The Husband Killer | Ein packender Psychothriller über Rache und menschliche Abgründe
Wie du mir, so ich dir
Wenn aus Tätern Opfer werden …
Fünf Familien. Äußerlich perfekt. Innerlich zerbrochen.
Joslyn hat alles. Einen umwerfenden Ehemann, entzückende blauäugige und blonde Zwillinge. Wenn er sie mit einem Kneifen in die Rippen begrüßt, weiß sie, dass sie später Schlimmeres zu erwarten hat.
Crystal hat ihr Leben als exotische Tänzerin hinter sich gelassen, als sie den Mann heiratete, dem der Club gehörte. Den Preis dafür zahlt sie jedes Mal, wenn ein anderer Mann sie ansieht.
Lexis Mann ist ein großartiger Vater, für ihre drei Kinder ist er der beste der Welt. Es tut ihm immer leid, hinterher. Es gibt jedes Mal Blumen.
Maureen hat jung geheiratet, als sie schwanger wurde. Er konnte es nie ertragen, wenn das Baby weinte.
Sharas Mann ist Chirurg, eine Stütze der Gemeinde. Aber zu Hause ist er ein Ungeheuer.
Jetzt sind alle ihre Ehemänner tot.
Sie wollten immer, dass sie aus ihrem Leben verschwinden – das weiß auch die Polizei. Doch welche der Frauen hat die Täter zu Opfern gemacht?
Erste Leser:innenstimmen
„Wenn weiblicher Zusammenhalt bis zum Mord geht – ein fesselnder Psychothriller.“
„War bis zum Ende wie gefesselt von der Spannung und dennoch komplett unvorbereitet für den genialen Plottwist.“
„Ein Muss für jeden Fan von psychologischer Spannung und cleveren Wendungen.“
„Dieser Thriller mit seinen düsteren Geheimnissen und der unvorhersehbaren Auflösung hat mich bis zur letzten Seite nicht losgelassen.“
Kapitel 1
Joslyn
Zum Abendessen probierte ich ein neues Rezept aus, das ich auf Instagram gesehen hatte. Schweinefilet im Speckmantel mit zweimal gebackenen Kartoffeln und frischen Zuckerschoten. Es sah fantastisch aus und zumindest die Mädchen würden es lieben. Zum Glück waren sie noch nie mäkelig gewesen. Matthew war das Fragezeichen. Normalerweise hat mein Mann nichts dagegen, wenn ich neue Gerichte ausprobiere, solange sie nicht zu „exotisch“ sind. Aber manchmal, nach einem langen Arbeitstag oder wenn er einen schwierigen Klienten gehabt hat, akzeptierte er nur etwas Gewohntes.
Ich habe gelernt, für diese Fälle immer ein paar seiner Lieblingsgerichte vorrätig zu haben, denn ich wusste nie, wann es so weit war.
Die Mädchen waren im Wohnzimmer und spielten irgendein Spiel, das sie sich in der Schule ausgedacht hatten, während ich das Essen zubereitete. Matthew würde erst in einer Stunde nach Hause kommen. In der weitläufigen Küche war es ruhig, und als ich das Pesto mixte, damit es kühlen konnte, während ich das Fleisch zubereitete, nahm ich mir einen Augenblick, um zu wertschätzen, was ich hatte. Angefangen mit diesem Raum. Ich habe es immer geliebt zu kochen, hatte aber nie den Platz und die Möglichkeit. Die Küche, die ich nun hatte, war alles, wovon ich je geträumt hatte. Groß, sauber und ultramodern, mit Kupfertöpfen, die über der Granitinsel in der Mitte hingen, einem erhöhten Backofen und einem Herd mit Cerankochfeld. Dazu ein riesiger Kühlschrank aus gebürstetem Chrom neben einem Gefrierschrank mit automatischer Eiswürfelausgabe. Eine Kaffeemaschine und ein Espressokocher. Endlose Hängeschränke und großartige Keramikfliesen auf dem Boden. Und das alles im Herzen eines Backsteinhauses mit fünf Schlafzimmern, drei Bädern und einem Pool auf dem zwei Morgen großen Grundstück am Stadtrand, umgeben von einer wunderschönen Landschaft mit viel Wald.
Das perfekte Zuhause, der perfekte Lebensstil der Oberklasse. Ich war zu Hause und zog meine süßen Zwillingsmädchen auf. Wir mussten uns nie darum sorgen, woher das Geld für die nächste Rechnung kam, für die Schulmaterialien oder die Lebensmittel für die Woche. Mein Ehemann hatte einen stabilen, gutbezahlten Job und war einfach umwerfend. Alle Frauen drehten sich nach ihm um, wohin er auch ging. Auch wenn sich zwischen uns nicht gerade die Romanze des Jahres abspielte, erschien ich doch wenigstens nach außen hin perfekt. Wenn ich darüber nachdachte, wo ich angefangen habe und wie hart ich gearbeitet habe, um hierhin zu kommen, fiel mir nicht im Traum ein, das alles loszulassen.
Ich legte den Schinken gerade in eine kleine Pfanne, als ich spürte, dass jemand hinter mir stand. Ein Schauder kroch mein Rückgrat hinauf. Matthew tat das oft. Offenbar genoss er es, mich in einem Moment der Unaufmerksamkeit zu erwischen, als wäre es ein Spiel zu sehen, wie lange mein Herz zu schlagen aufhörte, während ich Schmerzen litt. Wieso hatte ich ihn nicht kommen gehört?
Mit zitternder Hand legte ich den Holzlöffel nieder. Langsam drehte ich mich um und wappnete mich die ganze Zeit – nur um dann Rosie und Rory zu sehen, die Hand in Hand vor mir standen und mich in unheimlichem Schweigen anschauten.
„Mädchen!“, keuchte ich, legte eine Hand auf die Brust und lehnte mich an den Herd. „Ihr habt mich erschreckt. Was ist denn?“
„Können wir einen Snack haben, Mommy?“, sagten sie unisono.
Ich lachte auf und hoffte, meine Töchter würden die Erleichterung darin nicht hören. Sie waren sechs Jahre alt. Nicht alt genug, um die bizarren Dynamiken in den Beziehungen Erwachsener begreifen zu können, aber alt genug, um zu wissen, dass Daddy Mommy manchmal traurig machte. Ich wollte sie so lange wie möglich in ihrer Unschuld lassen.
Ich setzte mein ernstes Gesicht auf. „In einer Stunde gibt es Essen“, sagte ich. „Glaubt ihr, ihr haltet es noch so lange aus?“
Rosie, die offene der Zwillinge, runzelte die Stirn. „Wir können nicht warten“, sagte sie, rieb sich den Bauch und schaute ihre Schwester besorgt an. „Rory verhungert.“
Ich musste eine Hand vor den Mund legen, um nicht zu lachen. Meine Mädchen waren so süß, besonders mit ihrem Zwillingsgetue, das sie immer an den Tag legten. Und das wussten sie. Blond und blauäugig waren sie alle beide Trickbetrüger in Miniatur. Natürlich habe ich, als ich endlich schwanger geworden war, alle Elternratgeber gelesen, in denen stand, man solle standhaft bleiben und den Kindern keine Snacks geben, wenn sie sie nicht brauchten, damit sie nicht anfingen, aus Bequemlichkeit zu essen. Ich hatte mich darauf vorbereitet, andere Mütter mit ihren Kindern einzuladen, mit ihnen Wein zu trinken und über die verrücktesten Dinge zu sprechen, die unsere Kinder getan hatten. Wir würden uns gegenseitig unterstützen, telefonieren und abends zusammen ausgehen.
Ich hatte diese Freundinnen nie. Matthew hielt nichts von Verabredungen zum Spielen, anderen Müttern oder davon, dass ich das Haus verließ, während er daheim war.
Aber ich hatte die Mädchen und konnte ihren süßen, flehenden Blicken einfach nicht widerstehen.
„Na gut“, gab ich schließlich nach. „Im Kühlschrank sind Käsesticks. Ihr könnt jede einen haben, wenn ihr versprecht, dass ihr danach nicht satt seid.“
„Wir versprechen es!“, sagten sie gemeinsam und sprangen grinsend zum Kühlschrank hinüber. Ich hörte, wie sie miteinander flüsterten, als sie ihre Trophäen griffen und ins Wohnzimmer zurückhuschten, um weiterzuspielen, was immer Schwestern sich auch ausdachten.
