Die Ochsenwette

Nach dem Orientalischen geschrieben

Geschickt nutzt der Autor in dieser Anekdoten-Sammlung eine Verkleidung – und zwar die in die bunte Welt des Orients und deren Weisheit, die er gern seinen Zeitgenossen zum produktiven Nutzen sowie zum ernsthaft-heiteren Vergnügen empfehlen möchte. Besonders interessant ist dabei, dass der Leser die Branstnersche Neufassung mit den im Anhang abgedruckten Vorlagen vergleichen kann. Hier zwei schöne Beispiele für dieses Verfahren: Neufassung: 11. Der nützliche Vorschlag Ein Kanzler liebte es, kostspielige, aber wenig nützliche Bauvorhaben ausführen zu lassen. Da schlug ihm ein Mann eines Tages folgendes vor: „Lasst den See nahe der... alles anzeigen expand_more

Geschickt nutzt der Autor in dieser Anekdoten-Sammlung eine Verkleidung – und zwar die in die bunte Welt des Orients und deren Weisheit, die er gern seinen Zeitgenossen zum produktiven Nutzen sowie zum ernsthaft-heiteren Vergnügen empfehlen möchte. Besonders interessant ist dabei, dass der Leser die Branstnersche Neufassung mit den im Anhang abgedruckten Vorlagen vergleichen kann.

Hier zwei schöne Beispiele für dieses Verfahren:

Neufassung:

11. Der nützliche Vorschlag

Ein Kanzler liebte es, kostspielige, aber wenig nützliche Bauvorhaben ausführen zu lassen. Da schlug ihm ein Mann eines Tages folgendes vor: „Lasst den See nahe der Hauptstadt trockenlegen, und Ihr werdet eine große Fläche Land gewinnen.“

Der Kanzler war von diesem Vorschlag begeistert, fragte aber nach einigem Überlegen: „Wohin mit dem Wasser des Sees?“

„Grabt einen ebenso großen See daneben, und das Problem ist gelöst“, antwortete der Mann.

Darüber musste der Kanzler lachen. Doch dann wurde er still, und er führte weiterhin keine derartigen Bauvorhaben mehr aus.

Also: Unsinn auf der Spitzen

bleibt nicht lange sitzen



Vorlage:

11. Einen neuen See für einen alten

Wang An-schi, der Kanzler der Sungdynastie, liebte es, große gemeinnützige Bauvorhaben durchzuführen. Ein Mann, der sich bei ihm beliebt machen wollte, schlug ihm folgendes vor: „Lasst den Liangschanbo-See trockenlegen, und Ihr werdet achthundert Quadratmeilen fruchtbares Land gewinnen.“ Wang An-schi war zuerst begeistert, fragte aber dann: „Wohin mit dem Wasser des Sees?“

„Grabt einen genauso großen See daneben, und das Problem ist gelöst“, antwortete Liu Gung-fu.

Wang An-schi lachte und ließ den Plan fallen.

China



Neufassung:

33. Der gründliche Arzt

Ein Mann kam mit blutendem Kopf zum Arzt gelaufen „Ich bin mit der Stirn gegen einen Türbalken gestoßen“, erklärte der Mann, „lege mir bitte einen Verband an.“ Der Arzt jedoch verordnete ihm ein Augenheilmittel.

Also: Kein Befund

hat nur einen Grund



Vorlage:

33.

Jemand kam zum Arzt und sagte: „Ich habe Magenschmerzen. Behandle mich!“ Der Arzt fragte: „Was hast du heute gegessen?“ Der Kranke antwortete: „Verbranntes Brot.“ Der Arzt griff nach einem Mittel, um die Augen des Kranken einzureiben. „O Hakim, was haben Magenschmerzen mit den Augen zu tun?“, fragte der. „Zuerst müssen deine Augen behandelt werden, denn wenn sie gesund wären, hättest du kein verbranntes Brot gegessen“, antwortete der Arzt.



