Reise in den August

Nach einer wahren Begebenheit frei erzählt

Gerade hatte Bärbel Moltor im Schwimmwettbewerb den 1. Platz belegt. Das bedeutete die Fahrkarte zu den Bezirksmeisterschaften. Das Mädchen träumte von weiteren Siegen, von der höchsten Stufe auf dem Siegertreppchen und reagierte enttäuscht, dass Mutter und Stiefvater aus dem Städtchen bei Magdeburg berufsbedingt nach Mecklenburg ziehen werden, aufs Dorf, natürlich ohne Schwimmhalle. Da freute sie sich über die Einladung der Eltern ihres verstorbenen Vaters, die Sommerferien bei ihnen in West-Berlin zu verbringen. Bärbel hoffte auf beste Trainingsmöglichkeiten dort und auf so manches Interessante. Doch ein bestimmter Tag im August... alles anzeigen expand_more

Gerade hatte Bärbel Moltor im Schwimmwettbewerb den 1. Platz belegt. Das bedeutete die Fahrkarte zu den Bezirksmeisterschaften. Das Mädchen träumte von weiteren Siegen, von der höchsten Stufe auf dem Siegertreppchen und reagierte enttäuscht, dass Mutter und Stiefvater aus dem Städtchen bei Magdeburg berufsbedingt nach Mecklenburg ziehen werden, aufs Dorf, natürlich ohne Schwimmhalle.

Da freute sie sich über die Einladung der Eltern ihres verstorbenen Vaters, die Sommerferien bei ihnen in West-Berlin zu verbringen. Bärbel hoffte auf beste Trainingsmöglichkeiten dort und auf so manches Interessante. Doch ein bestimmter Tag im August veränderte ihr Leben und ihr Verhältnis zu den Großeltern.



LESEPROBE:

Unvermutet sprach Thomas hastig auf Bärbel ein: „Pass auf! Alles noch mal! Siehst du da vorn? Das ist schon die Mauer."

Bärbel nickte. Ihre Lippen waren trocken, und in den Augen flackerte die Angst. Sie sah weiter vor sich Stacheldrahtgewirr.

Thomas sprach schon weiter: „Schnell jetzt! Gleich rechts um die Ecke steht die Ruine. Da flitzen wir rein. Ich helf dir auf das Fenster, aufs mittelste, hörst du!" Er zischte seine Worte Von da, vom Hochparterre, musst du springen. Weit! Sonst bleibst du hängen. Spring ganz weit!"

„Tom, du schreibst mir doch, ja?", Bärbels Stimme bebte und war heiser.

Klar!" Für Thomas war alles wie ein Abenteuer im Kino. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, ein tolles Ding zu drehen.

Sie liefen um die letzte Hausecke. Bärbel sah nicht nach rechts und nicht nach links. Da war die Ruine! Sie wussten nicht, dass von drüben schon zwei Feldstecher auf sie gerichtet waren.

Irgendwo, weiter weg, auf dieser Seite, rief jemand etwas mit tönender Stimme. Unter Bärbels Schuhen polterten Steine, knirschten Sand und Mörtel. Sie keuchte, fühlte Thomas' Hände im Rücken, die sie über den Geröllberg hinüberstießen. Sie presste mit der linken Hand die Tasche mit dem Mecky an sich und krallte die rechte ins bröckelnde Mauerwerk, um sich zu stützen.

Nach Atem ringend, standen sie endlich vor der mittleren Fensterhöhle. Mannshoch lag die Öffnung über Bärbels Kopf.

„Los!", fauchte er und fügte hinzu: „Mach's gut. Bist ein feiner Kerl!" Er hielt die Hände zu einer Muschel auf sein rechtes Knie, damit sie mit dem Fuß hineinsteige.

In diesem Augenblick fühlte sie keine Angst mehr. Sie sah ihm in die Augen und flüsterte: „Danke für alles - Tom!" Ihre Stimme war kläglich.



Unvermutet sprach Thomas hastig auf Bärbel ein: „Pass auf! Alles noch mal! Siehst du da vorn? Das ist schon die Mauer."

Bärbel nickte. Ihre Lippen waren trocken, und in den Augen flackerte die Angst. Sie sah weiter vor sich Stacheldrahtgewirr.

Thomas sprach schon weiter: „Schnell jetzt! Gleich rechts um die Ecke steht die Ruine. Da flitzen wir rein. Ich helf dir auf das Fenster, aufs mittelste, hörst du!" Er zischte seine Worte Von da, vom Hochparterre, musst du springen. Weit! Sonst bleibst du hängen. Spring ganz weit!"

„Tom, du schreibst mir doch, ja?", Bärbels Stimme bebte und war heiser.

Klar!" Für Thomas war alles wie ein Abenteuer im Kino. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, ein tolles Ding zu drehen.

Sie liefen um die letzte Hausecke. Bärbel sah nicht nach rechts und nicht nach links. Da war die Ruine! Sie wussten nicht, dass von drüben schon zwei Feldstecher auf sie gerichtet waren.

