Paradoxe Ordnung: Dekonstruktivismus des Rechts

Ein Mörder gesteht nicht nur sein Verbrechen, er schildert auch noch seine Beweggründe und seinen Tathergang ganz genau. Dennoch wird er am Ende vom Richter gehen gelassen, durch einen Seitenausgang, völlig unbemerkt. Handelt es sich hier um ein Versagen des Richters? Scheitert etwa das Rechtssystem? Stecken Richter und Angeklagter vielleicht sogar unter einer Decke und versuchen gemeinsam einen Mord zu vertuschen? All diesen Fragen soll anhand von Ingeborg Bachmanns Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ nachgegangen werden. Vor allem durch das Werk „Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autoriät«“ von Jacques Derrida... alles anzeigen expand_more

Ein Mörder gesteht nicht nur sein Verbrechen, er schildert auch noch seine Beweggründe und seinen Tathergang ganz genau. Dennoch wird er am Ende vom Richter gehen gelassen, durch einen Seitenausgang, völlig unbemerkt. Handelt es sich hier um ein Versagen des Richters? Scheitert etwa das Rechtssystem? Stecken Richter und Angeklagter vielleicht sogar unter einer Decke und versuchen gemeinsam einen Mord zu vertuschen?

All diesen Fragen soll anhand von Ingeborg Bachmanns Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ nachgegangen werden. Vor allem durch das Werk „Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autoriät«“ von Jacques Derrida zeigt sich, dass die bestehende Rechtsordnung nicht so sicher und unumstößlich ist, wie es zu sein scheint. Letztendlich tun sich innerhalb der Rechtsordnung unerwartet Paradoxien auf, die möglicherweise eine Erklärung für den Ausgang des Hörspiels liefern.



Ein Mörder gesteht nicht nur sein Verbrechen, er schildert auch noch seine Beweggründe und seinen Tathergang ganz genau. Dennoch wird er am Ende vom Richter gehen gelassen, durch einen Seitenausgang, völlig unbemerkt. Handelt es sich hier um ein Versagen des Richters? Scheitert etwa das Rechtssystem? Stecken Richter und Angeklagter vielleicht ...



Textprobe:

Kapitel 5.2, Die Liebe als Gefahr für Leben und Ordnung:

Um den guten Gott und seine Tat besser verstehen zu können, wird zunächst die Liebe gründlicher beleuchtet. Man muss sich hier die Frage stellen, warum sie angeblich gefährlich ist. Zudem ist wichtig zu erfahren, wieso die Liebenden mit ihrem Verhalten eine scheinbare Bedrohung darstellen.

Zu Beginn der Erzählung beschreibt der gute Gott ‘die Gefahr’, die ‘im Verzug’ ist nur mit einem mysteriös klingenden ‘es’. Im weiteren Verlauf wird der gute Gott allerdings konkreter. Er zeigt am Anfang, wie ‘es’ beginnt und langsam immer stärker wird. Er beschreibt ganz bestimmte Anzeichen, die charakteristisch für diese Gefahr sind. Ebenfalls erfährt man, wie diese geheimnisvolle Bedrohung von Jan und Jennifer Besitz ergreift und sie zu vermeintlichen ‚Tätern‘ macht. Die Darstellungen, die durch den guten Gott erfolgen, sind erste Hinweise auf eine vermeintliche Destruktion der Ordnung.

Die Liebe in ihrer höchsten und vollkommensten Form unterminiert die Ordnung. Sie fängt an sie zu zerlegen, zu zergliedern und schleichend aufzulösen bis nichts mehr von ihr da ist. Jedoch ist nicht jeder Zustand von Liebe gefährlich. So sind die Nachbarn mit ihren fünf Kindern oder die Jugendfreundin, die mit einem Arzt zusammen ist, keine Bedrohung für die Ordnung oder die Gesellschaft. Nur die absolute Liebe muss aufgehalten werden, denn sie brennt, ‘[…] wie ein glühendes Zigarettenende […] ein Loch [in die verkrustete Welt]. […].’ Die Aussage des guten Gottes zeigt die angebliche Gefährlichkeit, die von der Liebe ausgeht. Was unbedingt verhindert werden muss, ist, dass eventuell Chaos ausbricht. ‘[…] Der Gang aller Dinge [muss] der bleib[en], den [alle] bevorzugen.’, sagt der gute Gott, um sich zu rechtfertigen. Jürgen Kriz bemerkt hinsichtlich der Gegenüberstellung von Ordnung und Chaos:

‘Wir mögen ein noch so festes Bollwerk aus Sicherheit, Vertrautheit, Regelmäßigkeit und Ordnung aufgebaut haben: Unversehens zeigen sich Risse in den Fassaden. Träume, allzu großer Streß, Schicksalsschläge oder einfach eine unerklärliche Sensibilität können zu Erschütterungen führen, durch die eine Gedanken- und Empfindungsflut über uns hereinbricht und unsere Alltagsordnung in einem gewaltigen Strom in den Abgrund zu reißen droht.’

