Orakel aus dem Grab

Ein Fall für Hilary Tamar - 4

Hilary Tamar, mit einer Professur für Rechtsgeschichte in Oxford, reist nach London, um dort Freunde zu besuchen. Die junge Anwältin Julia wurde gerade von ihrer Tante Regina, die im idyllischen Dorf Parsons Haver lebt, um Rat in Steuerangelegenheiten gebeten: Sie hat, gemeinsam mit einigen Freunden, bei ihren Börsenspekulationen ein glückliches Händchen bewiesen – beinahe ein bisschen zu glücklich. Denn schon bald stellt sich heraus, dass die Erfolgsaktien in einen Fall von Insiderhandel verwickelt sind, der gerade Julias Freundin Selena einiges Kopfzerbrechen bereitet. Hauptverdächtige sind die beiden stellvertretenden Direktoren einer... alles anzeigen expand_more

Hilary Tamar, mit einer Professur für Rechtsgeschichte in Oxford, reist nach London, um dort Freunde zu besuchen. Die junge Anwältin Julia wurde gerade von ihrer Tante Regina, die im idyllischen Dorf Parsons Haver lebt, um Rat in Steuerangelegenheiten gebeten: Sie hat, gemeinsam mit einigen Freunden, bei ihren Börsenspekulationen ein glückliches Händchen bewiesen – beinahe ein bisschen zu glücklich. Denn schon bald stellt sich heraus, dass die Erfolgsaktien in einen Fall von Insiderhandel verwickelt sind, der gerade Julias Freundin Selena einiges Kopfzerbrechen bereitet. Hauptverdächtige sind die beiden stellvertretenden Direktoren einer Londoner Bank. In Parsons Haver ereignet sich derweil ein seltsamer Todesfall: Die erst kürzlich zugezogene Wahrsagerin Isabella del Comino ist unerwartet verstorben. Musste Isabella sterben, weil sie tatsächlich etwas vorausgesehen hatte? Gerade, als Hilary Tamar und die Anwaltsfreunde eine heiße Spur zu haben glauben, gibt es schon die nächste Leiche im einst so friedlichen Parsons Haver …



Weitere Fälle löst Hilary Tamar in Also muss Adonis sterben, Blitzschnell in den Hades und Der mörderische Gesang der Sirenen.



Die beiden Männer, die auf dem Boden des Vorsteherbüros miteinander rangen, waren äußerst unterschiedlich: einer jung, schmächtig, in Pulli und Jeans, mit eher langen, honigfarbenen Haaren und Gesichtszügen von angenehmer Zartheit. Der andere, in den Sechzigern, neigte zu Korpulenz, trug einen Nadelstreifenanzug, hatte das runde, rosafarbene Gesicht eines schlecht gelaunten Babys und fast keine Haare mehr. Sie rollten hierher und dorthin, wie es schien unentwirrbar miteinander verflochten, stießen unverständliche Stöhn- und Ächzlaute aus, ob vor Schmerz oder Vergnügen war nicht ohne Weiteres festzustellen. Eine Leiter war ebenfalls in die Vorgänge verwickelt.



Nach einem kurzen Moment entschied ich, dass ihre Verstrickung weder feindseliger noch amouröser Natur war, sondern sehr wahrscheinlich das Ergebnis einer von beiden unbeabsichtigt herbeigeführten Kollision zwischen dem älteren Herrn und der Leiter, gerade in dem Moment, als der junge Mann, vielleicht nicht perfekt ausbalanciert, auf einer der oberen Sprossen gestanden hatte.



»Sir Robert – Sir Robert, haben Sie sich verletzt?«



Selena hastete herbei, um dem älteren Herrn auf die Füße zu helfen. Ihre Stimme vermittelte eine taktvolle Mischung aus Ehrerbietung, Entschuldigung und Betroffenheit – bestimmt war er einer ihrer Mandanten. Falls das stimmte, war jetzt nicht der Zeitpunkt, ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Ich zog mich zurück und beschloss, auf eine angenehme halbe Stunde lang Julia Larwood in der Steuerrechtskanzlei nebenan zu besuchen.



