchen seit jeher vorherzusagen, wie die Kurse sich in Zukunft entwickeln werden und müssen doch zumeist anerkennen, dass die Börse nicht ausschließlich durch Angebot und Nachfrage, sondern in großem Maße auch durch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Die Modelle der Kapitalmarkttheorie werden, aufgrund ihres unzureichenden Erklärungs- und Prognosegehaltes, zunehmend nicht mehr als aussagekräftig erachtet - die Annahmen eines perfekt funktionierenden Kapitalmarktes werden mittlerweile in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt. In den letzten Jahrzehnten tauchten vermehrt Studien auf, die das... alles anzeigen expand_more

Generationen von Wissenschaftlern versuchen seit jeher vorherzusagen, wie die Kurse sich in Zukunft entwickeln werden und müssen doch zumeist anerkennen, dass die Börse nicht ausschließlich durch Angebot und Nachfrage, sondern in großem Maße auch durch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Die Modelle der Kapitalmarkttheorie werden, aufgrund ihres unzureichenden Erklärungs- und Prognosegehaltes, zunehmend nicht mehr als aussagekräftig erachtet - die Annahmen eines perfekt funktionierenden Kapitalmarktes werden mittlerweile in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt. In den letzten Jahrzehnten tauchten vermehrt Studien auf, die das Vorhandensein von Anomalien nahelegen, welche sich nicht durch die Existenz von Informationseffizienz auf den Märkten erklären lassen. Starke Preisschwankungen aufgrund von massenpsychologischen Phänomenen unterstreichen die Hypothese, dass Menschen in der Regel nicht wie der durch die neoklassische Theorie beschriebene homo oeconomicus handeln, sondern dass das Verhalten der Anleger vielmehr durch Gefühle wie Angst, Gier, Neid oder Euphorie beeinflusst wird. Im Rahmen der relativ jungen Forschungsrichtung Behavioral Finance werden diese Beobachtungen und Überlegungen systematisiert. Indem psychologische Aspekte Einfluss auf die Analyse der Finanz- und Kapitalmärkte finden, trägt diese Theorie wesentlich zu einem besseren Verständnis der Märkte bei. Eine Beobachtung der Behavioral Finance ist, dass Finanzmärkte durch Herdenverhalten geprägt sind. Dieses Finanzmarktphänomen wird metaphorisch häufig mit Lemmingen assoziiert, die einander blind folgen und letztendlich gemeinsam in den Abgrund stürzen. Derartiges Verhalten tritt meistens in Situationen der Unsicherheit auf, da Menschen befürchten, mit ihren eigenen Einschätzungen falsch zu liegen. Ein solches Massenphänomen lässt sich nicht nur im täglichen Leben beobachten, wie beispielsweise im Theater, bei dem ein Zuschauer anfängt zu klatschen und die übrigen einstimmen, sondern ebenso auf den Finanzmärkten. Jüngste Geschehnisse wie die Finanzkrise ab 2007 haben gezeigt, welche Folgen es hat, wenn Kurse in fundamental nicht gerechtfertigte Höhen getrieben werden, was wiederum zum Platzen einer spekulativen Blase bis hin zu globalen Wirtschaftskrisen führt. Verschiedene Studien legen die Vermutung nahe, dass diese Entwicklungen durch Herdenverhalten auf den Finanzmärkten begünstigt werden. Dennoch ist Herdenverhalten nicht zwangsläufig ein Ausdruck von Irrationalität, […]



Generationen von Wissenschaftlern versuchen seit jeher vorherzusagen, wie die Kurse sich in Zukunft entwickeln werden und müssen doch zumeist anerkennen, dass die Börse nicht ausschließlich durch Angebot und Nachfrage, sondern in großem Maße auch durch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Die Modelle der Kapitalmarkttheorie werden, ...



