Neulichkeiten

Geschichten mit und ohne Spaß

Was sind eigentlich Neulichkeiten? Wahrscheinlich heißen sie so, weil sich etwas neulich zugetragen hat. Aber es geht um mehr, wie Schriftstellerkollege Walter Püschel in einer Nachbemerkung unter dem Titel „Von einem Manne, der Verwirrung stiftet, um Klarheit zu schaffen“ erläutert: Gerhard Branstner hat die alte Form des Schwanks aus gutem Grund zu neuem Leben erweckt. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wenn überalterte Gesellschaftsformen von neuen abgelöst werden, tritt der Schwank in Aktion. Es sind keine Haupt- und Staatsaktionen, die Branstner schildert, sondern kleine Begebenheiten des Alltags, Geschichten, wie sie sich die Leute in seinem... alles anzeigen expand_more

Was sind eigentlich Neulichkeiten? Wahrscheinlich heißen sie so, weil sich etwas neulich zugetragen hat. Aber es geht um mehr, wie Schriftstellerkollege Walter Püschel in einer Nachbemerkung unter dem Titel „Von einem Manne, der Verwirrung stiftet, um Klarheit zu schaffen“ erläutert:

Gerhard Branstner hat die alte Form des Schwanks aus gutem Grund zu neuem Leben erweckt. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wenn überalterte Gesellschaftsformen von neuen abgelöst werden, tritt der Schwank in Aktion. Es sind keine Haupt- und Staatsaktionen, die Branstner schildert, sondern kleine Begebenheiten des Alltags, Geschichten, wie sie sich die Leute in seinem thüringischen Heimatstädtchen erzählen, wenn sie abends auf der Bank vor dem Hause beisammensitzen: „Neulich ist es mir passiert …“

Von sonderbaren Käuzen wird da berichtet, von komischen Situationen und von unheimlichen. Nach manchen Geschichten gibt es ein zögerndes „Ja, ja“ und eine Pause; und dann lacht man, laut und herzlich oder auch ein wenig verlegen – wenn man begreift, dass man über sich selber lacht – und ist ein bisschen klüger.

Merke:

Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit Abschied nehme, bedarf es unter anderem auch des Dichters.



Also neulich ist man ein bisschen klüger geworden – auch wenn dieses „Neulich inzwischen“ mehr als ein halbes Jahrhundert her ist:

Von der Dummheit, die dem Sozialismus ein Schnippchen zu schlagen gedachte

Als im Frühjahr 1960 die Bauern überall in unserem Lande daran gingen, ihr Leben sozialistisch umzugestalten, gab es in einem Dorf bei Magdeburg, und in einigen anderen mag es nicht anders gewesen sein, zwei Bauern, die, wenn auch auf umgekehrte Weise, ein gleichermaßen verkehrtes Verhalten bewiesen. Der eine verkaufte sein Vieh, um noch soviel Geld wie möglich herauszuschlagen und sowenig wie möglich in die Genossenschaft einzubringen. Der andere wiederum nahm die günstige Gelegenheit wahr, dieses Vieh billig zu erwerben, um seinen Viehbestand durch manches gute Stück zu vervollständigen. Während der erste immerhin damit rechnete, sein Eintritt in die Genossenschaft wurde eines Tages unvermeidlich, kaufte der andere in dem Irrglauben, er könnte dem Sozialismus auf Lebenszeit dumm kommen.

So geschah es, dass in manchem Dorfe der dümmste Bauer tatsächlich das beste Vieh in die Genossenschaft einbrachte. Damit machte aber auch der letzte Bauer den ersten Schritt zur Besserung.



Von zwei Schneidermeistern, die wie Hund und Katze umeinander herumgingen, und wie sie sich vertragen lernten

Von einem Manne, der nicht vom Frühstückstisch aufstand, ohne seine Kaffeetasse zu zerschmettern

Wie Onkel Fritz den Teufel in der Flasche erschlug, und wie es dazu kam

Ein Traum ohne Ende, und weshalb es fehlte

Der ungezogene Dichter – und wie er artig wurde

Von einem sicheren Mittel, dem Tragischen zu begegnen

Der Mann, der seine Ruhe verborgte

Wie eine Straßenbahn einen Schwanz bekam und wie sich verschiedene Leute dazu verhielten

Wie ein Gebrauchtwarenhändler die Kundschaft schröpfte, indem er einen Humanisten darstellte

Eine Geschichte, die zeigt, welches aller Übel das größte ist

Wie einer umfiel und wie vier umfielen, als sie ihm helfen wollten

Wie Friedrichs Pfeife zerbrach und unter welcher Bedingung er sie hätte retten können

Von einem nächtlichen Einbruch, und warum der eine stehenblieb, als der andere schneller rannte

Wie zwei sich ausmachten, dass einer von ihnen einen Sparren habe solle, und der Förster hat es geglaubt

Wie einem Dieb seine Gutmütigkeit schlecht ausschlug

Von einer Nonne, die sich der Polizei überliefern wollte; sie wurde aber nicht genommen

Davon, wie einmal eine Frau verreiste und der Mann in großer Sorge zu Hause blieb

Von einer Frau, die dem Arzt nur ein Bein zeigen wollte, weil das andere, wie sie sagte, ganz gesund sei

