Ein geborener Genießer

Goethe-Anekdoten

Fallen wir sozusagen gleich mit der Tür ins Haus, ins Goethe-Haus. Und zwar in das in Weimar. Am Frauenplan. Denn dort ist er gestorben. Und fast alle kennen seine angeblich allerletzten Worte. Klar, dass diese in einer Anekdoten-Sammlung über ihn nicht fehlen dürfen. Und so hat sie Volker Ebersbach an die letzte Stelle seiner ebenso informativen wie vergnüglichen Sammlung gerückt, die den vielseitigen Mann abbilden wollen, der in seinem langen Leben fast alles, zumindest vieles gewesen ist: Student und Jurist, Dichter vor allem und Minister, Reisender, Theaterdirektor, Liebhaber, Ehemann und Großvater von drei Enkelkindern sowie nicht zuletzt und vor... alles anzeigen expand_more

Fallen wir sozusagen gleich mit der Tür ins Haus, ins Goethe-Haus. Und zwar in das in Weimar. Am Frauenplan. Denn dort ist er gestorben. Und fast alle kennen seine angeblich allerletzten Worte. Klar, dass diese in einer Anekdoten-Sammlung über ihn nicht fehlen dürfen. Und so hat sie Volker Ebersbach an die letzte Stelle seiner ebenso informativen wie vergnüglichen Sammlung gerückt, die den vielseitigen Mann abbilden wollen, der in seinem langen Leben fast alles, zumindest vieles gewesen ist: Student und Jurist, Dichter vor allem und Minister, Reisender, Theaterdirektor, Liebhaber, Ehemann und Großvater von drei Enkelkindern sowie nicht zuletzt und vor allem ein Mensch – mit allen seinen Stärken und Schwächen.

Davon ist in dieser Sammlung die Rede, die zuerst 1995 veröffentlicht wurde, also im Jahr seines 246. Geburtstages.

Hier aber wie versprochen die letzte der von Ebersbach aus vielen Quellen geschöpften Goethe-Anekdoten, die Nummer 152:

Mehr Licht?

Bevor Goethe am 22. März 1832, in seinem Lehnstuhl zurücksinkend, starb, soll er, von der Erkältung geplagt, die ihn aufs Letzte geschwächt hatte, kaum verständlich etwas von einem zweiten Fensterladen gehaucht haben, den man in der Stube auch aufmachen solle, er wolle „mehr Licht“. Was er dann noch sagen wollte, schrieb er, deutlich die Interpunktion setzend, mit dem rechten Zeigefinger in die Luft. Nur der Anfangsbuchstabe, ein großes W, war deutlich zu erkennen. So galt dieses „Mehr Licht!“ als Goethes letztes Wort.

Da seine Augen aber in letzter Zeit so lichtempfindlich gewesen waren, dass er sie selbst gegen eine Lampe mit einem grünen Schirm schützte, kamen auch Zweifel auf. Kenner der Frankfurter Mundart, die Goethe nie ganz abgelegt hatte, meinten, es könnte auch ein erleichterter Seufzer gewesen sein, des Sinnes: Man liegt …



Davor reicht die Auswahl von seiner Geburtsstadt Frankfurt über Leipzig, wo er studiert und manche Liebschaft hatte, Straßburg und natürlich Weimar sowie Italien, wohin er sich flüchtete, bis nach Frankreich und Karlsbad, wo er noch höheren Alter gern mit jungen und hübschen Damen plauderte.

Glücksstunden werden ebenso vermeldet wie Unglückstunden. Es ist eine schöne Einladung, ein großes Leben zu besichtigen und ein großes Werk wieder einmal zu betrachten, praktiziert und geschaffen von einem Mann, der in nicht weniger als knapp 27 Jahren seinen 300. Geburtstag feiern könnte.



