Das Waltharilied

Nacherzählt

Diese knapp 20 Seiten haben es in sich. Es ist ein Heldengedicht und was für eines. Es spielt in Europa, welches den Menschen des Mittelalters neben Afrika und Asien als der dritte Teil des Erdkreises galt und konkret bei den Hunnen: „Dieses Volk, tapfer und waffengewandt, erstarkte so sehr, dass es sich nicht nur die an sein Gebiet angrenzenden Landstriche unterwarf, sondern bis an die Gestade des Ozeans vordrang. Reiche, die um Frieden flehten, mussten sich in Verträgen zu Abgaben verpflichten, und wer Widerstand leistete, wurde grausam niedergemetzelt. Es schien, als könnte die Herrschaft der Hunnen tausend Jahre dauern.“ Wobei man sich bei dieser... alles anzeigen expand_more

Diese knapp 20 Seiten haben es in sich. Es ist ein Heldengedicht und was für eines. Es spielt in Europa, welches den Menschen des Mittelalters neben Afrika und Asien als der dritte Teil des Erdkreises galt und konkret bei den Hunnen: „Dieses Volk, tapfer und waffengewandt, erstarkte so sehr, dass es sich nicht nur die an sein Gebiet angrenzenden Landstriche unterwarf, sondern bis an die Gestade des Ozeans vordrang. Reiche, die um Frieden flehten, mussten sich in Verträgen zu Abgaben verpflichten, und wer Widerstand leistete, wurde grausam niedergemetzelt. Es schien, als könnte die Herrschaft der Hunnen tausend Jahre dauern.“ Wobei man sich bei dieser Zeitangabe seinen Teil denken mag ...

Zu dieser Zeit, von der das Waltharilied handelt, herrschte dort König Attila, der rastlos bemüht war, den Ruhm seiner Vorfahren zu erneuern und zu übertreffen, und daher seine Heerscharen in Marsch setzte und Befehl gab, in das Land der Franken einzufallen. Diese konnten sich mit viel Geld und Gold und dem noch jungen Kriegsmann Hagen von Tronje den Frieden erkaufen. Gleiches galt für das gleichfalls gefährdete Burgund. Auch dieses Königreich erlangte mit Schätzen und Königstochter Hildegund, der Schönen, Frieden. Blieb als nächstes Ziel das Reich Aquitanien. Der Preis für den Frieden war diesmal Walther von Aquitanien. Und so waren alle drei Geiseln im Hunnenland. Doch in einer günstigen Nacht ergriff Hagen die Flucht. Er hatte davon gehört, dass König Gibicho gestorben war und sein Sohn Gunther die Herrschaft über die Franken angetreten und alle Verträge aufgehoben hatte und sich weigerte, den Tribut weiterzuzahlen. Wie wird Hunnenkönig Attila reagieren? Vor allem aber, wie sehen die Pläne von Hildegund und Walther von Aquitanien aus? Werden sie gleichfalls fliehen? Und wie geht die Geschichte weiter?



Der spannenden Nacherzählung sind sowohl ein ausführliches Nachwort über die historischen und kulturellen Hintergründe dieses wahrscheinlich von einem Mönch vermutlich in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts geschaffenen Meisterwerks über Krieg und Frieden, Liebe und Treue als auch umfangreiche Erläuterungen beigegeben.



I. ATTILAS RAUBZUG

II. DIE DREI GEISELN IM HUNNENLAND

III. FLUCHT

IV. UNERWARTETE VERFOLGER

V. GAMELO, SKARAMUND, WERINHARD

VI. ECKEFRIED, HADAWART

VII. PATAFRIED, GERWIG

VIII. RANDOLF, HELMNOT, TROGUNT, TANAST

IX. GUNTHER BESTÜRMT HAGEN UM HILFE

X. NACHTRUHE UND AUFBRUCH

XI. HAGEN UND GUNTHER

Nachwort

ZUM TEXT

Erläuterungen



Walther setzte indessen mit Hildegund bei Nacht seine Wanderung fort, und sie ruhten tagsüber im Dickicht der Wälder. Schlau lockte er die Vögel an, listig fing er sie mit Leimruten, oder er traf sie mit dem zischenden Pfeil. Gelangten sie aber an den gewundenen Lauf eines Flusses, legte er die Angeln aus und fing in der Strömung Fische. So mühte er sich täglich, den nagenden Hunger zu stillen. Während der ganzen Flucht behandelte Walther, der Held, seine Hildegund mit Schonung, und niemals trat er der Jungfrau zu nahe.

