Werkmeister Bohnenstroh und seine Erfahrungen

Werkmeister Bohnenstroh weiß, was er will – oder glaubt es zumindest. Stur, stolz und voller Vorurteile verteidigt er seine überkommenen Werte und „Erfahrungen“ – gegen die Moderne, gegen die Arbeiter, gegen alles, was ihm fremd erscheint. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln sich radikal, und die Selbstgewissheit des kleinbürgerlichen Bohnenstroh gerät ins Wanken. Adam Scharrer zeichnet mit feinem Spott und tiefem Mitgefühl den tragikomischen Niedergang eines Mannes, der der Zeit nicht standhalten kann – und dabei nicht nur ökonomisch, sondern auch menschlich scheitert. Eine schonungslos aktuelle Satire... alles anzeigen expand_more

Werkmeister Bohnenstroh weiß, was er will – oder glaubt es zumindest.

Stur, stolz und voller Vorurteile verteidigt er seine überkommenen Werte und „Erfahrungen“ – gegen die Moderne, gegen die Arbeiter, gegen alles, was ihm fremd erscheint. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln sich radikal, und die Selbstgewissheit des kleinbürgerlichen Bohnenstroh gerät ins Wanken.

Adam Scharrer zeichnet mit feinem Spott und tiefem Mitgefühl den tragikomischen Niedergang eines Mannes, der der Zeit nicht standhalten kann – und dabei nicht nur ökonomisch, sondern auch menschlich scheitert.

Eine schonungslos aktuelle Satire über Selbsttäuschung, soziale Blindheit und den fatalen Wunsch, sich mit Durchhalteparolen über Wasser zu halten.



Ein Jahr später traf ich Herrn Bohnenstroh dann wieder in einer Mieterversammlung. Dort belehrte er uns, wie der Kampf gegen das Wucherkapital geführt wird und dass die Juden uns im Sack haben, dass sie das deutsche Volk ausziehen wie eine Spinne. Er hat laut und lange gesprochen, aber ein paar Arbeiter sind dann bös mit ihm umgegangen. Wenn das deutsche Volk intellektuell und physisch so minderwertig sei, erklärten sie, dass eine an Zahl verhältnismäßig geringe Rasse sich so hoch über es erhebt, dann wäre dieses Volk doch sowieso unfähig, sich zu „erneuern“. Dann wäre es besser, all jene, die ihre eigene Minderwertigkeit so offen bekennen, kurzerhand totzuschlagen. Herr Bohnenstroh saß ganz geknickt. Er hatte nicht mit Einwürfen gerechnet, die er nicht begriff, und ahnte wohl, dass eine neue Entgegnung ihm eine neue Blamage bringen würde. Er verfärbte sich und war ganz benommen, als er unter die gezählt wurde, die totzuschlagen seien. Und dass man ihm das so ins Gesicht sagte, das wäre eine Rohheit, meinte er.

Das sagte er jedoch nur zu mir. Draußen im Hof. „Ich bin über fünfzig Jahre alt und weiß aus Erfahrung, dass ein Mensch, der ehrlich vorwärtsstrebt, nicht untergeht.“ Dann begann er von seinem Betrieb zu erzählen. Als der große Abbau kam, wäre auch beinahe er drangewesen. Aber die Firma habe gewusst, wer er sei, was er könne. Und dass manch einer mit dran glauben musste – das sei nicht die Schuld seines Chefs. Dieser sei ein rechtschaffener Mann. Er hat den Betrieb hochgebracht, ohne dem Zinskapital die Hand zu reichen. Das ging nur, indem jeder Mann im Betrieb das einsah und das Letzte hergab. „Glauben Sie mir, das Herz hat mir geblutet, als ich sah, wie der Mann gekämpft hat. Diese Unsummen von Steuern, die dem Betrieb doch glatt entzogen wurden! Und wenn der Mann nicht durchgehalten hätte, wer würde am stärksten betroffen? – die Arbeiter! Sie fliegen auf die Straße. Heute haben wir es geschafft, trotz der Konkurrenz. Man muss eben die Dinge richtig kennen. Ich weiß, was ich sage, was ich will, auch wenn das mitunter falsch verstanden wird. Dass sich die Arbeiter aufhetzen lassen, das ist der Fehler. Und dahinter steckt doch nur der Jude, glauben Sie mir. Ich bin über fünfzig Jahre alt, ich habe meine Erfahrungen.“

Werkmeister Bohnenstroh ging dann. Er hatte doch noch Gelegenheit gefunden, zu beweisen, dass er mehr Respekt verdient als diese rohen Menschen aus dem Hinterhaus. Man sah es ihm an. Nur eines störte ihn: dass ich gar nicht widersprach. Er sagte: „Ich weiß, Sie haben eine andere Meinung, aber Ihre Meinung achte ich. Mit Ihnen kann man wenigstens reden.“



Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 in Kleinschwarzenlohe (heute Gemeinde Wendelstein, Mittelfranken) geboren. Bereits in frühen Jahren prägte ihn das harte Leben der Arbeiterklasse. Nach einer Schlosserlehre führte ihn seine Arbeitssuche durch zahlreiche deutsche Städte sowie nach Österreich, die Schweiz und Italien. Während des Ersten Weltkriegs wurde er als Artillerist an die Ostfront eingezogen. Seine Erfahrungen als Soldat und seine Enttäuschung über die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten radikalisierten seine politische Haltung. Er trat dem Spartakusbund bei und engagierte sich später in der linksradikalen KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).

Scharrer begann in den 1920er-Jahren mit dem Schreiben. Seine erste Erzählung „Weintrauben“ (1925) wurde anonym veröffentlicht und brachte ihm eine Anklage wegen „literarischen Hochverrats“ ein. Seine Werke sind stark autobiografisch geprägt und erzählen aus der Perspektive der unteren Gesellschaftsschichten. 1930 erschien sein wohl bekanntestes Werk „Vaterlandslose Gesellen“, eine proletarische Antwort auf Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“. Der Roman ist eine schonungslose Abrechnung mit dem wilhelminischen Militarismus und dem Ersten Weltkrieg.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Scharrer untertauchen und floh zunächst in die Tschechoslowakei, dann in die Sowjetunion. Dort lebte er in einer Autorenkolonie und schrieb weiter über die Nöte der Arbeiter und Bauern. Während seines Exils entstanden unter anderem „Maulwürfe“ (1934), „Pennbrüder, Rebellen, Marodeure“ (1937) und „Der Krummhofbauer und andere Dorfgeschichten“ (1939).

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Scharrer 1945 nach Deutschland zurück und ließ sich in Schwerin nieder. Er arbeitete als Redakteur der „Schweriner Landeszeitung“ und wurde Leiter der Literatursektion im Kulturbund. Trotz seiner politischen Nähe zur Arbeiterbewegung trat er keiner Partei bei.

Adam Scharrer starb am 2. März 1948 in Schwerin an den Folgen eines Herzanfalls, der durch eine hitzige Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit ausgelöst wurde. Er hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das in der DDR große Verbreitung fand und als wichtiger Beitrag zur proletarischen Literatur gilt.

Seine Bücher, darunter „Vaterlandslose Gesellen“, „Der große Betrug“ und „In jungen Jahren“, geben bis heute Einblicke in das Leben und die Kämpfe der Arbeiterklasse und bleiben ein wichtiges Zeugnis der deutschen Literaturgeschichte.

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