Holy Mike

Saint Mike

Saint Mike ist ein Konglomerat verschiedener Stimmen: Gerede, Gerede, Gerede, würde Detective "Jake" Neuman seufzen. Ausufernde Assoziationsketten, die eigentliche Geschichte ist in unzählige Geschichten eingebettet. Widersprüche bleiben bewusst stehen. Die Wahrheit gibt es ohnehin nicht. Was für den einen einschneidend war, ist für den anderen eine Episode. Zwei Frauen treffen aufeinander: Die FBI-Undercover-Agentin und die High-Society-Lady, die mit Koks dealt. Sie ähneln sich. Um ihren Kampf geht es. Die Männer um sie herum sind schwafelnde, geil sabbernde Witzfiguren. Lächerlich, wenn sie - wie in früheren Romanen Jerry Osters -... alles anzeigen expand_more

Saint Mike ist ein Konglomerat verschiedener Stimmen: Gerede, Gerede, Gerede, würde Detective "Jake" Neuman seufzen. Ausufernde Assoziationsketten, die eigentliche Geschichte ist in unzählige Geschichten eingebettet. Widersprüche bleiben bewusst stehen. Die Wahrheit gibt es ohnehin nicht. Was für den einen einschneidend war, ist für den anderen eine Episode.

Zwei Frauen treffen aufeinander: Die FBI-Undercover-Agentin und die High-Society-Lady, die mit Koks dealt. Sie ähneln sich. Um ihren Kampf geht es. Die Männer um sie herum sind schwafelnde, geil sabbernde Witzfiguren. Lächerlich, wenn sie - wie in früheren Romanen Jerry Osters - wieder und wieder ihren Hack mit Frauen bejammern: "Sie joggte fünf Meilen vor dem Frühstück und spielte Squash nach der Arbeit. Am Wochenende machte sie Rucksacktouren, und im Sommer fuhr sie in den Himalaja zum hochalpinen Bergsteigen. Sie war Gourmet-Köchin, lizenzierte Barfrau, schneiderte ihre Sachen selbst - wenn sie wollte, denn sie war selbstverständlich Weltklasse im Shopping; sie hatte einen schwarzen Gürtel (Karate), ein Jura-Diplom (Harvard), promovierte gerade in Hochenergie-Physik in Princeton und in romanischer Philologie (Sorbonne). Und sie war auch de facto keine Jungfrau mehr, dennoch bevorzugte sie einen Vibrator, ein Orgasmotron. Barnes kannte ihren Typ; er hatte denselben geheiratet."



Jerry Oster schreibt jetzt leichter, schneller und ironischer. Stärker als bisher vermittelt sich das Tempo, der Rap der Millionenstadt New York. Er hat - auf Filme übertragen - mit Schwarz/Weiß angefangen, eine kleine Geschichte erzählt, dann nahezu klassische Detectives eingeführt, the good and the ugly cop, seinen "Jake" Neuman zum crash gebracht, in Dolby-Stereo-Ton, eine Madonna / Dimanche-Story, ein Marathonlauf durch Manhattan, Lotto-Fieber und raffinierte Luder, mit Miami-Vice-Versatzstücken gearbeitet und präsentiert nun Video-Clips, gekonnt geschnitten, dem Thema entsprechend in vielen ausgelegten Linien Koks. That's it. Ein sympathisch lächelnder New Yorker, der keine spektakuläre Biographie vorweisen kann, aber aufregende Romane schreibt.



Es hätte ein großartiges Foto abgegeben - eines, das keiner Bildunterschrift mehr bedurfte. (Ungeachtet der landläufigen Ansicht, ein Bild sage mehr als tausend Worte, gibt es in Wirklichkeit kaum Abbildungen, die auf Legenden verzichten können.)

