Ippen IV
Zwischen Sturm, Stahl und Solidarität – das Leben an Bord der „Ippen IV“
Ein ehemaliger Gefangener wird zum Schiffskoch auf einem alternden Frachter, der unermüdlich die Ostsee kreuzt. Auf der „Ippen IV“ findet er nicht nur Arbeit, sondern ein Stück Würde, Kameradschaft – und Zeit zum Nachdenken. Mit scharfem Blick und leiser Ironie schildert Adam Scharrer das Leben einfacher Männer an Deck, ihre Träume, ihre Vergangenheit und ihre stille Hoffnung.
„Ippen IV“ ist ein literarisches Dokument über ein Schiff, das mehr ist als bloß Transportmittel: ein schwimmender Mikrokosmos der Arbeiterklasse, der zwischen den Stürmen des Lebens und der Geschichte standhält.
Ein eindringlicher, poetischer Bericht vom Rand der Gesellschaft – und mitten aus dem Herzen der Menschlichkeit.
„Ippen IV“ ist schon ein alter Kämpe. Seine Nachfolger laufen schneller, haben stärkere Rippen. Vielleicht brechen seine alten Knochen einmal in einer Brandung – dann werden die andern seinen Weg fortsetzen. Die Mannschaft auf „Ippen IV“ meint das auch. Aber sie will nicht von „Ippen IV“ herunter. Wozu auch? Sie wohnen alle so in der Nähe: in Stralsund, in Ziegenort, in Rostock, in Stettin. Dort haben sie Frau und Kinder und kommen, wenn sie Glück haben, für ein paar Stunden nach Hause. Sie wissen, dass „Ippen IV“ so lange fährt, bis er einmal müde untertaucht und sich schlafen legt. Und so lange fahren sie mit. In ihren Augen glänzt keine Hoffnung mehr. Sie sind mit „Ippen IV“ alt geworden und leben von ihrer Würde. Erster Steuermann, zweiter Steuermann, Matrose. Erster Maschinist, zweiter Maschinist, Heizer. Koch. Kapitän. Jeder sein eigener Vorgesetzter und Vorgesetzter über einen andern. Der Kapitän für alle. Auf „Ippen IV“ fährt eine alte Generation der Hoffnungslosigkeit entgegen. Nur der zweite Maschinist und der Heizer hoffen noch – in jedem Hafen auf ein junges Weib.
Auch der Kapitän und der Koch lieben „Ippen IV“, weil er verschwiegen ist. Er plaudert nichts aus von Gesellen, die der Sturm verschlug. Er trägt sie brav über die Ostsee, hin und her.
Mitunter scheint es, als verstünde er uns. Wenn vom Strande her ein Wasserball in unsere Fahrt schwimmt oder ein keckes kleines Schifflein, das spielenden Kindern am Strande fortsegelte, dann genügt ein scharfes Herumwerfen des Steuers, und aus unserm übermütigen Lachen scheint „Ippen IV“ herauszuhören, dass wir das Spielzeug haben wollen. Dann dreht er gutmütig bei mit seiner schweren Last und steuert auf den Wasserball, auf das Schifflein zu, ganz nahe, dass wir es greifen können, und setzt dann wieder seinen Kurs fort – Dorrototo – Dorrototo. Mit uns lacht die Sonne und spiegelt sich in der ruhigen See. Und die Möwen, die uns begleiten, holen das Brot aus unsern Händen, schießen pfeilschnell davon und schreien: Habt Dank, ihr Wassermenschen; ist es nicht herrlich, unter weitem Himmel, auf weiter See in der Sonne zu baden? So denke ich manchmal.
Gestern sahen wir die Ostseeflotte im Manöver auf der Höhe von Lübeck. Hei, wie die Lichter der Torpedoboote jagten, hin und her. Und im Hintergrunde sieht man, mit dem Glas, die schweren Brocken, vom matten Licht der Sterne verräterisch preisgegeben. Eine Salve rollt aus den schweren Rohren; rollt wie ein schweres Gewitter über das große Wasser.
Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 in Kleinschwarzenlohe (heute Gemeinde Wendelstein, Mittelfranken) geboren. Bereits in frühen Jahren prägte ihn das harte Leben der Arbeiterklasse. Nach einer Schlosserlehre führte ihn seine Arbeitssuche durch zahlreiche deutsche Städte sowie nach Österreich, die Schweiz und Italien. Während des Ersten Weltkriegs wurde er als Artillerist an die Ostfront eingezogen. Seine Erfahrungen als Soldat und seine Enttäuschung über die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten radikalisierten seine politische Haltung. Er trat dem Spartakusbund bei und engagierte sich später in der linksradikalen KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).
Scharrer begann in den 1920er-Jahren mit dem Schreiben. Seine erste Erzählung „Weintrauben“ (1925) wurde anonym veröffentlicht und brachte ihm eine Anklage wegen „literarischen Hochverrats“ ein. Seine Werke sind stark autobiografisch geprägt und erzählen aus der Perspektive der unteren Gesellschaftsschichten. 1930 erschien sein wohl bekanntestes Werk „Vaterlandslose Gesellen“, eine proletarische Antwort auf Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“. Der Roman ist eine schonungslose Abrechnung mit dem wilhelminischen Militarismus und dem Ersten Weltkrieg.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Scharrer untertauchen und floh zunächst in die Tschechoslowakei, dann in die Sowjetunion. Dort lebte er in einer Autorenkolonie und schrieb weiter über die Nöte der Arbeiter und Bauern. Während seines Exils entstanden unter anderem „Maulwürfe“ (1934), „Pennbrüder, Rebellen, Marodeure“ (1937) und „Der Krummhofbauer und andere Dorfgeschichten“ (1939).
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Scharrer 1945 nach Deutschland zurück und ließ sich in Schwerin nieder. Er arbeitete als Redakteur der „Schweriner Landeszeitung“ und wurde Leiter der Literatursektion im Kulturbund. Trotz seiner politischen Nähe zur Arbeiterbewegung trat er keiner Partei bei.
Adam Scharrer starb am 2. März 1948 in Schwerin an den Folgen eines Herzanfalls, der durch eine hitzige Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit ausgelöst wurde. Er hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das in der DDR große Verbreitung fand und als wichtiger Beitrag zur proletarischen Literatur gilt.
Seine Bücher, darunter „Vaterlandslose Gesellen“, „Der große Betrug“ und „In jungen Jahren“, geben bis heute Einblicke in das Leben und die Kämpfe der Arbeiterklasse und bleiben ein wichtiges Zeugnis der deutschen Literaturgeschichte.
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- Artikel-Nr.: SW9783689124694458270
- Artikelnummer SW9783689124694458270
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Autor
Adam Scharrer
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 62
- Veröffentlichung 07.05.2025
- ISBN 9783689124694
- Wasserzeichen ja