Gedichte

Der Rabe und sämtliche andere

Edgar Allan Poe (* 19. Januar 1809 in Boston, Massachusetts; † 7. Oktober 1849 in Baltimore, Maryland) war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Er prägte entscheidend die Gattung der Kurzgeschichte sowie die Genres der Kriminal-, der Horror- und der Schauerliteratur. Einzelne Erzählungen haben spätere Autoren der Science-Fiction wie Jules Verne beeinflusst. Seine Poesie, in Europa u. a. von Charles Baudelaire rezipiert, wurde zum Fundament des Symbolismus und damit der modernen Dichtung. Poes Werk umfasst Erzählungen, Lyrik, Satiren, Essays, literaturwissenschaftliche (Das poetische Prinzip, postum erschienen) und höchst komplexe... alles anzeigen expand_more

Edgar Allan Poe (* 19. Januar 1809 in Boston, Massachusetts; † 7. Oktober 1849 in Baltimore, Maryland) war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Er prägte entscheidend die Gattung der Kurzgeschichte sowie die Genres der Kriminal-, der Horror- und der Schauerliteratur. Einzelne Erzählungen haben spätere Autoren der Science-Fiction wie Jules Verne beeinflusst. Seine Poesie, in Europa u. a. von Charles Baudelaire rezipiert, wurde zum Fundament des Symbolismus und damit der modernen Dichtung. Poes Werk umfasst Erzählungen, Lyrik, Satiren, Essays, literaturwissenschaftliche (Das poetische Prinzip, postum erschienen) und höchst komplexe naturwissenschaftliche Abhandlungen. Es ist als Ganzes nicht einfach unter einen Oberbegriff zu bringen. Trotzdem wird Poe– auch dank zahlreicher Verfilmungen– sein Image als „Horrorautor“ wohl nie ganz verlieren. Von großer Bedeutung ist sein lyrisches Werk. Der Rabe (englisch The Raven) und The Bells gelten als die ersten bedeutenden Gedichte Amerikas in der Weltliteratur. Poe maß bei der Konzeption seiner Gedichte der Musik und dem logisch-formalen Aufbau einen hohen Stellenwert bei und sorgte oft für die klangliche Veranschaulichung der im Gedicht beschriebenen Dinge (The Bells), was ihn zu einem Wegbereiter des Symbolismus vor allem in Frankreich machte.

In diesem Buch ist das gesamte lyrische Werk von Edgar Allan Poe zusammengefasst, zum Teil in mehreren deutschen Übersetzungen.



Der Rabe

Übers.: Hedwig Lachmann



Eines Nachts, aus gelben Blättern mit verblichnen

Runenlettern

Tote Mären suchend, sammelnd von des

Zeitenmeers Gestaden,

Müde in die Zeilen blickend und zuletzt im Schlafe

nickend,

Hört' ich plötzlich leise klopfen, leise, doch

vernehmlich klopfen

Und fuhr auf, erschreckend stammelnd: »Einer von den Kameraden«,

»Einer von den Kameraden«.



In dem letzten Mond des Jahres, um die zwölfte

Stunde war es,

Und ein wunderlich Rumoren klang mir fort und

fort im Ohre,

Sehnlichst harrte ich des Tages, jedes neuen

Glockenschlages;

In das Buch vor mir versenken wollt' ich all mein

Schmerzgedenken,

Meine Träume von Leonoren, meinen Gram um

Leonore,

Um die tote Leonore.



Seltsame, phantastisch wilde, unerklärliche Gebilde,

Schwarz und dicht gleich undurchsicht'gen, nächtig

dunklen Nebelschwaden

Huschten aus den Zimmerecken, füllten mich mit

tausend Schrecken,

So daß ich nun bleich und schlotternd, immer

wieder angstvoll stotternd,

Murmelte, mich zu beschwicht'gen: »Einer von den

Kameraden«,

»Einer von den Kameraden!«



Alsbald aber mich ermannend, fragt' ich, jede Scheu

verbannend,

Wen der Weg noch zu mir führe: »Mit wem habe ich

die Ehre?«

Hub ich an, weltmännisch höflich: »Sie verzeihen,

ich bin sträflich,

Daß ich Sie nicht gleich vernommen; seien Sie mir

hochwillkommen!«

Und ich öffnete die Türe – nichts als schaudervolle

Leere,

Schwarze, schaudervolle Leere.