1. Der wundertätige Schelm

2. Die Antwort des Verrückten

3. Wenn die Frau zu lange kein Fleisch bekommt

4. Die sicherste Art, einen Dieb zu erwischen

5. Erkenntnis des Wesens der Schweine

6. Der Tischler, der ungestört arbeiten wollte

7. Der außerordentliche Fall

8. Gerechter Lohn für schöne Worte

9. Das alte Lied

10. Wie durch Umpflanzen Diebe entstehen

11. Der nützliche Vorschlag

12. Die gefährliche Bescheidenheit

13. Die Liste für alle Fälle

14. Der tödliche Rat

15. Der unbelehrbare König

16. Eine Lebenskunst

17. Der kostspielige Hofstaat

18. Der Anfang und das Ende

19. Der Dieb als Lehrer

20. Der schwierige Schuhkauf

21. Die heilsame Täuschung

22. Womit der Würdenträger nicht gerechnet hatte

23. Der schlagende Witz

24. Der strenge Lehrer im Brunnen

25. Wie aus einem Gerücht ein Beweis wird

26. Wie einer einen Gimpel fing

27. Ein Gelehrter kauft einen Esel

28. Eine doppelte Lehre

29. Der bezeichnende Gesichtsausdruck

30. Das unbedachte Lob

31. Die Geduldsprobe

32. Die teuer bezahlte Ruhe

33. Der gründliche Arzt

34. Die Gefahren eines hohen Ranges

35. Wenn zwei zu voreilig sind

36. Ein lahmer Schreiber kann keinen eiligen Brief schreiben

37. Der Unglücksmensch

38. Die Pille der Unsterblichkeit

39. Was keiner weiß

40. Belohnung eines schwierigen Talentes

41. Ein Geizhals begleicht eine Rechnung

42. Der schlagfertige Ketzer

43. Wenn zwei sich Beine und Augen ausleihen

44. Vom Nutzen der Gleichnisse

45. Vierzig brave Leute und ein Würfelspieler

46. Die Kunst, zur rechten Zeit verrückt zu sein

47. Wenn ein König danebenschießt

48. Der Mond über der großen Stadt

49. Ein Hühnerdieb rettet einen Brunnenbauer

50. Ein altes Hausmittel gegen Unbotmäßigkeit

51. Die Ochsenwette

52. Der wahrhaftige Schildbürger

53. Die gewitzte Gärtnerin

54. Der weltfremde Dieb

55. Der allzu bescheidene Dieb

56. Ein sonniges Plätzchen

57. Der leere Topf

58. Ohne Hoffnung ist kein Leben

59. Die Weisheit steht über der Wahrheit

60. Entstehung und Ende eines göttlichen Wesens

61. Die Folgen der Kühnheit

62. Das vollkommene Verbrechen

63. Der nicht zu fromme Pilgrim

64. Die umgekehrte Erinnerungshilfe

65. Ein Mittelwort



16. Eine Lebenskunst

Ein Mann verwendete die beste Zeit seines Lebens darauf, die Kunst des Drachentötens zu erlernen; und er hatte sein ganzes Vermögen dafür hingegeben.

Einen Drachen aber bekam er niemals zu Gesicht.

Also: Kunst und Leben treffen sich

mitunter nur gelegentlich

17. Der kostspielige Hofstaat

Ein König beklagte sich bei seinem Wesir darüber, dass zu wenig Geld in der Schatzkammer sei. „Ich glaube“, so sagte er, „die Beamten sind nicht ehrlich und nehmen zu viel für sich, sodass nur ein geringer Teil der Einnahmen in: die Schatzkammer gelangt.“

„Ich habe eine andere Erklärung“, entgegnete der Wesir. „Diese Erklärung kann ich jedoch nur in Anwesenheit des gesamten Hofes geben.“

Der König war damit einverstanden und ließ alle Hofleute rufen. Als der Hof vollständig versammelt war, bestieg der König seinen Thronsitz. Sogleich trat erwartungsvolle Stille ein. Jetzt kam auf einen Wink des Wesirs ein Mann in den Saal, in seinen Händen aber trug er einen riesengroßen Klumpen Butter. Und sobald er den Saal betreten hatte, übergab er den Klumpen an den ihm am nächsten stehenden Höfling, der ihn wiederum seinem Nachbarn reichte. So wanderte der Klumpen Butter von Hand zu Hand und wurde zusehends kleiner. Und als er endlich zum Wesir gelangt war, hatte er kaum noch die Größe einer Faust.

