Serbisches Jerusalem oder Albanischer Nationalstaat? Der Konflikt um den Kosovo

Seit dem 10. September 2012 ist der Kosovo vollständig souverän. Acht Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien am 17. Februar 2008 erlangte die Republik Kosovo ihre Selbstständigkeit - zuvor hatte die ehemalige serbische Provinz noch unter ‘Beaufsichtigung’ durch die internationale Gemeinschaft gestanden, externe Akteure konnten über den Kosovo-Beauftragten Gesetze und Entscheidungen der Regierung korrigieren. Doch obwohl der Kosovo-Krieg schon seit mehr als zehn Jahren beendet ist und die Mehrheit der Staaten seine Unabhängigkeit von Serbien anerkennt, kommt der junge Staat nicht zur Ruhe. Immer wieder kommt es zu... alles anzeigen expand_more

Seit dem 10. September 2012 ist der Kosovo vollständig souverän. Acht Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien am 17. Februar 2008 erlangte die Republik Kosovo ihre Selbstständigkeit - zuvor hatte die ehemalige serbische Provinz noch unter ‘Beaufsichtigung’ durch die internationale Gemeinschaft gestanden, externe Akteure konnten über den Kosovo-Beauftragten Gesetze und Entscheidungen der Regierung korrigieren. Doch obwohl der Kosovo-Krieg schon seit mehr als zehn Jahren beendet ist und die Mehrheit der Staaten seine Unabhängigkeit von Serbien anerkennt, kommt der junge Staat nicht zur Ruhe. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit Serbien und/oder der serbischen Minderheit im Land. Sowohl Serbien als auch die Kosovo-Albaner erheben Anspruch auf das Gebiet des Kosovo; seit mehreren Jahrhunderten streiten sich in diesem Konflikt die beiden ethnischen Gruppen um dasselbe Territorium, das für beide Gruppen Hauptausdruck ihrer nationalen Identität ist.

Benjamin Miller erklärt solche Konflikte mit seiner state-to-nation balance-Theorie: Er argumentiert, dass eine state-to-nation imbalance, also der Mangel an Übereinstimmung zwischen den Grenzen einer Region und den nationalen Zugehörigkeiten und der politischen Identifizierung der Bevölkerung mit den regionalen Staaten, die Hauptursache für regionale Konflikte sei.

Mit dieser Theorie lässt sich erklären, warum der Kosovo-Konflikt nach so langer Zeit noch immer nicht gelöst ist.



Seit dem 10. September 2012 ist der Kosovo vollständig souverän. Acht Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien am 17. Februar 2008 erlangte die Republik Kosovo ihre Selbstständigkeit - zuvor hatte die ehemalige serbische Provinz noch unter ‘Beaufsichtigung’ durch die internationale Gemeinschaft gestanden, externe Akteure konnten ...



Textprobe:

Kapitel 4.4, Die Kooperation der Großmächte (UV2):

Die westlichen Staaten hatten am Kosovo-Konflikt zunächst nur wenig Interesse und versäumte es deshalb, zwischen der serbischen und der albanischen Seite zu vermitteln und so eine politische Lösung zu finden (Gibbs 2009: 180; Jurekovic 2006: 87; Rathfelder 2010: 80): ‘Mit ihrer passiven Haltung begünstigten die westlichen Regierungen das Scheitern von Rugova's Politik des friedlichen Widerstands gegen das serbische Polizeiregime.’ (Jurekovic 2006: 88) Das Dayton-Abkommen war lediglich auf die Beendigung des Bosnien-Krieges und die Festlegung der Grenzen Kroatiens ausgerichtet, der Kosovo-Konflikt wurde bewusst außen vor gelassen (King/Mason 2006: 41): ‘Richard Holbrooke, the American diplomat who presided over Dayton, denies that it was a missed opportunity for resolving the simmering crisis in Kosovo, insisting that the leaders gathered there had enough on their plates sorting out Bosnia and Croatia.” (Ebd.) Das Abkommen führte zur Aufhebung des Embargos gegen Jugoslawien. Zwar wurde dem Land weiterhin die dringend benötigte finanzielle Hilfe durch den Internationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank verweigert, aber für die Kosovo-Albaner war dies eine herbe Enttäuschung, v.a. als die EU die BR Jugoslawien mit dem Kosovo als Teil Serbiens anerkannte (King/Mason 2006: 42). Rugovas Strategie des gewaltlosen Widerstands war zu einem sehr großen Teil von der Unterstützung Westeuropas und der USA, sowie der UN abhängig (Gibbs 2009: 179). Die Entscheidung, den Kosovo von den Verhandlungen in Dayton auszuschließen, stellte Rugovas gesamte Stategie der Gewaltlosigkeit in Frage: ‘Rivals to the LDK gained popularity as a result. The decline in Rugova's popularity after Dayton led directly to the rise of the Kosovo Liberation Army.” (Ders.: 180) Der Westen nahm genau diese Gewaltlosigkeit des Widerstands und die daraus resultierende relative Ruhe als Rechtfertigung, die Kosovo-Problematik zu ignorieren (Dannreuther 2001: 18). Hinzu kam die Tatsache, dass sich die Lage im Ostblock rasant zuspitzte, wodurch die politischen Veränderungen in Jugoslawien in den Hintergrund gedrängt wurden (Rathfelder 2010: 93): ‘Erst nach der 'bürgerkriegsähnlichen Eskalation vom 28. Februar 1998' begannen internationale Gremien [...] 'ernsthaft nach Auswegen aus der Krise zu suchen'‘ (Schütz 2003: 42).

