Wasseramsel

Die Geschichte von Ulla und Winfried

Wasseramsel — das ist nicht nur der Name des seltenen Vogels, den Winfried und Ulla entdecken, der unter Wasser laufen kann und angeblich die Fischbrut aus dem Forellenteich frisst. Winfried nennt auch Ulla so, seit er sie zum ersten Mal sah, als sie im angestauten Waldbach badete. Zwischen beiden entsteht eine große Liebe, obwohl Winfried bisher nur Freude an schnellen Motorrädern fand und seine Mutter ihn noch zu jung für „Mädchengeschichten“ hält. Und dann hängt Ullas Bild auf der Ausstellung zum Heimatfest, es zeigt das schöne Tulbachtal im Landschaftsschutzgebiet, bevor dort Winfrieds Vater ein Haus baute und einen... alles anzeigen expand_more

Wasseramsel — das ist nicht nur der Name des seltenen Vogels, den Winfried und Ulla entdecken, der unter Wasser laufen kann und angeblich die Fischbrut aus dem Forellenteich frisst. Winfried nennt auch Ulla so, seit er sie zum ersten Mal sah, als sie im angestauten Waldbach badete. Zwischen beiden entsteht eine große Liebe, obwohl Winfried bisher nur Freude an schnellen Motorrädern fand und seine Mutter ihn noch zu jung für „Mädchengeschichten“ hält. Und dann hängt Ullas Bild auf der Ausstellung zum Heimatfest, es zeigt das schöne Tulbachtal im Landschaftsschutzgebiet, bevor dort Winfrieds Vater ein Haus baute und einen Forellenteich anlegte. Eines Tages ist Winfried fort, das Haus seiner Eltern verwaist, kein Zeichen, kein Brief gibt Ulla Nachricht.

LESEPROBE:

»Hallo«, sagt der Junge, und das Mädchen erschrickt. Der Pinsel bleibt zu lange auf dem eingefeuchteten Papier, und die grüne Farbe läuft dick aus.

»Das ist gemein«, sagt sie und möchte das Bild bedecken. Aber das ist nicht möglich. Er sieht ihr über die Schulter und auf das Blatt auf den Bohlen der Brücke.

»Gut«, sagt der Junge, »nur, es stimmt nicht! Warum lässt du das Haus weg und unseren Teich?«

Das Mädchen legt den Pinsel in den Wassernapf und steht auf. »Nun ist es verdorben!« Sie ärgert sich, dass sie nicht gemerkt hat, wie der Junge über die Brücke gekommen ist. Er sollte sie sehen, aber überraschen sollte er sie nicht. Die Laufschuhe an seinen nackten, glatten Beinen sind nass und haben Sohlen aus Gummi. Er muss weiter unten über den Bach gegangen sein.

»Ehrlich«, sagt er, »finde ich gut, dein Bild! Könnte ich nie! Warum machst du das?«

»Weil’s mir Spaß macht!«

»Komisch«, er blickt zum Haus hinüber, »gestern hat so ein Typ unsere Hütte und den Teich fotografiert. Heute malst du ein Bild hier. Und den Teich lässt du weg und das Haus auch. Verstehe ich nicht!«

»Ohne Haus ist es schöner!«

»Genau das hat der auch gesagt!«

»Und du?«, fragt Ulla.

»Was und du?« Der Junge kneift die Augen zusammen. Die Sonne steht hinter dem Mädchen. Ihre Haare sind kraus an der Stirn und auch über den Ohren. Sie schimmern rötlich und sind doch dunkel. Sie hat einen schönen Hals, denkt der Junge. Da pulsiert eine kleine Ader. Die Haut darüber ist goldbraun und zart.

»Du musst es ja schön finden«, sagt sie, »ist ja euer Haus!«

Er hebt die Schultern und zieht eine Falte über die Nasenwurzel. »Du hast Fragen! Nie darüber nachgedacht! Was soll das?«



»Hallo«, sagt der Junge, und das Mädchen erschrickt. Der Pinsel bleibt zu lange auf dem eingefeuchteten Papier, und die grüne Farbe läuft dick aus.

»Das ist gemein«, sagt sie und möchte das Bild bedecken. Aber das ist nicht möglich. Er sieht ihr über die Schulter und auf das Blatt auf den Bohlen der Brücke.

»Gut«, sagt der Junge, »nur, es stimmt nicht! Warum lässt du das Haus weg und unseren Teich?«

Das Mädchen legt den Pinsel in den Wassernapf und steht auf. »Nun ist es verdorben!« Sie ärgert sich, dass sie nicht gemerkt hat, wie der Junge über die Brücke gekommen ist. Er sollte sie sehen, aber überraschen sollte er sie nicht. Die Laufschuhe an seinen nackten, glatten Beinen sind nass und haben Sohlen aus Gummi. Er muss weiter unten über den Bach gegangen sein.

»Ehrlich«, sagt er, »finde ich gut, dein Bild! Könnte ich nie! Warum machst du das?«

»Weil’s mir Spaß macht!«

»Komisch«, er blickt zum Haus hinüber, »gestern hat so ein Typ unsere Hütte und den Teich fotografiert. Heute malst du ein Bild hier. Und den Teich lässt du weg und das Haus auch. Verstehe ich nicht!«

»Ohne Haus ist es schöner!«

»Genau das hat der auch gesagt!«

»Und du?«, fragt Ulla.

