Sassa yo yassa
Japanische Tänze
Japan, 1911 – ein Land der leisen Gesten, der kunstvollen Bewegungen, der nächtlichen Teehausstraßen und der geheimnisvollen Tänze.
Bernhard Kellermann nimmt die Leser mit auf eine sinnliche, atmosphärisch dichte Reise in die Welt der Geishas, Maikos und traditionellen Tänze. In poetischen Bildern schildert er die Straßen Miyazus, die flackernden Papierlampen, die Musik der Samisen und die uralten Geschichten, die durch Tanz lebendig werden – von der tragischen Liebe der Yaengiri bis zur mythischen Lichtgöttin Amaterasu.
Kellermann beobachtet mit feinem, fast ethnografischem Blick und zugleich mit literarischem Zauber. Sein Text öffnet ein Fenster in eine fremde, faszinierende Welt, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch kaum ein europäisches Publikum kannte.
Sassa yo yassa ist ein seltenes kulturhistorisches Dokument – eine Einladung, Japan mit den Augen eines Reisenden zu entdecken, der staunen kann.
Yamanaka
Ichiko, Kojako und Fukuko
Die Geisha
Urashima mai
Oni-mai, der Teufelstanz
Sarashi no mai, der Tanz des Wäschebleichens
Sangoku Ichi mai
Sanja no mai
Shaberi Yama-Uba mai
Tsukiga Kasanarya
Sassa yo Yassa
In Araki-ya
Ujigawa Genda Monogatari
Sanja no mai
Wie merkwürdig aber ist doch der Mensch: Dieselbe Maske übt im nächsten Tanz einen ganz anderen Eindruck auf mich aus.
Denn im Sanja no mai, dem Pilgertanz, stellt die Tänzerin (Fukuko tanzt) mit der gleichen Maske eine schöne Prinzessin dar.
Die Geschichte dieses Tanzes ist höchst merkwürdig und echt japanisch, denn wie sollte ein anderes Volk soviel Fantasie mit solcher Naivität verbinden können?
Amaterasu Omikami, das Licht des Himmels, die oberste Göttin Japans, hatte einen jungen Bruder, Susa-no-o Mikoto, dessen Extravaganzen sie so erzürnten und beschämten, dass sie beschloss, sich von der Welt zurückzuziehen. Sie verbarg sich im Meere hinter einem Felsen in der Provinz Ise. Dieser Felsen, Iwato (d. i. „erscheint in der See“), ist noch heute zu sehen. Man wallfahrt zu ihm.
Sobald aber die erbitterte Lichtgöttin ins Meer gestiegen war, versank Japan in die schwärzeste Nacht. Das Volk zitterte und verging vor Angst und schrie zu den Göttern. Die Götter hatten Erbarmen und versammelten sich in der Provinz Ise, um zu beraten, durch welche Mittel die erzürnte Göttin aus ihrem Versteck herausgelockt werden könnte.
Und sie kamen überein, dass es das Beste wäre, der Göttin ein Schauspiel zu geben. Sieben Instrumente, so dachten sie, Schlottern, Glocken, Flöten, Samisenen, Trommeln etc., und Usumeno Mikoto, die göttliche Prinzessin, berühmt wegen ihrer Schönheit, soll tanzen!
Die Götter hatten sich nicht getäuscht.
Sobald nämlich Amaterasu Omikami die Musik vernahm, Glocken, Schlottern, Trommeln, lugte sie hinter ihrem Felsen vor, und ein Lichtblitz zuckte über das dunkle Japan hin und beleuchtete die tanzende Usumeno Mikoto. Aber alles war bis ins kleinste vom Rat der Götter überlegt worden, und so kam es, dass Goriki no Mikoto, der Gott der Stärke, schon bereit stand, den Felsen zu zerreißen, so dass das Licht breit und mächtig in die Dunkelheit hinausflutete.
Amaterasu Omikami aber verließ ihr Versteck, durch Usumeno Mikotos Schönheit und Kunst versöhnt.
Was wäre sonst aus Japan geworden! „Man hätte es nicht mehr gefunden!“, sagte Nao-san.
Zum Gedächtnis dieses Ereignisses baute man in der Provinz Ise Tempel, und Tausende von Gläubigen wallfahren noch heute zu ihnen, um der Lichtspenderin zu danken.
