Madame Diane
Erinnerungen an den hedonistischen Sommer 1958
Tauchen Sie ein in die späten Fünfzigerjahre – eine Ära, in der die Sehnsucht nach intensiven Lebenserfahrungen alle Konventionen sprengte. In diesem eindrucksvollen Zeitzeugnis gewährt Philippe einen unverblümten Blick in die entfesselte Welt einer verborgenen erotischen Subkultur: Im Paris der 1950er-Jahre existierte tatsächlich ein Institut, das junge Männer – meist Studenten – an dominante Frauen vermittelte, damit diese ihre ausschweifenden Neigungen in diskreter Umgebung ausleben konnten.
Auf dieser historischen Grundlage basiert der authentische Romanbericht von Philippe Aubert. Eine reife, elegante Ärztin – Madame Diane – wählt den jungen Philippe für einen sechs Wochen dauernden Urlaub in Marokko aus. Was folgt, ist eine unvergessliche Reise in eine Welt voller Machtspiele, Hingabe und unbarmherziger Intensität. Philippe erlebt in dieser Zeit die ausschweifenden sadomasochistischen Praktiken seiner Herrin, die ihn mit einer Mischung aus Raffinesse, Strenge und unerschütterlicher Dominanz an seine Grenzen und darüber hinaus führt.
Mit authentischen französischen Passagen, die den Klang der Epoche bewahren, präsentiert sich dieses Buch als ein ungewöhnliches literarisches Werk. Es enthält explizite Szenen und Worte, die den Leser unmissverständlich in die rohe Realität jener Zeit eintauchen lassen – ein Dokument gesellschaftlicher Umbrüche und ein seltenes Zeugnis einer verschwundenen Subkultur.
Erleben Sie eine fesselnde Reise in eine Welt, in der das Unkonventionelle die Grenzen des Gewöhnlichen sprengt und Geschichte in ihrer ungeschönten Form lebendig wird.
Hinweise & Triggerwarnung
Vorwort
Kapitel 1-45
Nachwort
Impressum
Als ich am vereinbarten Ferientag am ausgemachten Ort in Orly erschien, die Zeit genau respektierend, musste ich geraume Wartezeit hinnehmen und meine Erregung dämpfen, ehe mich eine mir nur wenig bekannte Kundin ansprach, eine kleine drahtige schlanke Pariser Ärztin, die ich als fordernd und bestimmend in Erinnerung hatte, jugendlich, trotz ihrer etwa 40 Jahre.
»Mit mir hast du nicht gerechnet, mon petit! Um so besser.«
Ich war verblüfft, war von ihr und der Directrice überrascht worden. Hereingelegt könnte man auch sagen. Sie genoss den Überrumpelungseffekt sichtlich, dem sie mich ausgeliefert hatte.
»Wiege dich in keiner Sicherheit, Kleiner«, sagte sie halblaut und herablassend. »Du wirst sie bei uns nie finden, das müsstest du längst wissen, gracieux bitard.«
Ich versuchte, mir auf die Schnelle in Erinnerung zu rufen, was ich mit ihr schon im Institut erlebt hatte. Die Erinnerungen waren gut, weckten meine Freude auf das Kommende, das noch gänzlich unerschlossen vor mir lag.
»Du wirst mich nach Marokko begleiten, nach Marrakech«, sagte sie nebenbei, während sie auf den Koffer wies, den sie mich schweigend aufzuheben hieß.
Die Rollen waren klar offengelegt, ihr maliziöses Lächeln verriet es. Warum hatte sie mich ausgesucht? Es war ein Kompliment, eine Art Anerkennung, unsere Kundinnen waren wählerisch, suchten sich ihre Gefährten genau aus, überließen nichts dem Zufall. Ich träumte mich schon hinein, in den afrikanischen Sand und die orientalische Welt, die mich erwarteten und die sie mir zur Entdeckung freigab.
»Ich nehme dich nicht zum Träumen mit«, herrschte sie mich an und trieb mich zur Eile an.
Wir mussten einchecken. Es gab wenig zu sagen, die Rollen waren schon eingespielt, zum Sprechen fehlte der Raum. Während des Fluges genügten Blicke, ihre Blicke, die fordernden, die erahnen ließen, was sie verlangte. Sie ließ mich schon jetzt spüren, was uns einte und was uns trennte und vor allem: Was ich für sie war – und was ich für sie nicht sein konnte. Ihre Bewegungen verrieten, was ihr die Sprache versagte, Stille reichte aus und trug die Erwartungen von uns beiden in Vorstellungen, die keiner Worte bedurften, um zum anderen zu gelangen. War ihr Lächeln zynisch, herablassend, verächtlich? Ich vermochte es nicht zu sagen, deutete es um. Fälschlicherweise? In ein prickelndes Erwartungsgefühl, das mir Momente der Ektase und des Rausches vorflüsterte. In Marrakech angekommen winkte sie weltgewandt ein Taxi herbei und nannte den Namen unseres Hotels, eines der feinsten der Stadt. Das Personal – es konnte mir nicht entgehen – war auf sie eingespielt, behandelte sie mit Respekt und Hochachtung, beachtete mich kaum, ich war ein Ding, das nebenbei die vornehme Doctoresse begleitete und an ihre Bewegung und Absicht gebunden war. Der Page, der uns auf unser Zimmer geleitete, verschwendete keinen einzigen Blick an mich, verbeugte sich leicht, als die Doctoresse ihm ein Trinkgeld hinreichte.
