Bezugswissenschaften

Journal für politische Bildung 1/2020

Gegenwärtig richten sich an die politische Bildung hohe Erwartungen. Angesichts eines zunehmenden Rechtspopulismus, einer verbreitenden Skepsis gegenüber der Demokratie, vielfachen unversöhnlichen gesellschaftlichen Debatten, der wachsenden Komplexität globaler Entwicklungen, aber auch des beeindruckenden Engagements junger Menschen für die Bewältigung von Zukunftsfragen, wird ein erhöhter Bedarf an politischer Bildung festgestellt. Im Kontext dieser facettenreichen Debatten hat sich die Redaktion des Journal entschlossen, im Schwerpunkt dieser Ausgabe der Frage nachzugehen, welche Anregungen, Ideen, Erwartungen und Anforderungen mögliche... alles anzeigen expand_more

Gegenwärtig richten sich an die politische Bildung hohe Erwartungen. Angesichts eines zunehmenden Rechtspopulismus, einer verbreitenden Skepsis gegenüber der Demokratie, vielfachen unversöhnlichen gesellschaftlichen Debatten, der wachsenden Komplexität globaler Entwicklungen, aber auch des beeindruckenden Engagements junger Menschen für die Bewältigung von Zukunftsfragen, wird ein erhöhter Bedarf an politischer Bildung festgestellt. Im Kontext dieser facettenreichen Debatten hat sich die Redaktion des Journal entschlossen, im Schwerpunkt dieser Ausgabe der Frage nachzugehen, welche Anregungen, Ideen, Erwartungen und Anforderungen mögliche Bezugswissenschaften für Konzepte und Praxis politischer Bildung haben bzw. auf welche Erkenntnisse von Bezugswissenschaften sie sich beziehen kann. Welche Orientierungen bieten verschiedene wissenschaftliche Disziplinen der politischen Bildung? Welche Prioritäten soll die politische Bildung aus dieser Perspektive setzen?

Die Hauptbeiträge dieser Ausgabe fokussieren auf der Grundlage von Debatten und Erkenntnisse verschiedener Disziplinen Impulse für Konzepte und Praxis politischer Bildung. Der Blick von außen soll eine Reflexion aktueller Konzepte und eine Weiterentwicklung oder Vertiefung der Ansätze politischer Bildung ermöglichen und den oftmals vorherrschenden selbstreflexiven Diskurs um politische Bildung überwinden bzw. ergänzen. Der Redaktion ist bewusst, dass nur ein Teil möglicher Bezugswissenschaften in dieser Ausgabe des Journal zu Wort kommen kann. Wortmeldungen aus Ökonomie, Technologieentwicklung oder verschiedenen Naturwissenschaften müssen auf andere Ausgaben verschoben werden.

Die politische Bildung ist auf soziologisch informierte Analysen der Gesellschaft angewiesen. Gleichzeitig ist eine sozio­logische Grundbildung durch die Beschäftigung mit unterschiedlichen Ansätzen eine Einführung in eine für die politische Bildung konstitutive Multiperspektivität. Die Migrationsforschung zeigt Demokratiedefizite des gegebenen Systems auf, indem sie die Spannung zwischen Bürgerrechten, die immer noch weitgehend an die Zugehörigkeit zu einer Nation gebunden sind, und den allgemeinen Menschenrechten verdeutlicht. Die Psychoanalyse nimmt die emotionalen Grundlagen der Bildung des Subjekts in den Blick und zeigt, dass Mündigkeit nicht als erreichter Zustand, sondern als fortwährender Prozess begriffen werden muss. Sie macht bewusst, dass Wahrnehmungsweisen und Affekte die Menschen bis ins Unbewusste motivieren. Die Konfliktsoziologie arbeitet die Integrationsleistungen ziviler Konfliktanstrengungen heraus und hebt hervor, dass politische Bildung durch Vermittlung von Kompetenzen einer konstruktiven Bewältigung von Konflikten integrative Prozesse fördern kann. Am Beispiel der Debatten um Akzeptanz und Demokratiedefizit der Europäischen Union wird herausgearbeitet, welche Herausforderungen an politische Bildung die Beschäftigung mit multinationalen Organisationen mit sich bringt. Kann sie einen Beitrag zur Arbeit an einer transnationalen Identität leisten? Aus theologischer Sicht ist die Frage nach der Bedeutung des "Christlichen Menschenbilds" bzw. des Menschenbilds in den Parteiprogrammen der sogenannten Volksparteien ein Beitrag zur Debatte um Grundwerte in der politischen Bildung. Die Geschichtswissenschaft schließlich regt dazu an, die Diskurse der politischen Bildung und die jeweils vorherrschenden Deutungsmuster historisch einzuordnen und zu reflektieren, um die eigene Eingebundenheit und die Beziehungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu verdeutlichen.