Die Tänzerin trägt Odafukus kleine Maske und bedient sich während des Tanzes einer Schlotter, die die sieben Instrumente verkörpert, und eines goldenen Fächers. Die kleine Maske erscheint mir jetzt als das anmutigste und lieblichste Gesichtchen, das ich je sah, das Lächeln ist das einer göttlichen Tänzerin, märchenhaft und kindlich, geeignet, eine erzürnte Gottheit günstig zu stimmen. Fukuko tanzt herrlich, rührende Posen, anmutige Verrenkungen der Arme und Hände, und Amaterasu Omikami müsste kein Verständnis für den Tanz haben, würde sie bei ihrem Anblick nicht allen Zorn und Grimm vergessen.
Als Fukuko die liebliche Larve abnahm, kam ihr kleines dickes Lausbubengesicht wieder zum Vorschein und erschien drolliger und kecker als je. –
Unterdessen aber hat sich der Raum mehr und mehr mit Tänzerinnen gefüllt. Sie kauern nach allen Seiten im Kreise; einige dummglotzende Mongolenköpfe sind darunter, die mir nicht gefallen, und eine süße, kleine Kinderleiche.
Es ist ein mir wohlbekannter Schlich des Teehausbesitzers, nach und nach immer mehr Tänzerinnen einzuschmuggeln, für die ich am Schluss bezahlen muss, für jede Tänzerin einen halben bis zwei Yen die Stunde. Er wird sich die Freiheit nehmen, sie mir als berühmte Tsutsumispielerinnen oder Spezialistinnen eines besonders interessanten Tanzes vorstellen zu lassen, und spekuliert auf meinen feinen Kunstgeschmack und meine Gutmütigkeit. Er holt sie aus allen Teehäusern zusammen, und dafür bekommt er natürlich Prozente; denn in Japan wird nichts ohne Prozente getan, es ist das Land der Prozente. Auch Nao-san bes kommt gewiss Prozente vom Teehaus Yamanaka.
Bernhard Friedrich Wilhelm Kellermann (*4. März 1879 in Fürth; †17. Oktober 1951 in Klein Glienicke bei Potsdam) war ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Abgeordneter. Sein bekanntestes Werk ist der Roman Der Tunnel (1913), ein internationaler Bestseller, der millionenfach verkauft, in 25 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt wurde.
Kellermann studierte zunächst an der Technischen Hochschule München, später Germanistik und Malerei. Schon mit seinen frühen Romanen Yester und Li (1904) und Ingeborg (1906) gelang ihm der Durchbruch. Es folgten Reiseberichte aus den USA und Japan, die seine Beobachtungsgabe und literarische Vielfalt unter Beweis stellten.
Der Erste Weltkrieg prägte ihn tief: Als Kriegsberichterstatter veröffentlichte er Reportagen vom Frontgeschehen. Mit seinem gesellschaftskritischen Roman Der 9. November (1920), der den Umbruch am Ende des Krieges thematisiert, zog er sich den Hass der Nationalsozialisten zu – das Buch wurde 1933 verboten und verbrannt, Kellermann aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen.
Nach 1945 engagierte er sich in der jungen DDR stark für kulturelle und politische Fragen. Gemeinsam mit Johannes R. Becher gründete er den Kulturbund, wurde Abgeordneter der Volkskammer und Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Für seinen Roman Totentanz erhielt er 1949 den Nationalpreis der DDR. In Westdeutschland hingegen geriet sein Name durch Boykottaktionen weitgehend in Vergessenheit.
Kellermann war zweimal verheiratet: 1915 mit der US-Amerikanerin Mabel Giberson (†1926) und ab 1939 mit Else „Ellen“ Michaelis, die nach seinem Tod seine Werke herausgab.
Bernhard Kellermann hinterließ ein vielseitiges Werk aus Romanen, Erzählungen, Reisebüchern und Reportagen. Er ruht auf dem Neuen Friedhof in Potsdam.
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- Artikel-Nr.: SW9783689126131458270.1
- Artikelnummer SW9783689126131458270.1
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Autor
Bernhard Kellermann
- Verlag EDITION digital
- Veröffentlichung 25.11.2025
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- Kommentar vom Verlag: Dieses E-Book ist barrierefrei nach EPUB Accessibility 1.1. Es enthält strukturierte Navigation, maschinenlesbare Spracheinstellungen, Alternativtexte für alle Bilder und keine bekannten Zugangshindernisse. Geeignet für Screenreader und barrierefreie Lesesysteme.
- ISBN 9783689126131
- Verlag EDITION digital