Textprobe:

Kapitel 4., HERDENVERHALTEN:

'Everybody doing what everyone else is doing, even when their private information suggests doing something quite different.” (Banerjee, 1992, S.798)

4.1, Definition und Merkmale von Herdenverhalten:

In der Natur lässt sich häufig beobachten, wie Tiere sich instinktiv zu einer Herde zusammenfinden, um sich beispielsweise vor Feinden zu schützen oder um gemeinsam auf Nahrungssuche zu gehen. Dieses gleichgerichtete Verhalten kann die Überlebenschancen des Einzelnen erhöhen (vgl. Brudermann, 2010, S.54). Herdenverhalten kann aber nicht nur in der Tierwelt, sondern ebenfalls in der Natur des Menschen, in der Modebranche oder auch an Finanzmärkten auftreten. Menschen neigen dazu, sich nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen und Instinkten leiten zu lassen, sondern ebenso von dem Verhalten anderer. Sie suchen sich Vorbilder und erforschen, inwieweit die Verhaltensweisen dieser Leitbilder zum Ziel geführt haben und imitieren ihre Handlungen daraufhin (vgl. Weber, 2007, S.100). Abgesehen davon fällt es vielen Menschen schwer, sich entgegen der Masse zu bewegen. Insbesondere Entscheidungssituationen, welche vor allem durch Unsicherheit, Orientierungslosigkeit oder Ahnungslosigkeit geprägt sind und in denen zudem nicht auf eigene Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, führen dazu, dass sich Menschen an dem Verhalten anderer orientieren. Aber auch überschwängliche Gefühle wie z.B. Angst oder Euphorie können ein solches imitierendes Verhalten auslösen (vgl. Fenzl, 2009, S.30). Bereits Gustave Le Bon erkannte 1895, dass in einer Herde die Gefühle dem Verstand voranstehen: 'Ihre Handlungen stehen viel öfter unter dem Einfluß des Rückenmarks als unter dem des Gehirns' (Le Bon, 1951, S.21). Laut Shiller zählen emotionale Faktoren sogar zu den wichtigsten Bestimmungsgrößen für Marktübertreibungen: 'The emotional state of investors when they decide on their investments is no doubt one of the most important factors behind the bull market” (Shiller, 2005, S.65). Es gibt unzählige Entscheidungen des alltäglichen Lebens, bei denen sich Menschen, ohne eigene Überlegungen anzustellen, blind an den Entscheidungen anderer orientieren oder sich auf deren Urteil verlassen. Sie imitieren die Handlungen derjenigen, die vermeintlich über einen besseren Kenntnisstand verfügen und versuchen auf diese Weise bessere Informationen zu erwerben (vgl. Bikhchandani et al., 1998, S.159). Folglich liegt Herdenverhalten vor, wenn Individuen sich unabhängig von ihrer eigenen Meinung, an dem Entscheidungsverhalten anderer orientieren und demnach genauso handeln wie die Masse, da sie der Meinung sind, dass die Masse im Besitz besserer Informationen ist als sie selbst (vgl. Bikhchandani, Sharma, 2001, S.280; Banerjee, 1992, S.798). Kurzum bezeichnet dieses Finanzmarktphänomen die Veränderung des Verhaltens, der Erwartung oder der Meinung eines Entscheiders als Ergebnis eines realen oder illusionären (sozialen) Drucks. Dieser Druck kann einerseits durch mentale Prozesse, beispielsweise durch eine Übereinstimmung in der Wahrnehmung und Deutung von Informationen, andererseits durch Anreize oder Pflichten verursacht werden (vgl. Oehler, Wendt, o.J., S.13). Das Vorhandensein von unvollkommen informierten Akteuren sowie die Beeinflussung individueller Entscheidungen durch die Entscheidungen anderer ist demnach eine Voraussetzung für das