Hermann-Josef Große Kracht,

apl. Prof. Dr. phil., theol. habil, M.A., ist Sozialwissenschaftler und katholischer Theologe. Er arbeitet als Akademischer Oberrat am Institut für Theologie und Sozialethik der TU Darmstadt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Religion und Politik, Gerechtigkeits- und Solidaritätstheorien sowie Geschichte und Gegenwart der katholischen Sozialtradition.



Dr. Jörg Hüttermann

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung/IKG der Universität Bielefeld. Dort akquiriert und leitet er Drittmittel-finanzierte konfliktsoziologische Projekte. Seine ethnographisch ansetzenden Forschungen und Publikationen fokussieren auf Konflikte in urbanen Räumen westlicher Einwanderungsgesellschaften.



Lamya Kaddor

bildete islamische Religionslehrer an der Universität Münster aus und lehrte an den Universitäten Bielefeld und Duisburg-Essen, der Hochschule Wuppertal und der FH Münster. Sie war Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes e.V. und gehört zum Initiativkreis des Muslimischen Forums Deutschland. Für ihre Publikationen und Debattenbeiträge wurden der prominenten Figur des liberalen Islam in Deutschland zahlreiche Preise verliehen.



Prof. Dr. Reiner Keller

ist Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Universität Augsburg. Seine Arbeitsgebiete sind insbesondere Wissens- und Kultursoziologie und die Soziologie gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Von 2015-2019 war er Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS).



Prof. Dr. Paul Mecheril

ist Hochschullehrer an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld.



PD Dr. Stefan Müller

ist Soziologe und Privatdozent für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Arbeitsgebiete sind sozialwissenschaftliche Grundlagen Politischer Bildung, reflexive Lehrer/-innenbildung und Antisemitismusprävention.



Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet

studierte am Institut d'Etudes Politiques in Grenoble/Frankreich, promovierte und habilitierte am Geschwister-Scholl-Institut der LMU München. Sie ist Professorin für Europaforschung und Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg.



Prof. Dr. Gunzelin Schmid Noerr

war bis 2015 Professor für Sozialphilosophie, Ethik und Anthropologie an der Hochschule Niederrhein.



Phillip Wagner

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und arbeitet über die Demokratie- und Bildungsgeschichte Deutschlands und Europas im 20. Jahrhundert.



Gunzelin Schmid Noerr:

Politische Bildung in psychoanalytischer Pespektive



SchwerPunkt - Bezugswissenschaften der politischen Bildung



Stefan Müller, Reiner Keller:

Politische Bildung mit soziologischem Blick

Gesellschaft verstehen und gestalten



Phillip Wagner:

Deutungsmuster reflektieren

Geschichtswissenschaft trifft politische Bildung



Paul Mecheril:

Demokratiedefizit als Gegenstand politischer Bildung

Beiträge rassismuskritischer Migrationsforschung



Jörg Hüttermann:

Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft

Ein konfliktsoziologischer Blick auf einige Themenfelder der politischen Bildung



Hermann-Josef Große Kracht:

Nicht nur "Christliches Menschenbild"

Die Theologien und die Grundwerte der politischen Bildung



ZeitZeugen

Identität und Feindbild

Gespräch mit Lamya Kaddor



BildungsPraxis

Jette Stockhausen, Alexander Wohnig:

Genbanken für Bananen und madagassisches Immergrün – Das Tropengewächshaus als außerschulischer Lernort /

Bauhaus und Quartier der Moderne – Ansätze zur ästhetischen, kulturellen und politischen Bildung



VorGänge



LeseZeichen

Gelebte demokratische Praxis / Naturschutz – Tierschutz – Heimatschutz /

Zwischen Unterwerfung und Ermächtigung / Parteienwelt in Bewegung



ÜberGrenzen

Gisela Müller-Brandeck-Boquet:

In Zeiten neuer Weltordnung

Warum die EU politisch gebildete Bürger/-innen braucht



AusBlick

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