Facebook Revolutions? Social Media und der politische Wandel in Ägypten

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo geschieht im Januar 2011 etwas, mit dem die Welt nicht gerechnet hatte: Nach 30 Jahren der Diktatur unter Husni Mubarak steht das ägyptische Volk auf und fordert seine Rechte ein. Was kurz zuvor in Tunesien geschah, steht nun auch dem Regime am Nil bevor, viele weitere arabische Staaten werden ihrem Beispiel folgen. Ausgerüstet mit Facebookprofil und Twitteraccount können sich die Akteure nicht nur untereinander vernetzen, sondern erreichen so auch den Rest der Welt, da reguläre Nachrichtenkanäle und Kommunikationsmöglichkeiten von Zensur geprägt und nur schwer zugänglich sind. Doch reicht das schon aus, um von... alles anzeigen expand_more

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo geschieht im Januar 2011 etwas, mit dem die Welt nicht gerechnet hatte: Nach 30 Jahren der Diktatur unter Husni Mubarak steht das ägyptische Volk auf und fordert seine Rechte ein. Was kurz zuvor in Tunesien geschah, steht nun auch dem Regime am Nil bevor, viele weitere arabische Staaten werden ihrem Beispiel folgen.

Ausgerüstet mit Facebookprofil und Twitteraccount können sich die Akteure nicht nur untereinander vernetzen, sondern erreichen so auch den Rest der Welt, da reguläre Nachrichtenkanäle und Kommunikationsmöglichkeiten von Zensur geprägt und nur schwer zugänglich sind. Doch reicht das schon aus, um von einer Facebook Revolution zu sprechen?

Das Ziel dieser Arbeit ist es, anhand des Beispiels Ägypten zu untersuchen, welche Rolle soziale Medien und neue Kommunikationsformen bei den Umbrüchen in der arabischen Welt spielen.



Auf dem Tahrir-Platz in Kairo geschieht im Januar 2011 etwas, mit dem die Welt nicht gerechnet hatte: Nach 30 Jahren der Diktatur unter Husni Mubarak steht das ägyptische Volk auf und fordert seine Rechte ein. Was kurz zuvor in Tunesien geschah, steht nun auch dem Regime am Nil bevor, viele weitere arabische Staaten werden ihrem Beispiel folgen....



Textprobe:

Kapitel 2.2, Soziale Medien als Werkzeug der Bewegung:

‘Most of the time, authority belongs to the owners of information (…)’.

Autorität gehört dem, der Informationen besitzt, schreibt Wael Ghonim. Staatlich kontrollierte Medien sorgen dafür, dass der Staat entscheidet, welche Informationen er weitergibt, und welche besser nicht. Doch die sich immer weiter entwickelnde Technik und die damit verändernde Medienlandschaft macht es dem Staat zunehmend schwerer, das Monopol auf Informationen aufrecht zu erhalten. Soziale Medien ermöglichen jedem mit den technischen Mindestvoraussetzungen, sich am Dialog zu beteiligen und Informationen zu konsumieren, weiterzugeben und selbst zu schaffen. Soziale Plattformen, in Fall von Wael Ghonim vor allem Facebook, diente in diesem Zusammenhang als Infrastruktur, um Ereignisse zu mobilisieren und damit eine große Masse zu erreichen.

Einige ägyptische Aktivisten nutzten soziale Medien nicht nur, um Informationen einer breiten Maße zur Verfügung zu stellen und Proteste zu organisieren. Als Raum, der Möglichkeit des freien Ausdrucks bietet in einer Gesellschaft, die stark von Zensur geprägt ist, waren das Austauschen von Meinungen und der Dialog mit Anderen für viele der Anstoß, sich an den Protesten zu beteiligen. Die Orte, die während der Umbrüche am meisten Aufmerksamkeit erfahren haben, wie die Facebookseite ‘Wir alle sind Khaled Said’ und die 6. April Bewegung, dienten nicht nur als Treffpunkt, um Teilnehmer zu mobilisieren. Darüber hinaus wurden sie auch zur Plattform für Meinungsausdrücke in Form von geposteten Fotos, SMS, Tweets und Videos , die Interaktion der Mitglieder war so viel höher als bei einem Portal, das lediglich neue Termine zu Protesten bekannt gibt und keinen Dialog zulässt.

