Die Jungfernreise der „Vaterland“
Im Mai 1914 bricht das modernste Passagierschiff seiner Zeit zu einer historischen Jungfernfahrt auf: Die „Vaterland“ — ein schwimmender Stahlpalast — durchpflügt den Atlantik mit der Kraft von über 90 000 PS. An Bord: Menschen aus aller Welt, Ingenieure, Heizer, Passagiere erster Klasse, Auswanderer. Über und unter Deck entfaltet sich ein faszinierendes Panorama aus Technik, Luxus, Schweiß, Hoffnung und Aufbruchsstimmung – im Schatten eines Weltkriegs, der noch niemandem bewusst ist.
Mit scharfem Blick, packender Sprache und feinem Gespür für Atmosphäre schildert Bernhard Kellermann die gewaltige Dynamik dieser Reise – ein authentisches Zeitdokument über den Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Ozeandampfer zu Symbolen des Fortschritts und der Sehnsucht wurden.
Es wird Tag, es wird Nacht, es wird wieder Tag. Der Dampfer fährt. Ohne jeden kleinsten Waffenstillstand tobt da unten die Schlacht. Die Bataillone der Heizer stürzen sich tapfer ins Feuer und heizen mit ihrem Schweiß die sechsundvierzig Kessel des Dampfers. Der Trimmer kämpft sich heroisch mit seinem Kohlenkarren durch die heißen, dunklen Schluchten zwischen den hohen Kesselbäuchen. Die Kohle stürzt aus den Bunkern herab. Kohlenstaub in der Luft, glühender Kohlenstaub auf dem Boden und den eisernen Treppen, und die hundertsechsunddreißig Feuer speien Hitze. Die Feuermänner, Kohle in Menschengestalt, stehen in dunklen Rotten in den Heizstollen. Die Glocke schrillt, die vier Meter lange Eisenbrücke stößt die Kesseltüre ein, und die weiß glühende Hölle tanzt und deliriert. Sie will heraus, aber der Feuermann schlägt sie mit der Schaufel zurück. Er krampft sich zusammen zu einem schaufelschwingenden Muskelbündel, die Haare peitschen über das Gesicht, die Augen blenden weiß und rot, der glutrote Körper aber verteidigt sich gegen die buchstäbliche Verbrennung, indem er Ströme von Schweiß durch die Poren presst, die Balancetür klappt zu. Dunkel. Der Feuermann wirft die Schaufel weg und schöpft kalten Tee aus dem Eimer. Dreiviertel Millionen Kubikmeter Luft drücken die Maschinen in der Stunde in den Heizraum und machen die Temperatur erträglich. In diesen kühlen Luftwirbeln, die in die Hitze und den Kohlenstaub hinabfegen, kühlen die Feuerleute ihre schweißigen Körper, bis die Glocke wieder schrillt. Sechs Tonnen Kohlen verfeuert der Mann am Tag. Die Arbeit ist schwer und verlangt einen ganzen Kerl. (Die Ingenieure haben es nicht leichter!) Eine kalte Dusche, eine Promenade im Adamskostüm durch den Betriebsgang, die Pfeife im Logis geben die Besinnung zurück.
Der Dampfer aber fährt.
Bernhard Friedrich Wilhelm Kellermann (*4. März 1879 in Fürth; †17. Oktober 1951 in Klein Glienicke bei Potsdam) war ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Abgeordneter. Sein bekanntestes Werk ist der Roman Der Tunnel (1913), ein internationaler Bestseller, der millionenfach verkauft, in 25 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt wurde.
Kellermann studierte zunächst an der Technischen Hochschule München, später Germanistik und Malerei. Schon mit seinen frühen Romanen Yester und Li (1904) und Ingeborg (1906) gelang ihm der Durchbruch. Es folgten Reiseberichte aus den USA und Japan, die seine Beobachtungsgabe und literarische Vielfalt unter Beweis stellten.
Der Erste Weltkrieg prägte ihn tief: Als Kriegsberichterstatter veröffentlichte er Reportagen vom Frontgeschehen. Mit seinem gesellschaftskritischen Roman Der 9. November (1920), der den Umbruch am Ende des Krieges thematisiert, zog er sich den Hass der Nationalsozialisten zu – das Buch wurde 1933 verboten und verbrannt, Kellermann aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen.
Nach 1945 engagierte er sich in der jungen DDR stark für kulturelle und politische Fragen. Gemeinsam mit Johannes R. Becher gründete er den Kulturbund, wurde Abgeordneter der Volkskammer und Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Für seinen Roman Totentanz erhielt er 1949 den Nationalpreis der DDR. In Westdeutschland hingegen geriet sein Name durch Boykottaktionen weitgehend in Vergessenheit.
Kellermann war zweimal verheiratet: 1915 mit der US-Amerikanerin Mabel Giberson (†1926) und ab 1939 mit Else „Ellen“ Michaelis, die nach seinem Tod seine Werke herausgab.
Bernhard Kellermann hinterließ ein vielseitiges Werk aus Romanen, Erzählungen, Reisebüchern und Reportagen. Er ruht auf dem Neuen Friedhof in Potsdam.
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- Artikel-Nr.: SW9783689125998458270
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Autor
Bernhard Kellermann
- Verlag EDITION digital
- Veröffentlichung 14.10.2025
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- ISBN 9783689125998
- Verlag EDITION digital