Das war eine weitere Sache, für die ich dankbar war: dass die Mädchen einander hatten. Ich war ein Einzelkind und habe mir immer eine Schwester oder einen Bruder gewünscht, doch meine alleinstehende Mutter konnte es sich nicht leisten, ein weiteres Kind großzuziehen. Eigentlich konnte sie sich noch nicht einmal das leisten, das sie hatte. Doch sie hat ihr Bestes gegeben. Meistens. Na ja, zumindest manchmal.
Ich wünschte, sie wäre noch da, um zu sehen, wie weit ich es gebracht habe.
Die Kartoffeln waren fast fertig mit ihrem ersten Backdurchgang, als ich das Hauptgericht in den Ofen stellte. Dann hatte ich eine kurze Pause. Ich machte mir eine Tasse Kaffee, setzte mich mit meinem iPad an die Kücheninsel, öffnete einen neuen Tab neben dem mit dem Rezept und rief Facebook auf. Normalerweise verbrachte ich nicht viel Zeit mit sozialen Medien, denn ich hatte online sehr wenige Freundinnen, von denen ich nur eine persönlich kannte. Meistens amüsierte ich mich nur über die Katzen-Memes. Doch heute hatte mich jemand markiert. Es war eine Seite mit dem Namen „Nehmt ihn nicht fest, er ist ein Held“, und mein Name, Joslyn Carmichael, befand sich in der Mitte der Masse blauer Namen, die den ersten Kommentar zu dem Beitrag bildeten. Es schien, als hätte der Verantwortliche einfach blindlings alle auf jemandes Freundesliste markiert – vielleicht auf Crystals, weil sie die Einzige war, mit der ich wirklich kommunizierte. Der Post selbst war ein Video aus einer lokalen Nachrichtenredaktion. Die Überschrift lautete „Serienmörder immer noch auf freiem Fuß, ein Jahr nach dem ersten Opfer“.
Mir gefror das Blut in den Adern. Ich wusste genau, worauf sich die Überschrift bezog, und ich hätte das Video wirklich nicht anschauen sollen. Doch ich klickte auf Play und stellte die Lautstärke ein bisschen höher, als das Video auf dem gesamten Bildschirm erschien.
„Heute ist ein düsterer Jahrestag in Meadowdale, Pennsylvania“, sagte die Nachrichtensprecherin auf der rechten Seite des Bildschirms, während ihr Kollege links eine entsprechend ernste Miene bewahrte. „Genau heute vor einem Jahr wurde der zweiunddreißigjährige Mechaniker Andreas Dunn auf dem Heimweg von einer Bar mit einem einzigen Schuss in den Kopf ermordet. Dunn wurde das erste und jüngste Opfer des Crossed Hearts Killers, eines Serienmörders, der bis jetzt in der Gegend von Meadowdale fünf Männer ermordet hat.“
Während die Nachrichtensprecherin redete, liefen am unteren Bildschirmrand die Namen und das Alter der Opfer in der Reihenfolge ihres Ablebens. Bei George Ramirez, vierzig Jahre, stockte mir leicht der Atem. Er war der verstorbene Ehemann von Crystal. Meine Freundin und die einzige Person, die verstand, was ich durchmachte.
Sein Tod war schwer gewesen und ich konnte Crystals Schwierigkeiten nachvollziehen, ihn zu betrauern, wo doch ein Teil von ihr erleichtert war, sogar glücklich über das brutale Ende ihres Ehemanns. Wie auch immer, jetzt war sie frei.
Ich nahm mir vor, morgen bei Crystal vorbeizufahren, nachdem ich die Kinder in die Schule gebracht hatte. Es war zu lange her, dass ich sie gesehen hatte, und ich wusste, dass Matthew es niemals herausfinden würde, wenn ich sie morgen besuchte. Bei Crystal konnte ich sicher sein, dass sie nicht zufällig etwas ausplauderte.
„Es ist beinahe einen Monat her, dass das letzte Opfer, der einundvierzigjährige Barkeeper Dolan Barrow, tot neben seinem Auto auf einer wenig befahrenen Straße nach Meadowdale gefunden wurde“, fuhr die Nachrichtensprecherin fort. „Barrow wurde ebenfalls einmal in den Kopf geschossen. Er hinterlässt seine Frau Alexis und drei Kinder.“
Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von Dolan Barrow. Er sah aus wie ein normaler, sogar freundlicher Mann, doch ich wusste besser als jeder andere, dass der Schein trügen konnte. Und wenn der Crossed Hearts Killer ihn ins Visier genommen hatte, musste er wie die anderen gewesen sein.
„Unsere Redaktion hat sich an das Polizeirevier gewandt, aber keine neuen Informationen zu dem Fall bekommen“, übernahm der Kollege der Nachrichtensprecherin. „Die Polizei bittet jedenfalls dringend um für die Ermittlung zum Crossed Hearts Killer nützliche Hinweise. Unter der hier angegebenen Nummer können Sie die dafür eingerichtete Hotline erreichen.“ Er schwieg und seine Kollegin übernahm wieder. „Die weiteren Nachrichten des Tages …“
„Joslyn.“
Ich zuckte zusammen, als ich das einzelne tiefe Wort hörte, das von der Küchentür zu mir herüberdrang. Die Geräusche meines iPads nahm ich nicht mehr wahr und tippte verzweifelt auf dem Bildschirm herum, um das Video anzuhalten. Er ist zu früh! Mein Herz trommelte in schnellem Takt, doch ich setzte ein Willkommenslächeln auf, glitt von dem Barhocker und drehte mich zu meinem Mann um.
Noch immer raubte er mir den Atem, jedes Mal, wenn ich ihn anschaute. Manchmal war es einfach, weil er so unmöglich gut aussah, sogar noch mit achtunddreißig. Und dann — wie jetzt — stockte mir der Atem, weil ich sein unterschwelliges Grollen spürte und genau wusste, was heute Abend passieren würde, egal was ich sagte oder tat.
Er musste heute einen wirklich schlechten Tag gehabt haben.
Bevor ich ein Wort herausbringen konnte, zeigte er auf das iPad. „Warum schaust du dir diesen Mist über irgendwelche Mörder an?“, wollte er wissen. „Die Mädchen könnten es gehört haben.“
Es war sinnlos, darauf hinzuweisen, dass Rosie und Rory das Video keinesfalls gehört haben konnten, weil sie im Wohnzimmer spielten. Ich wollte das Thema wechseln, aber ich wusste es besser als seine Frage nicht zu beantworten. „Ich habe mich nur über die aktuellen Nachrichten informiert“, sagte ich gespielt gut gelaunt. „Wie war dein Tag?“
Er kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Ich versuchte, nicht vor Anspannung die Luft anzuhalten, konnte es aber nicht verhindern. Er legte seinen Arm um mich und ich spürte den harten Druck unterhalb meiner Rippen, der einen kleinen blauen Fleck hinterlassen würde, obwohl er mich dabei auf die Stirn küsste. Es war ein Hinweis darauf, dass ich Schlimmeres zu erwarten hatte, sobald die Mädchen schliefen.
„Was gibt es zum Essen?“, fragte er und ignorierte meine Frage, so wie ich seine nicht ignorieren durfte.
Meine Verärgerung war kurz und schwach und verflog, bevor er sie bemerken konnte. „Ich probiere ein neues Rezept aus“, sagte ich ihm. „Schweinefilet im Speckmantel mit …“
Er brachte mich mit einer Geste zum Schweigen. „Klingt ja ekelhaft. Mach mir ein paar Lendenstücke. Du weißt, wie ich sie mag“, sagte er, wandte sich ab und verließ die Küche. „Ich gehe duschen. Das Essen sollte fertig sein, wenn ich wiederkomme.“
Ich befahl mir, nicht zu weinen. Dann zählte ich bis zehn und begann mit der Zubereitung eines zweiten komplizierten Essens zusätzlich zu dem, das ich bereits kochte. Ich hätte ihn schon lange verlassen sollen. Das war mir klar. Doch diese Seite an ihm war so allmählich zutage getreten, dass es sich anfühlte, als sei es zu spät, irgendetwas zu tun, als es richtig schlimm geworden war.
