Gegenstoß ins Nichts

Der Gefreite Wolfgang Fiedler wollte nicht sterben. Bevor die Brücke gesprengt wurde, rannte er ans andere Ufer und flüchtete in eine russische Schule. Dort stand eine große Kiste. Der Angriff der Russen kam schneller als erwartet. Immer wieder wurden sie ins Feuer getrieben, eigentlich nur, um die Kiste zu verteidigen und die Lüge des Majors von Kaltenboek nicht auffliegen zu lassen. Doch dann sah Fiedler, was in der Kiste war. Den Stoff für die Novelle entnahm der Autor einer Begebenheit, die er während des Krieges miterlebt hatte. Wolfgang spürte, wie ihm das Blut zum Herzen schoss. Plötzlich pfiff es heulend. Bei der Friedhofsmauer... alles anzeigen expand_more

Der Gefreite Wolfgang Fiedler wollte nicht sterben. Bevor die Brücke gesprengt wurde, rannte er ans andere Ufer und flüchtete in eine russische Schule. Dort stand eine große Kiste. Der Angriff der Russen kam schneller als erwartet. Immer wieder wurden sie ins Feuer getrieben, eigentlich nur, um die Kiste zu verteidigen und die Lüge des Majors von Kaltenboek nicht auffliegen zu lassen.

Doch dann sah Fiedler, was in der Kiste war.

Den Stoff für die Novelle entnahm der Autor einer Begebenheit, die er während des Krieges miterlebt hatte.



Wolfgang spürte, wie ihm das Blut zum Herzen schoss. Plötzlich pfiff es heulend. Bei der Friedhofsmauer stiegen zwei riesige Feuerschwänze in den Himmel, in der Schule platzten die Fensterscheiben. Wolfgang lag im Flur und presste sein Gesicht auf die kalten Steinplatten.

Die Nacht schien in Stücke gebrochen zu sein. Gellend fiel sie auseinander.

Vom Ufer des Flusses kam der Schrei eines Riesenchores: „Urräää – urräää!“

Wieder erhielt das Schulgebäude einen bebenden Ruck und zuckte in seinen Wänden. Türen und Fenster fetzten aus dem Gemäuer.

Schreie! Befehle! Schreie! Befehle!

Wolfgang hatte Mühe, sich bis zu dem Klassenzimmer hindurchzustoßen, zu rempeln. Er fiel über zu Boden Gestürzte, sie traten ihm ins Gesicht, in den Leib, und er rappelte sich wieder auf und trat anderen in den Leib, die am Boden schrien.

Zwischendurch war die Stimme Oberleutnant Fahlbergs zu hören: „Erstes MG – in den Hausflur, zwotes MG ans Ostfenster, drittes MG Nordseite! Alles andere an die Fenster verteilen. Handgranaten fertigmachen!“

Und das wiederholte Fahlberg mehrmals.

Zwischendurch läutete dünn und fast glöckchenhaft das Telefon. Natürlich. Der Kistenunteroffizier hatte das wohl erwartet. „Jaja, freilich, jawoll, Herr Major! –Die Russen! – Ja doch, die Russen! – Ganz bestimmt! – Hören Sie, sie sind schon unter den Fenstern! – Soll hier bleiben! Jawoll!“

Der Unteroffizier legte auf, obwohl der Bataillonskommandeur noch gesprochen- hatte. Durch die Fenster peitschten Schüsse, fuhren in die Wände. Unteroffizier Bake tanzte um die Kiste herum. Er legte sich jetzt hinter die Kiste. Sie war so lang wie er selbst, und hinter der Kiste war er geschützt. Da wäre doch kein Gewehrschuss durchgesaust?! Was ist denn in der Kiste? dachte er. Pulver? Papierkram? Und wenn Munition drin ist? Nein, Munition darf nicht drin sein! Vier Handgranaten lagen neben ihm.

Draußen war ein Schreien und Schießen und Krachen und Zischen. Und die aus den Fenstern schossen, schrien auch: „Los, dort hinten, drei Mann! – und dort zwei! – Los, Feuer, immer hinein! – Feuer!“

Wolfgang Fiedler lag neben dem Maschinengewehr im Hausflur und reichte dem ersten Schützen die Gurte. Das Maschinengewehr hämmerte brüllend in die vorbeistürmenden Russen auf der Straße. Unten von der Friedhofsmauer – von rechts – knatterte ebenfalls ein Maschinengewehr. Wolfgang sah, wie sich die Leichen auf der Straße häuften.



Am 13. Juli 1924 in Reichenau in Sachsen geboren. Kurt David absolvierte nach dem Besuch der Handelsschule eine kaufmännische Ausbildung. Von 1942 bis 1945 nahm er als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1945 bis 1946 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Den Plan einer Ausbildung zum Musiker musste er wegen einer Kriegsverwundung aufgeben. David gehörte vier Jahre der Volkspolizei der DDR an und war anschließend zwei Jahre lang Kreissekretär beim Kulturbund der DDR. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller zuerst in Oberseifersdorf/Zittau, danach bis zu seinem Tod in Oybin. In den 1960er Jahren unternahm er mehrfach Reisen in die Mongolei und durch Polen. 1970 erhielt er den Alex-Wedding-Preis, 1973 den Nationalpreis, 1980 den Vaterländischen Verdienstorden und 1984 den Lion-Feuchtwanger-Preis. Er starb am 2. Februar 1994 in Görlitz.

Davids frühe Werke haben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema. Es folgten Bände mit Reiseberichten. Den größten Teil in Davids Werk bilden die Kinder- und Jugendbücher, von denen vor allem der humoristische Band „Freitags wird gebadet“ in der DDR ein großer Publikumserfolg, auch in der Fassung als Fernsehserie, war. Eine weitere Facette in Davids Schaffen bilden historische Romane, die Themen aus der Geschichte der Mongolen behandeln. Außerdem schrieb David Biografien über die Komponisten Beethoven und Schubert.

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