I. FRANKFURT

1. Ein geborener Genießer

2. Der kleine Ästhet

3. Ein Ohrenschmaus

4. Griff nach den Sternen

5. Autodafé

6. Ein Anfang

7. Der gerissene Lehrer

II. LEIPZIG

8. Letzter Wink eines anderen Zeitalters

9. Kunstgriff

10. Missglückte Liebeslist

11. Das längere Gedächtnis

12. Bombenfest

III. STRAßBURG

13. Böses Omen

14. Goethe in Paris!

15. Wie man sich empfiehlt

16. Ein vergesslicher Genießer

17. Geiz

18. Ein berühmter Ankömmling

19. Bibliophiles

20. Intuition

21. Einsamer Genuss

22. Extraportion

IV. GENIEZEIT

23. Merck

24. „Beten Sie für mich!“

25. Das Weltkind

26. Der durstige Aufklärer

27. Mummenschanz

28. Bürgerschreck

V. WEIMAR

29. Das Weltkind bei Hofe

30. Rechnungen für deutsche Genies

31. Gleichmut in der Niederlage

32. Ländliche Rachegöttin

33. Komme gleich wieder

34. Ross und Reiter

35. Mephistophelische Lesung

36. Augenblick und Ewigkeit

37. Erlkönig

38. Autorenbekenntnis

39. Volkstümlich

40. Die Giftnudel

41. Herablassung

42. Wie gerufen

VI. ITALIEN

43. Verdächtiges Zeichnen

44. Fortschreitende Aufklärung

45. Vom Incognito zum Pseudonym

46. Der Gott und die Katze

47. Findige Armut

48. Ein Patriot

49. Vom Nutzen des Kehrichts

50. Der Wettermacher

51. So sind wir alle

52. Auslese

53. Rückblick

VII. AM MUSENHOF

54. Souveränitäten

55. Das unwillkommene Ständchen

56. Unverhoffte Ehren

57. Trinkgeld statt Entschädigung

58. Größen

59. Genüssliches Vergelten

60. Ein sprechender Name

61. Dichterliche Verfügung

62. Verrat

63. Sachliche Fragen

64. Lorbeer

VIII. GLÜCKSSTUNDEN

65. Vermittelndes

66. Lachsalven

67. Geheimrätliche Auskunft

68. Mutter

69. Angepackt!

70. Väterlicher Rat

71. Rezensenten

72. Anfänge eines Goethe-Museums

73. Weggelesen

74. Der maßvolle Genießer

75. Neuschnee

IX. UNGLÜCKSSTUNDEN

76. Seine Exzellenz

77. Wes Brot ich ess …?

78. Doppelter Widerhaken

79. Verwechslung mit dem Schwager

80. Unglücksstunde

81. Der einsilbige Genießer

82. Ungenießbar

83. Schweigend ins Gespräch vertieft …

84. Einer von beiden

85. Unerbittliches Schicksal

86. Ausgepfiffen

87. Noch ein Autodafé

88. Empfindliche Stelle

X. KRIEG

89. Gehorsam

90. Doch noch Paris?

91. Mephistopheles am Wachfeuer

92. Valmy

93. Zustände!

94. Rechtzeitige Warnung

95. Ein Federstrich

96. Unruhige Nacht

97. Diese Person

98. Umwidmung einer Kriegsbeute

99. Zwillingsnationen

100. Politik statt Tragödie

101. Deutsche Freiheit?

102. Verzicht

103. Mucken

104. Olympiergrimassen

XI. KURGAST

105. Mineralogische Namenskunde

106. Fremde Federn

107. Massenkost

XII. „MEHR LICHT!“



132. Kompliment

Eine stadtbekannte Schönheit konnte es kaum fassen, dass Goethe sie auf einer Abendgesellschaft im Weimarer Schloss nicht beachtet hatte. „Nun sehe ich ja, was von Ihrer Höflichkeit zu halten ist“, beschwerte sich die Dame. „Sie gehen an mir vorüber, ohne mich anzusehen.“

„Verehrteste!“, antwortete der Achtundsechzigjährige. „Wenn ich Sie angesehen hätte, wäre ich nicht an Ihnen vorbeigekommen.“

133. Haarkünstler

Goethes Sekretär Friedrich Theodor Kräuter bat den Friseur um eine Locke vom Haupt des Dichters. „Die sind alle gezählt“, war der abschlägige Bescheid. „Die gehen alle zum Verkauf nach Frankfurt.“

134. Versäumter Genuss

Als Goethe nicht mehr ins Theater ging, äußerte sich seine Schwiegertochter Ottilie beim Frühstück entrüstet über die skandalöse Art, in der eine polnische Sängerin die Mazurka getanzt habe. „Die Röcke flogen ihr um die Knie, und sie dehnte und reckte sich wie eine Mänade.“

Goethe lehnte sich zurück, zog sich die Weste zurecht und sagte: „Wie schade, dass ich nicht dabeigewesen bin.“

135. Besorgnis

Die schöne Pianistin Maria Szymanowska gastierte im November 1823 in Weimar. Goethe versäumte keine Gelegenheit, in ihre Nähe zu kommen, lud sie zu sich ein, ließ sich vorspielen. Als er nach diesen Anstrengungen erkrankte, sagte sein ehemaliger Diener Goetze, inzwischen Wegebauinspektor, besorgt: „Ja, Ihr Exzellenz, polnisch geht es jetzt nicht mehr mit uns.“

136. Manieren

Johannes Falk, Pädagoge und Satirendichter, wunderte sich pikiert über die Manieren Karl Friedrich Zelters: „Was soll man denn zu einem Menschen sagen, der auf den Fußboden spuckt?“

Goethe ließ aber auf seinen Freund nichts kommen: „Was soll man zu mir sagen, ich spucke auf euch alle!“

137. Frauenliteratur

Hofrat Rehbein meinte, poetisches Talent bei Frauen sei eine Art von geistigem Geschlechtstrieb, eine Art Ersatz. Ans Dichten würden Frauen nie denken, wenn sie heirateten und Kinder bekämen.

Goethe kannte dafür Beispiele. „Doch unsere Dichterinnen mögen dichten und schreiben, soviel sie wollen“, schloss er, „wenn nur unsere Männer nicht wie die Weiber schrieben!“

138. Vom Fach

Goethe plauderte lange mit dem jungen Juristen Stüve, der ihm viel Interessantes aus Osnabrück zu berichten hatte. Dann kam er auf den Besucher selbst zurück und sagte, sich der eigenen Studienzeit erinnernd: „Also: Sie sind Advokat, das heißt einer, der aus jeder Sache etwas zu machen weiß.“

„Entschuldigen Exzellenz …“ stammelte Stüve, wie um sich zu verteidigen.

„Recht so“, lachte Goethe, „ein Advokat darf nie etwas zugeben.“

139. Die tote Venus

Eine Schar junger Mädchen stürmte, aus Tiefurt kommend, in Goethes Gartenhaus, um ihm frische Frühlingsblumen zu bringen. Dabei stieß eine der zarten Verehrerinnen den Gipsabguss einer Venus um, und sie brach in Tränen aus.

„Ei, ei“, sagte Goethe mit scherzhaft erhobenem Finger, „wer wird denn um die tote Venus weinen, wenn sie so viele lebende Vertreterinnen hat.“



Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.

Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.

Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.

Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985

Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993

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