Schreckensnacht im blauen Lotos

Schreckensnacht im blauen Lotos
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Donnernd braust der Expreß BLAUER LOTOS durch das nächtliche China. Noch ahnen die Reisenden nichts von dem Unheil, dem sie unaufhaltsam entgegenrasen. Noch sind alle guten Mutes und freuen sich auf ihr Reiseziel. Nur Mr. Seaborg spürt die Anzeichen einer drohenden Gefahr. Colonel Kidric, vom Generalstab der Armee in der britischen Kronkolonie Hongkong, lacht ihn aus. Er lacht ihn aus, weil er glücklich ist, denn vor wenigen Minuten hat er Joan Sawtel wiedergesehen, die Frau, die er schon immer geliebt hat und die er durch einen Irrtum jahrelang nicht sehen durfte. Doch auch er wird ernst, als der Blaue Lotos auf einer kleinen Station zwischen Peking und... alles anzeigen expand_more

Donnernd braust der Expreß BLAUER LOTOS durch das nächtliche China. Noch ahnen die Reisenden nichts von dem Unheil, dem sie unaufhaltsam entgegenrasen. Noch sind alle guten Mutes und freuen sich auf ihr Reiseziel.

Nur Mr. Seaborg spürt die Anzeichen einer drohenden Gefahr. Colonel Kidric, vom Generalstab der Armee in der britischen Kronkolonie Hongkong, lacht ihn aus. Er lacht ihn aus, weil er glücklich ist, denn vor wenigen Minuten hat er Joan Sawtel wiedergesehen, die Frau, die er schon immer geliebt hat und die er durch einen Irrtum jahrelang nicht sehen durfte.

Doch auch er wird ernst, als der Blaue Lotos auf einer kleinen Station zwischen Peking und Hongkong gestoppt wird und Soldaten der chinesischen Regierungstruppen Chun-fen-tan, einen Agenten der Befreiungsarmee Chinas verhaften.

Und nun beginnen die Räder des Schicksals zu rollen. Der Mischling Cal-Tech-Tamassy gibt ein Telegramm auf, das für die Reisenden im Expreß verhängnisvolle Folgen haben soll.

Stunden später wird der BLAUE LOTOS abermals gestoppt, doch diesmal sind es Rebellen, die in Tung-wan drohend ihre Waffen auf die verängstigten Zuginsassen richten.

Tamassy entpuppt sich als General der Befreiungsarmee, und als ein Mann, der weder Gnade noch Erbarmen kennt. Colonel Kidric wird gefangen genommen, Reisende werden verhört und sehr unterschiedlich behandelt. Mr. Jones wird ausgepeitscht, und die treue chinesische Dienerin May muß am Ende ihres kurzen Leidensweges ihre Treue zu Joan Sawtell mit dem Leben bezahlen.

Dieser weit über dem Durchschnitt liegende Abenteuerroman besticht durch seine außergewöhnliche Diktion und wird mit seinen faszinierenden Szenen und tiefschürfenden Charakterisierungen einen nachhaltigen Eindruck auf die Leser hinterlassen.



Der Expresszug Peking - Hongkong, der „Blaue Lotos“, raste durch die chinesische Nacht. In gewissen, fast gleichmäßigen Zeitabständen zerriss das schrille Pfeifen der Lokomotive das Rattern der Räder, das Singen des Fahrtwindes und das dumpfe Poltern beim Überqueren einer Brücke. Unheimlich klang dieses Heulen durch die sternlose Nacht. Die starken Lichtkegel der Lokscheinwerfer warfen einen grellen Schein einige hundert Meter voraus über den stählernen Schienenstrang, der über zweitausend Kilometer führte und Peking, die alte Kaiserstadt, mit der britischen Kronkolonie Hongkong, der Hafenstadt am südchinesischen Meer verband.

Die großen breiten Pullman-Wagen wiegten sich in der hohen Geschwindigkeit der Fahrt. Peking lag schon im Rücken des „Biiauen Lotos“, und die Strecke führte jetzt am Schansi-Gebirge entlang.

Vor wenigen Minuten hatte man den Hu-tho passiiört, den Strom, der durch Taku fließt, um in den Golf von Tschitti zu münden.