Irgendwo, weiter weg, auf dieser Seite, rief jemand etwas mit tönender Stimme. Unter Bärbels Schuhen polterten Steine, knirschten Sand und Mörtel. Sie keuchte, fühlte Thomas' Hände im Rücken, die sie über den Geröllberg hinüberstießen. Sie presste mit der linken Hand die Tasche mit dem Mecky an sich und krallte die rechte ins bröckelnde Mauerwerk, um sich zu stützen.

Nach Atem ringend, standen sie endlich vor der mittleren Fensterhöhle. Mannshoch lag die Öffnung über Bärbels Kopf.

„Los!", fauchte er und fügte hinzu: „Mach's gut. Bist ein feiner Kerl!" Er hielt die Hände zu einer Muschel auf sein rechtes Knie, damit sie mit dem Fuß hineinsteige.

In diesem Augenblick fühlte sie keine Angst mehr. Sie sah ihm in die Augen und flüsterte: „Danke für alles - Tom!" Ihre Stimme war kläglich.

Plötzlich, fast unbewusst, umarmten sich die beiden Kinder, wie es Erwachsene tun, wenn sie gute Freunde sind und Abschied nehmen, weil sie sich vielleicht nicht wieder sehen werden.

Dann stand Bärbel in der Fensteröffnung. Eine tiefe Stimme schrie befehlend: „Halt!"

Bärbel federte sich ab und sprang mit weit aufgerissenen Augen. Hinter ihr polterte Thomas davon.

Geschickt fing sie den Aufprall ihres Körpers in der Hocke ab. Bärbel blinzelte und richtete sich schwankend auf. Vor ihr stand ein Grenzsoldat in gesteppter Winteruniform. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Doch sie rührte sich nicht. Eine eigentümliche Freude lähmte sie. So einfach war alles?

„Hat man so was schon erlebt! Was soll das?", herrschte der Posten sie an. Ein Schritt zu knapp, und Bärbel wäre in einer eisernen Dornenhecke gelandet.

„Ich will..." Der Atem ging ihr aus.

„Weißt du nicht, dass es verboten ist..." Zusammengekniffene Augen funkelten sie an.

„Ich will..." Erstaunt blickte sie in das junge Gesicht und wollte alles erklären. Doch der Mann schnitt ihr das Wort ab: „Wie heißt du?"

„Bärbel Moltor."

„Dein Bruder hat dich vorgeschickt?"

„Ich habe keinen Bruder."

„Und wo ist der Junge, mit dem du gekommen bist?"



Brigitte Birnbaum

Geboren 1938 in Elbing/Westpr., 1945 Flucht über Berlin nach Mecklenburg, Abitur, Ausbildung als Apothekenhelferin, Studium am Institut für Literatur in Leipzig (Diplom), Antiquarbuchhändlerin.

Seit 1968 freischaffende Schriftstellerin in Schwerin. Seit 1969 Mitglied im Schriftstellerverband der DDR, seit 1974 Mitglied im Bezirksvorstand, seit 1978 Mitglied im Vorstand des DSV. Nach seiner Auflösung Mitglied des VS/IG Medien, 2001 ausgetreten.

Sie lebte von 1960 bis 2003 in Schwerin, seit 2003 in Hamburg, seit 2013 in Schwerin.

Auszeichnungen:

1977: Fritz-Reuter-Preis des Bezirkes Schwerin

1985: Kunstpreis der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft

Bibliographie:

Bert, der Einzelgänger, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1962

Reise in den August, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1967

Leute von Karvenbruch (Mitautorin am Szenarium), DFF 1968

Tigertod, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1969

Pawlucha, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1970

Nur ein Spaß, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1971

Der Hund mit dem Zeugnis, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1971

Wer ist Fräulein Papendiek?, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1972

Tintarolo. Ein Buch für Kinder über Käthe Kollwitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1975, Tallinn 1980, Berlin-West 1981

Winter ohne Vater, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1977

Ab morgen werd ich Künstler, Kinderbuch über Heinrich Zille, Berlin 1978, Tallinn 1987, Berlin-West 1986

Alexander in Zarskoje, Kinderbuch über Alexander Puschkin, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1980

Löwen an der Ufertreppe, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1981

Das Siebentagebuch, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1985

Kathusch, Jugendbuch über Käthe Kollwitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1986

Fragen Sie doch Melanie!, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1987

Von einem, der auszog, neue Eltern zu suchen, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1989

Der Maler aus der Ostbahnstraße, Jugendbuch über Hans und Lea Grundig, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1990

Das Schloss an der Nebel, Erzählung, Landesverlags- und Druckgesellschaft mbH Mecklenburg & Co. KG, Schwerin 1991

Spaziergänge durch Güstrow, Ein Stadtführer, Verlag Reinhard Thon, Schwerin 1992

Welche Stadt hat schon 7 Seen? in: Kleine Bettlektüre für liebenswürdige Schweriner, Scherz Verlag, Berlin/München/Wien 1993

Wider die kleinen Mörder, Kiro-Verlag, Schwedt 1994

Fontane in Mecklenburg, Demmler Verlag, Schwerin 1994

Ernst Barlach. Annäherungen, Demmler Verlag, Schwerin 1996

Noch lange kein Sommer, Verlag Reinhard Thon, Schwerin 1998

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