Einmal München - Antalya, bitte

Von der Kunst, langsam zu reisen

Nach dem abrupten Ende seiner beruflichen Karriere im Frühsommer 2014 beschließt Thomas Käsbohrer, nach Antalya zu reisen. Doch statt den dreistündigen Flug zu wählen, entscheidet er sich für die langsame Route. Er fährt mit dem Bus von München ins slowenische Izola und besteigt dort sein kleines Segelboot LEVJE. Und segelt fünf Monate von Slowenien über Italien und Griechenland ins südtürkische Antalya. EINMAL MÜNCHEN – ANTALYA, BITTE beschreibt die Reise mit einem kleinen Boot entlang der Küsten des Mittelmeeres. Mit Geschichten vom und über das Meer. Und über die Menschen, die dort leben.... alles anzeigen expand_more

Nach dem abrupten Ende seiner beruflichen Karriere im Frühsommer 2014 beschließt Thomas Käsbohrer, nach Antalya zu reisen. Doch statt den dreistündigen Flug zu wählen, entscheidet er sich für die langsame Route. Er fährt mit dem Bus von München ins slowenische Izola und besteigt dort sein kleines Segelboot LEVJE. Und segelt fünf Monate von Slowenien über Italien und Griechenland ins südtürkische Antalya.



EINMAL MÜNCHEN – ANTALYA, BITTE beschreibt die Reise mit einem kleinen Boot entlang der Küsten des Mittelmeeres. Mit Geschichten vom und über das Meer. Und über die Menschen, die dort leben.



Ein Buch, das in der Lage ist, die Sehnsucht nach dem Meer für einen Moment zu stillen, voll intensiver und leiser Beschreibungen, die geprägt sind von der Liebe zu weiten Horizonten.



Ein Buch über Abschied und Neuanfang und über die Kunst, langsam zu reisen, um zu sich selbst zu finden.



“Seine Artikel sind Miniaturen über das Meer und über die Menschen am Meer.”



“Der Literat im Mittelmeer…: Mare Più sind Geschichten, die er über Jahre gesammelt hat wie in einem Setzkasten voller bunter Steine und Muscheln.”



“… ein echt unterhaltsames, intensives ‘Dabeisein’.”



Teil I: Ablegen & Loslassen

Teil II: Über Venedig nach Griechenland

Teil III: Griechenland

Teil IV: Griechenland ab Milos

Teil V: Türkei & Ankommen



Ablegen.

Im Hellblau des Himmels leichte weiße Schlieren. Ich stehe in Izola, in Slowenien, auf der Pier, „Pontile C 26“. Mein Liegeplatz mit LEVJE die letzten 5 Jahre. Es ist Mittwoch, der 21. Mai 2014. Kurz vor 13 Uhr.

Ich habe eben noch einmal eine Runde an Deck gedreht. Ich weiß nicht, die wievielte. Kontrolliere Leinen und Fender, dies und das. Ich schaue den Mast hinauf, der vor wenigen Tagen noch zerlegt neben mir auf der Betonmole lag. Haben wir alles richtig montiert und wieder zusammengebaut? Zwei Terminals waren gebrochen, die wichtigsten Teile. Die, die dafür sorgen, dass der Mast aufrecht stehenbleibt, in Wind und Wellen. Wenn der Wind besonders stark bläst und man seine ungeheure Wucht spürt: dann denkt der Segler an seinen Mast. Dass er aufrecht stehenbleibt. In jeder Situation. Sicherheitshalber habe ich mit Sven, meinem Freund, Maschinenbauer, der mir bei meinen Vorbereitungen half, alle Terminals ausgetauscht und neue montiert. Und Wanten und Stagen, fingerdicke Drahtseile, die den Mast nach allen Seiten abstützen, auch gleich erneuert.

Ich sehe nach dem Bootshaken. „Mezzo Marinaio“ nennen ihn die Italiener liebevoll – „halber Seemann“. Er liegt bereit, um mich abzuhalten, wenn ich beim Ablegen einem anderen Boot zu nahe kommen sollte. Oder sich einer der Festmacher, die mich noch mit dem Land verbinden, beim Einholen verklemmen sollte.

Ich schaue mich einmal um. Eine Möwe zieht kreischend eine Bahn durch die Gasse zwischen den vertäuten Schiffen. Alles bereit. Alles klar. Ich bin bereit. Und LEVJE, mein Schiff, ist es auch. Es ist Zeit, loszufahren.