Und so sehr ich das auch vermeiden wollte, glaubte ein Teil von mir, dass ich diesen krassen Fehler in meinem ansonsten perfekten Leben verdiente. Nicht, weil ich im Gegensatz zu so vielen anderen der Armut entkommen war, sondern weil ich es auf diese Weise geschafft habe. Weil ich nur an diesen Punkt gekommen bin, weil ich jemanden getötet habe.
Kapitel 2
Lexi
Unsere Gastgeberin hatte ihre Beine an den Knöcheln übergeschlagen und lächelte von ihrem Sessel der Macht herab. So nannte ich den prunkvollen braunen Polstersessel, in dem sie während dieser Gruppentreffen immer saß. Wahrscheinlich hatte er ihrem Ehemann gehört und der hatte zu seinen Lebzeiten niemals jemanden darin sitzen lassen.
Ich an ihrer Stelle hätte das Ding hinausgeschafft, es in Stücke gehackt und angezündet. Aber ich hatte nicht vor, diesen Frauen zu erzählen, wie sie es ihren verstorbenen Ehemännern so richtig heimzahlen konnten. Vielleicht war es der Höhepunkt des Tages von Crystal Ramirez, in diesem Sessel zu sitzen.
Mach ruhig, Mädchen.
„Also schön“, begann Crystal. „Heute ist Lexis drittes Treffen. Ihr wisst, was das bedeutet. Es ist Zeit, über den Elefanten zu sprechen.“
Die anderen beiden, Maureen Parker und Shara Hoyt, holten tief Luft. Unglücklicherweise kannte ich die beiden bereits. Wir sind zur selben Zeit auf die Meadowdale Central, die örtliche Highschool, gegangen und haben drei Jahre unserer Jugend zusammen verbracht. Wir hatten ja keine Ahnung von dem Shitstorm, den das wirkliche Leben nach unserem Abschluss für uns bereithielt. Zwei Jahre waren wir sogar gut befreundet. In unserer Clique waren auch ein Ex-Freund von Shara gewesen und der Mann, den ich einmal heiraten sollte. Doch nachdem Maureen und ich während meines Junior-Jahrs einen Streit gehabt hatten, redete sie nicht mehr mit mir. Shara, die Maureen immer folgte, tat es ihr gleich. Sie waren die coolen Kids. Und zumindest Maureen hielt sich immer noch dafür. Ich für meinen Teil fand, dass mit Vierzig die Zeiten der coolen Kids lange vorbei waren.
Maureen griff nach der Weinflasche auf dem Couchtisch und füllte ihr Glas auf. Sie tat das bereits zum zweiten Mal innerhalb von zehn Minuten. Das musste es sein, warum sie glaubte, wie sie immer wieder betonte, keine Alkoholikerin zu sein: Wenn ihr Glas niemals leer wurde, hatte sie am Ende ja nur eines getrunken. Egal, ob dieses eine Glas mit einer ganzen Flasche aufgefüllt wurde.
„Ich verstehe nicht, warum wir darüber reden müssen“, sagte Maureen, während Shara zustimmend nickte. „Wirklich, Crystal, warum glaubst du, du seist qualifiziert, dieses Gespräch zu führen? Ist es, weil wir hier in deinem Haus sind? Dann gehen wir doch das nächste Mal in meins.“
„Ich habe euch gesagt, dass ich beinahe eine zertifizierte Therapeutin bin“, sagte Crystal. „Ich muss nur noch drei Kurse besuchen.“
Maureen nahm einen großen Schluck Wein. „Aha. Und bist du zum College gegangen, bevor du Stripperin warst oder danach?“
Shara kicherte und ich spürte, wie meine Augen groß wurden, obwohl ich mich bemühte, nicht zu reagieren. Das wollte ich wirklich nicht wissen. Und ich erkannte genau, was Maureen tat, indem sie etwas aus Crystals Vergangenheit hochholte. Schon auf der Highschool hat Maureen nie eine Gelegenheit verpasst aufzusteigen, indem sie auf jemand anderen trat. Offensichtlich wollte sie Crystal nur vor mir schlechtmachen.
Ich schenkte unserer Gastgeberin einen mitfühlenden Blick und versuchte, ihr telepathisch zu übermitteln, dass ich nicht schlecht von ihr dachte und dass sich Maureen wie ein Miststück verhielt. Doch Crystal hatte die Situation bereits im Griff. „Das habe ich beides zur selben Zeit gemacht, Süße“, sagte sie mit einem verschlagenen Grinsen. „Vielseitig begabt wie ich bin. Außerdem bekommt man für exotisches Tanzen viel Geld.“ Sie schwieg kurz und fügte dann hinzu: „Aber ich bin sicher, dass du auch einiges dafür bekommst, zeitweilig auf ein Haus achtzugeben. Wir können uns sehr gern dort treffen und bringen unsere schmutzigen kleinen Kinder mit, die mit ihren klebrigen Fingern alles anfassen.“
Maureen stieg die Röte in die Wangen. Sie räusperte sich und flüsterte Shara etwas zu, die daraufhin lachte.
Ich verbarg ein Lächeln. Letzte Woche hatte Maureens grobe Bemerkung über die Kinder dazu geführt, dass sie von ihrer eigenen Tochter ermahnt worden war. Ich hatte das zweifelhafte Glück, nur zwei Häuser von Maureen entfernt zu wohnen, in einer ruhigen Straße im Norden von Meadowdale. Ihre Tochter Padgett war einundzwanzig und passte manchmal auf meine Kinder auf. Wie durch ein Wunder hatte Padgett nichts mit ihrer Mutter gemein — sie war ein nettes Mädchen. Jetzt gerade war sie unten in Crystals Wohnzimmer und hatte ein Auge auf Crystals neunjährigen Sohn und meine drei Kinder. Sie war ein Einzelkind. Vielleicht, weil Maureen offensichtlich keine Kinder mochte.
„Wie auch immer, ich fange jetzt an“, sagte Crystal strahlend und wandte sich mir zu. „Maureen hat dir ja freundlicherweise erzählt, dass ich Stripperin war“, sagte sie. „So habe ich George kennengelernt. Ihm gehörte der Club, in dem ich arbeitete, und aus irgendeinem Grund habe ich seine Aufmerksamkeit erregt. Am Anfang war er toll. Zuvorkommend, großzügig mit Geschenken, sogar irgendwie romantisch. Das erste Warnsignal habe ich vollkommen verpasst. Es war, als er mich bat aufzuhören, in seinem Club zu arbeiten, weil er nicht wollte, dass andere Männer meinen Körper anschauten.“
Mein Magen zog sich ein wenig zusammen. Mir war klar, was sie gemeint hatte, als sie vom „Elefanten“ gesprochen hatte, aber nun, da wir das Thema tatsächlich angingen, war ich nicht sicher, ob ich es ertragen konnte, das zu hören. Geschweige denn darüber zu reden.
„Das verstehe ich gut“, sagte Shara, legte ihren Kopf schief und betrachtete Crystal abschätzig. Crystal war die Jüngste hier, siebenunddreißig, schlank und geschmeidig. Eine klassische rothaarige Sirene mit leuchtend grünen Augen, makelloser Haut und perfekten Kurven. „Weißt du, ich würde dich wirklich gern einmal schnitzen.“
„Was?“, platzte ich heraus. Hatte ich sie richtig verstanden? Crystal schien es nicht zu kümmern.
„Aus Seife.“ Shara richtete ihren kühlen grauen Blick auf mich und schnippte sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. „Hatte ich nicht erwähnt, dass ich jetzt Künstlerin bin?“
Vielleicht hatte sie das. Und falls sie einen durchgeknallten Künstlervibe anstrebte, hatte sie ihn bereits perfektioniert. Allerdings war Shara schon immer ein wenig merkwürdig gewesen.