Vierzig Tage waren schon vergangen, seit sie die Hunnenfestung verlassen hatten. Da gelangten sie gegen Abend ans Ufer des Rheins, der an der prächtigen Stadt Worms und der königlichen Burg vorüberfloss.

Dem Fährmann, der ihn und Hildegund mit dem Pferd übersetzte, gab er zum Lohn ein paar von den Fischen, die er zuvor gefangen hatte. Dann eilte er jenseits des Stromes ohne Aufenthalt weiter.

Als der folgende Tag die Schatten der Nacht verscheucht hatte, ging der Fährmann hinauf in die Stadt und bot dem königlichen Küchenmeister die Fische zum Kauf, die ihm der fremde Reisende gegeben hatte. Gesotten und gut gewürzt gelangten die Fische auf König Gunthers Mittagstafel. Der erstaunte sehr und sprach herab von seinem hohen Herrscherstuhl: „Fische dieser Art sind mir aus den Flüssen des Frankenlandes nie unter die Augen gekommen! Sie müssen aus einer anderen Gegend stammen. Sag mir auf der Stelle, von wem du sie hast!“

Der Koch antwortete, einem Schiffer habe er sie abgekauft.

Da befahl der König, ihm diesen Menschen vorzuführen.

Der Fährmann erschien, und befragt, woher er denn die Fische habe, antwortete er offen und wahrheitsgetreu: „Gestern Abend saß ich am Rheinufer. Da erblickte ich einen Wanderer, der es sichtlich eilig hatte. Er war gerüstet, als gelte es, in die Schlacht zu ziehen, vollkommen in Eisen gekleidet ging er, erhabener König, am Gürtel hingen ihm ein Schwert und ein Krummsäbel, auf der Schulter ein Schild, und er trug eine blinkende Lanze. Es schien, dass er ein überaus starker Mann war, denn obwohl er eine schwere Last trug, blieb sein Schritt fest. Dicht hinter ihm folgte ein unglaublich schönes, prächtig gekleidetes Mädchen. Sie führte ein kräftiges Pferd am Zügel, dessen Rücken mit zwei ansehnlichen Kästen bepackt war. Sooft es die Mähne schüttelte, sooft es die mächtigen Hufe im Trab bewegte, klirrte es in den Kästen, als schlügen Gold und Edelsteine aneinander. Dieser Mann gab mir als Fährlohn die Fische.“

Als Hagen, der an der Tafel des Königs saß, dies hörte, rief er jubelnden Herzens: „Freut euch mit mir! Denn nun weiß ich es: Walther von Aquitanien, mein lieber Waffenbruder, kehrt von den Hunnen heim!“ Der ganze Saal hallte wider von seinen Worten.

Hochbefriedigt lehnte sich da König Gunther zurück und sprach mit Stolz: „Mit mir sollt ihr euch freuen! Denn ich habe erkannt, was das heißt: Den Schatz, den König Gibicho, mein Vater, gen Osten sandte zu den Hunnen, hat nun der Allmächtige in mein Reich zurückgeführt. Mir gehört, was Walther bei sich hat.“

Mit diesen Worten warf er den Tisch um, sprang auf und befahl, sein Pferd zu satteln. Aus seinem Gefolge wählte er zwölf Recken aus, baumstarke Männer von vielfach erprobter Tapferkeit. Auch Hagen erhielt den Befehl, ihm zu folgen.

Hagen gedachte früherer Tage, als er Walthers treuer Freund gewesen war. Darum trachtete er danach, seinen Herrn von seinem Vorhaben abzubringen. Der König jedoch mahnte unbeirrt: „Zögert nicht länger, Männer! Hängt euch das Schwert in den Gürtel und streift das Schuppenkleid über die Brust! Soll solch ein gewaltiger Schatz dem Frankenland verloren gehen?“

Eilig packten sie alle ihre Lanzen; der König drängte voran voll Ungeduld. So stürmten sie aus den Toren, um Walther zu verfolgen. Bald hofften sie ihn einzuholen, und sie meinten, sie könnten ihm kampflos seinen Reichtum abjagen.

Hagen aber ließ nicht davon ab, seinen Herrn mit allen Mitteln zur Umkehr zu bewegen. Doch des Königs Unstern wollte, dass er sich nicht belehren ließ.



Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.

Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.

Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.

Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985

Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993

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