Die Fenster der Wagen waren bis auf einige hell erleuchtet. Im Speisewagen nahm man die letzte Mahlzeit ein. Gerade als Edward Jones sein Glas hob, heulte die Pfaiife der Lokomotive wieder schrill auf. Er trank seinem Gegenüber mit schmallippigem Lächeln zu.

„Der Wein ist ausgezeichnet, finden Sie nicht auch, Miss Sawtell?“

Die Dame, an die Edward Jones die Frage richtete, wollte antworten, blickte aber auf einen Mann, der soeben den Speisewagen betreten hatte. Jones folgte dem leicht neugierigem, leicht prüfenden Blick der blondhaarigen Engländerin. Er sah einen großen, schmallschultrigen, glattrasierten Chinesen stark mongolischer Prägung, der einen schwarzen, bis an die Knie reichenden seidenen Kittel und auf dem Kopf eine schwarze Seildenmütze trug. Sein breitknochiges Gesicht mit den geschlitzten, schräg stehenden Augen war unbeweglich, undurchdringlich und von stoischer Ruhe; in ihm spiegelte sich das Antlitz Asiens. Der Chinese schien über alle im Speisewagen versammelten Europäer hinwegzusehen, als seien sie nicht vorhanden. Der Steward trat an ihn heran und geleitete ihn nach dem Tisch Nummer elf. Langsam, würdevoll setzte sich der Chinese. Er war der einzige Asiate in dem Pullman-Wagen.

Edward Jones kniff seine grauen Augen, über denen sich buschige Brauen wölbten, zusammen. Er sah nicht, wie Miss Sawtell lächelte, und als er seinen Blick wieder auf ihr ebenmäßiges Gesicht mit den schön geschwungenen Lippen und der kleinen, geraden Nase richtete, war ihr Ausdruck völlig gleichgültig.

„Verzeihung, Mister Jones, was fragten Sie mich . . . ?“ sagte sie mit einer wohlklingenden Stimme und legte ihre Hände an ihren weißen Hals. Dann griff sie nach der großen Gemme, die im Gold gefasst den Kopf einer Frau zeigte, und versuchte, ihr Gegenüber mit einigem Interesse anzusehen.

„Ob Ihnen der Wein schmeckt, Miß Sawtell“, wiederholte er seine vorhin gestellte Frage und drehte das Glas am Stiel mehrfach im Kreis.

Mit einem Blick auf seine breite Hand, deren Rücken behaart war, versetzte sie: „Sehr guit, Mister Jones . .

„Ich finde das auch, nicht wahr? — Darf ich Sie übrigens zu einem Martell einladen?“

Die Engländerin warf einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. „Es ist schon kurz nach zehn Uhr, Mister Jones. Ich möchte danken, ich bin müde ..."

„Schade. Dann werde ich mir erlauben, einige Martells auf Ihr besonderes Wohl zu trinken.“ — Er verzog seine Lippen zu einem Lächeln, das für einen kurzen Augenblick eine Reihe gelblicher Zähne entblößte.

Sie nickte.

„Tun Sie das, Mister Jones!“

„Ich werde es mit dem größten Vergnügen tun, Madam!“

„Daran gute Nacht, Mister Jones!“ Er stand auf, da sie sich erhob, und wartete, bis sie den Tisch verlassen hatte. Noch einmal verbeugte er sich. Dann setzte er sich wieder und sagte zu dem Steward, der an den Tisch trat, um etwas Geschirr abzuräumen: „Eine Flasche Martell, bitte.“

„Ja, Sir“, erwiderte der Steward.

„Zwei Gläser dazu!“

„Z w e i ?“

„Hören Sie schwer?“

„Verzeihung, Sir!“ Dar Steward verbeugte sich und eile davon, um gleich darauf mit einer Flasche Martell und zwei Gläsern wieder zu erscheinen.

Während dieser Augenblicke trafen sich die Augen Mr. Jones und des Chinesen. Der Blick des Mannes im .seidenen Kittel war kalt, doch hoheitsvoll gelassen.

Von der Lokomotive her heulte es grell auf; dann prasselte dar Express in enen Tunnel, der ihn wie ein schwarzer Schlund verschluckte.