Crystal ignorierte Sharas Begehren, sie in Badeprodukten zu verewigen. „George und ich waren zwölf Jahre lang verheiratet, als er starb“, sagte sie. „In dieser Zeit hat er mich zweimal in die Notaufnahme gebracht, mir mindestens vier Knochen gebrochen und unzählige Prellungen zugefügt. Ajax hat er allerdings nie angerührt. Es ging nur um mich. Er war unglaublich eifersüchtig und paranoid. Wenn ein anderer Mann mir auch nur einen Seitenblick zugeworfen hat, habe ich dafür gezahlt.“ Sie erschauderte. Einen Augenblick lang formte sich ihr Mund zu einer schmalen Linie und sie hielt die Augen geschlossen. Als sie sie wieder öffnete, war ihr Lächeln zurück. „Okay, wer ist die Nächste?“
Ich hatte keine Ahnung, wie sie so viel hatte preisgeben können, ohne zusammenzubrechen. Auf der anderen Seite war sie ihren Peiniger bereits seit zehn Monaten los. Bei mir war es erst einen Monat her. Und bis zu dem Tag, an dem er starb, war ich überzeugt gewesen, nie aus der Sache herauszukommen.
Bis jemand das Problem mit einer Kugel für mich gelöst hatte.
Maureen seufzte schwer und nahm sich ein paar Käsewürfel vom Tisch. „Schön“, sagte sie und begann mit monotoner Stimme zu reden, während sie ihren Blick gesenkt hielt. „Brent und ich haben jung geheiratet, weil ich schwanger war. Unsere Eltern hatten darauf bestanden. Wir waren noch nicht bereit, erwachsen zu sein, also waren wir zuerst furchtbar schlecht darin, verheiratet zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Als Padgett noch klein war, war es schlimmer, weil er es nicht ausstehen konnte, sie weinen zu hören. Er hörte nie wirklich auf, aber es wurde seltener, sodass ich es verbergen konnte. Also blieb ich.“
Als sie fertig war, warf sie sich einen Käsewürfel in den Mund und leerte ihr fast volles Weinglas in einem Zug.
Nun fühlte ich mich schlecht, weil ich über den Kommentar mit den Kindern gelacht hatte.
Crystal schaute sie mitfühlend an. „Wie oft warst du in der Notaufnahme?“
„Fünfmal. Das letzte Mal liegt noch nicht lange zurück.“ Maureen schaute sie mit glitzernden Augen an. „Und ein sechstes Mal wird es nicht geben, nicht wahr?“
Einen Moment lang war ich beinahe stolz auf Maureen mit ihren Designerklamotten, dem teuren Haarschnitt und dem herausfordernden Blick, der sagte: Er ist tot und ich bin glücklich darüber — was willst du dagegen tun? Doch dann fiel mir der eigentliche Groll wieder ein, den ich gegen sie hegte und der weit über die Highschool hinausging, und sie tat mir einfach nur noch leid. Mehr oder weniger.
Shara drückte Maureens Hand. „Ich nehme an, du möchtest, dass ich als Nächste spreche“, sagte sie und schaute Crystal mit hochgezogener Augenbraue an. „Ich meine, eigentlich gibt es da nicht viel zu erzählen. Harrison war Chirurg, ein wichtiger Mann. Er hatte … einen gesunden Appetit, der befriedigt werden musste. Das ist alles.“
„Was er getan hat, würde ich nicht unbedingt ‚gesund‘ nennen“, sagte Crystal. „Komm schon, Shara. Gruppentherapie hat nur einen Sinn, wenn man wirklich darüber redet. Wenn du das nicht tust, kann die Gruppe dich nicht unterstützen.“
„Das ist barbarisch“, murmelte Shara leise, fuhr aber fort. „Na gut. Alles spielte sich im Schlafzimmer ab“, sagte sie unsicher. „Er … oh, Gott, ich weiß nichts darüber. Wie oft muss ich das erklären?“
Maureen legte einen Arm um sie. „Du schaffst das. Ich bin bei dir“, sagte sie. „Lass es raus, dann wird es dir besser gehen.“
„Gut.“ Shara biss sich auf die Lippe. „Harrison behauptete, dass er auf S&M stand, Sadomasochismus. Ihr wisst schon, dieses Fifty-Shades-Of-Gray-Zeug. Aber in Wirklichkeit hat es ihm einfach nur gefallen, mir beim Sex Schmerzen zuzufügen.“ Ein sichtbarer Schauder durchlief sie. „Und er wollte keine Kinder, weil er meinte, dass eine Geburt meine … ihr wisst schon … ruinieren würde.“ Sie schluckte. „Mich zu sehr dehnen“, sagte sie schnell. „Es tut mir leid, aber mehr möchte ich wirklich nicht erzählen, okay?“
„Natürlich“, sagte Crystal beruhigend. „Möchtest du uns sagen, wie oft du in der Notaufnahme gewesen bist? Wenn nicht, ist es auch in Ordnung.“
Als Shara ihren Kopf hob, lief eine einzelne Träne über ihre Wange. „Nur einmal“, flüsterte sie. „Es gab noch ein paar Gelegenheiten, zu denen ich wohl hätte gehen sollen. Aber meine Verletzungen waren so …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es war beschämend. Ich wollte nicht, dass es jemand sieht.“
Weißglühende Wut ballte sich in mir zusammen, als ich hörte, was diese Frauen mit ihren arroganten, selbstsüchtigen Männern durchgemacht hatten. Es war die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen. Als Crystal mich kurz nach der Beerdigung meines Mannes eingeladen hatte, war ich nicht sicher gewesen, ob es eine gute Idee war. Es schien mir riskant, besonders weil Maureen hier war. Die ersten beiden Treffen waren auch wirklich unangenehm gewesen, weil drei von uns eine gemeinsame Vergangenheit hatten, von der Crystal nichts wusste. Aber die Erleichterung zu sehen, die sie hieraus zogen, und die Möglichkeit, es ihnen gleichzutun, war es wert.
Als Shara fertig war, herrschte eine tiefe Stille. Schließlich schaute Crystal mich an. „Lexi?“, sagte sie. „Glaubst du, du kannst deine Geschichte mit uns teilen?“
Eigentlich wollte ich nicht. Alles fühlte sich noch so frisch an und mich beschäftigte nicht nur der unerwartete Tod meines Mannes und meine plötzliche Freiheit, sondern auch die Situation mit der Polizei, die schlechter statt besser zu werden schien. Davon hatte ich der Gruppe noch nichts erzählt. Wenn sie wüssten, was man mir vorwarf, würden sie mich vielleicht ablehnen, bevor sie mich kennenlernten … Und ich hatte das Gefühl, dass ich jemanden an meiner Seite brauchen könnte. Doch sie hatten bereits ihre Seelen entblößt, also fand ich, dass ich mich nicht mit der Ausrede der trauernden Witwe aus der Affäre ziehen konnte. Ich nahm einen zittrigen Atemzug und begann zu reden.
„Ob ihr es glaubt oder nicht, Dolan war ein guter Vater“, sagte ich. „Ich weiß, dass das nach der Entschuldigung klingt, die Frauen gern nutzen, um zu rechtfertigen, dass sie geblieben sind, aber es ist wahr. Er konnte toll mit den Kindern umgehen. Sie vermissen ihn auch wirklich.“ Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wischte sie fort. „Meistens war er auch gut zu mir. Es tat ihm … leid. Wisst ihr?“ Ich schaute die anderen an und hoffte, in ihren Augen Verständnis zu sehen. Natürlich verstanden sie mich alle. Sogar die zickige Maureen. „Nicht so sehr, dass er es nie wieder getan hätte. Doch jedes Mal, wenn es passierte, brachte er mir Blumen und Geschenke und versprach, sich zu bessern.“ Ich hatte nicht vor, im Detail zu erzählen, was Dolan mir angetan hatte. Das konnte ich nicht. Doch ich war mir sicher, dass sie sich alle eine Menge vorstellen konnten.
„Ach, Liebes, das tut mir so leid“, sagte Crystal, ihre Augen voller Mitgefühl. „Möchtest du uns sagen, wie oft du in der Notaufnahme gewesen bist?“
Ich schüttelte den Kopf. Nicht, weil ich es verheimlichen wollte, sondern weil ich nicht richtig begriff, warum Crystal so von der Anzahl unserer Besuche in der Notaufnahme besessen war. Ich fragte mich, ob sie damit auf irgendetwas hinauswollte, würde ihre Theorie aber nun auf die Probe stellen.
