Maulwürfe
Ein deutscher Bauernroman
Ein bewegendes literarisches Epos über Kindheit, Armut, Auflehnung und Hoffnung.
Mit rauer Ehrlichkeit und eindringlichen Bildern erzählt Adam Scharrer die Geschichte des Jungen Georg Brendl – aufgewachsen am Rand der Gesellschaft in einem fränkischen Dorf vor dem Ersten Weltkrieg. Zwischen Lehmhütten, Matschwegen und endloser Schinderei erlebt Georg Gewalt, Armut und Ausgrenzung – aber auch die ersten zarten Gefühle von Freundschaft, Sehnsucht und Aufbegehren.
„Maulwürfe“ ist kein nostalgischer Rückblick, sondern ein Aufschrei: gegen die erbarmungslose Härte des Lebens, gegen Ungerechtigkeit und soziale Kälte. Vom Überlebenskampf in der Kindheit über die raue Zeit als Knecht bis hin zur Rückkehr aus dem Krieg und dem verzweifelten Ringen um ein neues Leben – Scharrers Roman ist ein ungeschöntes, zutiefst menschliches Panorama einer untergehenden dörflichen Welt.
Inmitten von Stolz, Verrat, Krieg und sozialer Not wächst Georgs unerschütterlicher Wille, für ein Leben in Würde und Solidarität zu kämpfen. Ein authentisches, zeitlos aktuelles Buch über Widerstandskraft, Zusammenhalt und die stille Kraft der kleinen Leute.
Für alle Leserinnen und Leser, die Literatur suchen, die nicht beschönigt – sondern berührt, erschüttert und Mut macht.
Bärbel gebar einen Jungen. Er bekam den Namen Wolfgang.
Am Sonntag drauf kam Jakob. Er ging zu Johann und kam ganz verstört wieder. „I glaub, der Johann macht nimmer lang …“
„Liegt er wieder im Bett?“
„Ja. Er schaut ganz gelb aus und su dürr in Gsicht und hat su stechende Augn.“
Johanns Lunge war seit langem nicht in Ordnung. Der Arzt sprach sich nie deutlich darüber aus. „Es ist möglich, dass es sich wieder verkapselt“, meinte er.
Wir blieben an dem Kammerfenster stehen und hörten Johann stöhnen.
Ein schwüler Tag. Die Kammer war dunkel, die Fenster zu, die Läden geschlossen. Als wir eintraten, kam Eva aus der Stube, dann auch der alte Röder. Die Alte war in der Küche. Johann fieberte und fror. Er lag unter schweren Federbetten. Eva sagte: „Is erst naumittogs su schlimm wordn. Vorgestern is der Doktor dagwest, er hat gsagt, er soll nur in Bett bleibn, und hat ihm Arznei verschriebn. Er is halt scho a paar Tog net in Haisl gwest, dös is halt a net gut, denk i. I wollt ihn scho a Klistier machn, ober er lässt si halt net afassn, wegn der Wundn, die is vorige Wochn wieder aufbrochn.“
„Hats nachn Doktor telefoniert?“
„I denk, der wird halt a net daham sa heit am Sunnta. Er is doch erst dagwest.“
„Jakob, lauf zum Neia-Wirt und telefonier. Wenn er scho sterbn soll, su elend soll er doch net vreckn, dass si ka Mensch um ihn kümmert!“
„Dös brauchst net denkn, Schorsch. Der Johann hat immer sei Ordnung ghat, mir hom nur denkt, er ka a bissl in Schlaf kumma. Die Afäll hat er in der letztn Zeit scho recht oft ghat. Die san immer wider vorbeiganga“, sagte der Alte.
Ich riss die Bettdecke hoch. Johanns Wäsche war schmutzig und schweißnass. Aus der aufgebrochenen Wunde stank der Eiter. Sein Gesicht war klebrig, sein Mund offen. „Bist du ’s, Schorsch?“, fragte Johann und versuchte sich aufzurichten, fiel aber wieder zurück. Er stöhnte vor Schmerzen. Ich riss das Fenster auf, verlangte Handtuch, Seife und Wäsche, wusch ihm Gesicht und Hände. Immer wieder versuchte die affengesichtige Eva die Kammertür zu schließen, wenn ich ein und aus ging. „Sog halt, wos d’ brauchst, Schorsch, i huls ’s“, sagte sie.
Johann wurde von einem heftigen Husten gepackt, hatte aber keine Kraft mehr. Er blieb wimmernd liegen. Jakob kam wieder: „Der Doktor kummt mit ’n Auto! Obs nu wos hilft, Schorsch?“
„’s wird vorbei sa, Jakob!“ Ein Gedanke schoss mir ins Hirn: Seine zwei Buben sollen ihn noch einmal sehen. Ohne zu fragen, wo sie waren, ging ich in die Stube.
