Der Damm gegen das Eis

Zukunftsroman

Ein Zukunftsroman von 1964 aus der DDR, den die Gegenwart in vielen Fragen überholt hat. Der Autor beschreibt den aufopferungsvollen Kampf um den Bau eines Dammes durch das Eis, der die Sowjetunion mit den USA in der Beringstraße verbinden wird – 20 Jahre nach der sozialistischen Revolution in den USA. Die Tschuktscheninsel Ratmanova soll mit der Heimat der Eskimos auf Little Diomede verbunden und das Eis zum Schmelzen gebracht werden. An diesem über mehrere Jahre angelegten Projekt sind Fachkräfte aus der ganzen Welt beteiligt. Ureinwohner müssen umgesiedelt werden. Ein Atomkraftwerk liefert den Strom für das Projekt und soll auch die neuen... alles anzeigen expand_more

Ein Zukunftsroman von 1964 aus der DDR, den die Gegenwart in vielen Fragen überholt hat.

Der Autor beschreibt den aufopferungsvollen Kampf um den Bau eines Dammes durch das Eis, der die Sowjetunion mit den USA in der Beringstraße verbinden wird – 20 Jahre nach der sozialistischen Revolution in den USA. Die Tschuktscheninsel Ratmanova soll mit der Heimat der Eskimos auf Little Diomede verbunden und das Eis zum Schmelzen gebracht werden. An diesem über mehrere Jahre angelegten Projekt sind Fachkräfte aus der ganzen Welt beteiligt. Ureinwohner müssen umgesiedelt werden. Ein Atomkraftwerk liefert den Strom für das Projekt und soll auch die neuen Häuser beheizen. Als dann noch bei einer Havarie das Öl aus Zeitgründen ins Meer gepumpt wird und ein Vogelsterben einsetzt, verweigern die Tschuktschen und Eskimos die Mitarbeit und verzichten auf ihre komfortablen neuen Häuser. Ohne Pathos beschreibt der Autor das Ringen mit den Naturgewalten und um das Vertrauen der Ureinwohner und der Menschen aus den jungen sozialistischen Staaten.

Das Buch scheint aus heutiger Sicht antiquiert, fordert zum Widerspruch auf, lässt den Leser aber auch von einer Zeit der friedlichen Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinaus träumen.



Als der Sturm das Dach des Nachbarhauses gegen den Felsen schleuderte, dachte sie in ihrem Traum, das dumpfe Krachen rühre von einer Explosion her, die den Tunnel erweitere.

Dann spürte sie ein Rütteln an den Schultern, und als sie auffuhr, blickte sie in Agrafenas erschreckte Augen. Der zweite Stoß traf das Haus, die Plastwände zitterten. Erregte Stimmen drangen aus den Nebenräumen. „Schnell, zieh dich an!“, rief Agrafena. Ein Bild fiel von der Wand. Draußen jaulten die Hunde. Oder war auch das der Sturm? Janna wusste es nicht. Hastig, beim Ankleiden, fragte sie nach der dritten. Die war schon zur Zentrale. Agrafena trat an die Tür. Ihre schlanke, biegsame Gestalt lauerte einen Augenblick, dann schnellte sie hinaus. Schritte liefen über den Gang, Schreie von draußen. Sie zuckte zusammen, als der Lautsprecher dröhnte: „Bereiten Sie sich vor, das Haus zu verlassen.“ Das Blut rauschte in Jannas Ohren. Und dann war Stille.

Die Stimme im Lautsprecher schien den Sturm vertrieben zu haben. Und die Hunde. Eine glückliche Stille. Janna hielt den linken Filzstiefel in der Hand. Es war, als fürchte sie sich, die Stille durch eine Bewegung zu vertreiben, durch ein Zittern der Finger schon, durch das Heben der Brust. Die Stille gab ihr Sicherheit, solange sie blieb. Nichts durfte diesen scheuen Vogel Stille vertreiben.

Es schien, auch das Haus wiege sich in der Stille. Der dritte Stoß traf das Haus so unvorbereitet wie Janna. Der schwere Mast vor dem Haus stürzte wie ein gefällter Baum und drückte die Wand nach innen. Jannas Schrei ging unter im Tosen, Splittern und Krachen. Die Wand verklemmte sich, wurde in Tischhöhe abgefangen.