„Ich war nie dort“, gestand ich. „Ein paarmal hätte ich wohl gehen sollen, aber ich habe es nicht getan. Wenn auch nicht aus denselben Gründen wie Shara“, fügte ich schnell hinzu, damit sie nicht auf die Idee kam, ich hätte ihre Story geklaut. „Ich wollte die Kinder nicht allein lassen. Sie sind noch so klein. Dolan war ein guter Vater, wollte die Kinder aber nicht allein betreuen.“
Die anderen nickten verständnisvoll, selbst die kinderlose Shara. Obwohl ich es beinahe erwartet hatte, überraschte es mich, als ein Gefühl der Ruhe sich in mir ausbreitete. Vielleicht das Beste, was ich seit Dolans Tod gefühlt hatte. Diese Gruppe war vielleicht fragwürdig besetzt und nicht genehmigt. Welche Organisation würde auch in eine Gruppe für Frauen mit einem so speziellen Trauma investieren? „Misshandelte Frauen, deren Ehemänner vom Crossed Hearts Killer ermordet worden waren“ ergab keine so schöne Abkürzung wie Anonyme Alkoholiker oder Mütter gegen Trunkenheit am Steuer. Doch hier saßen wir und unterstützten einander. Aus der Asche der Tragödie war etwas Positives erwachsen. Und vielleicht würden wir eines Tages alle unseren inneren Phönix entdecken.
Kapitel 3
Joslyn
Am nächsten Morgen bewegte ich mich langsam. Die Zwillinge wären beinahe zu spät zur Schule gekommen. Zum Glück waren sie wegen eines Kunstprojekts in ihrer Klasse so aufgeregt und abgelenkt, dass sie nicht viel mitbekamen. Rory fragte mich, ob es mir gut ginge, als ich beim Einsteigen ins Auto zusammenzuckte.
Die letzte Nacht war nicht die schlimmste gewesen. Zumindest war Matthew guter Laune gewesen, als er heute Morgen zur Arbeit gefahren war, also würde er es in nächster Zeit vermutlich nicht wieder tun.
Ich hatte mich beinahe schon überzeugt, Crystal nicht zu besuchen. Heute musste ich ein hochgeschlossenes Oberteil tragen, obwohl es draußen warm war, und sie würde sofort wissen, warum. Doch dann warf ich einen Blick in den Kalender und mir fiel auf, wie lange es schon her war, dass ich mit jemandem Kontakt gehabt hatte, der nicht in meinem Haushalt lebte, und war entsetzt, dass es schon viel länger her war, als ich gedacht hatte.
Sechs Wochen. Und selbst da war ich nicht mit einer Freundin allein gewesen. Es war ein Elternabend in der Schule der Mädchen gewesen und es hatte mich überrascht, dass Matthew mich hatte teilnehmen lassen. Natürlich war er nicht mit mir gegangen.
Crystal hatte ich seit über zwei Monaten nicht mehr gesehen. Seit dem Ende des Sommers.
Es war kurz nach halb neun, als ich in die Auffahrt des leicht pompösen zweistöckigen Hauses fuhr, das ihr Mann hatte bauen lassen, um seinen Reichtum zur Schau zu stellen, und vor der geschlossenen Garage parkte. Das Haus befand sich in der Stadtmitte, ein paar Blöcke vom größten Geschäftsviertel in Meadowdale entfernt. Natürlich hatte George den Standort ausgesucht. Er wollte sichergehen, dass niemand es übersah.
Ich wusste, dass Crystal bereits auf war, weil ihr neunjähriger Sohn Ajax auf dieselbe Schule ging wie die Mädchen. Dennoch hätte ich beinahe gekniffen und war bereits dreimal wieder auf dem Weg zum Auto gewesen, bevor ich es zur Haustür schaffte und klingelte.
Einen Moment später öffnete Crystal die Tür und schaute heraus. Ihre leicht wachsame Miene, die verriet, dass sie niemanden erwartet hatte, verwandelte sich augenblicklich in ein strahlendes Lächeln.
„Joslyn!“, säuselte sie und öffnete die Tür weit. „Wo bist du gewesen? Ich …“
Sie brach ab, als sie den Rollkragen bemerkte, das zu dick aufgetragene Make-up, mein niedergeschlagenes Aussehen.
„Dieser Bastard“, sagte sie durch zusammengepresste Zähne. Ohne ein weiteres Wort legte sie behutsam eine Hand auf meinen Rücken und führte mich hinein. „Wie schlimm ist es?“, fragte sie, nachdem sie die Tür geschlossen hatte.
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht besonders“, log ich. „Ich dachte, wir könnten einen Kaffee trinken und ein bisschen quatschen. Wir haben uns eine Weile nicht gesehen.“
Crystal sah aus, als wollte sie die Wahrheit hören, doch dann lächelte sie traurig. „Da hast du Glück. Ich habe gerade eine Kanne gemacht“, sagte sie. „Komm herein.“
Dankbar, dass sie mich zumindest nicht sofort ausfragen würde, folgte ich ihr durch das unglaublich saubere, helle Wohnzimmer, das dazu in Kontrast stehende dunklere Esszimmer, das keine Fenster hatte, in die Küche, wo es wieder hell und sauber war. Ihre Küche war fast so groß wie meine, aber Crystal kochte nicht besonders gern. Sie hatte einfach gern viel Platz.
Sie bestand darauf, dass ich an der Kücheninsel Platz nahm, während sie Kaffee eingoss und ein paar Kleinigkeiten auf einem Tablett anrichtete – Gebäckstücke von der angesagtesten Bäckerei der Stadt, frisches Obst, ein paar Schokoladenpralinen, die sie offenbar gerade vorrätig gehabt hatte.
Als sie sich mir gegenüber setzte und das Tablett zwischen uns abstellte, schaute sie mich wieder aus zusammengekniffenen Augen an. Wahrscheinlich hatte sie bemerkt, dass ich mich nicht auf dem Stuhl zurücklehnte.
„Weißt du“, sagte sie, hob ihre Kaffeetasse und nahm einen Schluck, wobei sie meinen Blick mied. „Ich hoffe, dass der Crossed Hearts Killer sich als Nächsten Matthew vorknöpft.“
„Sag das nicht!“ Kurz schaute ich mich panisch um, als würde mein Ehemann irgendwo in einer Ecke stehen und in den Schatten darauf warten zuzuschlagen.
„Warum nicht? Du verdienst es, von ihm befreit zu sein, Süße.“
Ich stöhnte und nahm einen Schluck Kaffee, um mich abzulenken. „Ich weiß. Ich weiß, dass ich ihn verlassen sollte“, sagte ich. „Es ist nur … Nun, so einfach ist das nicht.“
„Ach Süße, als würde ich das nicht wissen. Du trägst hier gerade Eulen nach Athen.“ Sie streckte ihre Hand aus und drückte meine. „Hör zu, sollte es jemals etwas geben, womit ich dir helfen kann, sag es einfach und ich werde es tun. Dabei belassen wir es nun, ja?“
Ich nickte. „Danke“, flüsterte ich mit Tränen in den Augen.
Sie gab mir ein paar Minuten, um mich zu sammeln, und plauderte dann, als hätte die vorherige Unterhaltung nicht stattgefunden. Das liebte ich an Crystal: Sie wusste immer, was sie sagen konnte und was nicht. „Was machen die Mädchen?“, fragte sie.
„Es geht ihnen gut. Sie lieben es in der ersten Klasse“, erzählte ich ihr. „Und Ajax?“
Sie lachte leise. „Wie immer. Unbegreiflich“, sagte sie. „Er ist ein stilles Wasser, dieser Junge. Ich bin froh, wenn ich am Tag zwanzig Wörter aus ihm herausbekomme. Aber vor kurzem habe ich das Geheimnis der Kommunikation mit ihm gelernt.“ Sie beugte sich vor und senkte ihre Stimme zu einem dramatischen Flüstern. „Wenn ich dieselben Bücher lese wie er, redet er mit mir über sie.“
„Ach, wie schön! Ich wusste gar nicht, dass du gern liest“, sagte ich und spürte sofort, wir mir die Röte ins Gesicht stieg. Das klang wirklich unsensibel. Ich meinte nur, dass das Thema Bücher noch nie zwischen uns aufgekommen war, weil wir normalerweise über weniger erfreuliche Dinge sprachen. Aber bei ihrem Hintergrund hatte es möglicherweise geklungen, als ob ich sie für ungebildet hielt.
