Rezension: "Evil" von Jack Ketchum

Wie böse können Menschen sein, wenn man sie einfach machen lässt? Jack Ketchum ergründet in diesem Roman die tiefsten moralischen Abgründe, in die wir hinabsteigen können.

 

Das sagt der Klappentext: 

Cover Jack Ketchum: Evil

Jack Ketchum: Evil

Erscheinungsdatum: 31.01.2014 - Verlag: Heyne - Seitenzahl: 352

Jack Ketchums beunruhigender, grenzüberschreitender Horrorthriller gilt unter Experten als eines der großen Meisterwerke des Genres. Die Geschichte eines Jungen, der inmitten einer amerikanischen Vorstadtidylle mit unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert wird, steigt tief hinab in die Abgründe der menschlichen Psyche. Nachdem der brillant geschriebene Roman viele Jahre unter der Hand als geheimer Klassiker die Runde gemacht hatte, erhält er jetzt nicht zuletzt dank Stephen King, der zu diesem Werk auch eine ausführliche Einleitung verfasst hat, die verdiente Aufmerksamkeit und erscheint nun endlich auch als deutsche Erstausgabe.

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Rezension zu "Evil" von Jack Ketchum

Zuallererst sei gesagt: Dieses Buch ist nichts für jede:n. Die angesprochenen Themen und der Missbrauch, dessen Zeuge der Hauptcharakter wird, sind wahrlich nichts für schwache Nerven. Vor allem Personen, für die sexueller Missbrauch ein schwieriges Thema ist, sollten diesen Roman besser nicht lesen. "Evil" ist grafischer, psychologischer Horror.

Basierend auf einer wahren Geschichte

Schlimmer wird das ganze eigentlich nur dadurch, dass sich der Autor einen realen Fall zum Vorbild genommen hat. Der Mordfall Sylvia Likens erregte in den 60er Jahren großes Aufsehen in den USA. Silvia wurde von ihrer Ziehmutter Gertrude Baniszewsk, zwei Stiefgeschwistern und zwei Nachbarsjungen im Keller über Wochen gefoltert und missbraucht. Der Roman weist einige Parallelen zu dem echten Fall auf, allerdings hat Ketchum vor allem im Bezug auf das Ende noch einige Änderungen vorgenommen.

Spoiler vermeiden und Vorwort überspringen

Der Roman wird damit beworben, dass Stephen King das Vorwort geschrieben hat. Wenn sie allerdings den Ausgang der Geschichte nicht bereits im Vorfeld wissen möchten, sollten Sie das Vorwort überspringen, da King das Ende dort leider schon vorwegnimmt.

Vorort-Horror in amerikanischer Kleinstadt

Jack Ketchum nimmt uns mit diesem Roman mit auf eine Reise, auf der die Tiefen der menschlichen Verderbtheit und Grausamkeit ausgelotet werden. Beim Lesen fühlte ich mich oft unwohl und musste das Buch zwischendurch hinlegen und eine Pause machen. Zu sagen, dass mich "Evil" emotional aufgewühlt hat, ist schon fast untertrieben.

Erzählt wird die Geschichte von David, einem Jungen der in den 50er Jahren in einem kleinen Vorwort lebt. Ein bisschen erinnerte mich der erste Teil des Roman an "Stand By Me" von Stephen King. Die Kinder aus der Nachbarschaft sind alle ungefähr im selben Alter und verbringen die Sommerferien damit, im Wald zu spielen oder sich bei seinen Freunden zuhause zu treffen, da deren Mutter Ruth ihnen recht viel durchgehen lässt, was sie zuhause niemals dürften (z.B. Bier trinken und rauchen). Mit der Ankunft von Meg und ihrer kleinen Schwester verändert sich die ganze Dynamik etwas. Vor allem David schwärmt für Meg, die ein paar Jahre älter ist und von ihm schon eher als Frau und nicht als Mädchen wahrgenommen wird. David versucht, sich mit Meg anzufreunden und im Gespräch mit ihr wird uns als Lesern schnell klar, dass es im Haus von Ruth nicht ganz so rosig ist, zumindest nicht für die Mädchen.

Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass Ruth den Mädchen die Schuld am Unfall ihrer Eltern gibt und nun sauer ist, weil sie die Mädchen nun sozusagen "am Hals" hat und sich um sie kümmern muss. Von daher überrascht es wenig, wenn Schreien und eine gelegentliche Ohrfeige zu sehr viel Schlimmerem ausarten. Nach außen hin wird versucht, den Schein zu wahren, sodass andere Erwachsene nichts von dem mitbekommen, was bei Ruth zuhause vorgeht. Mit der Zeit werden aber auch die Nachbarskinder mit in die Sache hineingezogen. Immer wieder stellt sich die Frage "Wie weit werden sie als nächstes gehen?". Meg erträgt die Grausamkeiten mit fast schon stoischer Ruhe, um einerseits ihre Schwester zu schützen und anderseits ihren Peinigern nicht die Genugtuung zu geben, sie weinen zu sehen. Allerdings stößt auch sie irgendwann an ihre Grenzen, denn Ruth und die Jungen treiben es immer weiter.

David selbst ist hin- und hergerissen zwischen Entsetzen und dem Wunsch, Meg zu helfen und einer Faszination an der Gewalt, die sich vor seinen Augen abspielt. Aus Angst davor, von Ruth bestraft zu werden, verwirft David immer wieder die aufkeimenden Schuldgefühle und die Gedanken, seinen Eltern von allem zu erzählen. Stattdessen wird er fast schon magisch von den Grausamkeiten angezogen und kann nicht länger als ein paar Tage auf einen Besuch nebenan verzichten. Wir werden Zeuge seines moralischen Verfalls, während David tagtäglich mit einem Alptraum konfrontiert wird, aus dem weder er noch Meg entkommen können. Schließlich eskaliert alles und David muss einsehen, dass "Ruth ist eine Erwachsene und hat es uns erlaubt" keine Ausrede ist.

 

Ketchum versteht es, sehr authentische Figuren zu erschaffen, die in ihrer Normalität fast schon langweilig wären, wäre da nicht die Handlung des Romans. Seine Art zu schreiben ist brutal. Die teilweise extrem kurzen Kapitel kommen auf den Punkt, ausgeschmückt und schöngeredet wird hier nichts. Der Roman ist scharfsinnig und kritisiert die Neigung der Menschen, selektiv blind gegenüber Misständen in ihrer unmittelbaren Umgebung zu sein, um unbequeme Konfrontationen zu vermeiden. "Evil" ist kein Buch, das ich noch ein zweites Ml lesen würde, aber ich vergebe dennoch eine Leseempfehlung an alle, die sonst Gefallen an Stephen King und Konsorten finden.

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