Der Mann mit der gelben Tasche

Erzählung

Dem deutschen Kommunisten Karl kann man zwar die Sabotage in dem Rüstungsbetrieb nicht nachweisen, aber er wird verdächtig und deshalb 1944 an die Front geschickt. Im Partisanenkrieg in Griechenland kommt er in Gewissenskonflikte, weil er nicht zum Mörder am griechischen Volk werden will. Wichtige Dokumente der Partisanen will er diesen übergeben, was an mangelnden Sprachkenntnissen und fehlendem Vertrauen scheitert. Als die Partisanenführung zwei Partisanen losschickt, um Karl und die Papiere zu suchen, wird es lebensgefährlich für die zwei. Auch Karl ist nicht allein im Erschießungskommando. Mit raschen Schritten bog Czirwinski um die... alles anzeigen expand_more

Dem deutschen Kommunisten Karl kann man zwar die Sabotage in dem Rüstungsbetrieb nicht nachweisen, aber er wird verdächtig und deshalb 1944 an die Front geschickt. Im Partisanenkrieg in Griechenland kommt er in Gewissenskonflikte, weil er nicht zum Mörder am griechischen Volk werden will. Wichtige Dokumente der Partisanen will er diesen übergeben, was an mangelnden Sprachkenntnissen und fehlendem Vertrauen scheitert. Als die Partisanenführung zwei Partisanen losschickt, um Karl und die Papiere zu suchen, wird es lebensgefährlich für die zwei. Auch Karl ist nicht allein im Erschießungskommando.



Mit raschen Schritten bog Czirwinski um die Ecke. Er brachte den Armvoll Lebensmittel und sagte lachend: „Soweit ist es. Der Oberschnäpser holt für den Jäger Piefke im dritten Glied die Menage. Da – Brot, Käse, drei Löffel Zucker, ein Maggiwürfel. Der Maggiwürfel ist Sondergefechtszulage. Es lebe der Führer. Und nun steh auf, du Trottel. Dienst – das Schlachtfeld absuchen nach Toten, Verwundeten et cetera pp. Allez hopp. Setz den Blechhut ab. Am Tage schießt’s nicht, die haben von der letzten Nacht genug.“ Mit langsamen Schritten stiegen sie den sanften Abhang hinunter, auf dessen Kamm sie vor wenigen Stunden gelegen hatten. Rechts und links von ihnen zog sich eine lange Schützenlinie quer durch das Gelände.

„Sei vorsichtig, wenn du auf einen Verwundeten stößt“, sagte Franz, „sie schießen noch mit dem letzten Blutstropfen in den Adern.“

Karl antwortete nicht. Er starrte vor sich hin. Der ist wie gestorben, dachte der lange Obergefreite und überlegte sich, ob er nach seinem ersten Nahkampf damals in Polen auch so völlig am Ende gewesen war wie dieser Neuling heute. Wenn man schon zwanzigmal „das Weiße im Auge des Feindes gesehen“ hat, wie es in der Verleihungsvorschrift für die bronzene Nahkampfspange hieß, die Czirwinskis Rock dekorierte, war man über Erschütterungen solcher Art hinweg. Stich, hau, tritt, beiß, damit du nicht gestochen, gehauen, getreten, gebissen wirst! Krieg ist Krieg! Das würde dieser Neubauer noch lernen.

Sie fanden den ersten toten Partisanen. Ein älterer Bauer, fünfzig mindestens, bekleidet mit weiten wollenen Hosen, an den Knien zerrissen, einen dicken Schal von undefinierbarer Farbe um den Leib, einer schmutzigen Pelzweste, die über der Brust geöffnet war. Ein Auge starrte zu dem blauen Himmel seiner Bergheimat hinauf, durch das andere war der tödliche Schuss gedrungen. Das war ich nicht, ging es Karl durch den Kopf; aber wie mit dumpfen Glockenschlägen dröhnte eine zweite Stimme in ihm: Was hilft dir, dass du das nicht warst. Hinten liegen zwei, um die hast du feige einen Bogen gemacht, weil du dort keine Ausrede gehabt hättest.

