Acrophobia

Höhenangst

»Er versuchte, an alles Mögliche zu denken, um sich von der Kälte abzulenken, und kam schließlich auf eine Erkenntnis, die ihm intuitiv schon immer klar gewesen war: Du kannst deine Höhenangst besiegen, wenn du von einer schönen Frau nach oben gelockt wirst.« Roy Reid, Journalist aus New York, wird von einer alten Freundin nach Hamburg gerufen, weil ihr Mann vom Fernsehturm in den Tod gesprungen ist. Ob es Selbstmord war? Die Witwe und auch Reid haben da so ihre Zweifel, denn der Tote litt unter … Höhenangst. Ob also mehr dahintersteckt? Und so macht sich der New Yorker auf Spurensuche in einer ihm fremden Stadt, und... alles anzeigen expand_more

»Er versuchte, an alles Mögliche zu denken, um sich von der Kälte abzulenken, und kam schließlich auf eine Erkenntnis, die ihm intuitiv schon immer klar gewesen war: Du kannst deine Höhenangst besiegen, wenn du von einer schönen Frau nach oben gelockt wirst.«



Roy Reid, Journalist aus New York, wird von einer alten Freundin nach Hamburg gerufen, weil ihr Mann vom Fernsehturm in den Tod gesprungen ist. Ob es Selbstmord war? Die Witwe und auch Reid haben da so ihre Zweifel, denn der Tote litt unter … Höhenangst. Ob also mehr dahintersteckt?



Und so macht sich der New Yorker auf Spurensuche in einer ihm fremden Stadt, und während er lernt, dass die Lektüre von Proust tatsächlich ein Leben verändern kann, kommt er dem Rätsel eines Todes auf die Spur.



Beinahe hätte Roy Reid die E-Mail gelöscht, denn sie hatte keine Betreffzeile und kam von einem unbekannten Absender. Er hatte sowieso keine Lust mehr auf E-Mails und sah nur ab und zu in sein Postfach. Es machte ihm Spaß, Leute einfach anzurufen und die Überraschung in ihrer Stimme zu hören, wenn ihnen klar wurde, dass es da draußen tatsächlich lebendige, sprechende menschliche Wesen gab. Oder er schrieb ihnen klassische Briefe. Was allerdings häufig dazu führte, dass er eine E-Mail erhielt, in der dann stand: Dein Brief ist angekommen.



Die E-Mail war kurz und knapp, wie ein Telegramm aus fast vergessenen Zeiten.



Larry ist tot. Vom Hamburger Fernsehturm gestürzt. 132 Meter tief. Bitte komm. Brauche dich als Dolmetscher. Maria.



Und nun irrte Reid über den Flughafen Paris–Charles–de–Gaulle und suchte seinen Anschlussflug nach Hamburg, der inzwischen längst gestartet sein sollte. In Europa bekommt man nie ein schlichtes Ich weiß es nicht zur Antwort, wenn man nach dem Weg fragt. Stattdessen wird wild gestikulierend irgendwohin gezeigt. Da drüben. Please go there. Là-bas. Sempre diretto. Immer geradeaus. Selbst dann, wenn der Gefragte selbst keine Ahnung hat. Was durchaus oft der Fall ist. Sie wollen einen bloß loswerden, und das möglichst schnell.



Kurz vor der Landung war in der vom New Yorker John F. Kennedy International Airport gestarteten Maschine durchgegeben worden, man solle nach rot uniformiertem Servicepersonal Ausschau halten, das einem den Weg zum Anschlussflug zeigen würden, den Weg quer durch den Flughafen – einem völlig unübersichtlichen Flughafen, übrigens, was man allerdings nicht erwähnt hatte. Der Rotuniformierte, den Reid schließlich ansprach, hielt ein Klemmbrett mit irgendeiner Liste in der Hand. Er schien alles fest im Griff zu haben.



»Deux D, à Hambourg?«, fragte Reid. Er wusste bereits, dass sein Anschluss von Terminal 2D abging, weil er auf die Ansage während des Landeanflugs auf den Charles-de-Gaulle geachtet hatte. Der Rotuniformierte sah ihn an, als hätte er nach der Anschlussmaschine zum Mond gefragt.



»’Ambourg?«



»’Ambourg, oui«, bestätigte Reid. Er hatte -burg in -bourg verwandelt, aber vergessen, Ham- in ‘Am- zu ändern. Damit kriegen sie einen immer wieder, diese Franzosen. Tja, Pech gehabt. Zurück auf Los. Oder gehe direkt ins Gefängnis.