Was den vorhergehenden Protesten und Bewegungen fehlte, war unter anderem eine Möglichkeit, in kurzer Zeit eine große Anzahl an Menschen zu erreichen um Aktionen und Demonstrationen organisieren und planen zu können. Das bekannteste Beispiel dafür, wie soziale Medien diese Lücke schließen können, ist wohl die Facebookseite ‘Wir alle sind Khaled Said’, die der Google Mitarbeiter Wael Ghonim geschaffen hatte, um den Menschen eine Plattform zu bieten, den Tod des jungen Ägypters Khaled Said zu betrauern und an ihn zu erinnern. Der junge Mann starb am 06. Juni 2011 nach einem gewaltsamen Übergriff zweier Polizisten in der Nähe von Alexandria, die in auf offener Straße so schwer misshandelten, dass er kurze Zeit später seinen Verletzungen erlegen ist. Die offizielle Erklärung für den Tod des 28-jährigen war das Ersticken an einem Päckchen Marihuana, das er durch Herunterschlucken vor der Polizei verstecken wollte. Bereits am ersten Tag traten 36,000 Menschen der Seite bei , die Geschichte von Said und die Fotos seiner Familie, die den schwer verletzten Said nach seinen Misshandlungen zeigen, zogen die Aufmerksamkeit vieler Ägypter auf sich und wurden vor allem im Netz schnell verbreitet. Ghonim hatte den Plan, mit seiner Facebookseite die Menschen zu mobilisieren und seinen Protest zu unterstützen:

‘The first phase was to convince people to join the page and read its posts. The second was to convince them to start interacting with the content by ‘liking’ and ‘commenting’ on it. The third was to get them to participate in the page’s online campaigns and to contribute to its content themselves. The fourth and final phase would occur when people decided to take the activism onto the street. This was my ultimate aspiration’.

Ghonims erklärtes Ziel war es, die Menschen in den Dialog mit einzubinden, indem er ihnen auf der Facebookseite Raum für Kommentare, Fotos und Ideen gab, in einer Umgebung, die anonymer und damit für viele sicherer war, als es die Straßen von Kairo waren.

Der Administrator der Facebookseite hielt seine Mitglieder dazu an, den Fall Khaled Said in Talkshows und Zeitungen öffentlich zu machen, Zeitungen der Opposition fingen an, von dem Vorfall zu berichten. Am 15. Juni wurde die Nachricht bekannt, eine zweite Autopsie solle an Said durchgeführt werden, um die Todesumstände zu erklären (die erste Autopsie blieb ohne Ergebnis), was von Ghonim und seinen Anhängern als Erfolg gesehen wird. Zur selben Zeit werden auch die ersten offline Aktivitäten auf der Seite geplant und organisiert: ein ‘Silent Standing’ Protest in Alexandria und Kairo. Die Polizei war vor Ort und hatte Straßen und Plätze abgesperrt, denn auch die Regierung hatte durch die sozialen Medien von der Aktion erfahren. Jede Gruppe von mehr als 3 Leuten wurde von der Polizei sofort auseinandergebracht Reuters berichtet anschließend von 8000 Teilnehmern in Kairo und Alexandria (Ghonim geht von weniger aus), viele schicken Fotos und Videos von ihren Smartphones direkt auf die sozialen Plattformen.

Bis jetzt habe ich Soziale Medien als Werkzeug zur Mobilisierung und als Raum um Meinungen auszudrücken und zu beeinflussen betrachtet, um so ihre Bedeutung für Ägypten vor und während der Proteste näher betrachten und analysieren zu können. Ein wesentlicher weiterer Faktor darf darüber hinaus aber nicht vergessen werden und muss auch erwähnt werden: das Satellitenfernsehen, im Speziellen der arabische Nachrichtensender Al Jazeera, der diese beiden Aspekte miteinander verbindet und so einen relevanten Einfluss genommen hat (und nimmt) auf die Ereignisse in Ägypten und der arabischen Welt.

