Rezension: Babel von R.F. Kuang

Übersetzungen als Schlüssel zu Magie - in "Babel" beschäftigt sich R. F. Kuang mit Kolonialisierung, britischem Imperialismus, Lernen und Macht(gefällen).

 

Das sagt der Klappentext: 

Cover R.F. Kuang: Babel

R.F. Kuang: Babel

Erscheinungsdatum: 28.04.2023 - Verlag: Eichborn - Seitenzahl: 733

1828. Robin Swift, den ein Cholera-Ausbruch im chinesischen Kanton als Waisenjungen zurücklässt, wird von dem geheimnisvollen Professor Lovell nach London gebracht. Dort lernt er jahrelang Latein, Altgriechisch und Chinesisch, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem er in das Königliche Institut für Übersetzung der Universität Oxford - auch bekannt als Babel - aufgenommen werden soll.

Oxford ist das Zentrum allen Wissens und Fortschritts in der Welt. Für Robin erfüllt sich ein Traum, an dem Ort zu studieren, der die ganze Macht des britischen Empire verkörpert.

Denn in Babel wird nicht nur Übersetzung gelehrt, sondern auch Magie. Das Silberwerk - die Kunst, die in der Übersetzung verloren gegangene Bedeutung mithilfe von verzauberten Silberbarren zu manifestieren - hat die Briten zu unvergleichlichem Einfluss gebracht. Dank dieser besonderen Magie hat das Empire große Teile der Welt kolonisiert.

Für Robin ist Oxford eine Utopie, die dem Streben nach Wissen gewidmet ist. Doch Wissen gehorcht Macht, und als chinesischer Junge, der in Großbritannien aufgewachsen ist, erkennt Robin, dass es Verrat an seinem Mutterland bedeutet, Babel zu dienen. Im Laufe seines Studiums gerät Robin zwischen Babel und den zwielichtigen Hermes-Bund, eine Organisation, die die imperiale Expansion stoppen will. Als Großbritannien einen ungerechten Krieg mit China um Silber und Opium führt, muss Robin sich für eine Seite entscheiden ...

Aber kann ein Student gegen ein Imperium bestehen?

Der spektakuläre Roman der preisgekrönten Autorin Rebecca F. Kuang über die Magie der Sprache, die Gewalt des Kolonialismus und die Opfer des Widerstands.

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Rezension zu "Babel" von R.F. Kuang

Am Ende von "Babel" habe ich geweint. Dass mich Bücher emotional machen, ist nichts neues, aber von diesem Roman hatte ich es ehrlich gesagt gar nicht erwartet. "Dark Academia" war für mich ein vollkommen neues Genre, mit dem ich zuvor noch gar keine Berührungspunkte hatte. Aber dann hat mein Buchclub Ende 2022 "Babel" als Buch des Monats ausgewählt und ich habe mich einfach mal herangewagt. Dazu muss ich jedoch auch ehrlicherweise sagen: Ich habe "Babel" auf Englisch gelesen: die deutsche Übersetzung erschien jetzt erst im April 2023.

Was ist "Dark Academia"?

Dark Academia ist ein relativ neues Genre der Literatur. Es handelt sich aber auch um einen Modetrend, der sich vor allem an einem etwas formelleren Stil orientiert, der an Eliteuniversitäten in den 1930er und 1940 erinnertn soll: Anzughosen, Cardigans, Brillen mit großen Rahmen, karierte Röcke, Blazer, elegante Lederschuhe und -taschen. Bei Büchern handelt es sich vor allem um Romane, die in einem akademischen Umfeld spielen und in denen meistens Studenten die Hauptcharaktere sind. Werte wie Fleiß und Wissbegierde sind wichtig, aber oftmals stehen diese von den Einrichtungen vermittelten und verlangten Werte in Kontrast mit dem, was die Hauptfiguren sich von ihrem Leben wünschen. Falls Sie "Club der toten Dichter" kennen: Der Film ist ein gutes Beispiel für Dark Acadmia. Dabei bedeutet "dark" in diesem Zusammenhang nicht unbedingt düster im Sinne von "gruselig" oder "schwierig" (wie es bei Dark Romance der Fall ist). Die Bezeichnung soll eine bestimmte Atmosphäre heraufbeschwören: Alte Gebäude im gotischen Stil, Kerzenlicht, eine leichte Melancholie und natürlich der Kontrast zum hedonistischen Leben, den das intensive Studieren mit sich bringt.