*

Als Joan Sawtell sich zu ihrem Abteil begab, sahen ihr verschiedene Blicke nach. Das war natürlich, denn sie hatte eine ausgezeichnete Figur, war zweifellos sehr schön und nach dar neuesten Londoner Mode gekleidet. Natürlich waren es männliche Blicke, die ihr bewundernd nachsahen, aber auch die einiger Damen ruhten auf der schlanken, blondhaarigen Frau, die ihre Silberfüchse mit Anmut zu tragen wusste.

Mr. Morris atmete auffallend tief, als Joain dicht an ihm vorbeiging . . . eine Welle „Fleurs de narzisses“ wehte ihn an, aber Mr. Morris wagte nur einen ganz kurzen, blitzschnellen Blick auf die elegante Blondine zu werfen und sah dann sofort Mary, seine etwas reichlich korpulente Gattin, an. Übrigens wog auch Mir. Monris gut seine zwei Zentner.

Als Joan den Speisewagen verlassen hatte, kam sie zunächst in den Wagen GARBORUNDUM, in dem sich die Zugbar befand. Hinter dem Bartisch sah der Mixer kurz auf und grüßte sie. Sie dankte durch ein leichtes Kopfnicken. — An der Bar saßen zwei Männer. Auch sie wandten sich Joan zu und sähen sich darauf an.

„Sehr schön“, murmelte der eine, während der andere nur nickte. Der Steward dies Wagens öffnete Joan die Tür. In diesem Augenblick trat ein hochgewachsener Mann in Uniform ein und nahm seine Mütze ab. — Joans Schritt stockte . . . auch er verhielt seinen Schritt, sah sie an, trat zur Seite und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, unterließ es aber.

Joan machte eitnie matte Bewegung mit der rechten Hand. Dann schritt sie schnell weiter, eilte durch den nächsten Wagen, und war gleich darauf im Wagen SEVENTRY, in dem sich ihr Abteil befand. Sie öffnete die Schiebetür, trat ein, zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich daran. Ihr Gesicht war blass. Sie schloss die Augen. Leise kam es über ihre Lippen: „C h a r 1 e s . . . “

Sie fuhr zusammen, als das Heulen von der Lokomotive sie aus ihren Gedanken aufzuwecken schien. Ihre ausdrucksvollen Hände legten die Silberfüchse langsam auf den kleinen Drehstuhl neben dem Bett, das der Boy vor einer Stunde schon hergerichtet hatte, kurz nachdem sie zum Abendessen in den Speisewagen gegangen war. Sie zündete sich eine Zigarette an, setzte sich auf das Bett und schlug die schönen Beine übereinander. Dann stützte sie den Kopf in die linke Hand und rauchte in tiefen Zügen. Noch einmal formten ihre Lippen leise das Wort: „Charles . . .“

Sie blickte den kleinen Rauchwolken nach, die von der Zigarette sich langsam gegen die Decke des Abteils kräuselten.



*



„Hallo, Colonel Kidric!“

Charles Kidric wandte sich um.

„Ach . . . Sie! Mister Seaborg!“ rief er erstaunt aus, ging auf ihn zn und reilchte ihm die Hand.

George Seaborg war ein mittelgroßer, schlanker, beweglicher Mann, schwarzhaarig und mit leicht gebräuntem Teint; er trug eine goldgefasste Brille, hinter der dunkle Augen von etwas unbestimmter Farbe lebhaft in die Welt blickten. Er war in einen braunen, leichten Anzug gekleidet. Alles an ihm wirkte so, als hätte er es soeben erst vom Schneider in Empfang genommen. Kidric hatte ihn auch früher niemals anders gesehen. Seaborg war Makler und Börsenmann in. Hongkong; er hatte viele Berufe ausgeübt: in London leitete er eine Presseagentur, in Melbourne war er Direktor eines Tingel-Tangels gewesen, In Chicago hatte er sich als Trainer betätigt und seit mehreren Jahren war er in der britischen Kronkolonie als Makler, befasste sich mit vielen Geschäften und war seltsamerweise oft in den besten Kreisen der dortigen Gesellschaft zu sehen.

Kidric stand in keiner näheren Verbindung mit ihm, aber mochte die gewisse Originalität des beweglichen Mannes ganz gern leiden. Er nahm an dar Bar neben ihm Platz und bestellte einen Drink.

„Ich -erwartete wirklich nicht, Sie im ,Blauen Lotos' zu finden, Colonel Kidric“, begann Seaborg die Unterhaltung.