Janna lag im Winkel unter dem Bett, angetan mit dem Pelz, den linken Stiefel immer noch in der Hand. Der Sturm peitschte den Schnee in die wehrlosen Räume, wirbelte ihn hoch, fegte ihn in die kleinsten Ritzen.

Die schräge Außenwand schützte Janna. Doch der Schnee kam zu ihr. Und die Kälte. Sie dachte an die sonnendurchfluteten Straßen ihrer Heimatstadt Kys, als könne sie dies wärmen. Sie hatte dreiundzwanzig Jahre in Kys gelebt. Am Stausee war sie groß geworden, neben dem Flugplatz aufgewachsen. Am Stausee hatte ihr Pjotr Lieder gesungen, ungelenk und kehlig, und sie hatte gelacht, bis er für eine andere sang. Dann hatte sie Lisas Ankunft im Telecolor gesehen und war in die Flugzeuge gestiegen. Der Stausee, die sonnendurchfluteten Straßen, die Riesenfelder und Pjotrs Gesang, all dies war Enge. Und jetzt lag sie im Tunnel. Im Tunnel zwischen schrägliegender Außenwand und Bett, der Kälte des Winters preisgegeben.

Nach großer Anstrengung gelang es ihr, den linken Filzstiefel anzuziehen. Dann stäubte sie den Schnee vom Kragen und hüllte das Gesicht hinein. Dann hörte sie nichts mehr vom Sturm.

Jannas Tunnel war klein und versteckt in Schnee und Trümmern, doch der Hund fand den Eingang. Er stieß seine warme Schnauze in Jannas Hüfte. Janna stöhnte im Halbdämmer. Mit bleckenden Zähnen kroch der Hund zurück. Vor dem Tunneleingang stand Apika Dickhals. Als der alte Tschuktsche den Hund sah, rieb er seine knollige Nase, dann brüllte er gegen den Sturm: „He, hierher!“ und schwenkte den Handscheinwerfer. Licht und Wort waren machtlos im Sturm. Apikas ausgestreckter Arm trieb den Hund talwärts. Der sprang davon.

Apika Dickhals hatte es nicht weit gehabt bis zu dem Haus, in dem Janna verschüttet lag. Von seiner Behausung brauchte er nur den Steig hinaufzuklettern und einige Meter den neugebauten Weg entlangzuhasten, im Sommer nicht mehr als eine halbe Minute. Apika Dickhals hatte sieben Minuten gebraucht, um den Steig zu erklimmen, und er hatte den vor ihm angekommenen Rettungstrupp noch hinter sich gelassen. Er besaß einen Hund, der wie kein anderer war, der Schwarzwolf. Der Hund fand Janna.

Apika schob an den Blöcken, stemmte die Schultern unter Sparren und wühlte sich mit der kurzen Schaufel in den Schnee. Ächzend zerrte er eine Tür zur Seite. Etwas schlug ihm sanft an die Beine.

„Ah, da bist du, Wölfchen, braves.“ Der Hund schnurrte.

Die Männer waren rasch dem Hund gefolgt. Der schwarze Kreis ihrer Leiber umgab die Trümmer. Sie waren stark wie der Sturm. Sie hievten den Mast an die Böschung. Die Plastwand gab nach. Sie ächzte, krümmte sich etwas, ein Riss klaffte an ihrer Oberseite. Dann fiel sie in den Schnee und rutschte ein Stück hangab.

Unter den Männern war Kirenew.

Als sie Janna auf die Trage betteten, kam ihr Blick wie von weit her und ruhte schließlich auf Kirenews Gesicht.

„Pjotr“, lispelte Janna.

Juri Kirenews Augen unter der Pelzkappe irisierten im Licht der Scheinwerfer wie Schneekristalle. „Es ist eine vom Tunnel“, erklärte er.



Herbert Friedrich

Geboren am 7. August 1926 in Zschachwitz.

Volksschule in Dresden, Lehrerbildungsanstalt in Frankenberg. Ab 1944 Wehrmachtssoldat, von 1945 bis 1949 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Mittelasien.

1950 war er zunächst Hilfsarbeiter, dann Lehrer in Lohmen/Pirna und in Dresden. 1957 legte er das Staatsexamen ab und studierte von 1958 bis 1961 am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig. Seit 1961 freischaffender Schriftsteller in Dresden.

Auszeichnungen

Martin-Andersen-Nexö-Kunstpreis der Stadt Dresden 1966

Alex-Wedding-Preis 1973

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