Ich fand Julia im Haus Nr. 63 an ihrem Schreibtisch sitzend vor, umgeben von Akten, Steuernachschlagewerken, halbleeren Kaffeetassen und überquellenden Aschenbechern; mehr denn je ähnelte sie einer besonders aufgelösten Heldin in einer griechischen Tragödie. Sie arbeitete offenbar an einer Sache von einiger Bedeutung.



»Ja«, sagte Julia und deutete einladend auf einen Sessel. »Ja, stimmt. Ich schreibe gerade meiner Tante Regina. Sie braucht dringend meinen Rat.« Sie klang ein wenig defensiv, ahnte offenbar, dass ich ihre Behauptung unwahrscheinlich finden würde.



Julias Tante Regina hatte verschiedene Abschnitte ihres Lebens in entfernteren Teilen der Erde verbracht und vor kurzem entschieden, wie ich mich erinnerte, sich in Parsons Haver, West Sussex, niederzulassen – einem bezaubernden kleinen Ort am Ufer des Arun oder vielleicht auch Adur, der genauso war, wie Londoner sich ländliche Einfachheit vorstellen. Im Mittelalter als Seehafen aufgeblüht, war er heute dank der veränderten Küstenlinie längst jeder wirtschaftlichen Bedeutung beraubt; aber seine Kopfsteinpflasterstraßen, seine Bruchstein-Cottages und die prächtige normannische Kirche ziehen immer noch anspruchsvolle Touristen an und jene, die auf der Suche nach einem idyllischen Alterssitz sind.



Regina Sheldon, der zu begegnen ich ein oder zwei Mal das Vergnügen gehabt hatte, erinnerte mich an eine Person aus dem Mittelalter. Als Mädchen hatte sie wahrscheinlich eher an einen Knappen am Hofe eines Plantagenets erinnert. Heute, obwohl ihre Figur nicht mehr jungenhaft und ihr dunkles, kastanienbraunes Haar weniger der Natur als ihrem Frisör zu verdanken war, konnte man sie sich immer noch als denselben Knappen vorstellen, herangewachsen zu einem Botschafter oder einem eher weltlichen Kardinal. Nachdem sie viermal verheiratet gewesen war und zwei Söhne großgezogen hatte, war das Thema Ehe für sie erledigt. Das Hauptbetätigungsfeld für ihre Talente und ihre außergewöhnliche Energie war nun ein kleines Antiquitätengeschäft, das an das diskret modernisierte Cottage grenzte, in dem sie lebte.



Ich konnte mir nur wenige Bereiche vorstellen, für die sie Julias Wissen und Erfahrung benötigt haben könnte.



»Sie hat ein Steuerproblem«, erklärte Julia. »Wenn du darüber lesen möchtest, während ich zu Ende schreibe …«



Sie reichte mir einen Brief von mehreren Seiten Länge, in eleganter, aber gut lesbarer Handschrift verfasst …



Sarah Caudwell wurde in London geboren. Nach Abschluss ihres Jurastudiums am St. Anne’s College in Oxford wurde sie an die Chancery Bar berufen. Später arbeitete sie mehrere Jahre als Juristin am Lincoln’s Inn in London; danach trat sie in die Rechtsabteilung einer großen Londoner Bank ein, wo sie sich auf internationale Steuerplanung spezialisierte.



Die Schärfe ihrer juristischen Pointen verschaffte ihr zahlreiche Bewunderer unter Juristen, während die fröhliche Wildheit ihres satirischen Stils sie zu einem Liebling der Kritiker machte. Im New York Times Book Review wurde sie dafür gelobt, dass sie „in einem Englisch schreibt, das es seit den Tagen von Oscar Wilde nicht mehr gegeben hat.“



Im Januar 2000 starb sie im Alter von 60 Jahren.

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