Rufe in die Nacht. Gedichte aus der Fremde 1933 bis 1943
„Rufe in die Nacht“ ist ein literarisches Zeugnis des Widerstands: In seinen Gedichten aus dem Exil (1933–1943) gibt Erich Weinert den Entrechteten, Verfolgten und Kämpfenden eine Stimme. Ob als Appell an das Gewissen, als bittere Anklage oder satirischer Hieb – Weinerts Verse sind leidenschaftlich, politisch und mutig. Entstanden im Schatten des Faschismus, sprechen sie von Flucht, Kampf, Hoffnung und Menschlichkeit. Für heutige Leser:innen sind diese Gedichte nicht nur bewegende Zeitdokumente, sondern auch Mahnrufe, die erschreckend aktuell geblieben sind. Dieses E-Book versammelt Weinerts lyrischen Partisanen – brennend, kämpferisch, voller Zuversicht.
GEDICHTE ALS PARTISANEN
FEIND IM LAND
Die Nacht des Gefangenen
Der Abschied
An einen deutschen Arbeiterjungen
Eine deutsche Mutter
John Scheer und Genossen
Einer für alle – alle für einen!
Für die!
SA-Proleten
Der Brand auf dem Opernplatz
Abrechnung
Trotz alledem!
Henkergesindel
Wiener Blut
Die Bastille Wien
HENKER, NARREN UND MARSCHIERER
Speiermann
Bänkelballade vom Kaiser Nero
Die braune Kuh
SS schafft Ordnung
Ballade von der Zivilisation
Eine Vertrauensstellung
Hellsehen in Berlin verboten
Deutscher Karneval
Der Kaffeetantenmessias
Deutsche Verwirtschaft
Dicht am Nationalhelden vorbei
Geht in Ordnung
Danklied der Unternehmer
Ein Staatsanwalt
Das Lied vom braven Mann
Man trinkt wieder Sekt
Kein unbekannter Stil
Vereinfachtes Verfahren
Monsieur Bavard bereist Deutschland
Der Reichsdichter
Det is Berlin? Det is nich Berlin!
Streicher
Die Geschichte vom Witz
Der Herrenmensch
Der Führer
Nachtgedanken eines Blockwarts
Die Ballade vom großen Zechpreller
DIE UNTERIRDISCHEN
Heiden
An einen Jugendgenossen
Dittmeyer wird gesucht
Das illegale Wort
Die illegale Zeitung
Das Heldenlied vom Alexander Woikoff
Stimme des Illegalen
Die Unverwüstlichen
KRIEG DEM KRIEGE
Die Völkerhändler
Wer führt den letzten Krieg?
An die betörten Deutschen
Volksfront, Front der Völker!
Steht auf, ihr jungen Millionen!
An die deutschen Frauen
Zeit der Entscheidung
An die Jugend der Welt
DER APPELL
An die Gesitteten
An einen katholischen Kameraden
Dreimal erster Mai
Tragt ihre Namen durchs Land!
Dort wächst die Kraft
Appell an die Gehirne
Edgar André
GEFÄHRTEN
Dimitroff
An Egon Erwin Kisch
Henri Barbusse
Ernst Thälmann
An der Bahre Fritz Heckerts
An Romain Rolland
Maxim Gorki
DEIN FEIND STEHT NICHT DORT VORN, SOLDAT! FLUGBLÄTTER
An die deutschen Soldaten
Der Fahneneid
Stoßseufzer eines deutschen Soldaten
Die Schänder Deutschlands
Denk an dein Kind
Soldaten, nichts anderes erwartet euch mehr!
Hier spricht Leningrad
Genug des Jammers und der Schande!
An einen Nationalsozialisten
Die letzten Briefe
„Neuordnung Europas“
Deutschland wird nicht verloren sein!
So hat man euch verhezzt!
Soll dein totes Kind dich anklagen?
An die Hitler-Gläubigen
Die große Verantwortung
Für eine Handvoll Halunken!
Besinnt euch nicht länger!
Doch das Schrecklichste steht noch bevor!
Wem gehorsam?
Gegen den wahren Feind!
Vor der Entscheidung
Der tote Soldat klagt an!
