Nürnberger Tand

Historia eines Narren, eines Stummen und dreier gottloser Maler

ANNO DOMINI 1523 wird in der Reichsstadt Nürnberg drei jungen Malern der Prozess gemacht. Die Stadt befindet sich ökonomisch, politisch und kulturell auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung und ist ein geistiges Zentrum in Europa. Das wirtschaftlich starke Patriziat hat das Stadtregiment fest in der Hand und weiß, wie mit Oppositionellen zu verfahren ist. Da gibt es die Brüder Barthel und Sebald Beham und ihren Freund Georg Pencz. Es sind Schüler des in der Stadt besonders angesehenen, hoch berühmten Meisters Albrecht Dürer. Doch jetzt stehen sie als Aufrührer vor Gericht, die gefährlichen und verderblichen Lehren von... alles anzeigen expand_more

ANNO DOMINI 1523 wird in der Reichsstadt Nürnberg drei jungen Malern der Prozess gemacht. Die Stadt befindet sich ökonomisch, politisch und kulturell auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung und ist ein geistiges Zentrum in Europa. Das wirtschaftlich starke Patriziat hat das Stadtregiment fest in der Hand und weiß, wie mit Oppositionellen zu verfahren ist. Da gibt es die Brüder Barthel und Sebald Beham und ihren Freund Georg Pencz. Es sind Schüler des in der Stadt besonders angesehenen, hoch berühmten Meisters Albrecht Dürer. Doch jetzt stehen sie als Aufrührer vor Gericht, die gefährlichen und verderblichen Lehren von „göttlicher Gerechtigkeit“ für den gemeinen Mann anhängen. Schlimmer noch: Die Menschen selber müssten die Gerechtigkeit schaffen auf Erden, so meinen sie. Und die Obrigkeit, die das nicht zulasse, müsse als ungöttlich verworfen werden. „Gottlose Maler“ also, wie ihre Ankläger es wollen? Die Autorin schildert die geistigen Auseinandersetzungen und Kämpfe, die der revolutionären Erhebung der Bauern vorangingen. Sie führt uns von der weiten ungarischen Puszta, in der eben ein Bauernaufstand blutig niedergeworfen wurde, in das Gewimmel der wohlhabenden großen Stadt, in die Häuser der Patrizier wie Willibald Pirckheimer und in die Hütten der Armen, in die Werkstadt Dürers und in das Wirtshaus in der Wöhrd, den Treffpunkt derer, die Unrecht nicht mehr dulden wollten. Ein reicher Narr, der eine neue nürnbergische Weltchronik schreiben will, lernt von den drei „gottlosen“ Malern und einem ungarischen Bauern, den die Herren grausam verstümmelt haben, dass nicht heiteres Darüberstehen und Spottlust eine neue Welt schaffen, sondern die Klarheit des Gedankens und der Mut zur Entscheidung.



LESEPROBE:

Die Nürnberger Ratsherren sprangen auf, allen voran Kaspar Schwarz.

„Er hat unsern Herrn Jesum Christum geleugnet ...“, murmelte er mit erblassenden Lippen. „Darauf steht die Todesstrafe.“

„Was soll ich schreiben, schwarzer Kaspar? Dass Herzog Ernst in die Grube gefahren und nicht wiedergekehrt ist, dass er deshalb auch die stolze Stadt Nürnberg nicht mehr schützen kann?“

Herr Kaspar Schwarz hatte noch immer blasse Lippen.

„Schreibe: Barthel Beham, der Gottlose, wird in die Folterkammer gebracht.“

Nun musste sich Hieronymus auf die Lippen beißen, und auch die anderen Zuhörer begannen zu murren. So war das ja nicht gemeint gewesen, weshalb gleich mit der Scharfen Metze schießen? Welch ein Unsinn ...



Die Nürnberger Ratsherren sprangen auf, allen voran Kaspar Schwarz.

„Er hat unsern Herrn Jesum Christum geleugnet ...“, murmelte er mit erblassenden Lippen. „Darauf steht die Todesstrafe.“

„Was soll ich schreiben, schwarzer Kaspar? Dass Herzog Ernst in die Grube gefahren und nicht wiedergekehrt ist, dass er deshalb auch die stolze Stadt Nürnberg nicht mehr schützen kann?“

Herr Kaspar Schwarz hatte noch immer blasse Lippen.

„Schreibe: Barthel Beham, der Gottlose, wird in die Folterkammer gebracht.“

Nun musste sich Hieronymus auf die Lippen beißen, und auch die anderen Zuhörer begannen zu murren. So war das ja nicht gemeint gewesen, weshalb gleich mit der Scharfen Metze schießen? Welch ein Unsinn ...

