Gin ToNik und ein Kindermörder

Düstere Welten - Band 21

Gin ToNik und ein Kindermörder
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Gin ToNik sitzt unschuldig in der Todeszelle. Am nächsten Morgen ist seine Hinrichtung durch die Giftspritze. Er wünscht sich, er könnte den wahren Mörder der Kinder finden. Der rettende Anruf von Detektiv Beth Barow kommt leider zu spät. Gin stirbt und beginnt ein Dasein als Geist. Die Lebenden können ihn weder hören noch sehen. Durch seinen Wunsch den wahren Täter zu finden und Beths Schuldgefühle gehen die beiden eine seelische Verbindung miteinander ein. Es war eine ruhige Nacht über der Stadt Houston in Texas. Gin ToNik alias James Miller lag auf seinem Bett in seiner Zelle. Er hatte sich nach dem Cocktail benannt und eine... alles anzeigen expand_more

Gin ToNik sitzt unschuldig in der Todeszelle. Am nächsten Morgen ist seine Hinrichtung durch die Giftspritze. Er wünscht sich, er könnte den wahren Mörder der Kinder finden.

Der rettende Anruf von Detektiv Beth Barow kommt leider zu spät. Gin stirbt und beginnt ein Dasein als Geist. Die Lebenden können ihn weder hören noch sehen.

Durch seinen Wunsch den wahren Täter zu finden und Beths Schuldgefühle gehen die beiden eine seelische Verbindung miteinander ein.



Es war eine ruhige Nacht über der Stadt Houston in Texas. Gin ToNik alias James Miller lag auf seinem Bett in seiner Zelle. Er hatte sich nach dem Cocktail benannt und eine eigene Schreibweise als Künstlername überlegt, weil er gern zeichnete. Auch malte er mit Acryl- und Ölfarben. Seine blonden Haare waren kurz geschnitten. Den orangefarbenen Overall, den er tragen musste, hasste er wie die Pest.

Im Todestrakt des Bundesgefängnisses war alles still, wie ausgestorben. Nur das schwache Licht der Notbeleuchtung sickerte durch die Gittertür. Privatsphäre gab es für ihn nicht mehr.

Gin starrte schlaflos und traurig an die Decke. Seinen zwanzigsten Geburtstag würde er niemals erleben.

An den kalten, kahlen Wänden hingen unzählige seiner Bleistiftzeichnungen. Alle zeigten das gleiche, längliche Motiv. Es zeigte ineinander verschlungene Kreise und Ellipsen. Mal groß, mal klein, meist waren sie horizontal, aber auch einige wenige vertikal. Dieses Muster ließ ihn nicht los, aber er konnte sich nicht erinnern, wo er es gesehen hatte. Doch eines war ihm ganz klar, es gehörte zu dem wahren Täter, dem wahren Mörder und Schänder der armen Kinder. Es waren vier Jungen im Alter zwischen acht und elf Jahren.

Er müsste hier in dieser Zelle sitzen und auf seinen Tod am Morgen warten, dachte Gin, und seufzte. Ich bin unschuldig, aber mir will niemand glauben.

Seit Tagen hatte er nicht mehr richtig geschlafen. Mittlerweile hatte er dunkle Ringe unter den Augen und sah blass und krank aus.

Am Abend zuvor hatte die Gefängnisleitung einen Priester zu ihm gehen lassen, damit er seine Sünden beichtete. Gin ToNik wollte mit diesem Mann aber nicht sprechen.

Was hätte er ihm auch sagen sollen? Sie wollten endlich ein Geständnis, doch Gin würde nichts gestehen, was er nicht getan hatte. Etwas, das er niemals im Leben tun würde!

Viele im Todestrakt behaupteten zwar, dass sie unschuldig waren, doch Gin ToNik war es wirklich.

Wenn sie es könnten, würden sie mich doch drei oder viermal hinrichten, dachte er bitter und seufzte tief.

Er schloss die brennenden Augen und atmete tief durch.

In ein paar Stunden werde ich tot sein! schrie alles in ihm. Ich will aber leben. Leben!

Paradoxerweise hatte ein Arzt ihn untersucht, um sicherzugehen, dass er für die Hinrichtung gesund war.

Wäre ich doch schwer krank, dann müsste ich morgen früh nicht sterben, dachte er, und drehte sich auf die Seite.

Er blickte auf die Wand mit den Zeichnungen. Ich werde wegen sexuellen Missbrauchs und Mord an vier unschuldigen Kindern, die mir nie im Leben begegnet sind, hingerichtet.

