"Weibliche Angelegenheiten"

Handlungsräume von KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück und Neubrandenburg

Im KZ Ravensbrück, dem größten NS-Frauenkonzentrationslager auf deutschem Gebiet, sollte die Oberaufseherin gemäß Dienstvorschrift dem Schutzhaftlagerführer "in allen weiblichen Angelegenheiten beratend zur Seite" stehen. Und laut Lagerordnung war allen KZ-Aufseherinnen "jede Misshandlung von Schutzhäftlingen " explizit verboten. Dennoch gehörte Gewalt bekanntermaßen zur alltäglichen Praxis. Johannes Schwartz untersucht die Gewaltpraktiken von KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück und dem Außenlager Neubrandenburg. Im Fokus stehen die Fragen, welche Handlungsräume für die Anwendung von Gewalt die Aufseherinnen... alles anzeigen expand_more

Im KZ Ravensbrück, dem größten NS-Frauenkonzentrationslager auf deutschem Gebiet, sollte die Oberaufseherin gemäß Dienstvorschrift dem Schutzhaftlagerführer "in allen weiblichen Angelegenheiten beratend zur Seite" stehen. Und laut Lagerordnung war allen KZ-Aufseherinnen "jede Misshandlung von Schutzhäftlingen " explizit verboten. Dennoch gehörte Gewalt bekanntermaßen zur alltäglichen Praxis.



Johannes Schwartz untersucht die Gewaltpraktiken von KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück und dem Außenlager Neubrandenburg. Im Fokus stehen die Fragen, welche Handlungsräume für die Anwendung von Gewalt die Aufseherinnen jenseits von eindeutigen Anordnungen hatten und wie und wann sie diese nutzten. Faktisch wurde die Entscheidung, Gewalt anzuwenden oder darauf zu verzichten, an sie delegiert. Ebenso wie ihre männlichen Kollegen nutzten viele KZ-Aufseherinnen die Möglichkeit, ohne Einmischung ihrer Vorgesetzten verschiedene Formen von Gewalt auszuüben – von psychisch und "sanft" bis exzessiv und unberechenbar, von instrumentell bis exemplarisch.



Anhand vielfältiger Quellen analysiert der Historiker, wie sich die Gewaltpraktiken der KZ-Aufseherinnen in die Zielsetzungen der KZ-Verwaltung und der Kriegsindustrie einfügten und so dazu beitrugen, die Herrschaft der Lagerleitung zu stabilisieren und die Arbeitsproduktivität der Häftlinge zu steigern. Individuelle Handlungsräume und ihre Grenzen wurden aber nicht zuletzt von den Machtverschiebungen, Konkurrenzkämpfen und sozialen Beziehungen innerhalb des KZ-Lagerpersonals bestimmt. Unangetastet blieb das Machtgefälle zwischen Gefangenen und Aufseherinnen: Durch die Variabilität und Unberechenbarkeit ihrer Handlungen festigten die KZ-Aufseherinnen ihr Herrschaftsverhältnis gegenüber den weiblichen KZ-Gefangenen immer wieder von Neuem.



Johannes Schwartz, Dr. phil., Historiker, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Provenienzforschung in den Museen für Kulturgeschichte und im Stadtarchiv der Landeshauptstadt Hannover. Von 2000 bis 2014 führte er Forschungs- und Ausstellungsprojekte an verschiedenen NS-Gedenkstätten durch, unter anderem an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Er war außerdem wissenschaftlicher Mitarbeiter des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma und Leiter der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin.



Einführung



Theorieperspektiven und Fragestellungen



Materialgrundlage: Entstehungskontexte, Aufschreibepraktiken und Narrative



Abriss der Lagergeschichte: Ravensbrück und Neubrandenburg



I Rekrutierung und Ausbildung



Statistiken zur Herkunft und Rekrutierung



Freiwillige Bewerbungen



Werbetouren in Kriegsbetrieben



Die "Dienstverpflichtung": Eine Zwangsmaßnahme des Arbeitsamtes?



Ausbildung zur Gewalt?



II Karrierewege



Aufstiegsmöglichkeiten



NSDAP-Mitgliedschaft als Karrierevoraussetzung?



Erster Karriereweg: Von der Zellenbau-Leiterin zur Oberaufseherin



Zweiter Karriereweg: Von der Arbeitsdienstführerin zur Oberaufseherin



Dritter Karriereweg: Von der Abteilungsleiterin zur Oberaufseherin



Versetzungen von Oberaufseherinnen



Karriereende: Entlassungen von Oberaufseherinnen



Die Verweigerung eines Karriereangebots: Das Beispiel Irmgard S.



III Führungs- und Durchsetzungspraktiken



"Erfahrung in fraulichen Belangen": Die Oberaufseherin Johanna Langefeld



Eigensinn und Kameraderie: Machtkämpfe in Auschwitz und Ravensbrück



"Streng und unnachsichtig": Herrschaftspraktiken Elsa Ehrichs in Majdanek



Der Pragmatismus und die soziale Vernetzung Maria Mandls



Die Bemühungen von Irmgard S. um Entlassung



IV Strafen und Gewalt im Lageralltag



Die Strafordnung und die Strafpraxis



Strafpraktiken der Oberaufseherinnen



Der provisorische Holz-Zellenbau



Der Strafblock



Der Stein-Zellenbau



Appelle



Der Häftlingsblock



V Herrschaft und Gewalt in der Textil- und Kriegsindustrie



Erwartete und reale Arbeitsproduktivität



Gewalt zur Steigerung der Arbeitsproduktivität



"Sanfte Gewalt" als Herrschaftspraxis



Verfolgung von Eigeninteressen innerhalb der SS-Hierarchie



Geschlechterpraktiken



Autotelische Gewalt



VI Selektion und Vernichtung



Die Mordaktion "14f 13"



Selektionen im Krankenrevier Neubrandenburgs



Selektionen im Ravensbrücker Hauptlager ab Januar 1945



Ein Import aus Auschwitz? Vernichtungsdimensionen im Uckermark-Lager



Resümee



Handlungsräume und ihre Grenzen



Spektren der Gewalt



Zwangsarbeit im Frauen-KZ



Geschlecht als Vorstellung und Praxis



NS-Diskurse und Nachkriegsnarrative



Gesamtfazit



Anhang



Kurzbiografien von KZ-Aufseherinnen



Verzeichnis der Tabellen



Abkürzungsverzeichnis



Verzeichnis der Archivalien, Archivbestände und der Literatur



Dank



Zum Autor

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