Ich gehe zurück ins Cockpit. Beuge mich hinunter, da wo links der Zündschlüssel steckt, unter der Sitzbank. 15 Jahre habe ich von genau diesem Moment geträumt. Eine kurze Drehung des Zündschlüssels. Ein durchdringendes Jaulen erklingt: die Warnung, dass Wasserkühlung und Öldruck meines Dieselmotors nicht funktionieren. Das ist normal: Als LEVJE gebaut wurde, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, baute man das noch ein. Ein lauter, heulender Ton. Ich drücke den Knopf für den Anlasser. Ein kurzes Bullern, der Ton verschwindet, und dann ist er da, der Motor. Sachte wummernd springt er an, ich spüre das Vibrieren im Boot, sehe, wie der oberste Relingdraht des Seezauns wie eine Gitarrensaite schwingt, höre, wie das Kühlwasser an LEVJEs Heck ins Wasser platscht. Alles nehme ich in ein und demselben Moment auf, im Bruchteil einer Sekunde, wahrscheinlich 50, 70 Eindrücke, Sinneswahrnehmungen gleichzeitig, die mir doch nur das Eine signalisieren. Alles normal. Alles bereit.

Ich lasse den Motor einen Moment laufen. Höre ihm weiter zu bei der Arbeit. Ob er rund läuft. Ob gleichmäßig Kühlwasser aus LEVJEs Auspuffrohr am Heck quillt. Ich nehme LEVJEs Holzpinne in die Hand. Sie lässt sich frei bewegen, das Ruder auch, ich bewege es einmal nach jeder Seite.

Ich schaue mich um. Schaue mich um, ob gerade noch jemand anderer dabei ist abzulegen, im selben Moment, und mir in die Quere kommen könnte. Alles frei. Schaue nach dem Verklicker ganz oben im Mast, der mir sagt, aus welcher Richtung der Wind weht. Leichter Nordwest, also genau von vorn. Ich beuge mich hinunter zur Grundleine auf LEVJEs Steuerbordseite. Ich betrachte sie kurz, die kleine schwarze Markierung darauf, die mir immer sagte, wie ich LEVJE im richtigen Abstand zur Pier festmachen muss, damit sie vom Jugo, vom Südwind, nicht auf die Pier gedrückt wird. Fünf Jahre hat sie LEVE sicher an ihrem Platz gehalten, sicheren Halt gegeben, ob in der böigen Bora Istriens oder in den heftigen Gewittern, wie sie in der Nordadria üblich sind. Ich löse den Knoten. Und werfe die Grundleine los. Sie platscht ins Wasser, sinkt auf den Grund, ich sehe ihr langsam nach, bis ich sie kaum mehr sehen kann im Blaugrüngrau und ihre Umrisse in der Tiefe verschwinden.

Dann gehe ich nach vorne. Steige über den Bugkorb auf die Pier. Irgendwie ist alles eingeübt, eingebrannt sind die Abläufe in fünf Jahren. Beuge mich hinunter, löse langsam erst den einen Festmacher. Ich halte LEVJE noch kurz, die Festmacher waren kurzstag, unter Spannung, damit LEVJE mir nicht auf das Nachbarboot vertreibt. Dann löse ich den anderen Festmacher, halte LEVJE kurz fest. Und steige über. LEVJE entfernt sich langsam, ganz langsam, von der Pier: Die zweite Grundleine am Heck verleiht LEVJE etwas Fahrt, zieht sie hinaus, hinaus aus der Box. Ich löse die letzte Verbindung, die uns hält. Ziehe uns an der Grundleine drei, vier Meter aus unserer Box, hinein in die Boxengasse, werfe auch die letzte Verbindung über Bord. LEVJE ist frei.

Ich beuge mich hinunter, nach rechts, zum Schalthebel, lege vorsichtig den Rückwärtsgang ein. Ein Schlag, in dem sich LEVJEs Faltpropeller entfaltet. Langsam, erst langsam, dann schneller, immer schneller, gleitet LEVJE aus ihrer Box. Wir drehen rückwärts ein in die Boxengasse. Noch mal ein Blick nach vorn. Alles frei. Wieder beuge ich mich zum Schalthebel, stoppe LEVJEs Rückwärtsfahrt, indem ich den Vorwärtsgang einlege. Bremsen gibt es nicht auf einem Boot, niemals steht ein Boot ganz still, immer ist es in Bewegung, selbst fest vertäut. Langsam schiebt sich LEVJE nach vorn, richtet ihre Nase in die Mitte der Boxengasse. Das Boot meiner Nachbarn, die ALICE LA MERAVIGLIOSA von Reijko und Vlasta, der Wunderbaren, bleibt langsam zurück.