Am Tisch saßen die alte Röder und der Beck. Auf dem Tisch standen der Bierkrug, einige angetrunkene Seidel, aufgeschnittener Schinken und Brot.
„Wo san di Kinder?“
„Die genga halt immer zeiti ins Bett“, sagte die Alte. „Wos solln s’ denn? Is er wieder schlechter?“
Johann erbrach sich. Auf die Stöße von innen folgte ein kläglicher Schrei. Dann war es zu Ende.
Eva rüttelte und schüttelte Johann und rief ein paarmal seinen Namen. Die beiden Kinder sahen schlafäugig auf ihren toten Vater und weinten.
Den Sarg für Johann kauften die Röder bei Hanfstängel, weil dieser ein Vereinskamerad von Johann war. Über Johanns Grab krachten Ehrensalven. In die Tafel am Denkmal wurde sein Name eingemeißelt.
Der Obstgarten der Röder war nun einer der größten im Dorf. Auf dem neuangelegten Hopfenacker waren neue Stangen, schnurgerade gesetzt. Johann hatte den Wahlspruch von Vater übernommen: „Wos i a mal mach, dös mach i glei gscheit!“ Auf dem Haus waren neue Dachziegel. Die gestrichenen Balken glänzten aus dem weißen Aufputz. Mit dem dritten Kind hatten sie nicht viel Arbeit; es ist, sechs Monate alt, gestorben.
Ein halbes Jahr später zog der Beck zur Eva. Er hatte bis dahin im Hirtenhaus gewohnt.
Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 in Kleinschwarzenlohe (heute Gemeinde Wendelstein, Mittelfranken) geboren. Bereits in frühen Jahren prägte ihn das harte Leben der Arbeiterklasse. Nach einer Schlosserlehre führte ihn seine Arbeitssuche durch zahlreiche deutsche Städte sowie nach Österreich, die Schweiz und Italien. Während des Ersten Weltkriegs wurde er als Artillerist an die Ostfront eingezogen. Seine Erfahrungen als Soldat und seine Enttäuschung über die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten radikalisierten seine politische Haltung. Er trat dem Spartakusbund bei und engagierte sich später in der linksradikalen KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).
Scharrer begann in den 1920er-Jahren mit dem Schreiben. Seine erste Erzählung "Weintrauben" (1925) wurde anonym veröffentlicht und brachte ihm eine Anklage wegen "literarischen Hochverrats" ein. Seine Werke sind stark autobiografisch geprägt und erzählen aus der Perspektive der unteren Gesellschaftsschichten. 1930 erschien sein wohl bekanntestes Werk "Vaterlandslose Gesellen", eine proletarische Antwort auf Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues". Der Roman ist eine schonungslose Abrechnung mit dem wilhelminischen Militarismus und dem Ersten Weltkrieg.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Scharrer untertauchen und floh zunächst in die Tschechoslowakei, dann in die Sowjetunion. Dort lebte er in einer Autorenkolonie und schrieb weiter über die Nöte der Arbeiter und Bauern. Während seines Exils entstanden unter anderem "Maulwürfe" (1934), "Pennbrüder, Rebellen, Marodeure" (1937) und "Der Krummhofbauer und andere Dorfgeschichten" (1939).
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Scharrer 1945 nach Deutschland zurück und ließ sich in Schwerin nieder. Er arbeitete als Redakteur der "Schweriner Landeszeitung" und wurde Leiter der Literatursektion im Kulturbund. Trotz seiner politischen Nähe zur Arbeiterbewegung trat er keiner Partei bei.
Adam Scharrer starb am 2. März 1948 in Schwerin an den Folgen eines Herzanfalls, der durch eine hitzige Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit ausgelöst wurde. Er hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das in der DDR große Verbreitung fand und als wichtiger Beitrag zur proletarischen Literatur gilt.
Seine Bücher, darunter "Vaterlandslose Gesellen", "Der große Betrug" und "In jungen Jahren", geben bis heute Einblicke in das Leben und die Kämpfe der Arbeiterklasse und bleiben ein wichtiges Zeugnis der deutschen Literaturgeschichte.
Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)
Als Sofort-Download verfügbar
- Artikel-Nr.: SW9783689124632458270
- Artikelnummer SW9783689124632458270
-
Autor
Adam Scharrer
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 771
- Veröffentlichung 29.04.2025
- ISBN 9783689124632
- Wasserzeichen ja