Dar Colonel zog Zigaretten heraus und setzte eine in Brand. Sein Gesicht mit den markanten Zügen, dam Kinn, das auf Energie und Entschlossenheit deutete und der geraden Nase mit den etwas zu breit geratenen Flügeln, die, wenn er innerlich erregt war, zitterten, lächelte und zeigte dabei eine Reihe tadellos weißer Zähne.

„Und ich batte natürlich auch keine Ahnung davon, dass Mister Seaborg dem Express von Peking nach Hongkong die Ehre gilbt“, meinte er mit einem leichten Anflug von Ironie. — Seaborg lachte, hob sein Glas und trank dem Colonel zu. Dann stellte er es ziemlich hart hin, beugte sich dicht an das Ohr des Offiziers und flüsterte: „Unsicher?“

Charles Kidric antwortete nicht gleich. Über sein von der Sonne stark gebräuntes glattrasiertes Gesicht flog ein kleiner Schimmer von Besorgnis, der aber Seaborg nicht entging.

„Es sollen gewisse Umtriebe stattfinden. Da und dort sind Banden aufgetaucht. Deshalb entschloss sich die Regierung, dem Express militärisches Begleitpersonal miltzugeben. Übrigens gehöre ich nicht dazu. Ich war in anderer Mission in Peking, Mister Seaborg . . . “

„Hm . . . hm . . . “, der temperamentvolle, bewegliche Mann rückte an seiner goldgefassten Brille, „ich trage das Gefühl . . . das bestimmte Gefühl in mir, dass sich in China etwas Ungeheures vorbereitet . . . Haben Sie nicht auch diese verborgene Unruhe, dieses Brodeln . . . dieses Unheimliche bemerkt? Ich halbe dafür einen besonders feinen Riecher

„Meinten Sie . . . ?“ versetzte der Colonel und stieß den Rauch seiner Zigarette langsam durch die Nase. Er erinnerte sich plötzlich, dass dieser Seaborg, dar überall und nirgends war, der an den unmöglichsten Orten auf tauchte, wo man Ihn nicht vermutete, schon einmal — vielleicht vor einem Jahr — die Bemerkung gemacht hatte, die darauf hindeutete, dass ein politischer Wechsel in der Regierung der chinesischen Republik stattfinden würde . . . und das war auch eingetreten, obwohl damals niemand die Möglichkeit auch nur im entferntesten in Betracht gezogen hätte. Bestand die Möglichkeit, dass die rote Flut sich auch über China ergießen würde? Die bestand wohl. Und wenn China eines Tages kommunistisch war, dann bedeutete es auch eine Gefahr für Russland, obwohl die Sowjetunion diese Gefahr zu spät einsehen würde. Die russischen Kommunisten schürten die kommunistische Bewegung in China, das stand fest, und auch Colonel Kidric neigte nicht dazu, seine Augen vor Tatsachen zu verschließen, die einmal, vielleicht sogar sehr bald, die raue Wirklichkeit sein würden; denn die Sowjets wussten, dass ein Land reif war für den Kommunismus, da gaben sie nicht eher Ruhe, bis dieses Land unter die Faust des Kommunismus kam.

„Gewiss, Colonel, gewiss. Auch in China, dem Reich der Mitte . . . “ fuhr Seaborg fort, aber Kidrics Gedanken waren ganz woanders, weilten jetzt bei Joan. Sie war im Zug — hier in diesem Zug, in dem er reiste — sie, Joan! Herrgott, er war sich klar darüber, dass er sie immer noch liebte — dass er sie immer geliebt hatte — und immer lieben würde. —

„. . . ich lebe seit Jahren in China, Colonel“, vernahm Kidric wieder Seaborgs Worte, „ich habe versucht, die Seele dieses Volkes zu ergründen . . . ich weiß nicht, Colone1, das Lächeln der Chinesen ist ein anderes Lächeln geworden, die Kaufleute lächeln anders, die Rikscha-Fahrer lächeln anders, die . . . “

Joan also im Zug nach Hongkong! Es war ein merkwürdiger Zufall — ein eigenartiges Zusammentreffen, dachte Kidric weiter, und seine Gedanken kreisten nur um Joan, die er liebte . . .

