Das pasteurisierte Freudenhaus
Satirische Zeitgedichte
Zwischen Satire, Skandal und Scharfsinn – Erich Weinerts literarischer Schlagabtausch mit der Weimarer Republik und dem Faschismus
Ob Freudenhaus oder Vaterland, ob Behördenapparat oder Walpurgisnacht: In schneidenden Reimen, gewürzt mit feiner Ironie und schmerzhafter Genauigkeit, zerlegt Erich Weinert die absurden, autoritären und moralischen Widersprüche seiner Zeit. „Das pasteurisierte Freudenhaus“ ist mehr als ein Gedichtband – es ist ein streitbares Dokument der frühen Weimarer Jahre und der Zweit des Nationalsozialismus, das sich gegen Kriegstreiber, Heuchelei, Paragrafenreiter und Nationalpathos wendet. Für alle, die literarische Satire lieben und keine Angst vor entlarvender Wahrheit haben.
Der Akadem
Republikanischer Abend
Kulturhistorisches Nocturno
Der Gottesgnadenhecht
Mondorgelmalzkaffeeromantik
Das Antisemeeting
Die Geistersitzung
Die neue Nationalhymne
Das pasteurisierte Freudenhaus
AUS: Onkel Stefans Kinderfestchen
Reigenliedchen für verarmte Landwirtchen
Am ersten Mai zu singen
Tanzliedchen der kleinen Cellydereiterei
Der Cabaret-Humorist
Deutsche Walpurgisnacht
Einheitsvolkslied
§ 218
Die große Zeit
Liedchen für den Verfassungstag
Anonyme Grabschriften
Ein Unentwegter
Ein Abstraktum
Ein Liberaler
Ein Kommandeur
Deutsches Wesen
Ein Industrieller
Ein Friedensengel
Ein Psycbosynthetiker
Eine Totgeburt
Und so was wählt!
Von allerhand Tieren
Geist und Stoff
Das Lied von der Behörde
Walter Kornfrank
Sonntagsausflug im Jahre 2000
Dichtograph D.R.P.
Der Akademokrat
Autorenabend in Berlin W
Rekorde
Hauptmann
Sommerfrischler
Bessere Leute
Journalisten
Wohltäter
Circulus vitiosus
Weltrekorde
Post festum!
Bei Dichters
Das gerettete Wochenendidyll
Lustbarkeitsgesetz
Das Parlament
Tanzsport
Internationaler Schieberchor
Sechstagerennen
Die lyrischen Wandervögel
Osterspaziergang
Wahltag
Der aufgeblasene Mussolini
Der Landfriedensbrecher
Olympiade
Wohltätigkeitsfeste
Wie hetze ich erfolgreich?
Gustav Kulkes seliges Ende
Neues Berliner Studentenlied
Die Ferienbahn
Der Stammtischwitzbold
Molle geht maifeiern
Die Retter Russlands
Ferientag eines Unpolitischen
Massenstrandbad
Scheidemann spricht
Kunst und Leben
Ei, warum? Ei, darum …!
Ballade von der gebrochenen Zinsknechtschaft
Deutsche Sittlichkeit
Ein übereilter Schritt
Ein neuer Verein
Hellseherei
Der von der höheren Warte
Speierle
Nachtgesang
Das große Schaltjahr
Der neue Sport
Die braune Kuh
Der braune Parnassier
Heil Hitler!
Die Geschichte vom Witz
Ernteeinsatzlied
Das Lied vom braven Mann
Vereinfachtes Verfahren
Die Herrenrasse kauft ein
Die Fahne hoch!
Das Lied vom braunen Maikäfer
Die Wacht im Osten
Landserbrief an Hitler
Der Führer
Bald kommen die letzten Lumpen dran!
Eener macht Propajanda fürn Propajandaminister
So lebn wir alle Tage in ’t Naziparadies!
Lied der totalmobilisierten deutschen Frau
Die Ballade vom großen Zechpreller
Trostworte eines Totalmobilisierten
Die Geschichte vom Heldenfriseur
Zeitgemäße Betrachtungen eines Nazi
Der Mitläufer
Und so was wählt!