»Please go there. Là-bas«, sagte der Rotuniformierte. Er deutete in irgendeine Richtung, aus der Reid nie mehr zurückgefunden hätte. »Consultez les écrans.«



Auf les écrans waren Flüge in alle Himmelsrichtungen verzeichnet, nur eben nicht nach Hamburg. Beziehungsweise ‘Ambourg. Reid machte kehrt, um den Rotuniformierten erneut zu fragen. Der Mann sprach jetzt mit einem anderen Passagier, einer Amerikanerin, die in Reids Maschine gesessen hatte. Reid wollte sich schon einmischen, um den Rotuniformierten als pathologischen Lügner bloßzustellen, als er auf einem Monitor keine zwei Meter neben dem Mann den Hinweis auf den Anschlussflug nach ’Ambourg las:



Hambourg – AF 1710 – 0955 – À l’heure



À l’heure … na ja, wenn man mal davon absah, dass der Flug eigentlich für 9:15 Uhr angesagt war. In diesem Fall allerdings hätte Reid ihn verpasst, denn seine Maschine war erst um neun Uhr gelandet, und inzwischen war es bereits zwanzig nach neun, weil Reid so lange gebraucht hatte, um sich im gefühlt unendlichen Labyrinth der Tunnel und Terminals des Charles–de–Gaulle zu orientieren. Von rotuniformiertem Servicepersonal war weit und breit nichts zu sehen gewesen, bis Reid endlich auf den pathologischen Lügner stieß. Die Passagiere nach ’Ambourg wurden mit einem Shuttlebus übers Rollfeld zu ihrer Maschine gebracht. Das Flugzeug stand mit einem halben Dutzend anderer Jets in der Nähe einiger Treibstofftanks. »Mesdames et messieurs«, hörte man die Durchsage des Stewards, »die Maschine wird derzeit noch betankt. Aus Sicherheitsgründen möchten wir Sie bitten, sich nicht anzuschnallen.«



Wie wär’s denn, dachte Reid, wenn man aus Sicherheitsgründen darauf verzichten würde, die Maschine zu betanken, wenn bereits Passagiere an Bord sind?



Sie rollten fast bis nach Reims, bevor sie endlich starteten, immer hinter einem Flugzeug der Euralair hinterher, das eine Entenkarikatur auf dem Leitwerk trug. Euralair? Wo – oder was – war Eural? Und wieso eine Ente? Immerhin war das Frühstück gut. »German«, wie jemand hinter Reid feststellte, und das stimmte: Brot und Käse und dünn geschnittenes Fleisch, reichlich Proteine, die er jetzt auch nötig hatte. Das Frühstück auf dem Flug vom JFK zum Charles–de–Gaulle hatte aus ein paar Keksen bestanden. Französisch eben. Proteine eingewickelt in Zucker und Fett.



Der Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel war leer und angenehm. Es gab mehr teure Läden, als so ein leerer und angenehmer Flughafen verdient hatte. Reid gefiel es hier, obwohl Maria gekommen war, um ihn abzuholen. Das hatte er eigentlich ausdrücklich abgelehnt, weil er den Weg in eine neue Stadt lieber allein fand.



»Herrje, Roy«, sagte Maria und drückte ihm ganz europäisch zwei Küsschen auf die Wangen. Wie üblich war er nicht auf das zweite eingestellt und musste den Kopf noch mal vorstrecken, um ihre Wange zu berühren.



»Ja«, erwiderte er, ohne zu wissen, was er damit meinte.



»Gott sei Dank«, sagte Maria. »Du und dein Deutsch. Die Leute hier und ich – ich verstehe einfach nichts.«



Kein Wunder, wenn die meisten ihrer Sätze ohne Verben blieben.



Jerry Oster ist 1947 in New Mexico geboren, kommt als Zehnjähriger nach New York, besucht die High-School, später die Columbia University, belegt als Hauptfach englische Literatur. Danach hat er einen Job bei United Press International News Service, dann bei Reuter und schließlich bei den New York Daily News. Ein Journalist, ein Mann wie manche seiner Protagonisten. Jerry Oster war Polizeireporter, hat unzählige Tatorte aufgesucht und über alle möglichen Verbrechen geschrieben.

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