Sogar Herr Osiander meinte für einen Moment, Daumenschrauben an seinen wohlgepflegten Händen zu fühlen, welches Wort wollte man aus ihm herauspressen? Er selbst von sich aus meinte etwas sagen zu müssen, der Druck wurde immer stärker: Lasst den Burschen laufen, zerstört ihn nicht an Leib und Seele, lasst das Schembartspiel, es lohnt sich nicht, es geht doch nur darum, unsere Grundsätze, die wir Ordnung nennen, wieder einmal mit Nachdruck zu verkünden, die Verkündigung von der Kanzel allein genügt nicht, der Gerichtssaal muss dazukommen, aber dann lasst ihn laufen. Aber all das sagte er nicht.

„Wen Gott liebet, den züchtiget er ... Wenn Gott diesen Gottlosen züchtiget, dann liebet er ihn noch …“

Und Koberger schrieb: Da Gott den Barthel Beham über alles liebt, wird man ihm Daumenschrauben verpassen, ihn in spanische Stiefel stecken, ihn sengen und brennen, schlagen und zerren, vielleicht wird man ihm sogar die Zunge herausreißen, dann haben wir zwei Türkenmärtyrer in der Stadt.

Als Kaspar Schwarz misstrauisch herübersah, kritzelte er alle diese Worte wieder durch und schrieb nur: Der Ratsherr Kaspar Schwarz forderte für den Malergesellen Barthel Beham die Folter.

Kaspar Schwarz fiel es ein, dem Gericht vorzuschlagen, auch die anderen der Gottlosigkeit Angeklagten zur Folter zu verurteilen, damit es sich lohne.

Die Rechtsbeistände nickten, sie hatten aber alle ihre eigenen Gedanken dabei, und der schwarze Kaspar spielte darin nicht die beste Rolle. Dieser Emporkömmling, dieser Gernegroß, der selbst nur durch Zufall der Folter entgangen war!

Die Maler trauten ihren Ohren nicht. Das war nun das Urteil der Stadt Nürnberg über ihre in Ehren geborenen freien Söhne: die Folter. Das Geschenk, die Anerkennung, der Lohn ... Sebald sprang auf, aber Doktor Christoph Scheurl winkte ihm so eindringlich und gebieterisch, dass er sich entmutigt wieder setzte. Die Prediger frohlockten. Der alte Scheurl galt noch etwas in Nürnberg, selbst bei diesen gottlosen Malern. Ja, das traf zu. Der alte Scheurl galt etwas, sogar bei dem Knecht in der Folterkammer, den er im Anschluss an die Redereien des Vormittags zu sich kommen ließ und dem er einen Taler zusteckte.

„Foltere sie nicht gar zu hart. Und der Koberger soll die Geständnisse aufschreiben.“

Viele Talerstücke bekam der Folterknecht an diesem Tage. Auch von Christoph Nützel und sogar vom Ersten Losungen. Er wunderte sich, ein einträgliches Geschäft, fürwahr! Den größten Batzen bekam er von Hieronymus Koberger.



Geboren 1934 in Spremberg/Niederlausitz. Seit 1939 in Schwerin ansässig.

Studium der Kunstgeschichte und klassischen Archäologie in Rostock.

Tätigkeit am Staatlichen Museum Schwerin. 1965 Verlust des Arbeitsplatzes aus politischen Gründen, seither freiberuflich als Publizistin und Schriftstellerin tätig:

Sachbücher (Die Kunst der Synagoge 1966, Das Zeitalter der Empfindsamkeit 1972, Biedermeier 1979, Spurensuche in Mecklenburg 1999, Aufbruch aus Mecklenburg. Die Welt der Gertrud von le Fort, 2000),

Belletristik (Licht auf dunklem Grund, Rembrandt-Roman, 1967, Der Tanz von Avignon, Holbein-Roman 1969, Saat und Ernte des Joseph Fabisiak, 1969, Nürnberger Tand 1974, Malt, Hände, malt, Cranach-Roman 1975, Jenseits von Ninive, 1975, Aus Morgen und Abend der Tag, Runge-Roman, 1977, Wolfgang Amadés Erben, 1979, Türme am Horizont, Notke-Roman 1982, Die stumme Braut, 2001, Paradiesgärtlein, 2008),

Jugendbücher (Geisterstunde in Sanssouci, Menzel-Erzählung 1980, Das Männleinlaufen, Alt-Nürnberger Geschichte 1983, Des Königs Musikant, Erzählung über Carl Philipp Emanuel Bach 1985).

Nach 1989 Mitarbeit am Aufbau der parlamentarischen Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern, Archivarbeiten.

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Ein Blick ins Buch

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  • Autor find_in_page Renate Krüger
  • Autoreninformationen Renate Krüger Geboren 1934 in Spremberg/Niederlausitz. Seit 1939… open_in_new Mehr erfahren
  • Wasserzeichen ja
  • Verlag find_in_page EDITION digital
  • Seitenzahl 438
  • Veröffentlichung 09.07.2014
  • ISBN 9783863943264

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