Entstehen von Herdenverhalten (vgl. Hott, 2004a; S.155; Zhu, 2009, S.13). Im Marktgeschehen äußert sich dies so, dass es aufgrund des gleichgerichteten Verhaltens zu starken Kurs- bzw. Preisschwankungen kommt, da die Marktteilnehmer allesamt in eine Anlagemöglichkeit investieren oder diese wieder abstoßen. Ein Großteil der Anleger verfügt über wenig fundiertes Wissen und besitzt zudem nicht die Zeit, um sowohl sinnvolle und vernünftige als auch erfolgreiche Investitions- und Anlageentscheidungen zu treffen. Aufgrund dessen entscheiden sie unter massenpsychologischen Rahmenbedingungen nicht rational, d.h. gestützt auf Fundamentaldaten sowie rational-kognitiven Überlegungen, sondern reagieren auf das Umfeld der Finanzmärkte und versuchen das vorherrschende Marktverhalten nachzuahmen (vgl. Fenzl, 2009, S.31; Rapp, 1997, S.88). Kaufen viele Anleger beispielsweise dieselben Aktien, da sie der Masse folgen, führt dies zu einem Kursanstieg et vice versa (vgl. Elger, Schwarz, 2009, S.148). Ein Beispiel stellt die Aktie des österreichischen Unternehmens BWIN dar, welche 2005 an der Wiener Börse um weit unter 20 Euro pro Stück gehandelt wurde. Mitte 2006 stieg der Preis der Aktie auf über 100 Euro an, da sie nach und nach von vielen Marktakteuren ohne ersichtlichen Grund gekauft wurde. Nachdem die Euphorie nachließ und sich aufgrund der Unsicherheit über den weiteren Kursverlauf Panik ausbreitete, fingen die Marktakteure an, ihre Aktien abzustoßen. Innerhalb kürzester Zeit sank der Aktienkurs wieder auf unter 20 Euro. Diese Verhaltensweise kann nicht auf die Fundamentaldaten zurückgeführt werden, da diese sich nicht so kurzfristig geändert haben, um solche drastischen Kursschwankungen in einem solch kurzen Zeitraum zu rechtfertigen (vgl. Brudermann, 2010, S.17f). Derartiges Verhalten der Marktteilnehmer lässt sich nicht durch die klassische Kapitalmarkttheorie erklären, denn im Gegensatz zur Theorie des rational handelnden Individuums und der effizienten Märkte, zeugt dieses massenpsychologische Phänomen von irrationalem Verhalten der Marktteilnehmer. Somit begründet das Auftreten von Herdenverhalten eine fehlende Effizienz der Märkte (vgl. Hott, 2004a, S.49). Dieses irrationale Verhalten in der Masse hat eine unerwünschte und negative Auswirkung auf die Allgemeinheit und zwar nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern ebenso in der Realwirtschaft. Obwohl das gleichgerichtete Verhalten in der Gruppe gesamtheitlich als irrational zu bezeichnen ist, da nicht sämtliche verfügbaren Informationen in die Entscheidung mit einfließen, bedeutet dies nicht gleichermaßen, dass die Individuen sich individuell irrational verhalten. Im Gegenteil - dieses irrationale Verhalten in der Masse erscheint für den Einzelnen gänzlich rational (vgl. Lähn, 2004, S.25). Grundsätzlich lässt sich zwischen rationalem und irrationalem Herdenverhalten unterscheiden. Rationales Herdenverhalten bezeichnet ein gleichgerichtetes Verhalten, welches entweder auf neuen Informationen oder auf sonstigen Anreizen beruht. Unabhängig davon, warum Individuen der Masse folgen, gibt es bei rationalem Herdenverhalten einen Grund dafür. Durch dieses Verhalten erzielen sie ein besseres Ergebnis als im Alleingang. Das heißt, aus individueller Sicht sind die Entscheidungen des Einzelnen zwar rational, dennoch besteht die Möglichkeit, dass alle Individuen mit ihrer Entscheidung falsch liegen. Irrationales