Kauf mir doch ein Krokodil

Geschichten

Greifen wir eine dieser Geschichten heraus, die in Duisburg und Havanna, in Berlin und New York, in einem Hafen an Brasiliens Ostküste und auch auf DDR-Frachtschiffen spielen, die in der Welt unterwegs sind. Diese hier, die mit dem Krokodil, die spielt in der DDR und in London. Kaufmann, der auch als DDR-Bürger seinen australischen Reisepass behalten hatte, und daher in der Welt umherfahren konnte, war nach London gereist und hatte ein Versprechen im Gepäck. Und Versprechen haben für den Ich-Erzähler besondere Bedeutung: Wem nie versichert wurde, dass es in London, dieser Weltstadt, „weiß Gott alles gibt“, wird schwerlich mein Unbehagen... alles anzeigen expand_more

Greifen wir eine dieser Geschichten heraus, die in Duisburg und Havanna, in Berlin und New York, in einem Hafen an Brasiliens Ostküste und auch auf DDR-Frachtschiffen spielen, die in der Welt unterwegs sind.

Diese hier, die mit dem Krokodil, die spielt in der DDR und in London. Kaufmann, der auch als DDR-Bürger seinen australischen Reisepass behalten hatte, und daher in der Welt umherfahren konnte, war nach London gereist und hatte ein Versprechen im Gepäck. Und Versprechen haben für den Ich-Erzähler besondere Bedeutung:

Wem nie versichert wurde, dass es in London, dieser Weltstadt, „weiß Gott alles gibt“, wird schwerlich mein Unbehagen nachempfinden können, als ich am Tag meines Rückflugs nach Berlin noch immer mit leeren Händen dastand.

Für mich ist ein Versprechen ein Versprechen. Ich hatte Hans Albert Pederzani, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der im Kulturbund vereinigten Terrianer, ein Krokodil zugesagt und damals keinen Augenblick am Erfolg gezweifelt.

„Nur ein kleines Exemplar, nicht größer als die Länge einer Hand“, hatte er mir aufgetragen, „du kannst es mühelos in einem Kistchen transportieren.“

Auf eine Karte hatte er die lateinische Bezeichnung des Reptils geschrieben - es durfte nicht irgendein Krokodil, sondern ein bestimmtes brasilianisches sein, und ich hatte die Karte zuversichtlich weggesteckt.

„Jede größere Zoohandlung im Zentrum Londons wird die Sorte haben“, hatte er mir versichert. „Überhaupt kein Problem, du wirst mir und damit auch vielen Terrianern in der DDR die größte Freude machen!“

Spätestens nach dem Besuch der fünften Zoohandlung war mir klar geworden, dass Pederzanis Gewissheit jeder Grundlage entbehrte. Es gab zwar Krokodile, aber nirgends ein caiman crocodilus. Verwirrt, fußmüde und den Auftrag verfluchend, hatte ich mich schließlich in eine irische Kneipe am Piccadilly Circus gerettet.

Dort gab es vortrefflichsten irischen Whisky und mitfühlende Iren, die auch nicht helfen können. Dann hat Kaufmann doch noch Glück.

Mit einer Faust voll Wechselgeld, durchweg Pennies, zog ich mich schließlich in eine Telefonzelle zurück und erreichte von dort (nichtige Bestellung hin, nichtige Bestellung her!) eine Reihe mir noch unbekannter Zoohandlungen, die ich im Branchenbuch verzeichnet fand. Es waren nicht wenige und überall Absagen! Bis dann - o Wunder - in dem an die zwanzig Meilen entfernten Croyden eine freundliche Stimme verkündete: „Ja, auch ein caiman crocodilus - sogar drei von der Gattung. Ganz prächtige Jungtiere!“



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Kauf mir doch ein Krokodil

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Der Fahrstuhlführer



Einmal saß mir im Eisenbahnzug nach Wonthaggi ein Fremder gegenüber. Ich musterte ihn in der gleichgültigen Art, wie wir es manchmal tun, wenn nichts anderes unsere Aufmerksamkeit erregt. Aber allmählich erwuchs daraus ein gegenseitiges Erkennen, das nichts mit dem zu tun hatte, wer oder was der andere war, sondern damit, dass es ihn überhaupt gab.

Da lächelten wir uns zu, und das war, als ob wir uns die Hände reichten.

Hier saß mir also ein Australier gegenüber, ein abgehärteter, magerer Arbeiter. Und ich, der Jude aus Deutschland, bedrückt von der Vergangenheit, die immer noch über mir hing, fühlte mich plötzlich zum ersten Mal befreit, es schien, als ob neue Kraft und ruhiges Glücksgefühl über mich kämen.

„Schon von Wonthaggi gehört, nehm ich an?“, fragte der Mann.

„Ja“, antwortete ich. „dort wird Kohle gefördert.“

„Stimmt, ich bin selbst Bergmann.“

„Ich vermutete das“, sagte ich.

„So?“, sagte er und setzte sich in seinem Sitz zurück. Er schien erkannt zu haben, dass Wonthaggi für mich nur ein Name und die Tätigkeit des Bergmanns nur eine verschwommene Vorstellung von harter, schmutziger Arbeit war.

„Neu in diesem Land?“, fragte er, aber es klang wie eine Feststellung von etwas bereits Bekanntem, eine Feststellung, die mit viel Wohlwollen verbunden war. Man hatte mir diese Frage schon oft gestellt, jedoch stets mit unangebrachter Neugier oder mit Misstrauen.

„Ja“, sagte ich, „ich bin noch nicht lange hier.“

Er nickte mir zu. Sein Gesicht drückte offenes Interesse aus. Es war nicht jenes höfliche Interesse, das der Neugier des Augenblicks entspringt, sondern das der Sorge des Arbeiters um den anderen.