1924
Da sitzen sie und meckern sachverständig
Um einen Grand mit Einem aus der Hand.
Doch plötzlich wird der deutsche Geist lebendig,
Furor teutonicus im Skatverband.
Heil Wilhelm! Nieder mit dem Sattlermeister*!
Das Vorhemd kracht im kriegerischen Zorn.
Es riecht so muffig nach Gesinnungskleister
Wie Sauerteig von altem Schrot und Korn.
Man steht geschlossen wie die Wacht am Rheine,
Für Kaiser und für Reich, beseelt
Vom Geist der Militärvereine. -
Und so was wählt!
Da sitzen sie, die Streuselkuchenschwestern
Und sticken Kissen oder sonst so was.
Man liest Romanfortsetzungen von gestern;
Da werden Augen und so weiter nass.
Es war so schön mit Prinzen und Prinzessen!
Dann protestiert man gegen schwarze Schmach.
Die wird man den Franzosen nie vergessen.
Ein echter Deutscher hält, was er versprach!
Das ist die deutsche Treue deutscher Frauen,
Mit Rudolf Herzog** sanft vermählt,
Im Drange, wiederaufzubauen! –
Und so was wählt!
Da sitzen sie, bei hochprozentiger Lösung,
Die Sekundaner mit Bewährungsfrist,
Und saufen Mut zum Zweck der Volksgenesung
Und brüllen Hurra über jeden Mist.
Epheben mit bemalten Hühnerbrüsten
Umarmen sich in Selbstbefriedigung
Und leisten Schwur auf Handgranatenkisten
Und bringen die Franzosen auf den Schwung,
Dem deutschen Barden straffen sich die Nerven
Ob dieser Jugend, die krakeelt.
Das sind des Vaterlands Reserven! –
Und so was wählt!
* Friedrich Ebert, der erste Präsident der Weimarer Republik, war von Beruf Sattler.
** Ein vom Bürgertum viel gelesener nationalistischer Unterhaltungsschriftsteller.
Von allerhand Tieren
1924
Einst hatt ein Löwe sein Getier versammelt
Und hatte lange und ergrimmt
Im Gottesgnadenton gestammelt
Und schließlich feierlich bestimmt:
Man müsse sich zum heil’gen Kriege rüsten,
Zur Rettung der Nation und Dynastie! –
Da scholl, bewegt aus Untertanenbrüsten,
Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.
Da stiegen alle Esel von Kathedern
Und zeigten militärische Allüren.
Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern
Und schrieben Leitartikel und Broschüren.
Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!
Die Stunde ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!
Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“
Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.
Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,
Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.
Im Lande blieben die Intelligenzen
Als unabkömmliche Kulturfaktoren.
Die Esel stiegen wieder aufs Katheder
Und sprachen von heroischer Verklärung.
Die Schweine handelten mit Fett und Leder
Und garantierten so die Volksernährung.
Die Geier stürzten sich auf die Tribute
Und schufen mit den Wölfen Syndikate. –
Die Schafe aber zahlten treu dem Staate
Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.
Man schreit Hurra. Es hagelt nur von Siegen.
Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.
Die Wälder füllen sich mit Beutezügen.
Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.
Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden.
Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.
Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig
Und sind erheblich magerer geworden.
Die kamen furchtbar auf den Hund.
Die Sache hatte einen tiefen Grund:
Das Schweinevolk in höhern Positionen,
Das fraß begeistert doppelte Rationen. –
Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.
Und eines Nachts beschleicht ein düstres Fatum
Die Gottbegnadeten im fetten Schlafe:
Die Hammelschaft erlässt ein Ultimatum
Und konstituiert die Republik der Schafe. –
Da flohn die Heimathelden in die Wälder;
Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz;
Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.
Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.
Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,
Die Schafe über alles in der Welt.
Dann gaben sie, als einig Volk von Brüdern
Für jedes Raubtier volle Amnestie.
Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,
Und predigte von Gleichheitsharmonie.
Es fühlte sich als Schafe unter Schafen
Und huldigte Verfassungsparagrafen.