Er schlug frustriert auf die dünne Matratze. Decke und Kissen hatten eine unbestimmte Farbe von Beigegrau oder so ähnlich und waren sehr dünn.

Ich weiß doch wie es ist, wenn man misshandelt wird, dachte er, und rieb sich über seinen Arm, auf dem viele kleine, runde Narben zu sehen waren.

Einer von den vielen Lover seiner Mutter hatte auf Gins Haut Zigaretten ausgedrückt und das nur so zum Spaß.

Seine Mutter hatte seelenruhig zugesehen und sich über seine Schmerzen amüsiert.

Ungeweinte Tränen traten in seinen Augen. Sein Leben war nie einfach gewesen. Schläge, Beleidigungen und Essensentzug gehörten zu seinem alltäglichen Leben als Kind. Auch hatte seine Mutter ihn des Öfteren für Stunden in einen muffigen Schrank gesperrt.

Im Teenageralter hatte er endlich genug. Er schmiss die Schule und war von Zuhause abgehauen. Das Leben auf der Straße war besser als bei seiner Mutter. Als Künstler hatte er ein kleines Auskommen gehabt, das am Ende nicht mehr gereicht hatte.

Durch andere Obdachlose kam er an Alkohol und schließlich an Drogen. So konnte er für wenige Stunden das, was sein Leben war, vergessen und von einer Zukunft träumen, die er niemals haben würde. Die Sucht war noch nicht so schlimm, dass er seinen Körper verkaufen musste.

Im Knast hatte er, um ein bisschen Geld zu haben, für den einen oder anderen Vollzugsbeamten Porträts gemalt, da sie merkten, dass er sehr talentiert war. Es brachte ihm aber keine Sympathien ein.

Die Fotos von den vier Jungen, die vor zwei Jahren im Gerichtssaal hingen, kamen in seinen Gedanken wieder hoch.

Sein Verteidiger war ein Neuling. Er glaubte Gin genauso wenig wie alle anderen auch.

Gin hatte in dem billigen Anzug furchtbar geschwitzt. In den zwölf Gesichtern der Jury stand das Wort „Du bist schuldig!“ Er war schon verurteilt, bevor die Verhandlung begonnen hatte.

Ein Seufzer drang tief aus seiner Seele.

Okay, ich war ein Junkie und ein Obdachloser. Ich habe das eine oder andere aus Läden mitgehen lassen, weil ich Hunger hatte, dachte er verzweifelt, aber ich war niemals ein Mörder und Kinderschänder. Niemals! So etwas Abartiges würde ich niemals tun.

Wieder blickte er auf die vielen Zeichnungen.

Woher kenne ich nur dieses Muster, fragte er sich zum x-ten Mal. Warum kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, wo ich es gesehen hatte? Ich muss doch das Gesicht des wahren Täters gesehen haben.

Er schlug sich gegen die Stirn.

Auch wenn es mir jetzt noch einfallen würde, wäre es zu spät, überlegte er. Der Giftspritze kann ich nicht mehr entkommen.

Er drehte sich auf die andere Seite.

Am liebsten würde ich den wahren Mörder selbst suchen gehen, dachte er. Dieser Scheißkerl läuft immer noch da draußen herum und kann sich an weiteren Kindern vergreifen.

Wie viele werden noch durch seine Hand sterben, bis man ihn fasst, fragte er sich. Das, was an dem Urteil stimmte, war das mit den Drogen und dem Alkohol.

Gin ToNik war high gewesen, als eine Polizeistreife die Leichen in dem verlassenen Fabrikgebäude gefunden hatte. Er wollte dort nur übernachten. Mal ein Dach über dem Kopf haben, auch wenn alles heruntergekommen, zugig und schmutzig war.

Wann habe ich den Täter gesehen? Kurz nachdem die Drogen anfingen zu wirken?, fragte er sich und rieb sich über die Stirn. Denk nach! Dieser Arsch hatte bestimmt auch die verdammten Cops angerufen.

Die Spurensicherung hatte seine DNA an den Leichen gefunden. Wie war sie dort hingekommen? Er war nie in dieser Halle gewesen, weil in seinem Zustand die Treppe nicht mehr hochkam. Die Betonstufen waren zwar unbequem gewesen, aber er konnte die Beine einfach nicht mehr heben und hatte beschlossen, dort zu schlafen.

Er schloss wie so oft die Augen und versuchte sich an diesen verhängnisvollen Tag zu erinnern.