Er stocherte nicht in meiner Vergangenheit herum, und ich war ihm dankbar dafür, fühlte ich doch, dass ihn nur meine Zukunft interessierte. Danach unterhielten wir uns ungezwungen, und am Ende forderte der Bergmann mich auf, ihn doch einmal zu besuchen. Er drückte sich so aus: „Kannst an irgendeinem Abend zum Tee kommen. Meine Frau und ich, wir würden uns freuen, dich zu sehen.“ Darauf kramte er einen Bleistiftstummel hervor und schrieb seine Adresse sehr langsam auf, wobei der rumpelnde Zug seine Hand schüttelte.

Einen Augenblick lang glaubte ich, die Einladung sei eine Art Wohltätigkeit von ihm; aber dann wurde mir klar, dass dies nicht so war. Ich dankte ihm und sagte, dass ich mich auf diesen Besuch freue.

Ich versuchte mir nun vorzustellen, wie es in seinem Haus aussehen würde. Dabei erinnerte ich mich an Wilhelms Haus in Deutschland - ein kleines, rußiges Ziegelhaus in der Nähe der Stahlwerke, ein Haus in einer schmalen, von Rauch erfüllten Straße, das einer Steinmauer gegenüberstand, auf der stets in großen, ungleichmäßigen Buchstaben Losungen standen: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ - „Hitler bedeutet Krieg“ - „Freiheit für Ernst Thälmann.“ Die Nazis übermalten die Losungen immer und setzten riesige Hakenkreuze an ihre Stelle, von denen kalkweiße Streifen die Mauer herunterliefen. In Wilhelms Haus aber hatte es kein Übermalen gegeben, kein Schwanken und kein Ducken. Dort hatte man die Losungen nicht aufgegeben.

Ich blickte auf und dachte nicht mehr an Deutschland. Der Wonthaggi-Bergmann, mein neuer Freund, rollte sich eine Zigarette. Ich sah zu, wie er den Tabak zwischen den Handballen rieb. Dann dachte ich: Bist wie Wilhelm, siehst zwar nicht so aus, aber handelst und sprichst wie er.

„Du bist uns stets willkommen, jederzeit“, hatte Wilhelm gesagt, sogar nachdem ihn ein Naziboss davor gewarnt hatte, einen Juden einzuladen. „Meine Frau und ich, wir werden uns immer freuen, dich zu sehen ...“

Auch hier gab es also Männer, die keine Angst hatten, ohne weitere Umstände mit einem anderen bekannt zu werden und ihm zu trauen, und die, nachdem sie ihm einmal ihr Vertrauen geschenkt haben, auch zu ihm stehen und ihm dadurch Mut machen. Ich freute mich.

Am Bahnhof trennten wir uns.



Walter Kaufmann (eigentlich Jizchak Schmeidler) wurde 1924 in Berlin als Sohn einer jüdischen Verkäuferin geboren und 1926 von einem jüdischen Anwaltsehepaar adoptiert. Er wuchs in Duisburg auf und besuchte dort das Gymnasium. Seine Adoptiveltern wurden nach der Reichskristallnacht verhaftet, kamen ins KZ Theresienstadt und wurden im KZ Auschwitz ermordet. Ihm gelang 1939 mit einem Kindertransport die Flucht über die Niederlande nach Großbritannien.

Dort wurde er interniert und 1940 mit dem Schiff nach Australien gebracht. Anfangs arbeitete er als Landarbeiter und Obstpflücker und diente als Freiwilliger vier Jahre in der Australischen Armee.

Nach 1945 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Straßenfotograf, auf einer Werft, im Schlachthof und als Seemann der Handelsmarine. 1949 begann er seinen ersten Roman, der 1953 in Melbourne erschien.

1957 übersiedelte er in die DDR, behielt jedoch die australische Staatsbürgerschaft. Seit Ende der 1950er Jahre ist Walter Kaufmann freischaffender Schriftsteller. Ab 1955 gehörte er dem Deutschen Schriftstellerverband und ab 1975 der PEN-Zentrum der DDR, dessen Generalsekretär er von 1985 bis 1993 war. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Walter Kaufmann war außerdem in mehreren DEFA-Filmen als Darsteller tätig, teilweise unter dem Pseudonym John Mercator.

Auszeichnungen

1959: Mary Gilmore Award

1961, 1964: Theodor-Fontane-Preis des Bezirkes Potsdam

1967: Heinrich-Mann-Preis

1993: Literaturpreis Ruhrgebiet

Bibliografie



Werke in englischer Sprache

Voices in the storm

The curse of Maralinga and other stories

American encounter

Beyond the green world of childhood



Werke in deutscher Sprache

Wohin der Mensch gehört

Der Fluch von Maralinga

Ruf der Inseln

Feuer am Suvastrand

Kreuzwege

Die Erschaffung des Richard Hamilton

Begegnung mit Amerika heute

Unter australischer Sonne

Hoffnung unter Glas

Stefan – Mosaik einer Kindheit

Unter dem wechselnden Mond

Gerücht vom Ende der Welt

Unterwegs zu Angela

Das verschwundene Hotel

Am Kai der Hoffnung

Entführung in Manhattan

Patrick

Stimmen im Sturm

Wir lachen, weil wir weinen

Irische Reise

Drei Reisen ins gelobte Land

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Flucht

Jenseits der Kindheit

Manhattan-Sinfonie

Tod in Fremantle

Die Zeit berühren

Ein jegliches hat seine Zeit

Im Schloss zu Mecklenburg und anderswo

Über eine Liebe in Deutschland

Gelebtes Leben

Amerika

Die Welt des Markus Epstein

Im Fluss der Zeit

Schade, dass du Jude bist

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