Herdenverhalten hingegen beschreibt ein gleichgerichtetes Verhalten, welches rational nicht begründbar ist, da weder neue Informationen noch Anreize als Auslöser dienen (vgl. Weber, 2007, S.101). Stattdessen lässt sich irrationales Herdenverhalten auf psychologische Hintergründe des Verhaltens der Individuen zurückführen (Hott, 2004b, S.2). Die Emotionen dominieren demnach den Verstand. Da die Handlungen der Individuen in einer solchen Situation primär durch Erwartungshaltungen und fehlgesteuerte Annahmen getrieben werden, unterliegen sie einem Verhaltensfehler. Abgesehen davon werden offensichtliche Daten und Fakten sowie Risiken ignoriert. Dieses Verhalten kann zu immateriellen sowie ökonomischen Nachteilen bei den Individuen führen. Für die Individuen ist es daher vorteilhafter, ihre Entscheidungen nicht von der Herde abhängig zu machen. Daher gleicht der Begriff des irrationalen Herdenverhaltens dem Bild von Lemmingen (vgl. Weber, 2007, S.101; Russ, 2010, S.19). Ein berühmtes wirtschaftsgeschichtliches Beispiel für irrationales Herdenverhalten ist die Tulpenmanie in Holland, in der Tulpenzwiebeln zum Spekulationsobjekt wurden. Aufgrund einer Massennachfrage, die sowohl durch das knappe Angebot, als auch durch ihre Seltenheit hervorgerufen wurde, stiegen in der Zeit von 1636 bis 1637 die Preise für Tulpenzwiebeln teilweise um das 50-fache an. Auf dem Höhepunkt des Tulpenwahns erzielte eine der zu den seltenen Arten gehörenden Tulpenzwiebeln einen Preis, der vergleichbar mit dem eines Amsterdamer Grachtenhauses war (vgl. Bender, 2006, S.108; Siebert, Lorz, 2000, S.309). Da man annehmen kann, dass eine Tulpenzwiebel einen geringeren Nutzen stiftet als ein Wohnhaus, lässt sich das Kaufverhalten der Spekulanten als unvernünftig und somit irrational bezeichnen. Neben Aktien wurden die seltenen Arten der Tulpenzwiebel sogar an der holländischen Börse gehandelt. Letztendlich führte dieses Massenphänomen zu einer Preisblase auf dem Markt. Nachdem im Jahre 1637 die ersten Anleger aus Angst vor Verlusten ihre Tulpenzwiebeln verkauften, kam es zu einem Preiszusammenbruch. Innerhalb von drei Monaten fielen die Preise um rund 90 Prozent, ohne sich noch einmal zu erholen (vgl. Zhu, 2009, S.1; Link, 2007, S.416). Aufgrund des drastischen Preisverfalls stiegen immer mehr Anleger aus dem Tulpengeschäft aus, was letztendlich dazu führte, dass die Spekulationsblase platzte. Folglich kam es nicht nur zu einem Bankrott vieler Investoren, sondern auch zu einem schweren Schaden in der niederländischen Wirtschaft. Bei diesem Beispiel handelt es sich um die erste Finanzkrise der Neuzeit (vgl. Frey, 2009, S.98). Es wird deutlich, dass das Massen- bzw. Herdenverhalten der Anleger für das Entstehen von Preisblasen oder Börsencrashs bzw. Finanzkrisen verantwortlich gemacht werden kann.



Gabriele Alheid, B.A., wurde am 28.10.1987 in Wolfhagen geboren. Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin theoretische sowie praktische Erfahrungen in der Finanzbranche. Ihre Studienschwerpunkte Finanzmärkte und Finanzmanagement motivierten sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

weniger anzeigen expand_less
Weiterführende Links zu "Herdenverhalten auf Finanzmärkten"

Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)

Als Sofort-Download verfügbar

eBook
19,99 €

  • SW9783955495251

Ein Blick ins Buch

Book2Look-Leseprobe

Andere kauften auch

Andere sahen sich auch an

info