‘When the Al-Jazeera office in Cairo was attacked, when its reporters were arrested and abused and press cards revoked, and the reporting on the ground made immensely difficult, it had to rely on Facebook, YouTube and local bloggers. And Al-Jazeera could not have aired the Tunisian revolution without taking interactive Internet sources seriously, which added tremendously to reaching the tipping point’.

Beide Medienformen zusammen, soziale Plattformen und Satellitenfernsehen, waren in der Lage, nicht nur die Aktivisten bei Organisation und Durchführung der Proteste zu unterstützen, sondern darüber hinaus eine breite, auch internationale Öffentlichkeit über die Lage aufzuklären, und das sehr zeitnah oder sogar in Echtzeit. Eine Aktivistin berichtet so in einem Interview, Teilnehmer einer Sitzblockade auf dem Tahrir-Platz waren in der Lage, über Twitter Nachrichten zu schreiben, die internationale Sender aufgriffen und so mit ihnen in Kontakt standen und die Informationen zur aktuellen Lage veröffentlichen konnten, auch als Reporter keinen Zugang zum Feld hatten. Foto- und Videomaterial von der tatsächlichen Lage vor Ort fand so ihren Weg zu BBC oder Al-Jazeera, wo es einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde. Ein Aktivist erzählt:

‘We built up a media camp at Tahrir Square. It was two tents, and we were around five or six technical friends with their laptops, memory-readers, hard disks. (…) And we hung a sign (…) on the tent saying: ‘Focal point to gather videos and pictures from people from the street. ‘(…) In the first few hours, I gathered 75 GB of pictures and videos from people in the streets’.

Auch wenn natürlich die Frage nach Glaubwürdigkeit und Professionalität bei Material privater Natur unwillkürlich aufkommt und seine Berechtigung hat, so muss doch auf jeden Fall gesagt werden, dass der Citizen Journalism es den Menschen, besonders in Gebieten mit zensierten und mehrheitlich staatlichen Medien, ermöglicht, schnell die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums auf sich zu ziehen. So kann sich letztlich die Möglichkeit ergeben, auf Missstände und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und so Hilfe und Unterstützung zu bekommen.

Eine Besonderheit muss noch erwähnt werden, was die Verwendung von Twitter angeht. Zusätzlich zu den Statistiken , die zeigen, wie vergleichsweise gering der Anteil an Twitternutzern in Ägypten ohnehin ist, muss noch beachtet werden, das Twitter, im Gegensatz zu Facebook und anderen Plattformen nicht oder nur eingeschränkt auf Arabisch bedient werden kann.

Der Hashtag # mit dem bei Twitter Schlüsselwörter gesucht und verwendet werden können, findet sich auf einer rein arabischen Tastatur nicht zwingend, und auch die wichtigsten Trendbegriffe während der Revolution, #25Jan oder #Tahrir waren meist englischsprachigen Tweets zugeordnet. Daraus lässt sich schließen, dass Twitter vermehrt eingesetzt wurde, um das internationale Publikum zu informieren, und nicht, wie Facebook, um ägyptische Aktivisten zu erreichen und zu mobilisieren.



Katrin Hillenbrand wurde 1985 in Heidelberg geboren. Sie hat vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft in Marburg und Guadalajara/Mexiko studiert und schloss dieses Studium 2013 mit dem Schwerpunkt Kultur- und Sozialanthropologie erfolgreich ab. Nach einigen Auslandsaufenthalten in Lateinamerika, Asien und der arabischen Welt hat sie sich dazu entschlossen, ihre Abschlussarbeit Ägypten und dem arabischen Frühling zu widmen. Die Autorin lebt zurzeit in Frankfurt am Main.

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  • Autor find_in_page Katrin Hillenbrand
  • Autoreninformationen Katrin Hillenbrand wurde 1985 in Heidelberg geboren. Sie hat… open_in_new Mehr erfahren
  • Wasserzeichen ja
  • Verlag find_in_page Bachelor + Master Publishing
  • Seitenzahl 41
  • Veröffentlichung 01.07.2013
  • ISBN 9783955498290

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