»Der schätzt dich richtig ein, weiß, wie er dich einzuordnen hat, dem kannst du nichts vormachen«, sagte sie triumphierend. Dann packte sie in aller Seelenruhe – sichtbar darum bemüht, mich fühlen zu lassen, dass ich jetzt für sie nicht vorhanden war – ihre Koffer aus, bedächtig, langsam, sorgfältig, mich keines Blickes würdigend. Sie wechselte Ihre Kleider – tauschte die Reisekleidung gegen die leichte Sommerkleidung aus, so als ob ich nicht im Raume wäre. Eine kurze Hose mit dazu passender eleganter Hemdbluse, die wenig geöffnet war und ihre kleinen Brüste erahnen ließen. Dazu Lederschuhe.
»Du stehst nutzlos da, verzichtbar, ungebraucht«, witzelte sie. Ein Anflug von Bösartigkeit war darin nicht zu überhören. »Zieh dich aus, gib dir wenigstens den Anschein von möglicher Brauchbarkeit«, fuhr sie fort und ich gehorchte rasch. Sie nahm es scheinbar interesselos zur Kenntnis, betrachtete mich kaum, blättere im Reiseführer, ehe sie ans Telefon ging und nach der Coiffeuse des Hotels verlangte, die wenig später an die Zimmertüre klopfte. Ich hatte sie auf einen Wink meiner Herrin hin zu öffnen. Eine Szene, die neu für mich war, doppeldeutig, ich war geniert und gleichzeitig erregt, doch die eintretende Coiffeuse nahm von mir und meiner Nacktheit kaum Kenntnis. Beides schien für sie in den Rahmen des für sie Vertrauten zu gehören. Die Herrin gab ihr die Hand, lächelte sie an, und schon in dieser kurzen Begrüßung musste ich meine Rolle oder Bedeutung in einem mir zugedachten Spiel erkennen, aus dem es kein Entrinnen gab. Ich hätte es auch nicht gewollt, die Spannung war zu unerhört provozierend.
Sie setzte sich, gab freundliche Anweisungen, wie sie ihr Haar frisiert haben wollte. Fast bubenhaft, schwarz, kurz, eine Eleganz, die mich stets angemacht hatte, und sie wusste es, wusste genau, was sie mir bot, ohne sich einen Moment der Lust zu gönnen. Es genügte ihr, meine gespannte Erregung zu sehen, zu spüren und mit der behände arbeitenden Friseurin zu teilen, die sie verstohlen anlächelte. Erst jetzt fiel mir die auffällige Schönheit der Coiffeuse auf, schlank groß mit afrikanischer Frisur, sehr dezent gekleidet, aber ohne Anklang an die gängige Hoteltracht. Einmal betrachtete sie mich voller Mitleid, aber mein Vorhandensein schien sie nicht zu irritieren. War sie schon an solche Konstellationen gewohnt, Pariserinnen, die mit einem Lustknaben ins Hotel kamen? War etwa meine Herrin schon mit einem anderen Lustobjekt hier gewesen und hatte sie eine bereits eingespielte Liebeskultur begehrlicher und reicher Frauen aus Frankreich auch für sich genutzt? Das Verhalten der Coiffeuse schien anzudeuten, dass sie alles wusste, was mir verborgen bleiben musste, dass sie in geheimem und vollem Einklang mit meiner Herrin agierte und sich entsprechen betrug. Alles deutete darauf hin. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, während der sie mit der Herrin sich flüsternd unterhalten hatte, wies die Doctoresse sie an, mir ein Halsband umzulegen, das sie flugs aus dem Schrank geholt hatte. Die Coiffeuse, mit einer solchen Gestik offensichtlich vertraut, legte es mir flink um, blinzelte mir zu, nicht zweideutig, sondern mit einem Augenaufschlag, der ihre Komplizenschaft mit der Pariserin verriet. Dann, nur auf ein Wort hin, holte sie die Leine aus dem Schrank und befestigte sie an meinem Halsband. Beide stellten sich vor mich hin und zogen abwechselnd daran, warfen sich die Blicke von gleich gestimmten Verschwörerinnen zu. Sie verschwand, hauchte ein »Madame«, und wir waren wieder allein. Was ich mir als Weiterführung der eben angefangenen Inszenierung von Wünschen vorgestellte und ausgemalte hatte, fand nicht statt. Die Herrin überraschte mich einmal mehr mit einem Versagen des Erwarteten, ließ mich in meinem ungeduldigen Warten verharren, um mir deutlich zu machen, wer hier die Spielregeln bestimmte. Für mich zog sie aus ihren Koffern ein Hemd, eine kurze Hose und Sandalen, die ich anzuziehen hatte, unter ihren jetzt interessiert mich beobachtenden Augen. Die Leine versteckte sie unter dem Hemd. »Es soll alles so zu dir passen, wie ich es will und für richtig halte«, sagte sie laut.
Victor Lassier wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf, mit einem französischen Vater und einer deutschen Mutter. Durch seine zweisprachige Erziehung entwickelte er früh eine Leidenschaft für Sprache und Literatur. Nach seinem Studium der Romanistik und Germanistik arbeitete er viele Jahre als Lektor und Autor.
Später zog es ihn nach Oostende, wo er lange lebte und wirkte. Die Sehnsucht nach einer besonderen Frau führte ihn schließlich nach Riga. Heute lebt und arbeitet Victor Lassier in Deutschland – doch Oostende hat ihn nie ganz losgelassen. Viele seiner Wochenenden verbringt er noch immer dort, an jenem Ort, der seine schriftstellerische Stimme nachhaltig geprägt hat.
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- Artikel-Nr.: SW9783966150378458270
- Artikelnummer SW9783966150378458270
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Autor
Victor Lassier
- Verlag Schwarze-Zeilen Verlag
- Seitenzahl 342
- Veröffentlichung 12.12.2025
- Barrierefreiheit
- Keine Angabe: Keine Informationen zur Barrierefreiheit bereitgestellt
- ISBN 9783966150378