Aber Crystal lachte nur. „Keine Sorge, ich weiß, was du meinst“, sagte sie. „Aber ja, ich lese gern. Daher hat Ajax das. Von seinem Vater hat er es ganz sicher nicht. Außerdem würde es ja nicht viel Sinn ergeben, ein Buch zu schreiben, wenn ich gar keine Bücher mögen würde.“
Ich starrte sie an. „Du hast ein Buch geschrieben?“
„Herrgott, wir haben uns wirklich schon lange nicht mehr gesehen.“ Sie lächelte. „Ich hätte schwören können, dass ich es dir schon erzählt habe. Ich habe ein Angebot von einem Verlag bekommen, ein Buch über den Crossed Hearts Killer zu schreiben. So eine Art True Crime/Biografie, weißt du?“ Sie nahm sich eine Praline und schob sie sich in den Mund. „Ich arbeite noch daran, aber es wird toll werden. All die wunderbaren Einzelheiten.“ Sie zwinkerte mir zu. „Willst du es lesen?“
„Äh, nein!“ Ich lachte und nahm mir selbst eine Praline. Crystal wusste, dass ich kein Blut sehen konnte. Sie hat sich so über mich lustig gemacht, als sie herausfand, dass Horrorfilme mir Angst machen, und zwar so sehr, dass ich mich nach dem letzten, den ich gesehen habe, tatsächlich unterm Bett versteckt habe. Ich nahm an, dass True Crime noch schlimmer war, weil ich wusste, dass all das blutige Zeug wirklich passiert war.
Crystal lächelte mich liebevoll an. „Ich wünschte, wir wären auf der Highschool schon Freundinnen gewesen“, sagte sie und schaute dann ernst. „Es ist meine Schuld, dass es nicht so war. Damals war ich dir gegenüber so ein Miststück. Ich weiß nicht, wir du mir je vergeben konntest.“
Ach je. Die Highschool. Normalerweise vermied ich es, an diesen Lebensabschnitt zu denken. Besonders daran, wie er geendet hatte. Crystal und ich waren beide auf die Monarch Academy gegangen, die Elite-Privatschule, die sich am Südende der Stadt im Wald verbarg. Wir hatten im selben Jahr angefangen. Doch Crystal kam aus einer Familie mit altem Reichtum, während ich nur dank eines Stipendiums dort sein konnte. Wie Kinder so sind, gab die Hackordnung vor, dass sie und ihre Freundinnen mich und meine Second-Hand-Sachen wie Müll behandelten. Sie machten sich nie die Mühe, meinen Namen zu lernen, wofür ich einmal sehr dankbar sein sollte. Doch das hielt ihre Gang nicht davon ab, mich auf den Fluren, beim Essen und auch außerhalb der Schule zu belästigen. Sie war nicht so schlimm wie die anderen. Dennoch war sie der letzte Mensch, mit dem ich glaubte, als Erwachsene befreundet zu sein, als die Highschool vorbei war.
Bis zu der Nacht, in der wir beide in einer Betreuungsstation in der Stadt landeten, wo Frauen wie wir hingingen, damit niemand sonst sah, was unsere Ehemänner uns angetan hatten. Irgendwie hatte sie mich unter meinen blauen Flecken erkannt. Sie kam sofort zu mir, setzte sich neben mich und flüsterte: „Deiner also auch, ja?“
Ich begann sofort zu weinen, aus purer Erleichterung, dass ich nicht allein war. Und aus dieser grässlichen Situation heraus wuchs eine neue Freundschaft.
„So bist du nicht mehr“, sagte ich lächelnd. Crystal und ich hatten nach der Highschool unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. Ich bewegte mich auf den Reichtum zu, während sie davor weglief. Es war ein Skandal für ihre altehrwürdige Familie gewesen, als sie nach ihrem Abschluss Stripperin geworden war, und sie hatten sie enterbt.
Dann hatte sie irgendwann wieder Geld, aber zu einem hohen persönlichen Preis. Genau wie ich.
Unsere Wege waren also gar nicht so unterschiedlich gewesen.
„Da hast du recht. Als Teenager war ich grässlich.“ Crystal zog eine Grimasse. „Hey, ich hoffe, du lässt nicht wieder zwei Monate verstreichen, bis wir uns wieder treffen“, sagte sie. „Warum kommst du eigentlich nicht in meine Gruppe? Wir hatten erst gestern Abend ein Treffen. Du würdest sie alle mögen. Niemand fällt dort ein Urteil. Na ja, Maureen vielleicht“, sie lachte. „Aber an sie gewöhnst du dich.“
Ich schüttelte meinen Kopf, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. „Ist das nicht für durch den … du weißt schon, den Killer verwitwete Frauen?“
„Es ist für missbrauchte Witwen“, präzisierte sie. „Und ich bin sicher, dass es niemanden stören würde, wenn du kämst. Du bist doch so gut wie Witwe.“
Ich spürte einen Kloß in meinem Hals und schob die schlimmen Bilder aus meiner Vergangenheit beiseite. Crystal war meine einzige Freundin, und sie war auch die Einzige, der ich von meiner ersten kurzen Ehe direkt nach der Highschool erzählt hatte. Doch ich hatte ihr nicht alles gebeichtet.
„Nein. Danke, aber das fühlt sich nicht richtig an“, sagte ich. „Außerdem würde Matthew mich niemals …“
„Lassen?“, beendete sie den Satz, als ich es nicht tat. In ihren grünen Augen blitzte kurz Wut auf.
Ich seufzte. „Er würde wissen wollen, worum es geht und warum ich teilnehmen möchte“, sagte ich. „Und … ich habe ihm nie von Ricky erzählt.“
Sie öffnete den Mund. Ich war sicher, dass sie mich tadeln wollte, weil ich meine schreckliche Ehe auf einer großen Lüge aufgebaut habe, selbst wenn es nur ein Verschweigen war, doch stattdessen schob sie das Gebäck auf dem Tablett hin und her und nahm sich dann eine Bärentatze. „Du solltest auch eine probieren“, sagte sie. „Wenn du es nicht tust, esse ich sie alle allein und nehme über Nacht zwanzig Kilo zu.“
Ich entspannte mich und entschied mich für ein Kirsch-Quark-Plunder. Sie war wirklich eine gute Freundin. Die beste.
Wenn ich ihr doch auch nur eine bessere Freundin sein und für mich einstehen könnte, wie sie es gern sähe. Doch wie ich bereits sagte, es war kompliziert. Besonders wegen der Sache, von der sie nichts wusste.
„Ernsthaft jetzt“, sagte Crystal, nachdem sie ihr Gebäck gegessen hatte. „Kommst du klar? Denn ich kann ganz leicht ein Eingreifen arrangieren.“
„Es wird schon gehen. Heute Morgen war er gut gelaunt“, sagte ich und schob die düstere Erkenntnis beiseite, dass es ihm gute Laune bereitete, mich zu verletzen. Danach war er immer glücklich. „Außerdem geht er dieses Wochenende jagen und bleibt über Nacht mit irgendwelchen Freunden in einer Hütte.“
Crystal verdrehte die Augen. „Ich habe es immer gehasst, wenn George jagen ging“, sagte sie. „Er kam immer zurück und stank wie weiß Gott was. Es war grässlich. Und er lehrte mich, einen Hirsch aufzuschneiden. Ekelhaft.“
„Der Geruch ist wirklich schlimm“, sagte ich und grinste dann. „Aber Matthew hat noch nie wirklich etwas erlegt. Ich bin ziemlich sicher, dass er das auch gar nicht vorhat. Ich meine, er ist Anwalt, um Himmels willen. So sehr er sich auch auf die Brust trommelt, er würde in Ohnmacht fallen, wenn er ein totes Tier berühren sollte.“ Ich schwieg kurz und fügte dann hinzu: „Es sei denn, er hat es im Mund, mit Meersalz und Olivenöl leicht angebraten. Dann lechzt er danach.“
Crystal starrte mich an und brach dann in Gelächter aus. Es dauerte nicht lange, bis ich einfiel. Es fühlte sich gut an, über meinen Ehemann zu lachen, wenn auch nur für eine Minute, und zu wissen, dass es keine Konsequenzen geben würde.
Ich brauchte diese Momente des gestohlenen Lichts, um durch die Dunkelheit zu kommen, die immer irgendwo vor mir lag.