Zur Linken: einer der Obdachlosen der Stadt, ein menschliches Wrack, ein Stadtstreicher, ein Wilder, ein Penner (nebenbei: eine Bildunterschrift verrät so manches über ihren Verfasser), der auf der Schwelle seiner Bleibe hockte, eines Kenmore-Kühlschrankkartons, dessen Pappwände mit Lagen Zeitungspapier (den Daunen der Vogelfreien) isoliert waren und sich in den Windschatten eines Klinkerbaus duckten, im Norden, auf der Sonnenseite der Straße. Er trug eine braune Army-Mütze mit heruntergelassenen Ohrenklappen, ein tannengrünes Sweatshirt, zwei Anzugjacken, eine mit grauem Glencheck-Muster, die andere aus braunem Harris-Tweed, zwei Mäntel, einen kamelhaarfarbenen, einen marineblauen, eine Khaki-Arbeitshose über - dem wattierten Anschein seiner Beine nach zu urteilen - mindestens einer weiteren Hose sowie hohe, schwarze Sneakers der Marke Keds. (Es war Spätfrühling und der Winter hatte endlich die Waffen gestreckt, doch seinem Zuhause mangelte es an Schränken und seinem Leben an Sicherheit, und so war es ebenso praktisch wie weitblickend, wenn er immer alles gleichzeitig trug, was er besaß: denn todsicher würde es eines Tages wieder kalt werden.) Er hatte einen Drei-Wochen-Bart, wettergegerbte Haut, eine Habichtsnase, eine hohe, schmale Stirn und kluge Augen: ein Gesicht, das, abgesehen von dem Bart und den Witterungsspuren, in jede Vorstandsetage gepasst hätte oder auf einen Buchumschlag.

Zur Rechten: ein Traumpaar. Zwei perfekte Schönheiten, die sich - geschmackvoll umrahmt vom fächerförmigen Fenster eines perfekten In-Lokals - in den Armen lagen. Es war eines jener Restaurants, die freilaufende Hühnchen und sonnengetrocknete Tomaten servieren (wofür ihre Klientel gern - ja geradezu dankbar - jeden Preis zu zahlen bereit war, ohne sich über die Bedeutung dieser Adjektive wirklich klar zu sein). Der Mann trug den doppelreihigen anthrazitfarbenen Nadelstreifenanzug eines Bankiers, ein blaues Hemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten, eine kastanienbraune Seidenkrawatte, ein dazu passendes Einstecktuch, schwarze Halbschuhe aus Ziegenleder, eine goldene Uhr. Er war nicht so groß, dass er mit dem Wort groß treffend beschrieben worden wäre, doch seine Schultern hatten eine gewisse Breite und seine Hüften eine gewisse Schmalheit. Alles deutete auf ein überragendes Können in einer ganz bestimmten Sportart hin: Also, das soll nicht heißen, dass er wie ein ehemaliger (denn er war Anfang vierzig) Basketball- oder Footballspieler aussah. Vielleicht war Tennis oder Baseball sein Sport, womöglich aber auch etwas Obskures. Etwas, das insbesondere andere Sportler ihm angesehen hätten, weil es diese seltene Kombination aus Kraft und Wachsamkeit, aus Koordinations- und Konzentrationsvermögen erforderte: Rudern oder vielleicht auch Stabhochsprung. Sein dunkelbraunes Haar war glatt aus der hohen Stirn gekämmt und lockte sich leicht am Hemdkragen. Die Haut: hell, aber von gesunder Farbe. Augen: blaugrün. Nase: aristokratisch. Lippen: dünn, aber ausdrucksvoll. Kinn: schmal, mit der Andeutung eines Grübchens.

Die Frau in seinen Armen war blond, doch ihr Blond verhielt sich zu anderem Blond wie Crème fraîche zu Magermilch. Ihr Haar fiel in Wellen und Spiralen über die Schultern, und es strahlte die luxuriöse Textur von etwas ganz besonders Seltenem aus; es war wie ein Kissen aus goldenem Seidentaft, welches das Juwel ihres Gesichts wunderbar zur Geltung brachte - das Gesicht eines Fotomodells, aber ohne dessen Leere, einer Herrscherin, ohne deren angeborenen Schwachsinn, ein Gesicht, das den Verkehr zum Erliegen bringen oder eine Invasion auslösen, Lärm im Keim ersticken oder eine Revolution verursachen konnte. Alabaster, Meißen, Elfenbein, Kornblume, Violett, Rubin, Kirsche: Begriffe wie diese versammelten sich im Geiste in der Hoffnung, als Attribut für ihre Haut, ihre Augen und ihre Lippen eingesetzt zu werden, und alle erfüllten ihren Zweck, nur leider mehr schlecht als recht, denn es waren bloß Worte, wohingegen sie aus Fleisch und Blut war.

