Das neue San Francisco
Nach dem verheerenden Erdbeben von 1906 erhebt sich San Francisco aus der Asche – laut, staubig, fiebernd vor Energie. Bernhard Kellermann schildert in diesem eindrucksvollen Reisebericht seine Ankunft in einer Stadt, die wie ein gewaltiges Bauwerk im Werden bebt. Zwischen Trümmern, Stahlgerüsten und Staubwolken entsteht ein pulsierendes Zentrum der Moderne.
Mit wachem Blick und feiner Ironie beobachtet der Autor den Wiederaufbau, das geschäftige Treiben und den unerschütterlichen Glauben der Menschen an ihre Zukunft. Ein faszinierendes Zeitdokument über Aufbruch, amerikanischen Pragmatismus – und den unbezwingbaren Willen einer Stadt.
Frisko schrie und tutete, und selbst die stummen riesigen Reklamelettern an den kahlen Seitenwänden der hohen Häuser brüllten dich an. An einem Neubau, von dem eine ewige Staubwolke ausströmte, sah ich folgende Aufschrift: „Keep away! – That means you!” (Achtung! Es geht Sie an!) Diese Aufschrift schrie jeden Passanten einzeln an!
In dem neuen Frisko herrschte ein ungeheurer Umsatz in jeder Beziehung. Ein Arbeiter verdiente in dieser Zeit 6 bis 7 Dollar täglich, dazu kamen die miner herein, die draußen ihren haul (Zug) gemacht hatten. Und das Geld war da, um ausgegeben zu werden. Am Tag war Frisko amerikanisch, in der Nacht spanisch. Es verwandelte sich in einen Kinematografen und einen Fonografen. In einen Spielsalon. Niemand in der ganzen Stadt, das ist sicher, dachte noch an das Erdbeben oder daran, dass ein neues kommen könnte. Jeden Abend wurde ein Championboxer unkenntlich geschlagen, es gab unzählige Varietés, und in den deutschen Bierkellern „Fürst Bismarck“, „Heidelberger“, konzertierten die Damenkapellen. Ganze Spalten in den Zeitungen, die die neuen Pressen in das neue Frisko spien, waren gefüllt mit Annoncen von Hellsehern und Chiromanten, die dir dein Geld zurückzahlten, wenn sie dir nicht haarscharf deine Vergangenheit, Zukunft und deinen Namen kundtaten. Aus jedem dieser nassen Zeitungsblätter streckten sich dir hundert Fäuste entgegen, die dir Bündel von Dollarnoten unter die Nase hielten und dir den sichersten und schnellsten Weg zu fabelhaften Reichtümern zeigten. Shares, Minen, Grundstücke, money in heaps! Ich erinnere mich noch der Geschichte eines Mannes, eines Polizisten, der ein Goldnugget in einem Hühnerei gefunden hatte und nun fieberhaft nach dem Farmer fahndete, der ihm das Ei auf dem Markt verkauft hatte, den ganzen Tag lang fertigte er schon kleine Holzschachteln zum Aufbewahren des Goldes an. Dieser Polizist glaubte, ganz San Francisco glaubte.
Bernhard Friedrich Wilhelm Kellermann (*4. März 1879 in Fürth; †17. Oktober 1951 in Klein Glienicke bei Potsdam) war ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Abgeordneter. Sein bekanntestes Werk ist der Roman Der Tunnel (1913), ein internationaler Bestseller, der millionenfach verkauft, in 25 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt wurde.
Kellermann studierte zunächst an der Technischen Hochschule München, später Germanistik und Malerei. Schon mit seinen frühen Romanen Yester und Li (1904) und Ingeborg (1906) gelang ihm der Durchbruch. Es folgten Reiseberichte aus den USA und Japan, die seine Beobachtungsgabe und literarische Vielfalt unter Beweis stellten.
Der Erste Weltkrieg prägte ihn tief: Als Kriegsberichterstatter veröffentlichte er Reportagen vom Frontgeschehen. Mit seinem gesellschaftskritischen Roman Der 9. November (1920), der den Umbruch am Ende des Krieges thematisiert, zog er sich den Hass der Nationalsozialisten zu – das Buch wurde 1933 verboten und verbrannt, Kellermann aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen.
Nach 1945 engagierte er sich in der jungen DDR stark für kulturelle und politische Fragen. Gemeinsam mit Johannes R. Becher gründete er den Kulturbund, wurde Abgeordneter der Volkskammer und Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Für seinen Roman Totentanz erhielt er 1949 den Nationalpreis der DDR. In Westdeutschland hingegen geriet sein Name durch Boykottaktionen weitgehend in Vergessenheit.
Kellermann war zweimal verheiratet: 1915 mit der US-Amerikanerin Mabel Giberson (†1926) und ab 1939 mit Else „Ellen“ Michaelis, die nach seinem Tod seine Werke herausgab.
Bernhard Kellermann hinterließ ein vielseitiges Werk aus Romanen, Erzählungen, Reisebüchern und Reportagen. Er ruht auf dem Neuen Friedhof in Potsdam.
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- Artikel-Nr.: SW9783689125912458270.1
- Artikelnummer SW9783689125912458270.1
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Autor
Bernhard Kellermann
- Verlag EDITION digital
- Veröffentlichung 14.10.2025
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- ISBN 9783689125912
- Verlag EDITION digital