DEUTSCHLAND, ERWACHE! FLUGBLÄTTER
Der Gerichtstag
1812 – 1918 – 1941
Der Vater kehrt als Kriegskrüppel heim
Die Henker Europas
Deutschlands Ehre und Deutschlands Schande
Drei Wiegenlieder
Gespräch im Heldengrab
Traum eines deutschen Soldaten
Was ist Feindpropaganda?
Der erste Mai
Verbrennt die Götzen!
Für welches Deutschland?
Wollt ihr im Bund mit diesen Räubern stehn?
Die Anklage
Kann ich als Deutscher mein Gesicht
Abwenden …?
Der Führer in den Tod
Ein deutscher Vater an seinen Sohn
Die Toten rufen
PARIS
Die königliche Sitzung. Versailles 1789
18. März 1871
Ruf des toten Kommunarden
UM SPANIENS FREIHEIT
Die Fahne von Oviedo
Die Welt der Untat und die Welt der Tat
Für wen?
Für Deutschlands Befreiung
Spanisches Kinderlied
Madrid
Salud, Unión Soviética!
Abschied von der Front
Soldaten zweier Kriege
Abschied von Spanien
Wollt ihr im Bund mit diesen Räubern stehn?
MOSKAU 1942
Ein Räuber schleicht sich nachts in fremdes Haus,
Erschlägt den Wächter, leert die Kästen aus,
Ersticht die Kinder, will schon Feuer legen –
Da plötzlich tritt der Hausherr ihm entgegen
Und segnet ihn mit fürchterlichen Schlägen.
Das Scheusal reißt das Fenster auf und schreit:
„Man überfällt mich hier zu nächt'ger Zeit!“
Was würdet ihr zu solcher Frechheit sagen?
Ein jeder Schlag zu wenig tut uns leid.
Man muss den Kerl wie einen Hund totschlagen!
Ein solcher Räuber ist die Hitler-Bande.
Wo sie in fremdem Haus mit Schimpf und Schande
Verprügelt wird, erhebt sie ein Gebrüll:
„Wir wehren uns ja nur im fremden Lande,
Weil uns der Russe doch vernichten will!“
Doch mag das Diebsgesindel noch so schrein,
Vor aller Welt entlarvt sind ihre Fratzen.
So brachen sie in jeden Frieden ein.
Das Blut der Völker klebt an ihren Tatzen.
Und ihr wollt dieses Packs Komplizen sein?
Euch haben sie in dieses Land gehetzt;
Sie zu bereichern, hat man euch befohlen.
Für sie habt ihr geplündert und gestohlen.
Für sie habt ihr das Land in Brand gesetzt.
Doch naht die Stunde der Vergeltung jetzt!
Wollt ihr im Bund mit diesen Räubern stehn,
So mögt ihr auch mit ihnen untergehn!
Doch wer mit dem Gesindel nichts zu schaffen
Und will sein Land in Ehren wiedersehn,
Der bahne sich den Weg zurück mit Waffen!
O stünden die zu einem mächt'gen Bunde,
Die noch nicht angefault vom Henkergeist!
Er richtet alle Welt und uns zugrunde.
O Deutschland, käme doch die große Stunde,
Wo du von diesem Unrat dich befreist!
Die Anklage
Ein Feldpostbrief
STALINGRAD 1942
Mein lieber Mann!
Ich schreib Dir unter Tränen.
Nie war mein Herz so weh vom langen Sehnen.
Mir träumte heute Nacht ein süßer Traum:
Wir saßen wieder unterm Weihnachtsbaum,
Und zärtlich küssten wir uns wie vor Jahren,
Als wir noch junge Liebesleute waren.
Dann holt ich unser Kind, es war noch klein;
Und wie verzaubert stand's im Kerzenschein.
Wie überglücklich strahlte unser Bube!
Und voll von warmem Licht war unsere Stube.
Am Fenster glitzerten kristallne Sterne,
Und leise Glocken klangen aus der Ferne. –
Da wacht ich auf. Und alles kalt und leer,
Als hätte ich auf Erden niemand mehr.
Selbst deine Liebe mir verloren schien.
In meinem Jammer hab ich aufgeschrien.
Und plötzlich fragt ich mich in dieser Nacht:
Wer hat uns diese Einsamkeit gebracht?
Weshalb ertrug ich sie drei Jahre stumm?
Und lange grübelt ich an dem Warum.
Warum denn gingst Du wieder von mir fort?
Und in den Sinn kam mir Dein Abschiedswort.