Sie trug einen eierschalfarbenen doppelreihigen Blazer, darunter einen schwarzseidenen Rollkragenpulli (ärmellos, wie der aufmerksame Beobachter registriert hätte, wäre er ebenfalls im Restaurant gewesen, wo sie den Blazer ausgezogen und über die Rückenlehne des Stuhls gehängt hatte, wobei sie muskulöse Arme entblößte, die mit nichts verschönt waren - kein Armband, keine Uhr, keine Ringe) und (jetzt kommt das Allerbeste, jenes Detail nämlich, wodurch das Foto, wäre ein Fotograf greifbar gewesen, zum Klassiker geworden wäre) Bluejeans, nicht ausgeblichene, sondern völlig abgetragene, mit einem Riss am linken Knie und einer abgerissenen Gesäßtasche, die ein eckiges Stück Dunkelblau freigab, und sie trug verbeulte, abgestoßene, schlamm- und (vielleicht) mit Mist verkrustete spitze Cowboystiefel …

Es küsste sich, dieses wahrhaft göttliche Paar, und der Kuss war leidenschaftlich und zart zugleich. Die Frau musste die Hand von seiner Wange nehmen, damit ihr die Krokodilledertasche nicht über den Arm rutschte. Sie lösten sich voneinander. Der Mann trat auf die Straße, dabei einen Arm lässig ausgestreckt wie ein Falkner, der einfach weiß, dass sich sein wohlerzogener Falke gerade im Sturzflug auf den Handschuh befindet - nur dass er damit ein Taxi herbeikommandierte. Das Tableau schmolz dahin, der entscheidende Moment war aus und vorbei.

Nachdem es Gestalt angenommen hatte, hielt das Taxi an. Der Mann öffnete die Tür, winkte der Frau zu und stieg ein, wobei er seine Anzugjacke aufknöpfte und dem Fahrer leise sein Fahrtziel ins linke Ohr flüsterte. Dann schlug er die Tür zu und lehnte sich zurück.

Plötzlich, als sei sie tatsächlich eine Göttin, die mit einem Augenzwinkern von hier nach da kommen konnte, stand die Frau am Fenster des Taxis, das, heruntergekurbelt, frische Luft hereinlassen sollte. Sie ging leicht in die Knie, um ihren Kopf besser durchs Fenster schieben zu können, es folgten die Schultern und dann der ganze Oberkörper. Sie küsste den Mann wieder auf die Lippen, dabei eine Hand an seiner Wange. Dann war sie mit einem Mal zurück auf dem Gehsteig und warf ihm noch eine Kusshand zu.

Das Taxi gondelte los, ostwärts. Die Frau machte kehrt, die Hände tief in den Taschen ihres Blazers vergraben. Sie hatte mit einem fast militärischen Schwenk kehrtgemacht, und jetzt schritt sie nach Westen. In ihrem Mannequin-Gang lag ein Spritzer Cowgirl. Der Penner ließ sie nicht aus den Augen, bis sie an der Ecke Broadway abbog und weiter nordwärts ging. Er schob eine Hand in seine Hose und kratzte sich im Schritt.



Jerry Oster ist 1947 in New Mexico geboren, kommt als Zehnjähriger nach New York, besucht die High-School, später die Columbia University, belegt als Hauptfach englische Literatur. Danach hat er einen Job bei United Press International News Service, dann bei Reuter und schließlich bei den New York Daily News. Ein Journalist, ein Mann wie manche seiner Protagonisten. Jerry Oster war Polizeireporter, hat unzählige Tatorte aufgesucht und über alle möglichen Verbrechen geschrieben.

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