Die Verschwundene - eine Neuadaption von Jane Eyre

Seien wir einmal ehrlich: Auch wenn die Geschichten meist am Ende ein wenig kitschig und unrealistisch sind, lieben wir doch ab und an auch moderne Märchen, bei denen ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen über Nacht reich wird. Dieser Roman ist so ein Märchen, eingekleidet in einen Thriller.

Die 23-jährige Jane wächst bei Pflegeeltern auf und hat eine düstere Vergangenheit, die sie mit niemandem teilen möchte. Sie beginnt weit weg von ihrem ursprünglichen Zuhause ein vollkommen neues Leben und wird Hundesitterin im Wohnviertel Thornfield Estates. Dies öffnet ihr zunächst die Tür zu den reichen Frauen des Viertels, schließlich aber auch zu deren Männern.

Edward ist jung, gut aussehend und verwitwet und interessiert sich von ihrem ersten Treffen an für Jane, was diese zunächst nicht fassen kann, aber es natürlich ausnutzen will: Jane wird alles daran setzen, Edwards Frau zu werden. Auch wenn Edwards Frau ermordet wurde und der Mörder noch nicht feststeht.

Es macht Spaß zu verfolgen, wie Jane sich geschickt in die oberflächliche Gesellschaft der Thornfield Estates einschleust und nach und nach immer mehr über die Verwerfungen erfährt, die zwischen den Nachbarn bestehen. Auch die Beziehung zu Edward ist bedrohlich und spannungsgeladen. Ein paar kleine Überraschungen hält die Story zudem zum Ende hin bereit.

Insgesamt ist "Die Verschwundene" ein solider, unterhaltsamer Thriller, den man auf den letzten 100 Seiten auch nur noch schwer weglegen kann.

Trotzdem fallen die Rezensionen auf unterschiedlichen Portalen durchaus gemischt aus. Negativ sind dabei vor allem die Stimmen, die "Die Verschwundene" nicht einfach als Thriller sehen, sondern darauf eingehen, dass sich die Autorin von einem anderen bekannten Roman hat inspirieren lassen.

Ich habe zuvor noch nichts von Charlotte Brontë gelesen und kannte so auch den Roman "Jane Eyre" nicht. Hätte ich nicht nach dem Lesen noch Rezensionen zu diesem Buch gelesen, wäre mir also gar nicht aufgefallen, dass "Die Verschwundene" wohl eine Art moderne Adaption des Klassikers darstellt. Zwar unterscheidet sich Setting und Handlung an vielen Punkten, die Namen der Protagonisten - Jane und Edward - sind jedoch gleich und so liegt es doch nahe, die Romane zu vergleichen.

Liest man die Meinung anderer Leserinnen und Leser dazu, so scheint aber die moderne Übersetzung nicht ganz gelungen. Einige stören sich daran, dass Hawkins es nicht schafft, eine richtige Atmosphäre aufkommen zu lassen, andere an der fehlenden Tiefe der Charaktere.

Letzteren Kritikpunkt kann ich auch ohne Vergleich der beiden Romane gut nachvollziehen. Um auf Spoiler zu verzichten, nenne ich keine Beispiele, allerdings habe ich mich an manchen Stellen des Romans schon gefragt, warum die Charaktere alles, was sie erleben, einfach so wegzustecken scheinen. Doch man würde dem Roman Unrecht tun, wenn man ihn an allein am Maßstab anspruchsvoller Weltliteratur misst.

Fazit: "Die Verschwundene" will unterhalten, und das schafft Rachel Hawkins wirklich grandios: Ohne Längen treibt sie die Handlung voran und spielt mit dem Gegensatz von arm und reich, der Chance eines märchenhaften Aufstiegs einer jungen Frau.

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