Du sagtest: Folgt ich dem Befehle nicht,
So ständ ich morgen vor dem Kriegsgericht.
Und schicken sie uns in den Höllenrachen,
Was kann ich Einzelner dagegen machen?
Das sagtest Du mit so verzagtem Blick,
Als wär's ein unabwendbares Geschick. –
Mein lieber Mann! Nun hab ich heute Nacht
Zum ersten Mal darüber nachgedacht.
Und eine Frage ließ mich nicht mehr ruhn:
Konntest Du wirklich nichts dagegen tun?
Gibt’s nicht Millionen, die den Krieg verdammen?
Was tut Ihr Euch Millionen nicht zusammen?
Ein jeder Einzelne hat Weib und Kind,
Millionen Einzelne sind gleichgesinnt.
Jawohl, der eine käm vors Kriegsgericht,
Doch mit Millionen wagen sie es nicht!
Darum frag ich Dich jetzt, mein lieber Mann,
In allem Ernst: Warum fingst Du nicht an?
Willst Du Dich weiter ins Geschick ergeben,
Bis sich die Mutigen zur Tat erheben,
Und Du läufst dann als Feigling hinterdrein,
Anstatt an ihrer Spitze mit zu sein? –
Ich würde lügen, wenn ich anders schriebe.
Ich schreibe so an Dich, weil ich Dich liebe.
Mein Glück und Dein Glück, unseres Kindes Glück,
Es liegt in Deiner Hand – bring es zurück,
Eh es zu spät ist, dass ich nicht am Schluss,
Statt Dich zu lieben, Dich verachten muss!
Kann ich als Deutscher mein Gesicht abwenden …?
MOSKAU 1943
Dieses Gedicht habe ich einem kriegsgefangenen deutschen Soldaten in sein Tagebuch geschrieben, der mir von unerhörten Gräueltaten an der russischen Bevölkerung erzählte, sein Gewissen aber damit zu beschwichtigen suchte, dass er sich selbst niemals zu solchen Untaten hätte missbrauchen lassen.
Ich weiß, es ist nicht unsres Volkes Wille,
Was hier geschieht an Mord und Niedertracht.
Doch schweigt das Volk zu den Verbrechen stille.
Trägt es der Mitschuld schimpflichen Verdacht.
Kann ich als Deutscher mein Gesicht abwenden
Von solcher Untat, die zum Himmel schreit,
Wie sie der Völker Recht und Ehre schänden
Und treiben ihr Geschäft mit Blut und Leid?
Kann ich als Deutscher abseits stehn und sagen:
Ich bin nicht schuld und auch nicht mitentehrt!
Nein, jeder Deutsche muss die Schande tragen,
Solang das Volk sich nicht empört und wehrt.
Solang das ganze Volk sich nicht verschworen
Und fegt sein Haus von diesem Unrat rein,
Solange wird das Land, das uns geboren,
Mit der Verachtung Fluch gezeichnet sein!
Erich Weinert (1890–1953) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und politischer Lyriker. Geboren in Magdeburg, wurde er früh durch seinen sozialdemokratisch gesinnten Vater geprägt. Nach einer Ausbildung als Zeichenlehrer diente er im Ersten Weltkrieg und wandte sich danach künstlerischen und politischen Themen zu.
In den 1920er-Jahren machte er sich mit beißend satirischen Gedichten und Kabaretttexten einen Namen. Er war eng mit der kommunistischen Bewegung verbunden, trat 1929 der KPD bei und schrieb für die Rote Fahne. Seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler und Ernst Busch brachte Lieder hervor, die bis heute bekannt sind, etwa Der heimliche Aufmarsch.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Weinert ins Exil, zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Er schloss sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und war später in Moskau als antifaschistischer Propagandist tätig. 1943 wurde er Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland.
Nach dem Krieg kehrte er schwer erkrankt nach Ost-Berlin zurück und engagierte sich für den kulturellen Wiederaufbau. Neben seinen eigenen Werken veröffentlichte er Übertragungen ukrainischer Dichter wie Schewtschenko und Franko. Er starb 1953 und wurde in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin beigesetzt.
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Autor
Erich Weinert
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 573
- Veröffentlichung 28.05.2025
- ISBN 9783689125097
- Barrierefreiheit Aktuell liegen noch keine Informationen vor
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