Der Wesir reichte dem König die kleine Butterkugel und sagte: „Wir alle konnten sehen, dass niemand auch nur die kleinste Menge Butter auf unehrliche Weise beiseite gebracht hat, und doch ist sie auf einen Bruchteil ihrer einstigen Menge zusammengeschmolzen. Dem kann man nicht beikommen, es liegt in der Natur der Sache.“

Der König wusste darauf nichts zu sagen und erkannte die Erklärung des Wesirs an. Doch da trat der Mann, der die Butter gebracht hatte, vor den König und sagte: „Es liegt nicht in der Natur der Sache, es liegt an den vielen Händen, durch die die Butter gegangen ist. Ebenso verhält es sich in allen anderen Dingen. Auch wenn die Beamten nicht unehrlich sind, so sind es doch zu viele, an deren Fingern etwas hängen bleibt.“

Also: Geht ein Ding von Hand zu Hand,

wird es bald nicht mehr erkannt

Oder: Was alle betasten,

lass besser im Kasten

Und: Viele Hände –

schnelles Ende

18. Der Anfang und das Ende

Ein Jäger hatte einen seltenen Vogel gefangen und ging in die Stadt, um ihn auf dem Markt zu verkaufen. Als er an dem Verkaufsstand des Krämers vorbeikam, sprang dessen Katze nach dem Vogel und fraß ihn auf. Der Hund des Jägers stürzte sich auf die Katze und biss sie tot. Da erschlug der Krämer den Hund, und der Jäger erschlug den Krämer.

Sobald die Verwandten und Freunde des Krämers davon erfahren, rotteten sie sich gegen den Jäger zusammen, der wiederum seine Verwandten und Freunde zu Hilfe rief. Und die Freunde wiederum riefen ihre Verwandten und Freunde zu Hilfe, bis sich schließlich alle wehrhaften Männer der Stadt in zwei feindlichen Haufen gegenüberstanden. Jetzt begann der Kampf, und der Tod hielt reichliche Ernte, sodass am Ende kaum einer am Leben blieb. Eben da fiel ein räuberisches Heer in die Stadt ein; und da es niemanden mehr gab, der es abwehren konnte, wurde die Stadt geplündert und gebrandschatzt, und keiner kennt heute ihren Namen mehr. Und das alles, weil die Katze den Vogel gefressen hatte.

Also: Zwietracht im Haus

lockt den Räuber zum Schmaus

Und: Jeder Streit

hat seine Zeit

19. Der Dieb als Lehrer

Ein Dieb wollte ein Ross stehlen, wurde aber dabei erwischt.

Der Besitzer sagte zu ihm: „Wenn du mir zeigst, wie man Pferde stiehlt, sollst du dieses Tier bekommen.“

Der Dieb sagte: „Das will ich dir zeigen“, schwang sich auf das Pferd und sprengte davon.

Der Besitzer rannte hinterher und rief: „Haltet ihn, haltet den Dieb!“

Der Dieb ließ den Mann näher herankommen, aber nicht zu nahe, und sagte: „Was schreist du so? Das Pferd gehört mir!“

„Nein, du hast es gestohlen!“

„Das gebe ich zu“, sagte der Dieb. „Wie könnte ich sonst behaupten, dass es mir gehört. Indem ich es stahl, habe ich dir gezeigt, was du sehen wolltest. Dafür hast du mir das Pferd zugesagt. Was beklagst du dich jetzt?“

Damit ritt der Dieb davon, der Besitzer des Pferdes aber blieb stehen und kratzte sich eine Weile hinterm Ohr.