»Was und du?« Der Junge kneift die Augen zusammen. Die Sonne steht hinter dem Mädchen. Ihre Haare sind kraus an der Stirn und auch über den Ohren. Sie schimmern rötlich und sind doch dunkel. Sie hat einen schönen Hals, denkt der Junge. Da pulsiert eine kleine Ader. Die Haut darüber ist goldbraun und zart.

»Du musst es ja schön finden«, sagt sie, »ist ja euer Haus!«

Er hebt die Schultern und zieht eine Falte über die Nasenwurzel. »Du hast Fragen! Nie darüber nachgedacht! Was soll das?«

»Ach, nur so!« Sie kauert sich wieder auf die Bohlen. »Das kriege ich nie weg. Das Bild ist hin. Nur weil du mich erschreckt hast!«

»Das wollte ich nicht!« Er beugt sich über das Blatt. »Mach doch Gebüsch draus, Erlen, wie sie da weiter oben stehen, bisschen dunkler!«

Sie nimmt den Pinsel wieder aus der Schale. Ihre Augen sind nicht mehr so unfreundlich. »Na, vielleicht«, sagt sie.

Das feuchte Blatt mit Farben liegt zwischen ihnen, und der Junge wundert sich, wie das Mädchen mit diesen einfachen Farben aus dem Schultuschkasten die Landschaft auf das Papier bringt. Die Bäume, der Bach und die Steine darin sind nur in Umrissen angedeutet. Alles schwimmt farbig ineinander, bis zum Wald, der in die Ferne hinein heller und blauer wird, bis zum Himmel darüber mit seinem Licht und zwei Wolken, die nichts anderes sind als das weiße Papier, ohne Farbe.

»Wie du das kannst!«

»Ach, das ist nichts!« Sie wirft die Haare nach hinten. »Das kann jeder!«

»Vielleicht«, sagt der Junge zögernd, »vielleicht ist dein Bild ohne unser Haus schöner.«

Das Mädchen mischt sich ein dunkleres Grün, gibt einen kleinen Tupfer Blau dazu, wäscht den Pinsel aus, reibt ihn an einem kleinen weißen Lappen trocken und tupft ihn in die Farbe. Drei Striche geben dem ausgelaufenen Fleck einen Halt. Wieder wäscht sie den Pinsel aus. Er fährt nur mit Wasser über die Stelle. Aus dem Fleck wird ein Erlengebüsch. »Meinst du«, fragt sie. »Dann müsste aber das Tal ohne euer Haus auch schöner sein! Oder?«

Die kennen sich doch, denkt der Junge. »Du, der Typ, der gestern hier fotografiert hat, der war an unserer Stelle, da unten!«

Wieso unsere? denkt das Mädchen einen Augenblick. »Weiß ich«, sagt sie. »Er hat die jungen Wasseramseln beringt!«



Geboren 1936 in Herzberg am Harz, ist ein deutscher Autor und Fotograf

Aus seinem Geburtsort zog seine Mutter mit ihm in ein winziges Holzhaus am Rande der Lüneburger Heide, als er 13 Jahre alt war. Mit 16 Jahren wurde er Waise. In Mainz war er mehrere Jahre Volontär einer naturwissenschaftlichen Jugendzeitschrift. Als die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland akut wurde, übersiedelte er 1955 in die DDR. Er war in Schwerin etliche Jahre als freier Bildreporter tätig. Auch wurde er für acht Jahre Betonfacharbeiter und nutzte seine Freizeit, um Material für seine ersten Bücher zu erarbeiten. Ab 1967 freiberuflich als Autor und Fotograf tätig. Er wohnte zwei Dutzend Jahre in einem 17–Seelen-Dorf zwischen Wismar und Schwerin in der Naturlandschaft Mecklenburgs am Dambecker See. Heute lebt Wolf Spillner in Ludwigslust.

Spillner arbeitete zunächst als Journalist. Später betrieb er ornithologische Studien und galt als einer der profiliertesten Naturfotografen der DDR. Dabei widmete er sich insbesondere der Beobachtung des Sozialverhaltens koloniebrütender Vögel. Beeinflusst von Werner Lindemann wurde er Mitte der 1970er Jahre zum Autor von Kinder- und Jugendbüchern, von denen einige auch verfilmt wurden. Sein bekanntestes Buch Taube Klara wurde in 8 Sprachen übersetzt und 1991 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Seit einigen Jahren hat er sich der digitalen Fotografie zugewandt, sowie per Fahrrad und Kajak Nordamerika, Nordskandinavien, Neuseeland und Jakutien bereist.

weniger anzeigen expand_less
Weiterführende Links zu "Wasseramsel"

Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)

Als Sofort-Download verfügbar

eBook
7,99 €

  • SW9783956553523.1

Ein Blick ins Buch

Book2Look-Leseprobe

Andere kauften auch

Andere sahen sich auch an

info