Gut, ich war bis oben hin zugedröhnt, gab er zu. Hatte ich Schritte gehört? Vielleicht. Ich weiß es einfach nicht mehr!

Sehr verschwommen erinnerte er sich an schwarze, hohe Lederschuhe, die in blauen Einwegschuhen steckten. Auch die Beine eines weißen Einweganzuges, der von den Leuten der Spurensicherung im Kriminalfilm getragen wurde, hatte er auch noch gesehen.

Leider konnte er sich nicht mehr erinnern, ob er hochgesehen hatte. In seiner Erinnerung hatte dieser Mann kein Gesicht. Scheiß Drogen! Scheiß Suff!

„Du kommst mir wie gerufen“, hatte eine Stimme amüsiert gesagt. Sie hallte immer noch durch seine Gedanken. „Ich brauche schließlich einen Sündenbock.“

Das letzte Wort hallte durch seine Gedanken, begleitet wurde es von diesem leisen, hässlichen Lachen. Diese Stimme verhöhnte ihn immer noch.

Nur das Muster von den ineinander verschlungenen Kreisen und Ellipsen schwebte vor seinen inneren Augen und blinkte bisweilen auf. Dieses Motiv war ihm wie ins Gehirn eingebrannt, wie ein geistiges Mahnmal.



*

An dieser Stelle riss seine Erinnerung wie schon etliche Male zuvor ab. Musste das denn sein?

Mein Charakter passt doch gar nicht zu dem eines pädophilen Arschloches, dachte er wütend. Die haben doch meistens viel Geld und kein Selbstvertrauen, um sich mit gleichaltrigen Geschlechtspartnern einzulassen.

Gin fand wie immer keine Antworten.

Er dachte an das Mädchen, mit dem er kurz zusammen war. Diese Beziehung bestand wegen der Drogen. Ob er mit ihr Sex hatte, wusste er nicht. Eher nicht.

Die Zeit tropfte nur langsam, aber unaufhaltsam dahin. Sie zerrann quälend langsam. Die Stunde von Gins Hinrichtung rückte näher und näher.

Duschen, frühstücken und sterben. So sah sein Tagesablauf für den Morgen aus. Zu wenig Zeit.

Ich will noch nicht sterben, schrie alles in ihm immer wieder und wieder. Nicht sterben!

Er setzte sich auf und nahm seinen Block. Er zeichnete im schwachen Taschenlampenlicht die schwarzen Leberschuhe mit den blauen Überziehern. Dieses Bild hatte er noch nie gemalt. Warum nur nicht?

Wer bist du, Arsch?, fragte er. Warum muss ich für deine Taten büßen? Das ist echt nicht fair.

Er zeichnete wie ein Besessener, als würde dieses Bild ihm das Leben retten.



*



Gin ToNiK hatte nie eine Chance gehabt. Seine Mutter war alkoholsüchtig und machte ihn für all das Pech in ihrem Leben verantwortlich. Von ihr bekam er Tritte statt Umarmungen, Hass statt Liebe und das von klein auf. Mehr als ein Kind allein ertragen könnte. Die Nachbarn sahen weg oder beschuldigten ihn auch noch des Diebstahls, obwohl es der Nachbarsjunge Patrick Brown war, aber der hatte eine Mutter, die ihn liebte.

Nur eine ältere Dame kümmerte sich liebevoll um ihn. Ms Victoria Garner. Ihre Worte spendeten ihm Trost und waren die bunten Kleckse in seinem grauen Leben gewesen. Er hätte alles für sie getan.

Wenn der Täter wieder zuschlägt, habe ich dieses Mal aber ein todsicheres Alibi und das im wahrsten Sinne des Wortes, dachte er sarkastisch. Tote morden schließlich nicht.

Wieder schlug er frustriert auf die Matratze.

Scheiße, ich will nicht sterben, dachte er.

Tränen liefen ihm nun doch über das Gesicht. Wütend wischte er sie weg. Er wollte nicht weinen.

Scheiße, Scheiße, warum gerade ich?, fragte er sich. Mein Leben ist ein einziger Scheißhaufen. Darf ich nicht auch mal ein klein bisschen Glück haben?



*



Minuten dauerten kleine Ewigkeiten und doch hätte Gin gerne mehr Zeit gehabt. Eine Chance auf ein besseres Leben. Doch er würde diese Gelegenheit auf eine Stunde Glück niemals bekommen.