Also: Wer dem Rossdieb vertraut,

hat auf Rossmist gebaut

20. Der schwierige Schuhkauf

In einem kleinen Dorf lebte ein Mann, der wollte sich neue Schuhe kaufen und nahm dafür zu Hause Maß. Danach machte er sich auf den Weg in die Stadt. Als er auf dem Markte angekommen war und nach dem Maßzettel suchte, musste er feststellen, dass er ihn verloren hatte.

Statt nun die Schuhe gleich am Fuß zu probieren, ging er wieder nach Hause. Der Nachbar, dem er sein Missgeschick klagte, lachte über den Unverstand des Mannes, der dem Maßzettel mehr als den Füßen vertraute.

Am nächsten Tage machte sich der Mann wieder auf den Weg zum Markt. Diesmal aber passte er die Schuhe am Fuß an, kaufte sie, nahm sie unter den Arm und ging zufrieden nach Hause. Dort probierte er die Schuhe noch einmal an und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sie ihm zu klein waren. Am nächsten Morgen probierte er sie ein weiteres Mal und erstaunte wieder, denn jetzt waren sie ihm zu groß. Ganz verstört lief er aus dem Haus und berichtete dem Nachbarn von der merkwürdigen Erscheinung.

„Nach dem langen Weg zum Markt“, erklärte ihm dieser, „waren deine Füße angeschwollen, und danach hast du die Schuhe gekauft. Auf dem Heimweg schwollen deine Füße noch mehr an, und die Schuhe erschienen dir, als du sie jetzt anprobiertest, zu klein. Heute Morgen aber, da du deine Füße noch nicht angestrengt hast, müssen dir die Schuhe natürlich ein wenig zu groß sein.“

„Und warum hast du mir das nicht gestern gesagt?“, fragte der Mann.

Also: Dem Dummkopf gib als zweiten Rat,

wie er den ersten zu gebrauchen hat

Und: Unverstand verkehrt zuweil

den besten Rat ins Gegenteil

21. Die heilsame Täuschung

Ein Mann, der viele Jahre in fremden Ländern zugebracht hatte, kehrte im Alter in seine Heimat zurück. Dort gesellte sich ein anderer Reisender zu ihm; und als sie mehrere Dörfer und Städte hinter sich gelassen hatten, wies der Reisegefährte auf eine Stadt und sagte: „Sieh, dies ist dein Geburtsort!“

Der Mann errötete, denn er erkannte ihn nicht wieder. Der andere wies auf eine Hütte: „In diesem Haus wurdest du geboren!“

Da schluchzte der Mann, denn die Hütte war verfallen und von allem Leben verlassen.

„Und hier“, sagte der andere, auf einen Grabhügel zeigend, „liegen deine Vorfahren begraben.“

Da weinte der Mann, denn er war zu spät gekommen, um seine Eltern noch einmal zu sehen.

Sein Reisegefährte aber begann laut zu lachen und rief: „Dies ist doch gar nicht dein Geburtsort! Wie konntest du dich nur so anführen lassen?“

Da war der Mann tief beschämt, und als er bald darauf den Ort seiner Geburt erreichte und das Haus und die Gräber seiner Ahnen erblickte, da gedachte er der Tränen, die er am unrechten Ort vergossen hatte. Und seine Trauer war nicht mehr rein und ungestört, und er konnte ihrer leicht Herr werden.

Also: Nach der Trauer aus Versehen

will die echte nicht mehr gehen



Geboren am 25.Mai 1927 in Blankenhain/Thüringen, Volksschule, drei Jahre Verwaltungslehre.

1945 Soldat im 2. Weltkrieg, bis 1947 in amerikanischer, französischer und belgischer Kriegsgefangenschaft.

1949 – 1951 Abitur an der ABF Jena, 1951 bis 1956 Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, 1963 Promotion (Dr. Phil.).

1956 - 1962 Dozent an der Humboldt-Universität, 1962 – 1964 Lektor, 1966 - 1968 Cheflektor Eulenspiegelverlag/ Das Neue Berlin.

Ab 1968 freiberuflicher Schriftsteller.

2008 in Berlin verstorben.

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