Die gläserne Stadt

Fantastische Erzählungen

Eine Stadt aus Glas gibt es im Land Xenturion, mit Häusern, in denen sich wieder und wieder die Sonnenstrahlen brechen, Bögen, Kuppeln, Flüsse, ganze Gebirge aus Licht schaffen. Die Menschen in dieser Stadt – eine Führungsschicht – sind stolz auf ihr Auserwähltsein und lassen nur den Verstand gelten. Aus gutem Grund, denn schon die kleinste Gefühlsregung kann Risse an ihrem schönen, doch zugleich zerbrechlichen Gebäuden hervorrufen und sie letztlich zum Einsturz bringen. Diese Erzählung, 1980 zum ersten Mal veröffentlicht, wurde vom Leser schnell als Hinweis auf die Brüchigkeit des bestehenden Systems verstanden,... alles anzeigen expand_more

Eine Stadt aus Glas gibt es im Land Xenturion, mit Häusern, in denen sich wieder und wieder die Sonnenstrahlen brechen, Bögen, Kuppeln, Flüsse, ganze Gebirge aus Licht schaffen. Die Menschen in dieser Stadt – eine Führungsschicht – sind stolz auf ihr Auserwähltsein und lassen nur den Verstand gelten. Aus gutem Grund, denn schon die kleinste Gefühlsregung kann Risse an ihrem schönen, doch zugleich zerbrechlichen Gebäuden hervorrufen und sie letztlich zum Einsturz bringen.

Diese Erzählung, 1980 zum ersten Mal veröffentlicht, wurde vom Leser schnell als Hinweis auf die Brüchigkeit des bestehenden Systems verstanden, aber auch die anderen im Band enthaltenen Geschichten setzen sich nachdrücklich mit verknöcherten Verhaltensweisen und erstarrten Anschauungen auseinander. Da schickt ein Erfinder einen Fürsten aus dem 18. Jahrhundert in die Gegenwart, um zu beobachten, wie er sich ohne seine Vorrechte bewährt – er erlebt eine Überraschung; da gerät ein ach so ernsthafter Mann in eine Zukunft voller Possen – seine festgefügten Ansichten bekommen Sprünge; da ersteht ein Literaturkritiker eine neue Brille – er lernt Kunst völlig anders einschätzen; da wird in einem Land das Träumen verboten – groteske Verrenkungen sind die Folge.

Mit poetischem Gespür und humoriger Hinterlist geschrieben, haben diese Texte nichts von ihrer Sprengkraft verloren. Das beweist auch ihr großer Publikumserfolg, ihr Erscheinen in verschiedenen Anthologien des In- und Auslands.



INHALT:

Der Irrtum

Das Märchen vom Träumen

Flusspferde eingetroffen

Der Ernst des Lebens

Die gläserne Stadt

Die Brille

Siebenquant oder der Stern des Glücks



Der Irrtum

Das Märchen vom Träumen

Flusspferde eingetroffen

Der Ernst des Lebens

Die gläserne Stadt

Die Brille

Siebenquant oder der Stern des Glücks



Bella-X 3 sah fasziniert auf die Anzeigetafel im Schaufenster der Zoohandlung. "Flusspferde eingetroffen!", stand da in leuchtender Phosphorschrift. Das war eine echte, sehr angenehme Überraschung. Gerade gestern, kurz vor dem Rückflug aus der Hauptstadt, hatte sie wie nebenbei gehört, dass Flusspferde der letzte Schrei waren. Wer etwas auf sich hielt, versuchte eins für sein Grundstück zu ergattern.

Ihre Freundin Carry-Gama war ganz traurig gewesen, dass sie noch keins hatte. "Es ist schwer ranzukommen", hatte sie gesagt, "wenn du wüsstest, wie selten die Tiere sind."

Bella-X 3 betrat aufgeregt den Superladen, der vom Lärm trillernder Vögel und kreischender Affen erfüllt war. Sie hatte keine genaue Vorstellung vom Aussehen eines Flusspferdes, erinnerte sich aber an ein Tierkarussell ihrer Kindheit, mit dem sie ein paar Mal gefahren war. Deshalb dachte sie an eine Art Pony mit Schwimmhäuten an den Hufen oder mit Rückenflosse. Ja, wenn es um das neueste Modell des Königsflyers gegangen wäre oder um den Springwagen Typ Magnifique. Die waren in jeder Wochenzeitschrift fotoplastiert und in allen Einzelheiten beschrieben. Aber Flusspferde? Bella-X 3 konnte sich nicht erinnern, jemals eins abgebildet oder gar in natura gesehen zu haben. Im Tierpark der Hauptstadt, dem einzigen, den es im Land gab, sollte man ein oder zwei Exemplare besichtigen können. Vielleicht hätte sie die Gelegenheit wahrgenommen, hätte sie nicht nach Hause zurück gemusst.

In dem weiträumigen Laden herrschte ein bläuliches Halbdunkel, doch die junge Frau wusste sofort, wohin sie sich zu wenden hatte. Hinten rechts stand eine Schlange, und dort wurde ihr auch in der gleichen leuchtendgrünen Schrift wie im Fenster bedeutet: "Flusspferde hier!" Zu sehen war keins der seltenen Tiere, das verwunderte aber auch niemanden. In diesem Vorraum war nur der Automat aufgestellt, der das Geld entgegennahm und den entsprechenden Bon aushändigte. Die Tiere befanden sich in der hinteren Halle, wo man sie auch besichtigen konnte. Aber wer nahm sich dafür schon die Zeit. Es kam darauf an, sich sofort in die Schlange einzureihen, um nicht vielleicht in letzter Minute leer auszugehen. Wenn es sich um so etwas Kostbares drehte. Die anderen kauften ja gleichfalls unbesehen.