Kapitel 4
Lexi
Es war an der Zeit, das Abendessen für beendet zu erklären. Martin, mit zwölf Jahren mein Ältester, hatte zwei Teller Roastbeef, Kartoffelpüree und Karotten geleert und drückte seine Komplimente an die Köchin aus, indem er so laut rülpste, wie er konnte. Das amüsierte den fünfjährigen Timmy und entsetzte seine zehnjährige Schwester Cynthia.
„Das ist wirklich ein Kompliment“, sagte Martin zu mir, nachdem er einen Rülpser produziert hatte, der die Wände zum Beben brachte. „Wir haben heute in der Schule darüber gelesen. Wenn du den Tisch unordentlich hinterlässt und rülpst, wenn du fertig bist, bedeutet das, dass es dir geschmeckt hat.“
„Ja, so ist es. In China“, sagte ich und wäre angesichts seines erstaunten Blicks beinahe in Gelächter ausgebrochen.
„Hey, ich bin auf dieselbe Schule gegangen wie du und habe dieselben Bücher gelesen. Aber in diesem Land entschuldigen wir uns, wenn wir rülpsen, in Ordnung?“
„Okay, gut. Entschuldigung, fünf Mal.“ Er grinste. „Oh, warte, vielleicht sechs Mal. Hier kommt noch einer.“
„Mom!“, jammerte Cynthia. „Er soll aufhören. Er ist so eklig.“
„Martin, bitte versuch, zwei Dezibel nicht zu überschreiten und ärgere deine Schwester nicht mit Absicht“, sagte ich. „Du bist heute mit Tischabräumen dran. Cynthia, kannst du alles in die Spülmaschine räumen?“
„Ja, Mom“, grummelten sie beide.
Timmy hörte auf, eine Karotte im Rest seiner Soße hin und herzuschieben wie ein Boot und zog Martin am T-Shirt. Seine Finger hinterließen klebrige Abdrücke, und einen Moment lang dachte ich an die Gruppe gestern Abend und Maureens tonlosen Bericht über die Gräueltaten ihres Mannes. Vielleicht hätte das ausreichen sollen, damit ich ihr verzieh, doch das tat ich nicht. Zumindest noch nicht.
„Hey, Martin! Ich kann dir mit dem Tisch helfen“, sagte Timmy. „Spielst du dann mit mir Lego? Bitte?“
Manchmal war Martin ein bisschen frech, wenn Timmy ihn bat, mit ihm zu spielen, wie es unter Geschwistern üblich war. Dann musste ich ihn böse anschauen, damit er lieb war. Doch seit ihr Vater gestorben war, waren die Kinder meistens besonders nett zueinander. Zumindest, wenn nicht eines von ihnen laut am Tisch rülpste.
„Okay, Timmy“, sagte er. „Du nimmst das Besteck und nachher bauen wir Legoroboter.“
„Jippie!“ Timmy warf seine Arme hoch und das Karottenstückchen flog durch die Essecke an die gegenüberliegende Wand und hinterließ eine orangebraune Spur, als es daran hinabglitt.
Mein Jüngster kicherte. „Ups“, sagte er.
„Ja, ups.“ Ich streckte eine Hand aus und verwuschelte ihm lächelnd die Haare. „Na los, Jungs, räumen wir schnell auf.“
Ich war gerade vom Tisch aufgestanden, als es an der Haustür klingelte.
Cynthias Miene hellte sich auf. „Kann ich gehen, Mom?“
„Nein“, sagte ich geistesabwesend mit einem schwermütigen Blick ins Wohnzimmer und konzentrierte mich dann auf meine Tochter. „Tut mir leid, Süße. Wir erwarten keinen Besuch. Es könnte also jeder sein. Ich verspreche dir, dass du das nächste Mal, wenn Padgett kommt, die Tür öffnen darfst, ja?“
Kurz zog sie eine Schnute. „Auch wenn du hier unten bist und ich oben bin?“
„Auch dann.“
„Okay“, sagte sie. „Abgemacht.“
Wieder klingelte es und mein schlechtes Gefühl wuchs. Unser letzter unerwarteter Besucher war hier gewesen, um mir mitzuteilen, dass mein Ehemann tot war.
„Bleibt hier, Leute, ich mache das“, sagte ich zu den Kindern und ging dann widerstrebend ins Wohnzimmer. Die schmalen Fenster neben der Haustür erlaubten mir keinen Blick auf den, der draußen stand, doch es gab einen Spion, durch den ich jetzt schaute. Beinahe wäre mir das Abendessen wieder hochgekommen.
Ich holte tief Luft und öffnete die Tür, bevor ich mich wieder abwenden und fortlaufen konnte. „Detectives“, sagte ich steif. „Kann ich Ihnen helfen?“
Detective Oscar Mulligan, der Ältere von beiden, lächelte mich falsch an. „Guten Abend, Mrs Barrow. Wir möchten Ihnen nur ein paar Fragen stellen“, sagte er. „Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen.“
Es kam immer ungelegen, wenn die Polizei mich mit Fragen über den Mord an meinem Ehemann löcherte, obwohl ich es verdammt noch mal nicht getan habe. Aber das konnte ich natürlich nicht laut sagen. Ebenso wenig konnte ich mich weigern, ihre Fragen zu beantworten, weil sie mich dann aufs Revier mitnehmen würden.
Ich unterdrückte ein Seufzen und trat aus dem Weg. „Kommen Sie herein“, sagte ich und wartete, bis Mulligan und sein Partner, Detective Diona Garvel, im Haus waren. „Geben Sie mir eine Minute?“ Ich bedeutete ihnen, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. „Ich muss meinen Kindern sagen, dass ich mit Ihnen spreche.“
„Natürlich.“ Garvel, die etwas mitfühlender war als ihr Partner, antwortete für sie beide. Sie setzte sich auf die Couch und starrte Mulligan an, bis er dasselbe tat. Ich hatte bereits vermutet, dass sie ebenfalls Mutter war, als ich sah, wie sie bei ihrem ersten Besuch hier mit meinen Kindern umging. Sie verstand also, dass die Kinder an erster Stelle standen. Mulligan sah verärgert aus. Das tat er allerdings immer, wenn er nicht gerade richtig sauer wirkte. Er trug keinen Ehering und ich war froh, dass keine Frau es zu Hause mit ihm aufnehmen musste. Vielleicht hatte er eine Freundin, dann tat es mir um sie leid.
Als ich in die Küche zurückkehrte, saßen alle drei Kinder schweigend am Tisch und Timmy war den Tränen nahe. Sie mussten gesehen haben, wer die Besucher waren.
„Kinder, ist schon gut“, sagte ich. „Ihr müsst noch nicht einmal mehr den Tisch abräumen, okay? Warum geht ihr nicht alle nach oben und spielt eine Weile? Wenn ich hier fertig bin, rufe ich euch und wir essen Nachtisch.“
Timmys kleine Lippe zitterte. „Mommy, ist noch jemand tot wie Daddy?“
Seine unschuldige plumpe Frage wirkte wie eine Ohrfeige auf die anderen beiden, die sofort blass wurden.
„Nein, Schätzchen, nicht.“ Ich ging in die Hocke und umarmte ihn. Dann tat ich dasselbe bei Martin und Cynthia. „Es geht allen gut. Die Polizei möchte mir nur ein paar Fragen stellen.“
Wut überlagerte nun Martins Angst. „Worüber?“
„Über deinen Vater, Schatz“, sagte ich.
Cynthia blinzelte schnell. „Warum wollen sie das? Es macht dich traurig.“
„Ich weiß, aber das müssen sie. Es ist ihre Aufgabe, Fragen zu stellen, wenn etwas Schlimmes passiert, wie das, was mit Daddy geschehen ist.“
Martin starrte böse in Richtung Wohnzimmer. „Nun, ich weiß auf jeden Fall, was ich nicht werde, wenn ich groß bin“, sagte er viel zu laut. „Polizist!“
Ich musste eine Hand auf meinen Mund legen, um nicht zu lachen. Das wäre definitiv unangebracht. „Dann ist es ja gut, dass dich niemand dazu zwingt“, sagte ich mit einem Zwinkern. „Jetzt geht und macht euch keine Sorgen. Sie werde nicht lange hier sein.“
Widerstrebend trollten sich die drei die Treppe hinauf. Martin hielt Timmy an der Hand. Ich wartete, bis ich hörte, wie Zimmertüren geöffnet und geschlossen wurden, und ging dann zu den beiden Polizisten.