„Die Büchse haben sie natürlich mitgenommen, da findest du fast nie eine“, erklärte Franz sachlich, ehe sie weitergingen. Nur wenige Schritte von dem ersten entfernt, fanden sie noch zwei Tote. Einer von ihnen hatte die Augen geschlossen und lächelte, als habe sein letzter Atemzug der Freiheit gegolten.

Ein unerträglicher Schmerz ergriff Karl. Groß ist der Tod, wenn ihn die Gerechten erleiden. Ach, wie gut wäre es, an der Seite dieses Toten zu liegen.

„Nummer drei“, sagte Franz, „die Gruppe Lechleitner ist schon quitt. Nach Hitlers Norm: hundert für einen geht es nur, wenn die hundert nicht zurückschießen. Komm weiter, hier gibt’s nichts abzukochen.“

Rechts von ihnen hallte ein Schuss. Sie fuhren herum, aber es blieb alles still.

Czirwinski sagte: „Ein Verwundeter. Sie haben ihm den Fangschuss gegeben. Seine Leute müssen ihn für tot gehalten haben, denn sie schleppen jeden Verwundeten mit.“

Mit würgendem Kummer im Halse ging Karl weiter. Ein erstaunter Ausruf seines Nachbarn ließ ihn gleich wieder stehenbleiben.

„Na, sieh dir das doch mal an. Ein schneidiger Offizier, da staun’ ich aber.“

Karl trat näher. Da lag tatsächlich einer, der eine Uniform aus feinem Tuch trug. „Ein hoher griechischer Kommandant?“, fragte Karl dumpf.

„Unwahrscheinlich, die hohen Herren seiner Majestät werden sich kaum hier in den Bergen herumtreiben. Aber ein Kommandeur ist es bestimmt. Die Uniform wird er gefunden haben. Wir konnten nicht gleich jeden Bunker durchstöbern, als wir die Metaxaslinie überrannten. Da blieb für die Partisanen manches übrig. Jetzt könnten wir die Stellungen gut gebrauchen, die wir damals in die Luft gejagt haben. Aber wer hätte geglaubt, dass hier noch einmal HKL wird.



Am 21.10.1911 in Leipzig geboren, Besuch der Mittelschule, Lehre als Buchhändler.

1929 Mitglied des KJVD, 1930 KPD-Mitglied. 1934 wurde er wegen der Teilnahme am antifaschistischen Widerstandskampf verhaftet und blieb bis 1938 im Zuchthaus Waldheim, danach bis 1940 KZ Buchenwald. 1942 kam er ins Strafbataillon 999. U. a. war er auf Korfu stationiert und arbeitete als Funker in Karousades. Dort half er griechischen Partisanen und warnte die Juden vor der Deportation. Er konnte der Erschießung entgehen, setzte sich in Sarajevo von der Truppe ab und kehrte über Österreich nach Leipzig zurück.

Er beteiligte sich am Aufbau der Jugendausschüsse und der FDJ und wurde 1946 SED-Mitglied. Er hatte wechselnde Tätigkeiten: Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, Regierungsrat in Sachsen, Hauptdirektor der VESTA (Vereinigung Volkseigener Stahlwerke), Werkleiter im VEB Guss Köthen, Leiter des Aufbaustabes des Kombinats Schwarze Pumpe, Personalchef im Konstruktions- und Ingenieurbüro Leipzig.

Von 1955 bis 1957 absolvierte er ein Fernstudium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ und war seit 1958 freischaffender Schriftsteller.

Grabner wurde mehrmals mit Parteistrafen belegt, seit 1961 vom MfS überwacht und erhielt nach dem 11. Plenum 1965 ein vorübergehendes Berufsverbot.

Er war in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Sigrid Grabner verheiratet.

Er starb am 3. April 1976 in Werder.

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