Magie der Sprache

"Babel" wird als großes Fantasyspektakel à la Harry Potter angekündigt, aber dem kann ich nicht wirklich zustimmen. Der Fantasy-Aspekt ist meiner Meinung nach wirklich minimal. Zwar vorhanden, aber im Großen und Ganzen nicht der Fokus der Geschichte. Stellenweise wirkt das Buch eher wie ein historischer Roman, in den geschickt phantastische Aspekte eingebaut wurden. Die Silbermagie, die am Babel-Institut von Oxford gelehrt wird, ist ein Mittel, um das Leben zu vereinfachen. Mit ihr werden Gebäude mit Strom versorgt, die Kanalisation am Laufen gehalten, sogar geheilt. Allerdings lässt sich Babel auch teuer dafür bezahlen und Silbermagie steht nur den Reichen (und Weißen) zur Verfügung. Um Silbermagie zu wirken, wird neben Silber auch Sprache benötigt, bzw. die Übersetzung von Wörtern und Phrasen von einer anderen Sprache ins Englische. Die Kraft der Magie kommt durch die Kunst zustande, den entstandenen Bedeutungsverlust bei der Übersetzung zu manifestieren: Je größer dieser Verlust, desto stärker die Magie. Linguistik-Liebhaber dürften an "Babel" eine ganz besondere Freude haben. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass alle diejenigen, für die Linguistik komplett uninteressant ist, mit dem Buch ihre Schwierigkeiten haben dürften. Vor allem in der ersten Hälfte von Babel wird ein großer Fokus auf die Bildung und die Lehren des Instituts gelegt und immer wieder wird über Sprache philosophiert: Dass Übersetzen eine Kunst ist, die nicht unterschätzt werden sollte und wie schwierig es mitunter ist, ein Wort richtig zu übersetzen, weil die ursprüngliche Bedeutung des Wortes verloren geht, da die Geschichte hinter der Entstehung nicht vermittelt werden kann. Ich persönlich war jedoch ganz verzaubert von dem Buch, denn für mich ist das Thema höchst interessant und außerdem weiß R.F. Kuang meisterhaft mit Sprache umzugehen. In Babel ist Sprache nicht nur der Schlüssel zur Magie, sondern auch der Roman an sich einfach magisch, fast schon poetisch. Schon lange habe ich ein Buch nicht mehr so sehr genossen, alleine aufgrund des Schreibstils. Man merkt deutlich, dass die Autorin selbst eine große Leidenschaft für Linguistik und Übersetzung hat.

Ausbeutung, Rassismus und Kolonialismus

Der Titel der Originalausgabe lautet: "Babel - Or the Necessity of Violence: An Arcane History of Oxford Translator's Revolution" - zu deutsch: Babel - oder die Notwendigkeit von Gewalt: Eine arkane Geschichte der Revolution der Übersetzer von Oxford. Während es in der ersten Hälfte noch relativ zahm zugeht, nehmen die Geschehnisse irgendwann eine Wendung, die einigen eventuell etwas sauer aufstoßen könnte. Rassissmus und die Ausbeutung von anderen Ländern durch Großbritannien werden thematisiert, unter anderem die Opiumkriege mit China. Am Institut von Babel werden Muttersprachler:innen gebraucht, die ihre Sprache perfekt beherrschen. Je besser das Verständnis der Sprachen, mit denen gearbeitet wird, desto wirkungsvoller ist die Silbermagie. So trägt es sich zu, dass Kinder aus der ganzen Welt nach Babel geholt werden, um dort zu lernen und nach Abschluss ihres Studiums im Dienste Großbritanniens zu stehen. Silbermagie ist höchst exlusiv und die Geheimnisse werden von Babel streng behütet. Dass Großbritannien überhaupt so eine Weltmacht geworden ist, verdankt das Land hauptsächlich dem Institut. Doch all diese Macht hat auch ihre Schattenseiten, wie mit Fortschreiten der Geschichte immer deutlicher wird.

Babel wird aus der Perspektive von Robin Swift erzählt: Ein chinesicher Junge, der seine Familie an Cholera verloren hat und im Zuge dessen von einem Mann namens Professor Lovell nach Großbritannien geholt wird. Dort lernt er Latein, Altgriechisch und erhält intensiven Unterricht in Chinesisch, damit er später in Oxford studieren kann. Robin (dessen echten Namen, der als zu "schwierig" empfunden wird, wir nie erfahren) ist wissbegierig und träumt davon, am Institut für Übersetzung zu arbeiten. Dass er dafür aber sein Heimatland verraten muss, versteht er anfangs noch gar nicht. Relativ bald macht er aber Bekanntschaft mit einer Organisation namens Hermes, die die Machenschaften des Instituts nicht unterstützt und dafür kämpft, die von Großbritannien kolonisierten Länder zu befreien. Während er sich zu Beginn dagegen wehrt, ändert sich seine blauäugige Sicht auf Babel mit der Zeit.

Alltagsrassismus ist auch ein Thema, das in Babel aufgegriffen wird, und zwar sehr clever: Robin schließt Freundschaft mit drei weiteren Student:innen des Instituts. Ramy kommt aus Indien, Victoire aus Haiti und Letty - eine Mädchen aus England, das aus einer reichen, weißen Familie stammt. Während Robin, Victoire und Ramy täglich mit Blicken und Angriffen konfrontiert sind, versteht Letty oft das Problem nicht. Als junge Frau ist sie nur damit konfrontiert, dass Frauen anders behandelt und diskriminiert werden und daher bemerkt sie oft gar nicht, dass ihre Freunde aufgrund deren Abstammung anders behandelt werden und sich unter gewissen Umständen unwohl fühlen. Letty hält den Lesenden auf unangenehme Weise den Spiegel vor und veranlasst dazu, das eigene Verhalten zu überdenken.

Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht über das Buch verraten, da wir hier versuchen, möglichst spoilerfrei zu bleiben. Die letzten 300 Seiten habe ich jedenfalls in einem Rutsch weggelesen und nach Beenden des Buchs habe ich erst ein paar Tage gebraucht, den Inhalt "zu verdauen", bevor ich überhaupt daran denken konnte, ein neues Buch anzufangen.

"Babel" von R.F. Kuang war eines meiner Jahreshighlights 2022. Es ist keine leichte Lektüre und nichts für kurzweilige Unterhaltung. Wer aber gerne mal etwas anspruchsvollere Fantasy lesen will und vor allem auch Freude an Sprache und ein gewisses Interesse an der Geschichte von Großbritannien hat, dem kann ich den Roman auf jeden Fall ans Herz legen.

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