„Nettes Kind“, bemerkte Mulligan, als ich mich in einen der Sessel setzte. „Sehr höflich.“
„Ich erziehe meine Kinder zur Ehrlichkeit, Detective Mulligan“, sagte ich so ruhig ich konnte. „Und manchmal ist die Ehrlichkeit nicht höflich.“
„Wundervoll. Wie wäre es dann, wenn Sie anfingen, mit mir ehrlich zu sein?“, sagte er, beugte sich vor und stützte seine Unterarme auf seine Oberschenkel. „Wer auch immer Ihren Ehemann ermordet hat, hat versucht, es aussehen zu lassen, als wäre es der Crossed Hearts Killer gewesen. Doch es war nicht ganz richtig. Wissen Sie, warum nicht, Mrs. Barrow?“
Ich antwortete nicht. Sie hatten mir bereits gesagt, dass Dolan nicht so arrangiert worden war wie die anderen Opfer. Deshalb gingen sie davon aus, es mit einem Trittbrettfahrer zu tun zu haben. Und sie glaubten, dieser Trittbrettfahrer sei ich, die versuchte, mit dem Mord davonzukommen, indem sie ihn einem Serientäter in die Schuhe schob. Ich konnte gar nicht richtig begreifen, dass ich in diesem Mordfall ernsthaft als Verdächtige in Betracht gezogen wurde.
Nein, er war nicht gerade der Ehemann des Jahres gewesen, aber ich hätte Dolan nie getötet.
„Mrs. Barrow?“, hakte der Detective nach. „Erinnern Sie sich?“
„Ich habe meinen Ehemann nicht getötet“, sagte ich und antwortete mit Absicht nicht auf seine dumme Frage.
„Das sagen Sie.“ Mulligan tauschte einen Blick mit Garvel. „Aber ich weiß, dass es nicht der Serienmörder war. Nicht nur, weil seine Hände nicht über dem Herzen gekreuzt waren. Sie wissen schon, das kleine Detail, das wir aus den Medien herausgehalten haben, von dem wir Ihnen bereits erzählten. Sie waren doch so überrascht, als Sie es erfuhren.“
Verdammt noch mal. Natürlich war ich überrascht gewesen. Ich war überrascht gewesen, dass mein Mann tot war.
„Wie dem auch sei, ich schweife ab. Dafür könnte es alle möglichen Gründe geben, nicht wahr?“ Ein schmieriges Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Detectives aus, und ich wusste, dass er auf etwas hinauswollte. „Vielleicht hat sich Ihr Ehemann gewehrt. Das hätte er auf jeden Fall getan, wenn er seinen Angreifer kannte“, sagte er betont. „Oder vielleicht hat der Crossed Hearts Killer einfach nur … vergessen, die Arme seines Opfers zu kreuzen. Sie wissen schon, nur dieses eine Mal.“ Mulligan richtete sich auf und verschränkte seine Hände vor sich, um sein großes Finale zu verkünden. „Ihr Ehemann wurde nicht mit einer Neun-Millimeter-Ruger getötet wie die anderen Opfer. Er wurde mit einem Gewehr erschossen. Um genau zu sein, mit einer 30-30-Winchester.“
Bevor ich darauf reagieren konnte, fiel Garvel ein. „Mrs. Barrow, es liegt auf der Hand, dass Ihr Ehemann nicht von der Person getötet wurde, die wir den Crossed Hearts Killer nennen“, sagte sie. „Im Licht dieser neuen Beweise müssen wir Sie fragen, ob Sie eine 30-30-Winchester besitzen.“
„Nein! Natürlich nicht.“ Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sie glaubten wirklich nicht, dass es der Serienmörder gewesen war. Wer hat meinen Mann also umgebracht? Ich war es zumindest nicht, und ein Motiv fällt mir auch nicht ein, abgesehen davon, dass er ein Arschloch war. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich keine Waffe besitze. Punkt. Ich habe Kinder hier im Haus.“
„Das verstehen wir, aber wir müssen fragen.“ Ich bemerkte, dass Garvel immer „wir“ und „uns“ sagte und damit anerkannte, dass sie einem Team angehörte, wohingegen Mulligan immer „ich“ und „mir“ sagte. „Wir haben auch das Waffenregister überprüft und festgestellt, dass auf Sie keine Waffen zugelassen sind.“
„Herrje, und warum fragen Sie dann?“
„Weil Sie Ihre Waffe wahrscheinlich nicht registrieren lassen würden, wenn Sie eine Verbrecherin sind“, sagte Mulligan. „Ist es nicht so?“
„Das weiß ich nicht, weil ich keine Verbrecherin bin“, gab ich zurück.
Ich musste mich auf jeden Fall zusammenreißen, und das schaffte ich nur, weil der Gedanke an meine Kinder im oberen Stockwerk das Wichtigste war. Diese Polizisten brauchten sicher nicht viel von mir, um zu beschließen, dass es besser war, mich zum Verhör aufs Revier zu holen, als hier in meinem Haus zu sitzen, wo ich das Recht besaß, sie hinauszuwerfen.
Mir war schlecht vor Angst und Wut. Keine der anderen Witwen hatten sie so behandelt. Zur ersten, Emily, konnte ich nichts sagen, weil sie sich nicht der Gruppe angeschlossen hatte. Aber Maureen, Shara und Crystal waren wohlhabende weiße Damen, die man nicht infrage stellte, wohingegen ich das obere Ende der Arbeiterklasse repräsentierte und nicht weiß genug war. Wenn man gemischtrassig war, war es immer ein Glücksspiel, wie die Behörden mit einem umgingen. Manchmal hatte ich Glück und war nicht schwarz genug, aber diesmal offenbar nicht.
Der einzige Grund, warum ich dieses Haus in diesem Viertel hatte, war, weil mein Ehemann es von seinen Eltern geerbt hatte. Doch das erzählte ich ihnen nicht.
„Ich besitze keine Waffe“, wiederholte ich so bestimmt ich konnte. „Und ich habe meinen Ehemann nicht ermordet.“
Mulligan bedachte mich mit einem langen forschenden Blick, während Garvel sich mit ihren Aufzeichnungen beschäftigte und mich nicht anschaute. Schließlich stand der ältere Polizist auf, gefolgt von seiner Partnerin. „Rufen Sie uns an, wenn Ihnen jemand einfällt, der ihn gern tot gesehen hätte“, sagte er und ich konnte den Gedanken, der seinen Worten folgte, beinahe hören.
Mir fällt außer Ihnen nämlich niemand ein.
Mir auch nicht, um ehrlich zu sein. Aber verdammt, ich war es nicht gewesen.
Ich begleitete die Polizisten nach draußen und schloss die Tür hinter ihnen. Als ich hörte, wie sie über die Veranda und die Treppe hinuntergingen, lehnte ich mich an die Tür und atmete zitternd aus. Sie würden mich nicht in Ruhe lassen. Und ich würde nicht für einen Mord ins Gefängnis gehen, den ich nicht begangen hatte.
Fünf Familien. Äußerlich perfekt. Innerlich zerbrochen.
Joslyn hat alles. Einen umwerfenden Ehemann, entzückende blauäugige und blonde Zwillinge. Wenn er sie mit einem Kneifen in die Rippen begrüßt, weiß sie, dass sie später Schlimmeres zu erwarten hat.
Crystal hat ihr Leben als exotische Tänzerin hinter sich gelassen, als sie den Mann heiratete, dem der Club gehörte. Den Preis dafür zahlt sie jedes Mal, wenn ein anderer Mann sie ansieht.
Lexis Mann ist ein großartiger Vater, für ihre drei Kinder ist er der beste der Welt. Es tut ihm immer leid, hinterher. Es gibt jedes Mal Blumen.
Maureen hat jung geheiratet, als sie schwanger wurde. Er konnte es nie ertragen, wenn das Baby weinte.
Sharas Mann ist Chirurg, eine Stütze der Gemeinde. Aber zu Hause ist er ein Ungeheuer.
Jetzt sind alle ihre Ehemänner tot.
Sie wollten immer, dass sie aus ihrem Leben verschwinden – das weiß auch die Polizei. Doch welche der Frauen hat die Täter zu Opfern gemacht?
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