Bella-X 3 stellte sich also an und kramte in ihrer Handtasche nach den großen Scheinen. Eine solche Erwerbung würde nicht ganz billig sein. Etwas verlegen fragte sie einen untersetzten, vierschrötigen Kerl vor ihr, ob er etwas über den Preis wüsste. "Drei Rote", erwiderte der Mann unfreundlich, "da steht's doch groß und breit, können Sie nicht lesen?" Drei Rote, tatsächlich, an einer Tafel über ihr blinkte alle paar Sekunden der Preis auf. Bellas Enthusiasmus bekam einen starken Dämpfer. Mit vier Gelben hatte sie gerechnet, höchstens mit fünf. Drei Rote dagegen - dafür konnte man einen halben Flyer kaufen. Das lag, bei Licht besehen, über ihren finanziellen Möglichkeiten. So viel Geld trug sie natürlich auch nicht bei sich, sie musste es vom Konto abbuchen lassen. Eduard-Orion würde rot und blass werden, wenn er das hörte. Aber sollte sie deswegen diese einmalige Gelegenheit auslassen? Er würde sich schon wieder abregen. Irgendwie waren sie immer zusammengekommen.

Der Automat erledigte seine Arbeit zuverlässig und schnell. Bella-X 3 bewegte sich in der Schlange, die keineswegs kürzer wurde, zügig voran. Aber kurz vor dem Ziel war erst einmal Schluss. "Die kommen mit der Auslieferung nicht nach", sagte eine dralle Frau hinter ihr. Es war immer dasselbe bei solchen Einkäufen.

Zwei Männer in der Schlange unterhielten sich, Bella spitzte die Ohren. Sie hätte gern Genaueres über die Tiere erfahren, scheute sich aber, durch Fragen ihre Unwissenheit einzugestehen. Dabei war es eigentlich keine Schande: Woher sollte man in dieser Welt aus Plast und Beton solche Kenntnisse haben. Wenn sie wenigstens einen Blick in die hintere Halle hätte werfen können. Vielleicht hätte sie jetzt Zeit dazu gehabt, aber konnte man denn wissen, ob der Automat nicht doch im nächsten Augenblick weiterarbeitete? Dann war ihr Platz vergeben, und sie hätte sich wieder hinten anstellen müssen. Wer aber konnte sagen, wie weit der Vorrat reichte. Da verließ sie sich lieber auf Carry-Gama. Wenn die so von diesen Flusspferden geschwärmt hatte, ging die Sache schon in Ordnung.

Etwas Exaktes konnte Bella-X 3 nicht erlauschen, sie erfuhr nur, dass die Tiere am liebsten Schlingpflanzen fraßen und - wie der eine Mann meinte - sehr gutmütig waren. Na also, dachte sie, Ponys mit einer Neigung zum Wasser. Da muss Eduard-Orion eben ab und zu zum See 'rüber, einen Packen Schilf holen. Hat er eine neue Freizeitbeschäftigung. Sonntags können wir das Tierchen ja auch mal an den Fluss führen. Als wir noch unseren Spitz hatten, waren wir sowieso öfter am Fluss als jetzt. Hat uns eigentlich ganz gut getan.



Klaus Möckel, der am 4. August 1934 im sächsischen Kirchberg geboren wurde, erlernte zunächst den Beruf eines Werkzeugschlossers, studierte später in Leipzig Romanistik und arbeitete anschließend als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Jena. Danach war er als Lektor für romanische Literatur in Berlin tätig. Beim Verlag Volk und Welt machte er sich bald einen Namen als Herausgeber, Übersetzer und Nachdichter vor allem moderner französischer Dichter. Seine 1963 veröffentlichte Dissertation hatte Möckel über den Autor des Kleinen Prinzen geschrieben: „Die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft bei der Herausbildung von Antoine de Saint-Exupérys Weltanschauung“. Seit 1969 arbeitet der Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer als freier Autor. Seither veröffentlichte er fast 50 Bücher: Spannende Krimis, anspruchsvolle Science-Fiction-Bücher, sehr gut recherchierte historische Romane, einfühlsame Lebensberichte und wunderschöne Kinderbücher, darunter Erfolgstitel wie „Hoffnung für Dan“ und „Die Gespielinnen des Königs“ sowie die literarischen Vorlagen für die Polizeiruf-110-Folgen „Drei Flaschen Tokaier“ und „Variante Tramper“. Hinzu kommen 14 Herausgaben und 19 Übersetzungen aus dem Französischen, Spanischen und Russischen. Möckel arbeitete häufig, vor allem bei Übersetzungen, mit seiner Frau Aljonna Möckel zusammen und verfasste gemeinsam mit ihr unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow mehrere Fortsetzungsbände zu den Märchenromanen Alexander Wolkows wie „Die unsichtbaren Fürsten“ und „Der Hexer aus dem Kupferwald“.

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