Ab März 1998 begann die Kontaktgruppe (Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, USA und Russland) mit intensiven Peacemaking-Aktivitäten (Gibbs 2009: 180; Jureković 2006: 88). In der Resolution 1160 vom 31. März 1998 verlangte der UN-Sicherheitsrat von der Regierung der BR Jugoslawien, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, um eine politische Lösung für die Kosovofrage zu finden. In einer weiteren Resolution (1199) vom 23. September 1998 wurde erneut die sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten gefordert, sowie der Abzug der serbischen und jugoslawischen Sicherheitskräfte und die Wiederaufnahme von Verhandlungsgesprächen. Einen Monat später bekräftigte der UN-Sicherheitsrat die Forderungen der Resolution 1199 in einer weiteren Resolution (1203) (vgl. Ders.: 92f).

Am 13. Oktober 1998 stimmte die NATO für eine Autorisierung von Luftangriffen, falls sich die serbischen Sicherheitskräfte nicht innerhalb von 96 Stunden aus dem Kosovo zurück ziehen würden. Milošević stimmte schließlich dem Holbrooke-Miloševic-Abkommen zu, das einen Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte beinhaltete sowie die Erlaubnis für Hilfsorganisationen und die KVM der OSZE, in den Kosovo zu kommen (King/Mason 2006: 44). Das Abkommen war allerdings eher ein Ultimatum für Miloševic, und stellte nur explizite Forderungen an die Serben, aber nicht an die UÇK. Da aber nicht die Serben, sondern die UÇK das Abkommen mit ihren Aktionen unterminierte, wurde es somit relativ schnell irrelevant (Gibbs 2009: 184ff).

Nach dem Massaker von Racak zitierte die Kontaktgruppe die jugoslawische Regierung und die Kosovo-Albaner nach Rambouillet und stellte sie vor ein Ultimatum: Sie konnten entweder die vorgeschlagene Vereinbarung akzeptieren oder einen NATO-Einsatz riskieren. Nachdem sich Miloševic geweigert hatte, das Abkommen zu unterschreiben, begann am 24. März 1999 mit den Luftangriffen der NATO die Operation ‘Allied Forces’ (vgl. King/Mason 2006: 45; Rathfelder 2010: 265). Ab Mitte Mai war die NATO über Satellitentelefone mit der UÇK verbunden, die somit faktisch als Bodentruppen der NATO fungierten. Als Miloševic schließlich einlenkte, wurde mit seiner Zustimmung UN-Resolution 1244 verabschiedet, die die Errichtung einer vorübergehenden Verwaltung des Kosovos durch die UNMIK vorsah. Der Angriff der NATO war nach 78 Tagen beendet (vgl. King/Mason 2006: 49; Rathfelder 2010: 265).

Der Kosovo wurde in fünf Besatzungszonen aufgeteilt, eine amerikanische, eine deutsche, eine britische, eine italienische und eine französische. Der Forderung Russlands, auch eine russische Zone zu errichten, wurde nicht nachgekommen (Rathfelder 2010: 273f). Die französischen Truppen besetzten allerdings nicht wie vorgesehen ganz Mitrovica, sondern machten an der Brücke über dem Ibar halt, sodass der Norden der Stadt unter serbischer Kontrolle blieb. Dadurch wurde der Kosovo faktisch in zwei Teile geteilt: in ein von der internationalen Gemeinschaft verwaltetes und vornehmlich von Albanern bewohntes Gebiet und die Serbiengebiete nördlich von Mitrovica sowie die von der KFOR geschützten, aber weiterhin von Serben verwalteten Enklaven. Damit war eine serbische, territorial abgegrenzte Parallelgesellschaft mit über 100 000 Einwohnern entstanden.’ (Ders.: 289f)



Anna Fuchs wurde 1989 geboren. Ihr Studium der Politikwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen schloss sie im Jahr 2012 mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts erfolgreich ab. Zurzeit studiert sie an derselben Universität im Masterstudiengang Friedensforschung und internationale Politik. Bereits während ihres Bachelorstudiums widmete sie sich eingehend der Thematik internationaler Konflikte und friedlicher Konfliktlösung, und verbrachte ihr Auslandssemester an der Universität Haifa, Israel, wo sie am ‘Honors Program in Peace and Conflict Studies’ teilnahm. Außerdem absolvierte sie Praktika bei NGOs, die sich unter anderem mit ziviler Konfliktbearbeitung befassen.

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  • Autor find_in_page Anna Fuchs
  • Autoreninformationen Anna Fuchs wurde 1989 geboren. Ihr Studium der Politikwissenschaft… open_in_new Mehr erfahren
  • Wasserzeichen ja
  • Verlag find_in_page Bachelor + Master Publishing
  • Seitenzahl 45
  • Veröffentlichung 01.02.2015
  • ISBN 9783955497415

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