Das Mädchen aus dem Fahrstuhl

Das ist eine Liebesgeschichte, obwohl es anfangs gar nicht danach aussieht. Das ist die Geschichte von Frank, Frank Behrendt, und Regine, Regine Erdmann. Er hatte sie zum ersten Mal im Fahrstuhl gesehen. Morgens. Irgendwelchen Eindruck machte sie nicht auf ihn. Nie wieder hätte er sich an sie erinnert, hätte er nicht eine Stunde später mit ihr in einem Klassenzimmer gesessen. Sich als neue Mitschülerin vorzustellen war Regine allerdings schwergefallen. Die beiden jungen Leute sind sehr unterschiedlich, Frank ist der King der Klasse, Regine gerät von Anfang an in eine Außenseiterposition, trotzdem wird sie seine Freundin. Allerdings sah es wie gesagt... alles anzeigen expand_more

Das ist eine Liebesgeschichte, obwohl es anfangs gar nicht danach aussieht. Das ist die Geschichte von Frank, Frank Behrendt, und Regine, Regine Erdmann.

Er hatte sie zum ersten Mal im Fahrstuhl gesehen. Morgens. Irgendwelchen Eindruck machte sie nicht auf ihn. Nie wieder hätte er sich an sie erinnert, hätte er nicht eine Stunde später mit ihr in einem Klassenzimmer gesessen. Sich als neue Mitschülerin vorzustellen war Regine allerdings schwergefallen.

Die beiden jungen Leute sind sehr unterschiedlich, Frank ist der King der Klasse, Regine gerät von Anfang an in eine Außenseiterposition, trotzdem wird sie seine Freundin. Allerdings sah es wie gesagt anfangs wirklich nicht danach aus:

Schon deshalb, weil sie ein Mädchen war, nach dem sich kein Mensch umdrehte. Sie war unauffällig, unscheinbar, jedenfalls wenn man nicht genauer hinsah. Und wer sieht schon mit sechzehn genau hin? Wenn man sechzehn ist, sind Äußerlichkeiten wichtig. Klamotten und so was.

Die Geschichte zwischen Frank und Regine beginnt erst, als Frank während einer Lernkonferenz die Patenschaft über das Mädchen übernimmt – um ihren Schulwechsel überbrücken zu helfen. Während einer der ersten Nachhilfen in Chemie passiert es:

Plötzlich fing er an, Regine mit anderen Augen zu sehen. Er fand ihr Haar schön, und ihre Sommersprossen konnte er sich nicht aus ihrem Gesicht wegdenken und überhaupt. Regine entging dies nicht. Sie wurde verlegen. Glücklicherweise war die Colaflasche leer geworden, und er konnte in die Küche. Als er mit Nachschub wiederkam, hatte sich die Situation neutralisiert. Regine hatte ihre Fassung wiedergefunden und er auch. Sie sagte: „Mach dir nichts draus. Was glaubst du, wie viel und wie oft schon über mich gelacht worden ist. Irgendwie übersteht man das. Manchmal besser, manchmal schlechter.“

Nach und nach lernt Frank die schwierige familiäre Situation von Regine kennen und sie besser verstehen, beginnt sich zu ändern und kritische Fragen an die Gesellschaft und das DDR-Bildungssystem zu stellen, schreibt einen schnell wieder entfernten Wandzeitungsartikel und muss damit rechnen, nicht zur EOS zu dürfen. Und was ist mit seiner Liebe zu dem Mädchen aus dem Fahrstuhl? Wird Frank zu ihr halten oder einen bequemeren Weg wählen?

Der spannende Roman wurde 1990 in der Regie von Hermann Zschoche von der DEFA verfilmt und hatte am 10. Januar 1991 seine Kino-Premiere – zu spät für einen Paukenschlag. In den Hauptrollen spielten Barbara Sommer (Regine) und Rolf Lukoschek (Frank).



„Nimm den Ohrensessel. Das ist das Bequemste, was ich habe", sagte er zu Regine, als sie dann endlich in seinem Zimmer waren. Er ging in die Küche und kam mit zwei Flaschen wieder. „Rot oder weiß?"

„Was willst du?"

„Ich habe dich gefragt, du bist der Gast."

„Rot."

„Prima. Trinke ich auch am liebsten."

„Und wenn ich weiß gesagt hätte?"

„Haste ja nicht." Er öffnete die Flasche, füllte den Wein in die Gläser. Das alles hätte man schon eine Stunde früher haben können, dachte er dabei. Sie tranken Wein, er suchte Musik auf dem Rekorder, dann holte er aus dem Wohnzimmer Pfefferkuchen und Schokolade. Und dann war alles erst mal relativ einfach. Er kniete vor ihrem Sessel, nahm ihren Kopf in seine Hände und streichelte ihr Gesicht. Sie küssten sich, diesmal war ihr Mund weich und warm und schmeckte nach Schokolade.

„Wollen wir uns auf die Liege setzen?", fragte er, auch weil ihm langsam die Knie wehtaten. Sie kamen, ohne sich gegenseitig loszulassen, auf seine Liege. Er spürte keinen Widerstand, als er ihr die Bluse auszog. Er musste sich konzentrieren, was die verdammten Knöpfe betraf, denn wie sehr seine Hände zitterten, wollte er möglichst vor ihr verbergen. Sie trug nichts darunter, überhaupt nichts. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Anblick, der sich ihm bot, erinnerte ihn an Bilder, die er gesehen hatte. An alte Bilder, auf denen Frauen abgebildet waren, die hauchzarte, durchsichtige Gewänder trugen, die die üppigen runden Formen ihrer Brüste greifbar erscheinen ließen.