Wie ein Kapitalist seine Arbeiter dazu brachte, gebückt zu gehen

Eine Geschichte, in der die Sorge um den Inhalt 500 Mark weniger wert ist

Von einem nützlichen Missverständnis

Wie ein berühmter Mann von einem unberühmten Manne besucht wurde, und was der unberühmte davon zu berichten wusste

Von der Dummheit, die dem Sozialismus ein Schnippchen zu schlagen gedachte

Das größte Wunder ist der Mensch, und wunderlicher kann keiner sein

Von einem, der gerne gewusst hätte, wie es sich dagegenstimmt

Von einem, der sich eines Fingerhuts wegen nicht unglücklich machen wollte

Wie einer für andere einen Dank entgegennimmt, ohne etwas gegeben zu haben

Ein Flickschneider wollte seine Liebe flüstern und warum er keine Gelegenheit dazu fand

Von Gespenstern – und wie ein Junge nicht an sie glaubte

Wie ein Pfarrer den lieben Gott ankündigte, und was darauf geschah

Von der großen Vergesslichkeit eines Manne; und von der verhängnisvollen Art, wie er sich von ihr befreit hat

Von einem Manne, der sich zu Tode lachte, nachdem er sein Testament gemacht hatte



Wie ein berühmter Mann von einem unberühmten Manne besucht wurde, und was der unberühmte davon zu berichten wusste

Es hat immer etwas für den einfachen Mann zu bedeuten, wenn er in seinem Leben einer hervorragenden Persönlichkeit begegnet. In unserer Zeit kommt das schon öfter mal vor (ob es nun daran liegt, dass wir mehr bedeutende Persönlichkeiten haben oder dass wir uns öfter begegnen, sei hier dahingestellt), ungeachtet dessen, bleibt aber auch dann eine solche Begegnung ein Ereignis, das im nachhinein der ausführlichen Würdigung bedarf. Ein solches Geschick traf einmal einen Menschen, der sein Leben nicht anders als in bescheidener Einförmigkeit zugebracht hatte und nun auf einmal im Auftrag seiner Arbeitskollegen eine außerordentlich bedeutende Persönlichkeit aufsuchen sollte. Ab dem Augenblick, an dem er von diesem Auftrag erfuhr, bereitete er sich mit einer Gründlichkeit auf diesen Besuch vor, dass er am Tage des Besuchs nur noch ein Schatten seiner selbst war.

Als er zu seinen Arbeitskollegen zurückgekehrt war, berichtete er ihnen von der bedeutenden Persönlichkeit. Er lobte sie ob ihrer Freundlichkeit und einfachen Art, mit ihm zu sprechen. Trotzdem wäre es ihm, als sie ihm die Hand gereicht hätte, kalt den Rücken hinuntergelaufen und die Knie hätten ihm gezittert. Ein Genie sei eben ein Genie, das merke man schon beim Händedruck. Schließlich wäre er mit großer Höflichkeit verabschiedet worden, um, kaum aus der Tür, mit einem ganz ungehobelten Gesellen zusammenzustoßen. Man müsse annehmen, dass es sich um den Schofför gehandelt habe, der, weil er ein Genie fahren dürfe, wahrscheinlich vergessen habe, wo er hergekommen sei, dieser hochmütige und zugleich unbedeutende Mensch, der seinen Glanz allein der Tatsache verdanke, dass er in der Umgebung eines wahrhaft bedeutenden Menschen sich aufzuhalten das Glück habe.

So ungefähr berichtete der Delegierte seinen Kollegen, die in der Zwischenzeit erfahren hatten, dass sich der Schofför der bedeutenden Persönlichkeit in Erkenntnis der Naivität unseres Mannes einen Spaß daraus gemacht hatte, seinen gerade für kurze Zeit aus dem Zimmer gegangenen Chef für die Dauer von fünf Minuten zu vertreten, während die bedeutende Persönlichkeit ohne ihr Wissen bei unserem Mann die Rolle des Schofförs gespielt hatte, als sie bei dessen Weggange wieder auf der Bildfläche erschien

Die Kollegen machten sich über den Berichterstatter ausgiebig lustig und meinten wunder wie gescheit zu sein. Er dagegen blieb bei seiner Überzeugung, dass derjenige, mit dem er gesprochen hatte, die bedeutende Persönlichkeit gewesen sei, denn schließlich hätten ihm ja die Knie gezittert – ein untrügliches Zeichen dafür, einem Genie gegenüberzustehen. Diese Geschichte zeigt, wie sehr es von uns selber abhängt, was wir in unseren Mitmenschen sehen.



Geboren am 25.Mai 1927 in Blankenhain/Thüringen, Volksschule, drei Jahre Verwaltungslehre.

1945 Soldat im 2. Weltkrieg, bis 1947 in amerikanischer, französischer und belgischer Kriegsgefangenschaft.

1949 – 1951 Abitur an der ABF Jena, 1951 bis 1956 Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, 1963 Promotion (Dr. Phil.).

1956 - 1962 Dozent an der Humboldt-Universität, 1962 – 1964 Lektor, 1966 - 1968 Cheflektor Eulenspiegelverlag/ Das Neue Berlin.

Ab 1968 freiberuflicher Schriftsteller.

2008 in Berlin verstorben.

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