Gefallen waren die sozialen Hürden,
Und Wölfe, Geier, Esel, Schweine
Bekamen wieder Amt und Würden
Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.
Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:
Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung!
Die uns regieren, haben die Erfahrung.
Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren! –
Da wurden gleich die Esel wieder keck.
Die Schweine wurden wieder fett und fetter.
Die Füchse schufen nationale Blätter,
Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.
Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden.
Die Geier schluckten hohe Dividenden. –
Und eh man sich versehn, war weit und breit
Auf einmal wieder gute, alte Zeit. –
Und auch die Wölfe hatten unterdessen,
Wo sie als Staatsanwälte figuriert,
So manchen armen Hammel aufgefressen,
Der einst für Hammelfreiheit agitiert.
Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern
Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.
Und riss zuweilen eine Lammsgeduld,
Dann rief das Oberschaf: Nur kein Tumult!
Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe!
Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.
Das sahen denn die treuen Lämmer ein,
Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,
Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe. –
Es waren eben veritable Schafe!
Geist und Stoff
1925
Die Eingeschriebene Frida Stumpf
Verließ eines Tages den Sündensumpf
An der Hand eines Philologen.
Er sagte: Fräulein, ich liebe Sie!
Worauf sie in seine chambre garnie
Nach der Uhlandstraße gezogen.
Er las ihr vor aus der Odyssee;
Frida lag auf dem Kanapee.
Er nannte sie seine Hetäre.
Und abends, da saß sie auf seinem Knie.
Da sprach er von seliger Harmonie
Und ob sie zufrieden wäre.
Im Sexuellen verstand er keinen Spaß;
Er nahm es ernst und tat es mit Maß
An Hand einer kleinen Tabelle.
Selbst Fridas Technik verlockte ihn nicht.
Punkt zehn Uhr fünfzehn nahm er das Licht
Und verließ ihre Kammerschwelle.
Doch einmal, da folgte sie ihrer Natur,
Denn ihr Zimmer lag separat am Flur.
Und schon war sie wieder im Sumpfe.
Der Doktor kam früh um sieben ans Bett,
Da fand er bei ihr ein neues Korsett
Und einen Hundertmarkschein im Strumpfe.
Da nahm er das Mädchen Frida Stumpf
Und stieß es zurück in den Sündensumpf.
Sie sei ein verworfenes Mädchen! –
Doch ging die Sache ihm sehr ans Herz.
Er schrieb Elegien im Stil von Properz
Und auch soziale Tragödchen.
Die Tabelle reichte noch bis zum April.
Und manchmal des Abends küsste er still
Ihr Strumpfband, das violette.
Und sprach, indem er sich langsam besoff:
Das ist der Konflikt zwischen Geist und Stoff!
Und ging mit sich selber zu Bette.
Erich Weinert (1890–1953) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und politischer Lyriker. Geboren in Magdeburg, wurde er früh durch seinen sozialdemokratisch gesinnten Vater geprägt. Nach einer Ausbildung als Zeichenlehrer diente er im Ersten Weltkrieg und wandte sich danach künstlerischen und politischen Themen zu.
In den 1920er-Jahren machte er sich mit beißend satirischen Gedichten und Kabaretttexten einen Namen. Er war eng mit der kommunistischen Bewegung verbunden, trat 1929 der KPD bei und schrieb für die Rote Fahne. Seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler und Ernst Busch brachte Lieder hervor, die bis heute bekannt sind, etwa Der heimliche Aufmarsch.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Weinert ins Exil, zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Er schloss sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und war später in Moskau als antifaschistischer Propagandist tätig. 1943 wurde er Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland.
Nach dem Krieg kehrte er schwer erkrankt nach Ost-Berlin zurück und engagierte sich für den kulturellen Wiederaufbau. Neben seinen eigenen Werken veröffentlichte er Übertragungen ukrainischer Dichter wie Schewtschenko und Franko. Er starb 1953 und wurde in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin beigesetzt.
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Autor
Erich Weinert
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 340
- Veröffentlichung 04.06.2025
- ISBN 9783689125110
- Barrierefreiheit Aktuell liegen noch keine Informationen vor
- Wasserzeichen ja