Nur unter Drogen und Alkohol hatte er sich gut gefühlt. Versinken in Vergessenheit. Schwimmen in einem Meer aus bunter Zuckerwatte. Nur das rechtfertigte noch lange nicht, dass er in einigen Stunden tot sein würde.

Normalerweise bekamen die schlimmsten Typen im Todestrakt, Hilfe von draußen. Anwälte rollten ihre Fälle neu auf und überprüften alles. Bis alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren, vergingen in etwa zehn oder mehr Jahre. Manchmal bekamen sie dann wirklich lebenslänglich. So oder so, sie bekamen mehr Lebenszeit. Eine Chance. Niemand wollte Gin helfen.

Alle glauben, dass ich schuldig bin, dachte er traurig. Ich war schon immer ein Ausgestoßener. Der Abschaum der Gesellschaft, den man lieber tritt oder schlägt.

Er schluchzte.

Die Lichter auf dem Gang gingen an. Vor seiner Zelle hörte er Schritte, die sich langsam näherten.

Jetzt ist es so weit, dachte er.

Sein Herz begann schneller zu schlagen.

Die Gittertür wurde geöffnet.

„James Miller“, rief ein Vollzugsbeamter. „Aufwachen, aufstehen und heraustreten!“

Gin seufzte tief und gehorchte. Eine große Wahl hatte er schließlich nicht. Er blieb vor der Tür stehen. Im Licht sah man seine dunklen Ringe unter den Augen sehr deutlich.

Zwei Uniformierte standen auf dem Gang.

„Na, wieder nicht geschlafen.“ Der größere der beiden Vollzugsbeamten grinste.

Sie legten Gin ToNik einen breiten Ledergürtel an, an dem Handschellen befestigt waren. Auch die Fußfesseln schnappten zu, die über Ketten mit dem Gürtel verbunden waren.

Gin sollte keine Gelegenheit bekommen, zu fliehen oder die Wächter anzugreifen. Er war nie auffällig geworden. Trotzdem gehörten diese Fesseln zum Pflichtprogramm für gefährliche Straftäter. Links und rechts wurde er von den Männern begleitet. Er spürte die harten Griffe unter seinen Armen.

Gin konnte nur winzige Schritte machen. Der kurze Weg zu den Duschen dauerte dadurch länger.

Vor dem Waschraum wurden ihm die Fesseln abgenommen.

„Hier, Handtuch und Seife …“ Der Beamte gab ihm die Sachen. „Ach, für ein Schwein wie dich gibt es keine Zivilkleidung.“

Er drückte ihn grob gegen die Wand. „Niemand mag Kinderschänder, verstanden?“

„Vor allem nicht einen wie dich“, fügte der andere Wachmann hinzu. „Fauler Junkie.“

„Ich habe es aber nicht getan“, verteidigte sich Gin leise.

„Los, beeil dich!“ Der Beamte stieß ihn zur Tür. „Du musst pünktlich zu deiner Hinrichtung erscheinen.“

Normalerweise bekommen die Häftlinge kurz vor ihrer Hinrichtung etwas Respekt, aber für Gin hatten die Vollzugsbeamten keinen übrig. Er ertrug es wie alles still.

Der Duschraum war kalt und abweisend. Die weißen Fliesen wirkten stumpf. Grelles Neonlicht strahlte von der Decke. In der Luft hing ein muffiger Geruch. Gin wünschte sich, er könnte das prasselnde Wasser genießen, doch seine Seele schien wie zu Eis erstarrt.

Es ist das letzte Mal, dachte er, und seifte sich ein. Mein Leben war Scheiße. Ich hatte niemanden, außer ein paar anderen armen Schweinen, die, wie ich, auf der Straße gelandet waren. Auch sie kamen aus schlimmen Familienverhältnissen.

Er beobachtete, wie der Schaum im Abfluss verschwand.

Auf mich wartet ein Loch auf dem Friedhof hinter dem Knast, dachte er und seufzte. Seine Tränen vermischten sich mit dem Wasser. Ich werde noch nicht einmal ein normales Begräbnis bekommen.

Der Beamte klopfte gegen die Tür. „Hey, Beeilung!“

„Ja, doch“, rief Gin und stellte das Wasser ab. „Ich mach’ ja schon.“

Ich muss diesen verdammten Overall wieder anziehen, dachte er und seufzte noch einmal. Was für eine Scheiße!

Er trocknete sich ab und zog sich an. Seine Zeit lief unaufhaltsam ab. Es war als könnte er eine innere Uhr ticken hören.



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