Der Schornstein der alten Fabrik liegt rechts von uns. Ein uralter Schornstein, vielleicht sogar noch aus der Zeit, bevor Planwirtschaft und jugoslawischer Sozialismus in Istrien einzogen. Der Schornstein. Man sieht ihn, wenn man Izola ansteuert, schon von weitem übers Meer. Wenn man weit draußen auf ihn zuhält, steuert man genau auf die Einfahrt des Hafens von Izola zu. Ein alter Fabrikschornstein, der mir immer die Richtung wies, nach einem Wochenende in den Lagunen, traurig, weil ich wieder heim musste und goldene Tage abrupt endeten.

Ich biege langsam nach links ein, in die Hauptgasse. Lasse den Schornstein hinter mir liegen. Das beruhigende Sirren der Welle, die Motor und Schiffsschraube verbindet. Ich stehe aufrecht, damit ich über LEVJEs Sprayhood hinwegsehen kann, nach vorne schauen kann, ob alles frei ist. Zwei Männer auf der Pier blicken kurz von ihrer Arbeit auf. Ich halte fest die Pinne in der Hand. Ich steuere mein Boot.

Ablegen. Sein eigenes Boot hinaus steuern: Dieser Moment hat mich stets mit unbändiger Freude und mit Stolz erfüllt. Ablegen. Es ist viel, was in den Momenten des Ablegens in mir vorgeht. Das Auf-mich-allein-gestellt-Sein. Nicht mehr auf der Pier stehen, vom vermeintlich sicheren Ufer aus anderen Booten zusehen mit einem „Das-möcht’-ich-auch-mal.“ Sondern ablegen. Eine Pinne, ein Ruder in der Hand halten, ein Schiff, sein Schiff zu steuern: ist etwas Besonderes. Mein Leben, mit all seinen 100.000 Möglichkeiten, wohin ich jetzt gehen, was ich jetzt tun, schaffen, werden könnte: es ist in meiner Hand.

Wir drehen in die Hauptgasse ein. Hier, im Innenteil der Außenmole liegen die großen, schmucken Yachten. An Ihnen vorbeizufahren, ist immer ein Vergnügen. Die uralte WIEN, ein alter Dampfer aus der Kaffeehauszeit. SUNNY SIDE UP. Die CUORE MATTO, das verrückte Herz. Schiffe sind wie uralte Bekannte. Ein Schiffsname steht für die Geschichte, für die Sehnsüchte seines Eigners. Izolas zwei Kirchtürme liegen vor mir, ich steuere fast genau auf sie zu. Der kleine, geduckte im alten Ort. Der große, jüngere, oben auf dem Hügel. Beide mit venezianischer Turmspitze, so wie überall in Istrien, wo die Venezianer ihre Kirchtürme errichteten in hoch aufragendem, massigen Stil, genauso wie den von San Marco: Damit jeder, der von See kam, wenn er auf die Küste, aufs Land blicke, schon von weitem wusste: „Dies ist das Meer Venedigs“. „Il Golfo di Venezia“, wie in jahrhundertealten Seekarten dieses Meer bis hinunter nach Griechenland hieß.

Ich beschleunige LEVJEs Fahrt jetzt etwas. Jemand, der mir von der Pier etwas zuruft. Vor dem Ort der alte Hafen. Und das Feld der Bojenlieger. Ich lasse es rechts liegen, lege die Pinne nach rechts, LEVJE dreht langsam nach links ein um den Molenkopf, es ist eine majestätische Bewegung, auch wenn hier ein kleines Schiff eindreht, immer weiter. Ich fahre einen U-Törn, den das Fahrwasser um die Außenmole herum vorgibt. Und plötzlich liegt es vor uns: das offene Meer. „Jadransko more“, nennen es die Slowenen. „Akdeniz“ nennen die Türken es da, wo ich hin will. Die roten Fahrwassertonnen liegen rechts von uns, eine nach der anderen gleitet an uns vorbei, voraus die Klippen von Strunjan, gleißend sandfarben, noch vier, noch drei, noch zwei, noch eine rote Tonne. Und dann sind wir draußen.

Meine Reise hat begonnen.



Nach dem abrupten Ende seiner beruflichen Karriere im Frühsommer 2014 beschließt Thomas Käsbohrer, nach Antalya zu reisen. Doch statt den dreistündigen Flug zu wählen, entscheidet er sich für die langsame Route. Er fährt mit dem Bus von München ins slowenische Izola und besteigt dort sein kleines Segelboot LEVJE. Und segelt fünf Monate von Slowenien über Italien und Griechenland ins südtürkische Antalya.

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