Der gute Gott weiß ebenfalls um diese Risse und ihm ist klar, wie sie entstehen. Allein die Stellung eines Uhrzeigers, ein bestimmter Ort, eine spezielle Musik können Anzeichen für die ersten winzig kleinen Spalten sein. Alles Hinweise auf eine beginnende Zerstörung. Vergrößert werden sie zum Beispiel durch ein ganz rücksichtsloses Lachen, das zwar in der Öffentlichkeit stattfindet, aber diese dennoch nicht mit einbezieht. Die stummen Umarmungen der Liebenden finden noch innerhalb der Ordnung statt, sind aber ebenso Vorboten der Destruktion, wie das Lachen.

Dass es nur Hinweise oder Anzeichen gibt und keine wirkliche Vernichtung der Ordnung, durch die Liebe stattfindet, dafür sorgt der gute Gott. Er merzt die nahende Gefahr aus, bevor sie großen Schaden anrichten kann. Dazu kommt noch, dass neben einer Bedrohung für die Ordnung die Liebe auch eine gefährliche Sache für das Leben der anderen Menschen darstellt. Nach Meinung des guten Gottes ist die Liebe ‘[…] verderblicher als jedes Verbrechen, als alle Ketzereien. […].’ Bürger, wie die Frau aus dem Stundenhotel, der Polizist, der Zeitungsverkäufer oder der Richter, sind Teil der Gesellschaft und müssen beschützt werden. Der gute Gott versucht daher schnell zu reagieren und eine solche Liebe, wie die von Jan und Jennifer, sofort im Keim zu ersticken. Ohne sein Eingreifen wäre es vielleicht zur endgültigen Destruktion gekommen und die Ordnung würde verschwinden.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass in den Augen des guten Gottes die Liebe etwas Verwerfliches ist. Sie löst die Ordnung langsam auf, nutzt dazu ihre ‘[…] Strahl- und Brandkraft, die alles zersetz[t] und die Welt in Frage stell[t]’. Zudem entzieht sie sich der Öffentlichkeit und damit der Ordnung und den überwachenden Instanzen. Er bannt sie, indem er Jennifer tötet und somit verhindert, dass sich die absolute Liebe verbreiten kann. Der bereits erwähnte Widerspruch bleibt damit aber bestehen, denn Liebe ist natürlich nicht das Böse, das versucht die Ordnung und die Welt zu zerstören. Alle negativen Darstellungen der Liebe erfolgen durch den guten Gott. Damit erhält man eine relativ einseitige Beschreibung. Allerdings zeigt sich schon hier, dass hinter der Verteidigung von Ordnung mehr steckt als irrtümliche Ansichten eines ‘alten Mann[es]’.

‘Ihre Sätze sagen ätzende Wahrheiten und beklemmende Einsichten.’, so Bienek über Ingeborg Bachmann. Viele ihrer Werke hinterlassen diesen Eindruck beim Publikum, so auch ‘Der gute Gott von Manhattan’, und es wird versucht, diesen auch in der vorliegenden Arbeit nachzuweisen. Doch bisher ist noch ungeklärt geblieben, inwiefern die Liebenden selbst mit ihrem Verhalten zur Gefährdung der Ordnung beitragen. Die Beobachtung der beiden Verliebten ist deshalb wichtig, weil die vollkommene Liebe in den Liebenden entsteht und heranwächst und das Paar damit zum ‚Träger‘ der vermeintlichen Destruktion wird.



Mareike Sesselmann, B.A., wurde 1988 in Anklam geboren. An der Ernst-Moritz-Arndt Universität in Greifswald studierte sie in den Fachbereichen Germanistik und Skandinavistik. Ihr Studium schloss die Autorin 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Durch ihre Forschungen auf dem Gebiet der Neueren Deutschen Literatur und ihrer Leidenschaft für Bücher wurde ihr Interesse für die Thematik der vorliegenden Arbeit geweckt.

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