Regine hatte ein leichtes Lächeln im Gesicht. Das irritierte ihn. Wie oft hatte sie sich schon so ansehen lassen? Er legte sein Gesicht zwischen ihre Brüste und spürte zum ersten Mal das Gefühl der Eifersucht. Regine streichelte über seine Haare, sanft und beruhigend, und er bekam ein wenig von der Sicherheit zurück, die ihn den Tag über begleitet hatte.

„Ich möchte dich ganz sehen", flüsterte er und versuchte mit dem Reißverschluss ihrer Skihosen klarzukommen. Er bekam keine Hilfe.

„So schaffe ich es nicht."

„Dreh dich um", sagte Regine. Das verwunderte ihn, aber er wendete sich zur Wand. Erst als er bemerkte, dass Regine völlig reglos neben ihm lag, hatte er den Mut, sich ihr wieder zuzuwenden. Sie war schön. So wie ihre Brüste war ihr ganzer Körper. Sie hatte kaum noch etwas Mädchenhaftes. Regine war eine Frau. Seine Bewunderung und seine Schwäche waren nicht voneinander zu trennen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nur, dass er sich in seinem ganzen Leben noch nie in einer solch erbärmlichen Situation befunden hatte. Regine sah ihn an, streckte ihm ihre Arme entgegen. Aber er konnte sie weder küssen noch streicheln, er war vor Schreck bewegungsunfähig geworden. Beide waren sie dieser Situation nicht gewachsen.

Regine zog die Wolldecke, die auf der Liege lag, über sich. „Was hast du?"

Nun erwachte er aus seiner Erstarrung und begann, sie verzweifelt zu umarmen. Wenn er in diesem Augenblick geredet hätte, statt zu schweigen. Wenn er ihr gesagt hätte, dass er noch nie etwas so Wunderbares wie ihren Körper gesehen hatte und sich dadurch wie gelähmt fühlte ... Nur konnte er keinen Ton herausbringen, ja, er hatte damit zu tun, seine Tränen zurückzuhalten.

Heute ist er sicher, dass Regine ernsthaft der Ansicht gewesen war, er hätte sie nicht schön, nicht anziehend genug gefunden. Ganz bestimmt war sie nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass genau das Gegenteil der Fall gewesen war! Ihn allein traf die Schuld, dieses Missverständnis nicht aufgeklärt zu haben. Obwohl er sich wahnsinnig geschämt hatte, hätte er den Mut finden müssen, die Wahrheit zu sagen. Aber aus Unerfahrenheit hatte er damals als Tragödie empfunden, was nur die Folge eines großen und tiefen Gefühls für das Mädchen gewesen war. Regine hatte sich dann schweigend angezogen, und er hatte sie gewähren lassen. Er unternahm noch einen zaghaften Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen. Aber es war umsonst. Er erinnert sich an ihr trauriges Gesicht, als er sie an der Wohnungstür verabschiedete.



Gabriele Herzog

1948 in Leipzig geboren. Diplom-Theaterwissenschaftlerin, Dramaturgin am Landestheater Halle, von 1973 bis1990 Dramaturgin und Drehbuchautorin im DEFA-Studio für Spielfilme, von 1991 bis 2002 Dramaturgin, Producerin und Autorin bei privaten Filmproduktionen.

Freischaffend als Drehbuchautorin seit 2003

Drehbücher für Spielfilme, Fernsehfilme und Serien

Hörspiele

Erzählungen



Bücher:

"Keine Zeit für Beifall", Roman, Verlag Neues Leben, Berlin 1990

"Das Mädchen aus dem Fahrstuhl", Roman, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, Debütpreis des Verlages



Spielfilmdrehbücher (alle von der DEFA realisiert):

"Elefant im Krankenhaus" (Drehbuch nach ihrem Hörspiel), Regie: Karola Hattop

"Das Mädchen aus dem Fahrstuhl" (Drehbuch nach ihrem Roman), Regie: Herrmann Zschoche

"Herz des Piraten" (nach dem Kinderbuch von Benno Pludra), Regie: Jürgen Brauer



Drehbücher für Fernsehfilme und Serien:

"Bleib bei mir", ARD (nach dem Roman "Dritte Sonnenblume links" von Christine Vogeley)

"Unser Papa, das Genie", ARD

"Wie verliebt man seinen Vater", MDR (nach dem Kinderbuch "Les joues roses" von Malika Ferdjoukh )

"Erste Begegnung", ZDF

18 Folgen für die ARD Serie "Die Stein" (zum Teil gemeinsam mit Scarlett Kleint)

diverse Serienfolgen für ARD, ZDF und SAT1 ( u.a. für "Notruf Hafenkante" (mit Scarlett Kleint), "In aller Freundschaft", "Für alle Fälle Stefanie")



Hörspiele (Auswahl), alle für Deutschlandradio Berlin

"Hundediebe"

"Mir geht es gut"

"Die vertauschte Tante"

"ANDI"

"Meine beste Freundin"

"Elefant im Krankenhaus"

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