„. . . die Kulis lächeln anders, auch die Priester, Colonel . . . “

Jetzt zuckten die Muskeln im Gesicht des Offiziers. Auch er lächelte jetzt, zog wieder eine Zigarette hervor, setzte sie in Brand und erwiderte: „Ihre Ausführungen sind ja sehr interessant, Mister Sealborg . . . aber Sie vergessen etwas . .

„Und das wäre, Colonel?“

„Dass auch wir noch da sind . . . !“

„Oh nein, das habe ich gewiss nicht vergessen, aber bedenken Sie bitte . . . “

Der Express verlangsamte in diesem Augenblick seine Fahrt. Dreimal heulte die Pfeife der Lokomotive durch die chinesische Nacht. — Ein Ruck veranlasste Mr. Seaborg, sich am vernickelten Geländer dar Bar festzuhalten.

„Was ist das?“ fragte Mr. Seaborg etwas nervös den Mixer Jimmy.

Der öffnete eine kleiine Klappe im Fernster, blickte hinaus und sagte darauf, die Klappe wieder schließend: „Oh nichts . . . ich glaube, wir passieren eine Baustelle . . . “

Mr. Seaborg tupfte sich wieder den Schweiß von der Stirn. Die Ventilatoren liefen, aber es war dennoch ziemlich warm in dem Wagen. Der angenehmste Aufenthalt war eigentlich in dem Wagen am Ende des Zuges, dem Aussichtswagen, der PANORAMA genannt wurde. Aber hinter dem sonst den Schluss des Luxuszuges bildenden Pullman-Wa- gen hing noch ein anderer, in dem sich das Militär befand, zum Schutze der Reisenden, gegen allerlei Banden, die seit einiger Zeit das Gebiet unsicher machten. — Mr. Seaborg kramte nach Zigaretten. Nachdem er einen großen Schluck Manhattan genommen haute, fuhr er ziu sprechen fort:

„Stimmt das nicht, Colonel?“

„In gewisser Beziehung ja“, sagte Kidric und veränderte seine Stallung auf dem Barhocker, „zugegeben, aber selbst, wenn sich Ihre Befürchtungen in Bezuig auf China (er sprach das Wort sehr gedehnt aus) bewahrheiten sollten, so kann man nichts Voraussagen. Es geschehen oft nicht abzusehende Entwicklungen. “

„Eine vage Hoffnung, Colonel . . . “

„Möglich. Ich bin kein Politiker. Allerdings...: Ob man starke Bewegungen auf die Dauer niederhalten kann, das bezweifle ich selbst ..." Kidric war vielleicht anderer Ansicht, aber das Gespräch langweilte ihn und seine Gedanken waren zu stark mit Joan beschäftigt, deshalb wollte er Mr. Seaborg zustimmen, damit diese Konversation beendet werden könnte.

„Wir sind ums Im wesentlichen wohl einig, Colonel?“

Kidric gab keine Antwort, denn sein Blick wurde in diesen Sekunden durch das Eintreten eines Mannes von Seaboirg abgelenkt. Auch der Makler folgte dem Blick des Colonels.

Der Mann, der die Aufmerksamkeit der beiden auf sich gezogen hatte, nahm an einem kleinen Tisch Platz.

Er war von mittelgroßer Figur und' neigte zur Fülle. Unter seinem dunklen, doch spärlichen Haar schimmerte an einigen Stellen die Kopfhaut durch. Er mochte vielleicht fünfzig Jahre alt sein, vielleicht auch etwas älter.

Der Colbnel sah sofort, dass dieser Mann kein Europäer war . . . aber auch kein Vollblutchinese. Er hatte «hier einen stark mongolischen Einschlag.

Ohne Zweifel! war er ein Mischling. Sein Gesicht war von gelblicher Hautfarbe, etwas schwammig und! nicht gerade sehr ausdrucksvoll, wenn man von seinen grauen, geschlitzten Augen und vorn seinen hervorstehenden Backenknochen absehen wollte. Auf der Oberlippe trug er einen schmalen, sich bis unterhalb der Mundwinkel herabziehenden, bereits leicht ergrauten Bart. Er bestellte einen Cocktail, zog eine Packung Zigaretten, öffnete sie langsam, warf unter gesenkten Lidem einen gleichgültigen Blick auf den Colonel, entnahm einer Tasche ein vergoldete Feuerzeug und setzte an der kleinen Flamme die Zigarette in Brand1. Als dar Steward ihm den Cocktail brachte, dankte er mit einem Kopfnicken und hob das Glas langsam ain die Lippen. Er nahm nur einen kleinen Schluck, kniff das linke Auge zusammen und stellte das Glas vorsichtig auf die Glasplatte des keinen Tisches zurück.