Lang in dieses Dunkel starrend, stand ich fürchtend,

stand ich harrend,

Fürchtend, harrend, zweifelnd, staunend, meine

Seele ganz im Ohre –

Doch die Nacht blieb ungelichtet, tiefes Schwarz auf

Schwarz geschichtet,

Und das Schweigen ungebrochen, und nichts weiter

ward gesprochen,

Als das eine, flüsternd, raunend, das gehauchte Wort »Lenore«,

Das ich flüsterte: »Lenore!«



In mein Zimmer wiederkehrend und zum Sessel

flüchtend, während

Schatten meinen Blick umflorten, hörte ich von

neuem klopfen,

Diesmal aber etwas lauter, gleichsam kecker und

vertrauter.

An dem Laden ist es, sagt' ich, und mich zu erheben

wagt' ich,

Sprach mir Mut zu mit den Worten: »Sicher sind es

Regentropfen,

Weiter nichts als Regentropfen«.



Und ich öffnete: Bedächtig schritt ein Rabe, groß

und nächtig,

Mit verwildertem Gefieder ins Gemach und

gravitätisch

Mit dem ernsten Kopfe nickend, flüchtig durch das

Zimmer blickend,

Flog er auf das Türgerüste, und auf einer

Pallasbüste

Ließ er sich gemächlich nieder, saß dort stolz und

majestätisch,

Selbstbewußt und majestätisch.



Ob des herrischen Verfahrens und des würdige'n

Gebarens

Dieses wunderlichen Gastes schier belustigt, sprach

ich; »Grimmer

Unglücksbote des Gestades an dem Flußgebiet des

Hades

Du bist sicher hochgeboren, kommst du gradwegs

von den Toren

Des plutonischen Palastes? Sag, wie nennt man dich

1dort?« – »Nimmer!«

Hört' ich da vernehmlich: »Nimmer!«



Wahrlich, ich muss eingestehen, daaa mich eigene

Ideen

Bei dem dunklen Wort durchschwirrten, ja, dass mir

Gedanken kamen,

Zweifel vom bizarrsten Schlage; und es ist auch

keine Frage,

Dass dies seltsame Begebnis ein vereinzeltes

Erlebnis:

Einen Raben zu bewirten mit solch ominösem

Namen,

Solchem ominösen Namen.



Doch mein düsterer Gefährte sprach nichts weiter

und gewährte

Mir kein Zeichen der Beachtung. Lautlos stille

ward's im Zimmer,

Bis ich traumhaft, abgebrochen (halb gedacht und

halb gesprochen)

Raunte: »Andre Freunde gingen, morgen hebt auch

er die Schwingen,

Läßt dich wieder in Umnachtung.« Da vernahm ich deutlich »Nimmer.«

Deutlich und verständlich: »Nimmer.«



Stutzig über die Repliken, maß ich ihn mit scheuen

Blicken,

Sprechend: Dies ist zweifelsohne sein gesamter

Schatz an Worten,

Einem Herren abgefangen, dem das Unglück

nachgegangen,

Nachgegangen, nachgelaufen, bis er auf dem

Trümmerhaufen

Seines Glücks dies monotone »Nimmer« seufzteallerorten,

Jederzeit und allerorten.



Doch der Rabe lieb possierlich würdevoll, und

unwillkürlich

Mußt' ich lächeln ob des Wichtes: Alsdann mitten in

das Zimmer

Einen samtnen Sessel rückend und mich in die

Polster drückend,

Sann ich angesichts des grimmen, dürren, ominösen,

schlimmen

Künders göttlichen Gerichtes, über dieses dunkle

»Nimmer«,

Dieses rätselhafte »Nimmer.«



Dies und anderes erwog ich, in die Traumeslande

flog ich,

Losgelöst von jeder Fessel. Von der Lampe fiel ein

Schimmer

Auf die violetten Stühle, und auf meinem samtnen

Pfühle

Lag ich lange, traumverloren, schwang mich auf zu

Leonoren,

Die in diesen samtnen Sessel nimmermehr sich

lehnet, nimmer,

Nimmer, nimmer, nimmer, nimmer.

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