Mr. Seaborg sah den Colonel an, und ilhre Blicke begegneten sich in gleicher Sekunde.

Kidric beugte sich etwas au Seaborg herüber und fragte leise: „Kennen Sie dein Mann?“

Seaborg schien einige Augenblicke nachzudenken. Dann versetzte er: „Nein, ich habe ihn niemals in meinem Leben irgendwo gesehen. Zweifellos ist er ein Mischling, eine Kreuzung zwischen weiß und gelb oder zwischen Mongole und Chinese.“

Dar Cölonel1 nickte.

Der Mann hinter der englischen Zeiitung begann mehrmals heftig zu husten. Alls sich aber die Tür im Richtung des Speisewagens öffnete, wandte er sich ein wenig, kaum merklich, der Person entgegen, die jetzt den Wagen GARBORUNDUM betrat. Es war jener Mann in dem schwarzseidenen Gewand, dem auch schon das Interesse des Mr. Jones und dar Miß Sawtell gegolten hatte, der Chinese Chu-fen-tan, der würdevolle Repräsentant seiner Rasse.

Es fiel kaum auf, dass der Mischling die Zeitung langsam senkte und sie sofort wieder hob. Auch sah niemand, däss Chu-fen-tan ein wenig die Oberlippe hob und seine Zähne zeigte, und niemand konnte sehen, als er den Barwagen verließ, wie sein sonst so stoische Gelassenheit ausdrückendes Gesicht plötzlich seltsam zu lächeln begann. Aber das währte auch nur den Bruchteil einer Sekunde.

Nachdem 'sich die Tür hinter dem Chinesen geschlossen und der an dem kleinen Tisch verweilende Asiate sich wieder hinter seiner Zei tung vergraben hatte, sah dar Colonel Mr. Seaborg an. Der verstand, beugte sich näher zu dem englischen Offizier herüber und sagte:

„Nein, auch ich kenne ihn nicht. Nie gesehen . .“

„Bei Ihrem Bekanntenkreis!“ Kidric stieß dien Rauch seiner Zigarette von sich. In den drei Worten lag ein Vorwurf, aber Mir. Seaborg zuckte nur die Schultern.

„Man kann nicht jeden Menschen im Reiche Buddhas kennen, Colonel! Und im Grunde genommen kenne ich viel zu viel Leute. Das ist nicht immer gut, das können Sie mir glauben!“

Der Express donnerte in einen Tunnel, und noch einmal heulte es von der Lokomotive her laut und unheimlich auf. Es klang wie ein Warnruf . . .

Als Joan Sawtell sich auf das weiß bezogene, weiche Bett ihres Abteils gesetzt hatte und zu rauchen begann, blieb sie unbeweglich. Aber ihre Gedanken wanderten und kreisten.

War es möglich, dachte sie, Charles hier im Express . . . Charles im gleichen Zug, der sie von Peking nach Hongkong brachte, Charles, den sie fünf Jahre, ja, solange war es her, nicht mehr gestehen hatte, Charlies Kidric . . . !

Und ihre Gedanken wanderten weiter zurück . .

Damals, in Paris ....

Sie besuchte die dramatische Schule von Madame Soird. Sie hatte an jenem Tage, als sie ihn zum ersten Mal traf, die Kirche Notre Dame de Paris gerade verlassen. Es war am Todestage ihrer Mutter gewesen, an dem sie stets die Kirche aufsuchte. Als sie zehn Jahne alt gewesen war, starb die Mutter. An diesem Tage erlebte die kleine Joan, was es heißt, Abschied zu nehmen für immer, Abschied zu nehmen von einem Menschen, dessen Herzblut man trag. Sie hatte ja ihre Mutter über alles in der Welt geliebt.

Ihr Vater war nach dem Tode der Mutter sehr gealtert. Nach einem Jahr folgte «r ihr in jenes Schattenreich, das jedem Lebenden verschlossen ist. —

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